4. Tag: 17. Juli 2021 – Von Gunzenhausen nach Eichstätt

Tagesstrecke: 82,06 Km

Von Gunzenhausen nach Treuchtlingen

Nach einem sehr ordentlichen Frühstück mache ich mich auf den Weg. Das Wetter verspricht schön zu werden, viel Sonne und Temperaturen um die 25°.  Mein heutiges Ziel ist die Bischofs- und Universitätsstadt Eichstätt, eine Stadt mit reicher geschichtlicher Vergangenheit. Zunächst schaue ich mir aber auch Gunzenhausen noch etwas genauer an. Die Keimzelle des Ortes war ein Römerkastell aus dem zweiten Jahrhundert, das zum Schutz gegen die Alemannen am nördlichsten Punkt des Raitischen Limes errichtet wurde. Nach dem erzwungenen Rückzug der Römer nach dem Jahr 260 war das Land an der mittleren Altmühl für eine neue Besiedlung frei. Keltoromanische Bevölkerung dürfte sich mit germanischen Einwanderern wie Burgundern und Thüringern vermischt haben.

1368 kam Gunzenhausen dann in den Besitz des Nürnberger Burggrafen und entwickelte sich in der Folgezeit durch die Bewehrung der Stadt im 15 Jhdt. zu einem Zentrum des markgräflichen Territoriums. Der Dreißigjährige Krieg verschonte die Stadt weitgehend, sodass im ausgedünnten Gebiet rasch wieder eine Besiedlung einsetzte. Nach dem Verkauf der fränkischen Lande an Preußen im Jahre 1791 wurde auch Gunzenhausen im Jahre 1806 ins Königreich Bayern eingegliedert. Wirtschaft und Handel blühten dann durch die Anbindung an die Eisenbahn und die günstige Verkehrslage im Kreuz Würzburg-Nürnberg und Nürnberg-Augsburg auf.

Ein besonders dunkles Kapitel verzeichnet die Geschichte Gunzenhausens zur Zeit des Nationalsozialismus. Westmittelfranken war eine strukturschwache Agrarregion mit meist kleinbäuerlichen Höfen, einer überwiegend protestantischen Bevölkerung und einem in zahlreichen Orten relativ hohen Anteil an Juden. Im Jahr 1925 lebten in der Gemeinde Gunzenhausen 4394 Protestanten, 811 Katholiken und 219 Bürger jüdischen Glaubens. Der mittelfränkische Protestantismus besaß eine große Affinität zum Nationalsozialismus. Die NSDAP war in Mittelfranken unter ihrem Gauleiter Julius Streicher gegen Ende der 1920er Jahre sehr stark geworden. In der Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung tat sich die damalige Kreisstadt Gunzenhausen und ihre Umgebung besonders negativ hervor. Der jüdische Friedhof wurde geschändet, die Fenster der Synagoge eingeworfen. Juden wurden von Rechtsradikalen verdächtigt, Kommunisten zu sein. Schon 1928/1929 gab es eine antisemitische Hetzwelle, die auch zu Überfällen auf jüdische Kaufleute führte. Die jüdische Gemeinde versuchte – mit nur wenig Erfolg – gegen die Verdächtigungen und gegen die Angriffe vorzugehen.  Im Oktober 1927 wählte der Stadtrat einstimmig den parteilosen Heinrich Münch, einen promovierten Juristen, für 10 Jahre zum Ersten Bürgermeister. 1932 trat Münch der NSDAP und der SA bei. Er bekannte sich als glühender Verehrer Adolf Hitlers sowie radikaler Antisemit. Schon 1934 kam es am Palmsonntag zu einem Pogrom gegen Juden, das internationales Aufsehen erregte. Vor dem Hintergrund der schon frühen Übergriffe auf Juden ist es nicht verwunderlich, dass der Völkische Beobachter Gunzenhausen als den „besten Bezirk“ bezeichnete.

Meine Rundfahrt beschränkt sich im Wesentlichen auf den Marktplatz und einen Besuch der spätgotischen St. Marienkirche, die ein recht eindrucksvolles Bauwerk ist. Dann geht es weiter auf Altmühl-Radweg. Ich komme durch Windsfeld, das eines der schönsten Dorfensembles an der Altmühl sein soll. Es hat auch schon zweimal den Bundessieg in dem Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, so fahre ich ohne Halt weiter.

