Tagesdaten: 100,29 Km
Heute früh gibt es zunächst einen kleinen Morgenspaziergang zum Frühstück im Restaurant Sonnenhof. Das Frühstück ist übrigens sehr ordentlich und so beginne ich den Tag auch sehr entspannt und zufrieden. Da ich heute als Ziel Bad Sooden-Allendorf habe, möchte ich nach dem Frühstück aber bald los. Es liegen auf jeden Fall 100 Kilometer vor mir. Das wird dann meine bisher längste Tagesetappe. Allerdings scheint die Strecke, die wesentlich durch das Werratal führt, nicht allzu anspruchsvoll zu sein. Vor sechs Jahren bin ich die Strecke schon einmal gefahren und habe keine Erinnerung daran, dass hier besondere Herausforderungen auf mich warten. Ich erinnere mich an eine beschauliche Landschaft mit vielen Fachwerkhäusern.
Von Obersuhl nach Hörschel
Obersuhl, Untersuhl und Gerstungen bilden, wenn man auf die Karte schaut, städtebaulich fast eine Einheit. Allerdings verlief, wenn man von Untersuhl kommt, vor dem ersten Haus in Obersuhl die innerdeutsche Grenze, an der natürlich kein Durchkommen war. Heute ist das erfreulicherweise anders. Im bikeline habe ich gelesen, dass Gerstungen einen schönen alten Ortskern hat, den ich mir heute gern anschauen möchte. Bei mir, wie sicher bei vielen Älteren, ist der Ortsname Gerstungen sicher nicht gerade positiv besetzt, war hier doch bis 1990 einer der Grenzbahnhöfe der DDR insbesondere für Reisende aus und in den Frankfurter Raum. Die Erinnerungen sind mit Wartezeiten, bürokratischen Kontrollen und Schwefelgeruch verbunden, fing doch ab hier das Heizen mit der schwefelhaltigen Braunkohle der DDR an. So scheint es mir nun aber angemessen, mein Bild von Gerstungen gegebenenfalls zu korrigieren.
Der Ortskern von Gerstungen ist wirklich sehr adrett. Ob er bereits zu DDR-Zeiten schon so war, mag erfahrungsgemäß bezweifelt werden. Inzwischen ist er aber schön restauriert und hübsch gestaltet. Da ist zunächst das Schloss. Äußerlich ist es auf den ersten Blick eher unscheinbar und könnte auch ein größerer Gutshof sein.
Das Schloss Gerstungen wurde im 17./18. Jahrhundert auf den Grundmauern der dort befindlichen Wasserburg errichtet. Das Obergeschoss ist ein Fachwerkbau und stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1796. Heute ist hier das Werratalmuseum untergebracht, in dem man die Geschichte der Gegend bis in die heutige Zeit studieren kann. Seine Bedeutung hat Gerstungen übrigens auch dadurch, dass Kaiser Heinrich IV. während des Sachsenkrieges mehrmals in Gerstungen war. 1074 fanden hier die Verhandlungen zwischen dem aufständischen sächsischen und thüringischen Adel und dem König statt. Schließlich wurde der Frieden von Gerstungen geschlossen. Auf dieses Ereignis verweist ein Tafel am Schloss.
Sehenswert ist auch die evangelische Katharinenkirche direkt neben dem Schloss. Im Zusammenhang mit der Planung eines Schlosses in Gerstungen unter dem Eisenacher Herzog Ernst August II. wurden erforderliche Reparaturarbeiten an der Katharinenkirche genutzt, um die Kirche als Hofkirche aufzuwerten. Hierbei wurde der Fachwerkaufsatz des Turmes und der Dachstuhl als Mansarddach ausgeführt. Auch sonst gibt es noch zahlreiche sehenswerte Häuser hier in Gerstungen, aber es drängt mich dann doch weiter.
So fahre ich weiter nach Lauchröden und über die Werra an Herleshausen vorbei bis nach Hörschel. Unterwegs hat man immer wieder einen guten Blick auf die Ruine Brandenburg. Die Doppelburg sicherte einen westlichen Zugang nach Thüringen und übte Geleitschutz im Werratal von Gerstungen bis Eisenach aus („Geleit der Brandenburg“). Militärisch unbedeutend geworden, wurden die Westburg Mitte des 16. Jahrhunderts und die Ostburg nach dem Dreißigjährigen Krieg aufgegeben. Von da an verfiel die Burganlage und wurde als Steinbruch zum Bau von Schlössern und Gütern in Lauchröden und den umliegenden Gemeinden genutzt. Erst im Jahre 1841 wurde der Abriss durch Großherzog Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach gestoppt. Mit dem Bau der Thüringer Bahn verbunden war die Erschließung des Werratales für den Tourismus. Bereits um 1870 war die Brandenburg ein beliebtes Ausflugsziel.
