Nach einem ordentlichen Frühstück geht es weiter. Zunächst geht es wieder zurück auf den befahrenen Nationalstraßen 62 und 50 auf die andere Seite der Weichsel. Hier geht es nun entlang des Flusses aber meistens hinter dem Deich, so dass man nur selten eine Blick auf den Fluss werfen kann. Der Weg ist heute überwiegend ein Kiesweg, der aber auch als Straße genutzt wird und daher meistens fest ist. Dennoch sind es qualitativ sehr unterschiedliche Streckenabschnitte und ein solcher Untergrund kostet in der Regel Zeit. Zu sehen ist nicht sonderlich viel. Ich fahre weiter durch vor allem landwirtschaftlich genutztes flaches Gelände, das gelegentlich durch einige Bauergehöfte aufgelockert ist. Auffallend dann die Holzkirche in Dobrzykow, die allerdings verschlossen ist. Bei der Kirche geht es dann auf die recht verkehrsreiche Woiwodschaftsstraße 575, die dann zur Nationalstraße 60 führt auf der ich auf dem begleitenden Radweg wieder über die Weichsel fahre und in meinem heutigen Zielort Plock komme. Plock ist eine moderne Industriestadt mit etwa 120 Tsd. Einwohnern. Plock ist aber auch eine der ältesten Städte Polens und die älteste Stadt in Masowien. Meine heutige Unterkunft ist das Green Hotel Plock, das in einem Teil des modernen Bahnhofsgebäudes untergebracht ist. Als ich ankomme ist es früher Nachmittag. Ich checke ein und richte mich in dem einfachen aber praktischen Zimmer ein. Die Zimmer erinnern etwas an die in einem Ibis budget Hotel.

Tagesstrecke: 60,23 Km

 

Spaziergang durch Plock

Nachdem ich mich eingerichtet habe, mache ich mich wieder mit dem Fahrrad auf den Weg in die Stadt und fahre zunächst auf den Marktplatz. Ich will mich bei meiner Rundfahrt auf die Hauptsehenswürdigkeiten beschränken. Auf dem Marktplatz finde ich eine geöffnete Touristeninformation. Als ich der Mitarbeiterin mein Anliegen erkläre, ist sie sehr bemüht, mir großem Engagement die wichtigsten Dinge in Plock ans Herz zu legen. Ein entsprechendes Besichtigungsprogramm hätte etwa drei Tage in Anspruch genommen. Ich freue mich dann als sie mir zwei Flyer in deutscher Sprache aushändigt, mit denen ich einen kurzen Stadtrundgang machen kann, aber auch vermittelt bekomme, was es noch in Plock zu sehen gäbe, wenn ich mehr Zeit hätte.

Als ich wieder auf den Marktplatz hinaustrete fällt mir ein Erinnerungsschild am Haus der Touristeninformation ins Auge, das darauf verweist, dass in diesem Haus der Schriftsteller der Romantik E.T.A. Hoffmann von 1802 bis 1804 gelebt hat. Die Geschichte wie Hoffmann nach Plock kam erzählt man hier freilich nicht. Er kam nämlich durchaus nicht aus eigenem Willen und zu seiner Freude hierher. Hoffmann war studierter Jurist und arbeitete wohl auch praktisch bis zu seinem Lebensende unter anderem als solcher. Im März 1800 legte Hoffmann sein drittes Examen ab und wurde als Gerichtsassessor nach Posen versetzt, das seit der zweiten Teilung Polens zu Preußen gehörte. Hier war er erstmals nicht mehr unter der Aufsicht seiner Verwandten. In der gesellschaftlichen Abgeschiedenheit in Posen begann Hoffmann dem Alkohol zuzusprechen, eine Angewohnheit, die er bis an sein Lebensende beibehielt.