Die Strecke hat bis kurz vor Treuchtlingen wenig zu bieten. Kurz vor Treuchtlingen komme ich in einen Ort namens Graben. Hinter dem Namen verbirgt sich eines der größten ingineurgeologischen Bauvorhaben des Mittelalters. Karl der Große wollte hier im Jahre 793 einen Kanal ausheben lassen, um den Rhein mit der Donau durch eine Wasserstraße zu verbinden. Also ein ähnlicher Gedanke wie er dem Altmühlsee zugrunde liegt und wie der dann, durch den Rhein-Main-Donau-Kanal, den ich morgen erreichen werde, über 1000 Jahre nach Karl dem Großen auch verwirklicht wurde. Karl der Große wollte die Wasserscheide an der denkbar günstigsten Stelle zwischen Altmühl und Resat überwinden, wo sich die Stromsysteme bis auf zwei Kilometer nahe kommen, und nur 10 Meter Höhe zu überwinden sind. Somit musste ein Graben von 1.500 Metern Länge 10 Metern Tiefe und 30 Metern Breite ausgehoben werden. Das Werk an dem angeblich 6.000 Menschen arbeiteten, blieb wegen anhaltendet Regenfälle, ungünstiger geologischer Bedingungen, aber auch aus politischen Gründen unvollendet. Übriggeblieben ist aber eine etwa 500 Meter lange Wasserfläche mit den angrenzenden Erdwällen, die von diesem für das Mittelalter gigantischen Bauvorhaben zeugen. Da der Graben nicht direkt am Altmühl-Radweg liegt wie ich zunächst vermutet hatte, bin ich erst einmal daran vorbeigefahren und brauchte etwa drei Kilometer um den richtigen Ort zu sehen. Das hat natürlich meine heutige Fahrt um einige Kilometer verlängert. Der Ort ist eher unspektakulär und seine Bedeutung erschließt sich erst, wenn man die Geschichte dahinter kennt. Ich verweile hier einige Zeit und mache mich an den aufgestellten Stelen mit umfassenden Beschreibungen zu diesem Bauwerk kundig. Schließlich fahre ich noch einen Kilometer weiter zum Ende des Kanalprojekts kurz vor der europäischen Wasserscheide. Dann geht es das schon gefahrene Stück zurück und weiter nach Treuchtlingen.

 

 

Von Treuchtlingen nach Pappenheim

Wenige Kilometer hinter Graben komme ich dann in  die Stadt Treuchtlingen, die etwa 13.000 Einwohner hat. Nach den Kelten und Römern beginnt die geschriebene Geschichte der Stadt mit einer urkundlichen Erwähnung im Jahre 899. Im 13. Jahrhundert wurde auf dem Schlossberg die Obere Veste und im Ort die Niedere Veste erbaut, die Vorläufer des heutige Stadtschlosses war.  Im Jahre 1422 übernahm der mächtige Pappenheimer Adel den Besitz, nachdem das Vorgängergeschlecht ausgestorben war. Auf dem Schloss in Treuchtlingen wurde Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim 1554 geboren. Durch das geflügelte Wort „Daran erkenn ich meine  Pappenheimer“ verschaffte ihm Schiller in seinem Drama „Wallensteins Tod“ allgemeine Bekanntheit und literarischen Ruhm. Er befehligte im Dreißigjährigen Krieg ein Kürassierregiment , das als schlagkräftige Truppe in die Geschichte einging. Wie so oft in solchen Fällen, war sein Leben nicht von langer Dauer. Er fiel mit nur 38 Jahren, am gleichen Tag wie sein Gegenspieler, der Schwedenkönig Gustav Adolf, in der Schlacht bei Lützen 1632.

In dem Ort nehme ich mir etwas Zeit und schaue beim heutigen Stadtschloss vorbei und werfe auch einen Blick in die Markgrafenkirche, die frisch restauriert, eine typisch protestantische Predigerkirche aus dem Jahre 1757 ist. Dann geht es weiter und schnell wird deutlich, dass sich hinter Treuchlingen das Altmühltal augenfällig verändert. Hier verengt sich nun das Tal und die Altmühl hat sich ihren Weg durch die steile Felslandschaft der südlichen Frankenalb gebahnt. Von hier bis Eichstätt soll sich das Tal von seiner schönsten Seite zeigen. Ganz im Gegensatz zur weiten und flachen Landschaft des oberen Altmühltales hat sich der nun 10 bis 15 Meter breite Fluss 100 bis 200 Meter tief in das Juragestein gegraben. Im engen mittleren Altmühtal ragen aus den bewaldeten Hängen der Bergrücken imposant die weiß glänzenden Dolomitfelsen heraus. Der Mischwald an den Berghängen setzt sich aus Buchen, Eichen, Lärchen, Kiefern und Fichten zusammen. An den Ufern säumen Silberweiden, Schilf und Rohrglanzgras die Altmühl, die sich vor dem Zugang schützt.