Weit vor Hörschel dann schon der beeindruckende Blick auf die Autobahnbrücke der A4 über das Werratal. In Hörschel dann auch der Beginn bzw. das Ende des Rennsteigs. Meine Tour von Blankenstein bis hier nach Hörschel war freilich schon um einiges länger als der Verlauf des Rennsteiges.
Von Hörschel nach Treffurt
Von Hörschel geht es dann unter der Werratalbrücke hindurch und nun immer entlang der Werra. Die erste nennenswerte Station ist Creuzburg. Creuzburg blickt auf eine über 1000-jährige Geschichte zurück und ist einer der Orte Thüringens, die am frühesten das Stadtrecht erhielten. Sehenswert in Creuzburg sind neben der Burg selbst die 1225 erbaute steinerne Werrabrücke mit der 1499 daneben errichteten Liborius-Kapelle und die 1215 erbaute Nikolaikirche im Stadtzentrum. Auf einer Rundtour durch die Stadt betrachte ich mir alles diese Orte, allerdings nur von außen.
Zur Bedeutung von Creuzburg vielleicht nur so viel: Den Höhepunkt für die Bedeutung Creuzburgs bildeten die Regierungsjahre des Landgrafs Ludwig IV., des Heiligen, und seines Sohnes Hermann II. Nach der Hochzeit Ludwigs mit der ungarischen Königstochter Elisabeth, die später als Heilige Elisabeth in die Geschichte einging, wurde die Creuzburg, nach der Wartburg, zur Zweitresidenz. Hier wurden Feste gefeiert und die Kinder des jungen Paares geboren. Ludwig ließ die Burg verschönern und sorgte durch den Bau der ersten steinernen Brücke über die Werra für die Sicherung des Handelsweges. Ehe er 1227 zum Kreuzzug aufbrach, verabschiedete er sich von seinen Getreuen in einer großen Versammlung der thüringischen Edelleute auf der Burg. Ludwig kehrte nicht zurück. Sein Bruder Heinrich Raspe übernahm die Vormundschaft für den unmündigen Neffen Hermann II. Elisabeth verließ Thüringen und zog sich in die hessischen Besitzungen zurück, wo sie wenige Jahre später in Marburg starb. Mündig geworden, übernahm Hermann die Regierung als Landgraf von Thüringen und Hessen. Die Creuzburg blieb seine Residenz bis zu seinem plötzlichen Tod im Alter von nur 18 Jahren. Sein Onkel und Nachfolger Heinrich Raspe verlegte den Regierungssitz wieder allein auf die Wartburg.
Weiter geht es entlang der Werra. Die Strecke bis Treffurt ist für mich einer der schönsten Abschnitte entlang der Werra. Dabei geben ihr die zum Teil schroffen Muschelkalkfelsen entlang des Höhenzuges des Hainich einen sehr markantes und raues Gepräge. Sehenswert ist auf der Strecke sicher noch der Ort Mihla. Ich fahre hier kurz die wichtigsten Sehenswürdigkeiten ab: Das Graue Schloss, das aus dem 16. Jahrhundert stammt und von einem kleinen Schlosspark umgeben ist. Umbauten erfolgten im 17. Jahrhundert. Heute ist das Schloss eine Gaststätte mit Fremdenzimmern. Als ich vorbeischaue herrscht Hochbetrieb im Freisitz. Das Rote Schloss stammt ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert, es soll zu den bedeutendsten Renaissance-Fachwerkbauten des Wartburgkreises zählen. Ich kann das schlecht einschätzen, weil der Zugang zum Schloss verschlossen und damit auch die Sicht beeinträchtigt ist. Umbauten wurden im 17. und 18. Jahrhundert vorgenommen. Seit 1952 wurde das Schloss als Alters- und Pflegeheim genutzt. Derzeit steht es zum Verkauf. Deshalb wohl auch die Unzugänglichkeit. Sehenswert ist auch die evangelische Kirche St. Martin, die eine barocke Saalkirche aus dem 18. Jahrhundert ist. An ihrer Stelle soll es aber auch schon eine sogenannte Urpfarrei aus der Zeit der Christianisierung gegeben haben.
