8. Tag (21. September 2020): Von Bad Sooden-Allendorf nach Brochthausen

Tagesdaten: 77,93 Km

Wieder verspricht es ein herrlicher sonniger Tag mit Temperaturen über 20 Grad zu werden. Bestes Fahradtourenwetter. So starte ich gleich nach dem Frühstück. Mein Ziel ist heute noch unklar. Ich werde mich im Laufe des Tages entscheiden.

Von Bad Sooden Allendorf nach Bornhagen (Ruine Hanstein)

Von Bad Sooden-Allendorf geht es weiter die Werra entlang über Wahlhausen, Lindewerra nach Werleshausen. Vor Werleshausen hat man einen schönen Blick auf die Burg Ludwigstein. Die Burg wurde ab Sommer 1415 unter Landgraf Ludwig I. von Hessen zum Schutz der umstrittenen Grenze gegenüber dem kurmainzischen Eichsfeld und der mainzischen Burg Hanstein erbaut. Nach dem üblichen zahlreichen Besitzerwechseln verlor die Burg schließlich 1830 ihre Funktion als Sitz eines landesherrlichen Amtmanns. im weiteren Verlauf des 19. Jhdt. wurde die Anlage verschiedentlich genutzt, unter anderem als Brauerei, Schafstall und Lagerhaus. 1862 begann der Abriss der Außenburg. Nachdem der Ludwigstein 1882 aus der Unterhaltsverpflichtung der Domäne entlassen wurde, begann der allmähliche Verfall der Innenburg.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Burg weitgehend verfallen. Wiederentdeckt wurde sie dann Anfang des 20. Jhdt. durch die Wandervogelbewegung. Auf einer Wanderung wurde der Ludwigstein vom Hanstein aus erspäht und fortan als Geheimtipp gehandelt. Überliefert ist bei Wikipedia ein Vorschlag des Göttinger Professors Hans Stille bei einer Exkursion mit seinen Studenten zur Burg Hanstein im Jahre 1908 mit Blick auf die Ruine der Ludwigstein die Worte aus: „Narten, das wäre doch etwas für sie und ihren Wandervogel, so eine verlassene Burg!“ Immer mehr Wandervogelgruppen begegneten sich „zufällig“ „auf dem Lu“. Es dauerte aber noch 12 Jahre und einen Weltkrieg bis der Wandervogel Enno Narten (1889-1973), einer der wichtigsten Vertreter der frühen Wandervogelbewegung und weitere Jugendbewegte am 4. April 1920 die Vereinigung „Jugendburg Ludwigstein“ gründeten und die Ruine erwarben, um sie als Ehrenmal für die im Krieg Gefallenen und als sichtbares Symbol eines Neuaufbaus wiederherzustellen. In langen Reihen reichten junge Leute die Steine für den Wiederaufbau von Hand zu Hand aus dem Werratal bis zur Burg hinauf. Zu Zeiten der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg schaffte sich der Ludwigstein seine eigene Währung, und Jugendbewegte aus allen Bünden zogen von dort aus als Siedler aufs Land, um ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Die Burg erlebte eine wahre Blüte – bis zur Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus.

Anfang 1933 wurde die Burg erste Gebietsführerschule der Hitlerjugend in Kurhessen; ihre Trägervereinigung unterstellte sich der nationalsozialistischen Reichsjugendführung. Als Mitglied im Reichsverband Deutscher Jugendherbergen und umgewandelt in einen Freundes- und Fördererkreis des Ehrenmales Jugendburg Ludwigstein, konnte sich die Vereinigung noch bis zum endgültigen Verbot am 17. September 1941 halten. Seit 1933 aber diente der Ludwigstein meistenteils, seit 1941 ausschließlich den Zwecken nationalsozialistischer Jugendarbeit – vom Schulungslager bis zur Kinderlandverschickung.