Mein nächster Stopp ist das lediglich fünf Kilometer von Treuchtlingen entfernte Pappenheim, dass recht malerisch mit seiner Burg auf einem Bergsporn oberhalb einer Altmühlschleife gelegen ist. Hier könnte man sich auch etwas länger aufhalten. Immerhin gibt es hier die evangelische Stadtkirche St. Marien aus dem Jahre 1476, ein ehemaliges Augustinerkloster, die Burg Pappenheim, ein Altes und und ein Neues Schloss, einen Jüdischen Friedhof, eine Weidenkirche und und eines der ältesten Gotteshäuser in Franken, die Kirche St. Gallus aus dem 9. Jahrhundert, also noch aus karolingischer Zeit. Ihr gilt mein besonderes Interesse und ihr statte ich auch einen Besuch ab, nachdem ich auf dem Marktplatz mein spärliches Mittagessen bestehend aus einem Käsebrötchen und einem Apfel verzehrt habe.

Auf eine Schenkung  ihrer Besitzungen in Pappenheim, Niederpappenheim, Dietfurth und Schambach vom 12. November 802 der Edlen Frau Reginsind an das Kloster St. Gallen, dessen Schutzpatron der hl. Gallus ist, geht das für die Region äußerst ungewöhnliche Patrozinium zurück. Das Kloster erbaute im 9. Jahrhundert die einschiffige Saalkirche als Pappenheimer Pfarrkirche. Vermutlich erfolgte im 11. Jahrhundert ein Umbau, da 1060 eine Neuweihe dokumentiert ist. Auf diesen Umbau ist möglicherweise die Erweiterung des Mittelschiffs sowie der Einbau schmaler Fenster im Obergaden zurückzuführen. Im Mittelalter gab es vom 13. bis zum 15. Jahrhundert mehrere Veränderungen der Kirche zu der zum Zeitgeschmack passenden Gotik. Weiter wurden im 15. Jahrhundert der Chor, die Seitenkapelle und eine Sakristei errichtet. Bis zur Reformation 1539/1540 fungierte die Galluskirche als Pfarrkirche von Pappenheim. Seitdem dient sie lediglich als Friedhofskirche. 1953 fand eine umfassende Renovierung statt. Dabei fand man etliche Malereien und die Kanzel von 1700 wurde entfernt. Der Besitzer des Bauwerks ist heute die Stadt Pappenheim.

Die im Kern aus dem 9. Jahrhundert stammende, romanische Galluskirche enthält Elemente von der Karolingerzeit bis zur Gotik. Das architektonisch eher schlichte Bauwerk ist dreischiffig und war ursprünglich aber eine einschiffige Hallenkirche. Der mächtige Kirchturm trägt ein Satteldach und wurde im 11. Jahrhundert errichtet. An der Außenwand befinden sich zwei Steintafeln mit den Inschriften „Die Stadt Pappenheim ihren treuen Toten 1914–1918 – ihren gefallenen Söhnen zum Gedenken die Stadt Buchau Sudetenland“ und „Zum Gedenken an die gewaltsame Vertreibung der Deutschen aus ihrer angestammten Heimat 1945–1946 Sudetendeutsche Landsmannschaft Ortsgruppe Pappenheim.“

In der Kirche selbst fällt eigentlich nur der Altar ins Auge. Er ist spätgotisch und hat im Schrein Plastiken der hl. Barbara, hl. Katharina sowie Maria mit Kind, deren linker Fuß auf der Mondsichel ruht. Die Flügel zeigen im geöffneten Zustand mehrere Reliefs. Hier sieht man links oben die Verkündung Marias, bei der ihr durch den Erzengel Gabriel die Geburt eines Sohnes vorausgesagt wird. Rechts oben ist der Besuch Marias bei Elisabet dargestellt, die selbst im sechsten Monat mit dem späteren Johannes dem Täufer schwanger ist. Links unten dann die Geburt Jesus in Bethlehem und rechts unten der Tod Marias im Kreise der Apostel. In der Predella unten kann man wie so oft die zwölf Aposteln bei der Feier des Abendmahls erkennen. Der Marienaltar dürfte um 1520 unter dem Einfluss Nürnberger Meister entstanden sein.