Während des Karnevals im Jahre 1802 tauchten bei der großen Fastnachtsredoute der preußischen Kolonie plötzlich maskierte Personen auf, die Karikaturen von hochrangigen Vertretern der Stadt an die Gäste verteilten. Die bekannten Gesichter von Generalen, Offizieren und Angehörigen des Adelsstandes waren eindeutig zu identifizieren und in lächerliche Posen gesetzt. Der Spaß währte so lange, bis die Verhöhnten sich selbst als Karikatur in der Hand hielten. Die Täter wurden nicht gefasst, aber die Obrigkeit war sich schnell einig, dass dahinter eine Gruppe von jungen Regierungsbeamten stecke, darunter auch der junge Hoffmann, der sein zeichnerisches Talent für diese unerhörte Aktion zur Verfügung gestellt hatte. Hoffmann, der in diesem Jahr zum Regierungsrat befördert werden sollte (und sich erhoffte, vielleicht nach Berlin oder zumindest in eine weiter westlich gelegene Stadt geholt zu werden), erhielt zwar die Beförderung, zugleich aber auch die als Sanktion gedachte Versetzung in das noch kleinere, noch östlicher gelegene damals lediglich 3000 Einwohner zählende Städtchen Płock. Aus dieser Zeit sind erstmals Tagebucheintragungen von ihm erhalten, die seine Langeweile und Unzufriedenheit wiedergeben. So viel zu E.T.A. Hoffmann in Plock.

Auf dem großen Marktplatz fällt zunächst die für Polen nicht untypische architektonische Ambivalenz auf. Während auf der Westseite das sehr schön restaurierte klassizistische Rathaus dominiert, wird die gegenüberliegende Seite von einer Ruine dominiert. Das Marktplatzensemble strahlt damit eine Vorläufigkeit und Unfertigkeit aus. Ich schlendere dann vom Marktplatz hinunter zur Weichsel, wo ich auf das Denkmal des Boleslaw III. Schiefmund stoße. Dieses Denkmal soll wohl auch daran erinnern, das Plock in den Jahren 1079 bis 1138 während der Herrschaft von Władysław I. Herman und Bolesław III. Schiefmund die Hauptstadt Polens war. Die Verlegung der Hauptstadt von Krakau nach Plock hing vor allem mit der Ermordung des Bischof Stanislaus von Krakau als angeblichen Verräter durch den König Boloslaw II, dem Vater von Wladyslaw I. Hermann zusammen, der ihn 1179 vor dem Altar mit dem Schwert zerstückelte. Nach dem Mord brach in  Krakau ein Aufstand aus, der dazu führte, dass Bolesław schließlich aus dem Lande fliehen musste. Sein Sohn und Nachfolger hielt es wohl für besser in diesen unruhigen Zeiten den Regierungssitz zu verlegen und so wurde Plock plötzlich zur Hauptstadt, ein Ruhm von dem die Stadt heute noch zu zehren scheint.

Ich wandere nun am Weichselufer entlang zu den Hauptsehenswürdigkeiten von Plock: So sind dies das Schloss der Herzöge von Masowien im Stile der Backsteingotik und die 1530 bis 1563 im Renaissancestil errichtete Kathedrale Mariä Himmelfahrt, welche Sitz des Bischofs von Płock ist. Auf dem Weg zu Schloss komme ich an einer Standskulptur von Tadeusz Mazowiecki (1927–2013) vorbei, der in Plock geboren ist und später der erste nichtkommunistische Ministerpräsident Polens nach 1945 wurde. Dieses Amt übte er von August 1989 bis Dezember 1990 aus. Davor war er seit 1980 Berater und Publizist der Gewerkschaft Solidarność. Nach Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 wurde er von 1981 bis 1982 inhaftiert. 1989 nahm er wieder als Berater von Lech Wałęsa an den Runden-Tisch-Gesprächen teil. Am 24. August 1989 wählte ihn der Sejm zum Premier. Das Verhältnis zum „Arbeiterhelden“ Wałęsa trübte sich, als Mazowiecki sich entschloss, bei der Präsidentschaftswahl im Herbst 1990 gegen Wałęsa anzutreten. Als er am 9. Dezember 1990 gegen diesen nicht einmal in die Stichwahl kam, trat er am 14. Dezember 1990 vom Amt des Ministerpräsidenten zurück.