Nach Ende des Krieges wurde in der Burg zunächst ein Flüchtlingslager eingerichtet. Im Jahre 1946 wurde sie dann an die wieder zugelassene Vereinigung Jugendburg Ludwigstein zurückgegeben. Die Jugendgruppen waren jedoch in alle Winde zerstreut, das Archiv war verschollen, die Burg stand wieder an einer Grenze – aber sie war doch äußerlich erhalten geblieben. Die Jugendbünde gründeten sich neu; so auf dem Ludwigstein 1953 zunächst der „Zugvogel“, der sich als erster Fahrtenbund zur Gewaltlosigkeit bekannte. 1966 formierte sich an gleicher Stelle der „Ring junger Bünde“. Neben den Wandervögeln fanden sich nun auch vermehrt Pfadfinderbünde und Jungenschaften ein. Das Archiv der deutschen Jugendbewegung wurde wiedererrichtet und – wie auch die Burg – 1970 in eine Stiftung überführt. Hinzu kam 1982 eine Bildungsstätte, die die zeitgemäße Fortführung der Impulse der Jugendbewegung unterstützt. Anlässlich des 37. Todestages von Enno Narten kam es am 10. Januar 2010 zur Grundsteinlegung für den Enno-Narten-Bau. Dieser Anbau wurde am 15. September 2012 eingeweiht. Er ist nach Angaben der Erbauer das „größte Strohballenhaus der Republik“. Anfang 2011 wurde das Projekt von der UNESCO zum UN-Dekadeprojekt „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ernannt.

Obwohl die Burg Ludwigstein sicher auch ein lohnendes Zwischenziel heute gewesen wäre, habe ich mich anders entschieden. Ich radle noch nach Werleshausen und biege dort dann endgültig von der Werra ab und fahre hinauf nach Bornhagen und zur Ruine der Burg Hanstein. Von der Werra aus ist die Burg Hanstein nicht zu sehen, sie lag aber bis 1990 nur wenige Meter von der innerdeutschen Grenze entfernt. Wann sie erstmals errichtet wurde, ist nicht bekannt. Eine erste Erwähnung findet sich in zeitgenössischen Chroniken anlässlich ihrer Zerstörung durch Heinrich IV. im Jahre 1070. Die Burg wurde aber wieder aufgebaut und war zunächst im Besitz der Grafen von Northeim, später der Welfen und gelangte bereits 1209 in kurmainzischen Besitz. Die Burg wurde dann schließlich in einen erblichen Besitz als strategisch wichtige Grenzfestung des mainzischen Eichsfeldes an die Familie von Hanstein übertragen.

Da den Herren von Hanstein im 14. und 15. Jhdt. der Erwerb einer Stadtherrschaft nicht gelang, waren sie in beiden Jahrhunderten von der wirtschaftlichen Entwicklung abgeschnitten und gingen zeitweise zum Raubrittertum über. Dagegen und zum Schutz der Handelsstraße durch das Werratal ließ Landgraf Ludwig I. von Hessen im Jahre 1415 die Burg Ludwigstein errichten. Hier wird der Zusammenhang beider Burgen deutlich. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Burg von schwedischen Truppen teilweise zerstört und seitdem nicht mehr dauerhaft bewohnt. Sie diente jedoch noch lange als Treffpunkt der verschiedenen Linien des Hauses Hanstein. Zu diesem Zweck wurde zwischen 1838 und 1840 ein neuer Rittersaal erbaut. Zudem wurden Teile der Burg vorübergehend als Gefängnis genutzt. Durch die direkte Lage an der innerdeutschen Grenze wurde der Nordturm als Beobachtungsposten der DDR-Grenztruppen genutzt. Seit 1985 werden wieder denkmalpflegerische Arbeiten an der Ruine vorgenommen, unterstützt vom ortsansässigen Heimatverein.