Auf dem weiteren Weg kommt man kurz vor dem Ort Falken an der sogenannten Bauernkanzel vorbei. Sie wurde zu DDR-Zeiten mit einer Gedenktafel an Thomas Müntzer versehen, der hier die Falkener Bauern zum Kampf gegen ihre Herren aufgefordert haben soll. Dann gelange ich aber schon bald in das sehr hübsche Städtchen Treffurt. Bekannt ist Treffurt insbesondere für seinen historischen Altstadtkern mit vielen restaurierten Fachwerkbauten, darunter befindet sich auch das Rathaus, das eines der bedeutendsten Fachwerkgebäude Thüringens sein soll. Hier lege ich meine Mittagspause auf dem ziemlich vollen Rathausplatz ein. Um Kontakte zu vermeiden, ziehe ich mich aber in einen äußeren Winkel des Platzes zurück. Ja, an diesem schönen Sonntag sind natürlich viel Radfahrer an der Werra unterwegs.
Erwähnenswert an Treffurt ist aber auf jeden Fall noch die Burg Normannstein oberhalb der Stadt. Durch die Lage an der Kreuzung zweier Handelsstraßen erlangte Treffurt bereits im Mittelalter regionale Bedeutung. Zum Schutze der Furten wurde bereits im 11. Jahrhundert mit der Anlage der Burg Normannstein begonnen. In der Folgezeit entwickelte sich Treffurt rasch zum bedeutenden regionalen Handelsplatz. Dem wurde 1333 durch die Verleihung des Stadtrechts Rechnung getragen. 1532 erhielt Treffurt durch Kaiser Karl V. das Recht, „einen Wochenmarkt auf jeden Sonnabend und zwey Jahrmärkte“. Hemmend wirkte sich die deutsche Teilung auf die Stadt aus, da sie direkt an der Innerdeutschen Grenze lag. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 setzte jedoch ein rasches Wachstum ein, es siedelten sich wieder Unternehmen in der Stadt an und der Tourismus begann. Nicht unerwähnt sollte auch bleiben, dass Treffurt der Geburtsort des SPD Politikers Egon Bahr ist, der als Berater von Willy Brandt der Spiritus Rector von Brandts Entspannungspolitik war, mit der sicher auch ein wesentlicher Beitrag für die spätere Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geleistet wurde.
Von Treffurt über Eschwege nach Bad Sooden-Allendorf.
Von Treffurt fahre ich dann weiter und es geht wieder nach Hessen über Großburschla, Altenburschla nach Wanfried. Auch Wanfried ist bekannt für seinen historischen Stadtkern mit vielen erhaltenen denkmalgeschützten Fachwerkhäusern. Ich fahre hier allerdings nur durch und weiter geht es nun über breitere Werraauen nach Eschwege. Es ist meines Erachtens die größte Stadt durch die ich bisher auf meiner Tour entlang des deutsch-deutschen Radweges gekommen bin. Immerhin die Kreisstadt des hessischen Werra-Meißner-Kreises mit fast 20 Tsd. Einwohnern. Auch in der Innenstadt von Eschwege kann man ein große Zahl historischer Fachwerkhäuser bewundern. Aber es ist schon wieder recht spät geworden und so mache ich nur einige Fotos und radle dann weiter. Es liegen noch über 20 Kilometer vor mir.
Über Jestädt geht es dann vorbei an der Burg Fürstenstein und dem neugotischen, erst Ende des 19. Jhdt. errichteten Schloss Rothestein. Dann bin ich auch schon in Bad Sooden-Allendorf. Hier habe ich im Hotel Werratal direkt am Marktplatz ein Zimmer gebucht. Das Abendessen nehme ich im Freisitz des Restaurants des Hotels ein. Als es mir nach dem Essen zu kalt wird, mache ich noch einen kurzen Abendspaziergang durch den ebenfalls Fachwerk geprägten Stadtteil Allendorf. Nun liegt die erste Woche meiner Tour auf dem Deutsch-Deutschen Radweg hinter mir. Ich freue mich, dass vor allem das Wetter so gut mitgespielt hat. Ansonsten merkt man doch, dass man bei so einer Tour nicht an jeder interessanten Stelle verweilen kann, weil man sonst überhaupt nicht vorwärts käme. Das ärgert mich manchmal. Vor allem, wenn ich erst hinterher feststelle, was ich mir noch hätte abschauen sollen. Um dies auszuschließen müsste ich aber meine ganzen Radtourgewohnheiten umstellen, was mich sicher auch nicht zufriedenstellen würde. Zum Beispiel wenn ich für die bisherige Strecke drei Wochen gebraucht hätte.