Heute Morgen komme ich erst recht spät los. Es wird fast 10.30 Uhr. Frühstück gab es erst um 8:30 Uhr. Ich hatte es sehr zur Freude meiner Mitbewohner schon darauf runtergehandelt. Zunächst sollte es erst um 9 Uhr Frühstück geben. Das Frühstück war übrigens sehr ordentlich. Ich habe mich dann noch ein wenig mit den Dresdnern unterhalten. Dann brach ich aber auf, um wenigstens einen Blick auf das Gutshaus, das hier Schloss genannt wird, zu werfen. Es ist schon sehenswert und aufwändig saniert worden.

Das Wetter ist wieder phantastisch, auch wenn es heute über 30 Grad werden soll und auch tatsächlich wird. Die Fahrt war trotzdem sehr schön und ich war mit der Strecke, die mir Komoot ausgesucht hatte sehr zufrieden. Zwar ging es wieder etwa 7 Kilometer über Schotterpiste. Hier war der Schotter aber fest. So ging es denn. Schön war dabei, dass die Strecke durch eine sehr malerische  Waldlandschaft führte. Als ich dann die letzten 20 Kilometer wieder Straße fuhr, gab es auch heute viel Gegenwind aus dem Süden, der mich dann doch ziemlich ausbremste. Eine interessante Begegnung hatte ich aber auch heute. Kurz vor Tartu kamen mir zwei junge Frauen entgegen mit sehr voll beladenen Fahrrädern. Ich vermute, die hatten noch etwas mehr mit als ich. Da ich eine Abfahrt hatte und sie bergauf mussten, preschte die erste zwar vorweg, die Zweite schoss ihr aber Fotos hinterher und schaute dann zu mir hinüber. Sie hatte offensichtlich Lust auf einen Plausch.

Ich hielt also auch an und wir begannen die übliche Konversation, die eigentlich immer mit der Frage beginnt: „Where are you from?“ Nachdem sie mir mitgeteilt hatte, dass sie aus Switzerland kommt, konnten wir Deutsch miteinander sprechen. Sie fragte mich, wo ich hin wolle und ich natürlich auch sie. Ja, sie waren tatsächlich in der Schweiz losgefahren und wollten jetzt über Russland, Asien nach Thailand radeln. Da war ich dann doch platt. Die beiden waren sicher noch keine 30, machten auch keinen alternativen Eindruck, sahen auch nicht gerade kampfsporterfahren aus, sondern schienen sich das Ganze überlegt zu haben. Ich hätte mich sicher gerne noch länger über ihr Vorhaben unterhalten, aber natürlich musste sie ihrer Radgefährtin wieder hinterher. So wünschten wir uns alles Gute für die weitere Tour und fuhren unserer Wege.

Wegen des Gegenwindes war ich dann doch erst gegen 15:30 Uhr in Tartu. Mein Hektors Design Hotel ist spartanisch, aber für den Preis in Ordnung. Tartu ist schon deutlich teurer als der Rest von Estland mit Ausnahme von Tallinn wahrscheinlich. Ich machte mich dann möglichst schnell auf den Weg zu einem Stadtrundgang. Hier konzentrierte ich mich auf die Altstadt. Mehr war heute ohnehin nicht mehr drin.

Mein erster Weg führte mich auf den Domberg, wo eine eindrucksvolle Ruine einer ehemaligen Kathedrale zu sehen ist. Sie verfällt im Grunde schon seitdem die Reformation Tartu im Jahre 1520 erreichte und die Kirche von den Bilderstürmern stark beschädigt wurde. Inzwischen hat man die Ruine stabilisiert und den Chor bereits Anfang des 19. Jahrhunderts zur Universitätsbibliothek ausgebaut. Heute dient dieser Teil als Universitätsmuseum.

Tartu ist also Universitätsstadt. Die Universität wurde 1632 von Gustav II. Adolf von Schweden gegründet. Der Lehrbetrieb schlief aber im 18. Jhd. aus welchen Gründen auch immer ein. 1802 wurde sie von Deutsch-Balten mit Hilfe Zar Alexanders I. als einzige deutschsprachige Universität des Zarenreiches neu gegründet. Nachdem 1886 bis 1889 eine kompromisslose Russifizierung stattfand und Deutsch als Lehrsprache durch Russisch abgelöst wurde, wechselten rund 90 Prozent der Lehrkräfte zurück nach Deutschland. Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde die Universität die Nationaluniversität. Heute ist die Universität Tartu die einzige Volluniversität Estlands und sogar die Mutteruniversität für die Technische Universität Tallinn, was immer man hier unter der Mutterschaft versteht.

Ich bin inzwischen auf dem Weg zum Rathausplatz, gehe dabei unter der Engelsbrücke durch und komme am Hauptgebäude der Universität vorbei. Langsam verspüre ich Hunger und vor allem Durst, habe ich doch seit dem Frühstück nur noch zwei Bananen gegessen. Da sticht mir in einer Seitenstraße das Schild „Restoran München“ mit einem leuchtenden Paulanerschild ins Auge. Paulaner findet man übrigens an vielen Stellen in Estland. Ich überlege nicht lange, sondern suche mir einen schattigen Platz und bestelle eine halben Liter Münchner Spatenbier und dazu einen Teller mit Wurst, Schinken Käse Obatzten und Brot. Das Bier tut an diesem Tag besonders gut. So lasse ich es mir erst einmal für eine Stunde gut gehen.

Dann mache ich mich wieder auf, was schwerfällt und drehe noch eine Runde über den Rathausplatz. Zurzeit scheint irgendein Musikfestival in Tartu zu sein. Zumindest sprechen die vielen mobilen Bühnen dafür. Ich erfreue mich noch wie so viel ältere Männer an dem Brunnen vor dem Rathaus „Küssende Studenten“. Dann begebe ich mich in einen nahegelegenen Supermarkt, um meinen Proviant aufzustocken. Da ich nun geschafft bin, begebe ich mich zurück in mein Quartier.

Ich bin damit Tartu sicher nicht gerecht geworden. Sicher hätte man hier zwei drei Tage verbdringen können. Tartu ist zweifellos ein lohnender Aufenthaltsort bei einer Reise durch das Baltikum. Aber es muss ja nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich hier Station mache. Immerhin kommen hier auch einige europäische Fernradwege durch.

Tagesdaten: 45,10 Km; 04:07:53 Std. Fz.; 10,91 Km/h; 276 Hm

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