Die Burgruine Hanstein war bis weit in das 20. Jahrhundert ein beliebtes Wanderziel Göttinger Studenten. Alljährlich findet am ersten Augustwochenende ein Mittelalterfest statt, das sich großer Beliebtheit erfreut und über 13.000 Besucher anzieht. Touristische Projekte, die zur Erschließung der Burg und ihrer Geschichte dienen, sind beispielsweise der Hansteiner Burgfrieden und ein nach altem Vorbild angelegter Weinberg sowie ein Kräutergarten. Unterhalb der Burg Hanstein befindet sich der Klausenhof, ein altes Wirtshaus mit historischer Herberge, das in enger Verbindung mit der Burg Hanstein steht und einst zu deren Gütern zählte. Am 3. Februar 2011 erschien von der Deutschen Post eine 90-Cent-Briefmarke mit dem Motiv Zweiburgenblick im Werratal, das die Burg Ludwigstein in Hessen und die Burgruine Hanstein in Thüringen zu beiden Seiten der Werra zeigt.

An der Burgruine Hanstein mache ich Pause und erwerbe auch eine Eintrittskarte für den Besuch der Ruine. Beim Rundgang lese ich bei Wikipedia über die beiden Burgen das nach, was ich hier berichtet habe. Beeindruckend ist auch der Blick von hier oben zur Burg Ludwigstein. Man kann sich die Gefühle der Wandervögel und der Göttinger Studenten nachempfinden. Dennoch ist diese Gefühlswelt ambivalent. Inzwischen sind beide Burgen auch in rechten Kreisen durchaus ein populärer Treffpunkt. So scheint es mir auch nicht ganz zufällig zu sein, dass der Flügelchef der AfD Björn Höcke seinen Wohnsitz hier in Thüringen in Bornhagen direkt unterhalb der Ruine Hanstein genommen hat.

Von Bornhagen nach Brochthausen

Die nächsten 30 Kilometer werden recht anspruchsvoll. Es ist, bis auf ein kurzes Stück hinter Arenshausen die Leine entlang, ein ständiges auf und ab. Naturräumlich gehört die Gegend wohl zum Weser-Leine-Bergland mit Bergen bis zu 450 Metern. Wie das oft so ist sind solche Landschaften für Fahrradfahrer oft anspruchsvoller als höhere Gebirge. Ich fahre über Mengelrode in Thüringen, Weißenborn in Niedersachsen und weiter zwischen den Ländern mäandernd nach Teistungen. Vor Teistungen gelange ich in das Grenzlandmuseum Eichsfeld.

Das Grenzlandmuseum Eichsfeld ist ein großräumiges Freilichtmuseum der Grenzanlagen bei Teistungen mit angeschlossener Bildungsstätte und Rundwanderweg auf der Ländergrenze zwischen Thüringen und Niedersachsen. Der Rundwanderweg ist 6 Kilometer lang. Einen Teil dieses Weges muss ich mit dem Fahrrad bewältigen. Das ist nicht gerade vergnüglich, weil es auf dem Kolonnenweg zunächst bergab und dann hinter Teistungen, ich hatte mich zu früh gefreut, wieder bergauf ging. Diese Strecke war wieder einmal eine recht holprig und man ist froh, wenn man es hinter sich hat. Auf dem Gelände befindet sich auch der ehemalige innerdeutsche Grenzübergangs Duderstadt/Worbis an der Bundestraße B 247. Der Grenzübergang wurde am 21. Juni 1973 auf Basis des Grundlagenvertrags für den grenznahen Verkehr, eröffnet.

Nach Teistungen geht es dann an Duderstadt vorbei und auf den letzten Kilometern auf einer doch recht befahrenen Straße nach Brochthausen, seit 1973 ein Ortsteil von Duderstadt. Lieber hätte ich in Duderstadt ein Quartier gefunden. Das gelang aber nicht. So blieb mir nur das Hotel „Zur Erholung“ hier in Brochthausen. Das Zimmer war ordentlich und ich konnte auch ein schmackhaftes Abendessen im Innenhof des Hotels verzehren. Danach zog ich mich mit einem Glas Rotwein auf mein Zimmer zurück und brauchte nicht mehr allzu lange, um eine unbezwingbare Bettschwere zu empfinden.

 

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