Das Schloss der Herzöge von Masowien und die Kathedrale befinden sich am oberen Rand des Weichselufers und man hat von hier je nach Wetter einen herrlichen Blick auf den Fluss. Heute passt das Wetter! Nachdem ich die Kathedrale umrundet habe, werfe ich auch einen Blick hinein. Die Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale wurde 1144 geweiht. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurde sie mehrmals umgebaut. Nach einem Brand wurde die Basilika im Jahre 1530 nach dem Entwurf italienischer Architekten entworfene im Renaissancestil wiederaufgebaut. Teil der Außenmauern stammen noch von dem in Bruchstein errichteten Vorgängerbau. Von 1784 bis 1787 wurde die Kathedrale unter Bischof Michał Poniatowski, dem Bruder des Königs Stanislaus II. August, klassizistisch umgestaltet. Im Chor der Kathedrale wurden die beiden polnischen Herrscher Władysław I. Herman und Bolesław III. Schiefmund bestattet, und nach ihrer Wiederentdeckung 1825 in einen Sarkophag in der seitdem als Königliche bezeichneten Kapelle unter dem Nordturm überführt. In den Jahren 1901–1903 wurde die baufällige Basilika vollkommen renoviert und umgestaltet, wobei man sich an dem ursprünglichen, in den Zeiten des Barocks und Klassizismus jedoch geänderten, Renaissance-Aussehen orientierte. Außerdem wurde dem Kirchenbau eine neuromanische Doppelturmfassade vorgeblendet, ebenfalls aus Backstein. Vom Beginn des Jahrhunderts stammt auch der überwiegende Teil der Ausstattung sowie die farbeprächtigen Gemälde der Wände und des Gewölbes. Die Gemälde sind wieder ein sehenswertes Bilderbuch über das Leben Jesus Christus. Aus früheren Epochen konnten sich zahlreiche Epitaphien und Grabmäler erhalten. Die Kathedrale von Płock verfügt über eine bedeutende Orgel aus dem 20. Jahrhundert, die dank der guten Akustik des Kircheninneren auch für Konzerte genutzt wird.

Draußen vor der Kirche steht dann das unvermeidliche Denkmal des polnischen Papstes Johannes Paul II. Eigentlich gibt es nur wenige Kirchen, die über kein Denkmal des Papstes verfügen. Gegenüber der Kathedrale findet sich das Fragment des Herzogschlosses, in das dann später eine Benediktiner Abtei Einzug hielt. Heute befindet sich hier das Diözesan-Museum mit der Schatzkammer. Mein Weg führt mich nun zur Wache und zum Narutowicz-Platz. Die Alte Wache aus dem Jahre 1837 war ein Wachhaus der russischen Soldaten. Der Versuch sie zu stürmen war 1830 der Auftakt zum polnischen Januaraufstand im Gebiet von Plock. Nun gehe ich gegenüber durch die Ulica Tumska, eine der Einkaufsstraßen von Plock. Schließlich geht es vorbei an der alten aber wieder hergerichteten Synagoge zurück zum Marktplatz. Am Marktplatz hatte ich mein Fahrrad stehen lassen. Jetzt nehme ich es wieder in Besitz und radle zurück in mein Quartier am Bahnhof.

Im Hotel kann ich mir ein Abendessen bestellen. Ich wähle unter den drei Möglichkeiten, von denen ich zwei nicht verstanden habe, Kassler mit Pommes frites und Salat. Vorab habe ich mir noch eine schmackhafte Suppe bestellt. Ein Bier bekommt man hier nicht, deshalb habe ich mir auf dem Rückweg noch zwei Dosen im Supermarkt gekauft. Zwei Tische weiter sitzen vier Männer, die ich als Montagearbeiter einschätze. Sie haben zwei Flaschen Wodka auf dem Tisch stehen und trinken ihn aus 100 ml-Gläsern. Ich bin froh, dass sie mir keinen anbieten. Wahrscheinlich schaue ich zu abweisend zu ihnen hinüber. Nach dem Essen ziehe ich mich dann auf mein Zimmer zurück.

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