Nachdem ich mich in der Kirche umgeschaut habe und sie auch von außen genauer betrachtet habe, lasse ich meine Blicke noch über den Friedhof wandern und mache mich dann wieder auf den Weg. Noch liegen knapp 40 Kilometer also mehr als die Hälfte des heutigen Weges, vor mir.

Von Pappenheim nach Eichstätt

Langsam muss ich auf die Zeit achten, denn der Nachmittag ist deutlich voran gerückt. Fünf Kilometer hinter Pappenheim lege ich aber noch einmal eine viertelstündige Pause in einem Café in Solnhofen ein und gönne mir einen Cappuccino und ein Gebäck. Solnhofen hat übrigens durch den Fund des sogenannten Urvogels und als Wiege der Lithographie eine gewisse Bekanntheit erlangt. Kurz hinter Solnhofen komme ich an den Zwölf Aposteln vorbei. Es sind wuchtige Riff-Felsen des ehemaligen Jura-Meeres, die ein beliebtes Fotomotiv sind, natürlich auch für mich. Die Altmühl mäandert nun und hat auch entsprechende Täler gegraben. Als nächsten Ort erreiche ich Dollnstein, einen Ort mit gemütlichem Altstadtkern, einer sehenswerten Burg und Stadtmauer. Ich fahre aber dennoch weiter. Der Rest des Weges ist dann vor allem Natur. Felsige aber auch mit Mischwald bewachsene Berghänge, kleinere Dörfer und eine sich durch das Juragestein schlängelnde Altmühl begleiten mich nun bis Eichstätt. Doch wenn man Eichstätt erreicht, ist man nicht unbedingt an seinem Ziel. Eichstätt hat zwar nur etwas mehr als 13.000 Einwohner, zieht sich aber in dem hier recht engen Altmühltal schon etwa 10 Kilometer von einem zum anderen Ortsende.

Mein heutiges Quartier ist das Bischöfliche Seminar St. Willibald. Wie der Name schon sagt, ist es ursprünglich nicht für Touristen erbaut und eingerichtet worden. Die Aufnahme nicht priesterlicher Gäste ist aber wohl der Tatsache geschuldet, dass man es sonst nicht (mehr) wirtschaftlich führen könnte. So werde ich auch sehr überschwänglich von der Empfangsdame Frau Bergmann begrüßt. Sie führt mich in die Gepflogenheiten des Hauses ein erklärt mir sehr viel sowohl über das Haus, ein großes Barockensemble auf dem Leonrodplatz, als auch zur Stadt, empfiehlt mir ein sehr gutes Lokal direkt um die Ecke und organisiert mir sogar auf meine vorsichtige Anfrage einen Ventilator, weil sich mein sehr schönes Zimmer tagsüber doch ziemlich aufgeheizt hat.

Da es schon recht spät ist, verschiebe ich den Stadtrundgang auf morgen, richte mich in meinem Zimmer ein, dusche mir den Staub und Schweiß ab und gehe dann in den empfohlenen Braugasthof „Trompete“. Ich bekomme einen Tisch im Freisitz, da aber reger Besuch ist, wird dann noch ein jüngeres Ehepaar an meinem Tisch platziert. Wir kommen dann auch ins Gespräch. Die beiden kommen hier aus der Gegend aber wohl nicht unmittelbar aus Eichstätt. Wir sprechen über Reisen und kommen natürlich auch auf meine Fahrradtour zusprechen, was aber wohl nicht so ihr Ding ist, weil sie heute in der Stadt waren, um sich Vespas oder auch andere kleinere Motorroller anzuschauen. Allerdings ringen sie zur Zeit wohl mit einer Entscheidung. Schließlich verabschieden wir uns und ich wandle durch eine Hinterpforte, ich habe für alle Außentüren einen Generalschlüssel bekommen, zurück in meine Unterkunft. Bevor ich mich niederlege, mache ich mich noch etwas mit der morgigen Strecke vertraut. Es dauert aber nicht lange bis ich darüber einschlafe.

 

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