Ich verlasse das gastliche Haus nach einem selbstgemachten Frühstück, das mich fit für den Tag gemacht hat. Meine Wäsche, die ich gestern gewaschen hatte und auf eine Leine gehängt hatte, ist noch nicht trocken, eigentlich noch richtig nass. Es ist eben August und nachts bildet sich schon wieder Tau, da ändert auch der schöne und warme Tag nichts dran. Ich ziehe die Wäsche aber trotzdem wieder an, weil ich sicher bin, dass sie am Körper bei der sich abzeichnenden Wärme ausgezeichnet trocknen wird, was sich dann auch bestätigt.
Mein heutiges Ziel sind möglichst viele Kilometer nach Tartu und der Peipussee. Den Peipussee erreiche ich nach etwa 25 Kilometern. Kurz bevor ich ihn erreiche kommt mir ein Tourenradler entgegen und wir halten einen kleinen Plausch. Auch er ist aus Deutschland und fährt von Vilnius nach Tallinn durch die drei baltischen Länder. Dann stellt sich heraus, dass er auch aus Leipzig ist. Er kommt ursprünglich aus Wittenberg, ist aber nach dem Studium in Leipzig hängen geblieben. Wenn ich es richtig verstanden habe arbeitet er im IT-Bereich und erstellt Softwareprogramme für Geldautomaten.
Danach fahre dann etwa 50 Kilometer den Peipussee entlang. Leider ist das Ufer an vielen Stellen schon verbaut und man kommt kaum daran. Freilich ist auch nicht viel zu sehen, weil der Peipussee anders als die finnischen Seen sich vor einem wie ein Meer darstellt. Der Peipussee ist der fünftgrößte See Europas und etwa siebenmal so groß wie der Bodensee. Zusammen mit der Narva bildet er fast die gesamte östliche Staatsgrenze Estlands zu Russland und ist damit auch Teil der EU-Außengrenze. Der Peipussee ist trotz zunehmender Umweltbelastung sehr fischreich. Davon zeugen auch die zahlreichen kleinen selbstgebauten Stände in Wohnwagen oder direkt aus dem Auto heraus, vor denen meist auf einem Schild auf Suitsu Kala, also auf Räucherfisch, verwiesen wird. Auch als Badesee wird der Peipussee von den Esten genutzt, wovon ich mich heute überzeugen kann.
Zwei Dinge gibt es noch über den Peipussee. Über Alexander Newski hatte ich ja schon an anderer Stelle berichtet. Der Peipusse ist der Ort seines Ruhms. Auf dem zugefrorenen See schlug am 5. April 1242 ein russisches Heer unter seiner Führung die deutschen und dänischen Kreuzritter des Deutschen Ordens und des Schwertbrüderordens sowie ihre estnischen Verbündeten vernichtend.
Noch ein anderes Ereignis ist mit dem Peipussee verbunden. Am Westufer des Sees lebt eine regional bedeutende Minderheit der Altgläubigen, deren Vorfahren im 17. Jahrhundert als Religionsflüchtlinge aus dem russischen Zarenreich ins damals schwedische Estland kamen. Bis heute stellen die russischsprachigen Altgläubigen, die immer noch besondere religiöse und kulturelle Bräuche pflegen, die Mehrheit der Einwohner in einigen Orten entlang des Sees. Davon zeugen auch einige orthodoxe Kirchen, an denen ich vorbeifahre.
Bei meiner Tour hier durch Estland mache ich mich natürlich auch mal wieder mit einigen wenigen Grunddaten vertraut. Estland ist mit seinen 45 Tsd. Qkm fast so groß wie Niedersachsen, hat aber mit ca. 1,3 Mio. Einwohnern nur etwa ein Sechstel der Einwohnerzahl Niedersachsens. Es ist also mit 29 Einwohnern/Qkm ein sehr dünn besiedeltes Land. Nur zwei Großstädte gibt es in Estland, das sind Tallinn mit etwa 425 Tsd. Einwohnern und Tartu mit inzwischen nur noch 93 Tsd. Einwohnern. An dritter Stelle steht schon Narva mit 57 Tsd. Einwohnern. Wirtschaftlich verzeichnet Estland mit den anderen beiden baltischen Staaten ein hohes Wachstum auf. Es ist auch sichtbar, dass sich wirtschaftlich hier einiges tut.
Zurück zur Tour. Sie verläuft wie schon gesagt langes Zeit entlang des Peipussee. Da der Wind heute von Süden kommt und recht stark ist und ich nach Süden fahre, wird es eine richtig anstrengende Fahrt, denn der starke Gegenwind bremst mich doch recht heftig aus. Meine Unterkunft, die ich nach etwa 80 Kilometern erreiche, liegt heute in Alatskivi. In Alatskivi gibt es einen schlossähnlichen Gutshof, der in seiner heutigen Gestalt zwischen 1880 und 1885 nach dem Vorbild von Schloss Balmoral in Schottland im neugotischen Stil errichtet wurde. Es liegt in einem 120 Hektar großen Landschaftspark.
Meine Unterkunft ist ein Gasthaus in der alten Schmiede des Dorfes. Hier treffe ich ein Ehepaar aus Deutschland und wie sich später herausstellt kommen sie ursprünglich aus Baden-Württemberg, leben aber schon seit 20 Jahren in Dresden. Es sind übrigens die Eltern des neuen und jungen CDU Generalsekretärs in Sachsen wie sie im Laufe des Gesprächs nicht ganz ohne verständlichen elterlichen Stolz erwähnen. Sie sind mit einem größeren Kombi unterwegs und haben ihre Fahrräder dabei, mit denen sie dann Touren machen, wo es ihnen gerade gefällt. Sicher auch eine schöne Form des Urlaubs. Nachdem ich mir in einem nahe gelegenen Gasthaus einen wirklich guten Burger mit Rindfleisch gegönnt hab, treffen wir uns auf der Terrasse zur Unterkunft wieder und halten noch einen Plausch.
Tagesdaten: 81,05 Km; 06:35:28 Std. Fz.; 12,29 Km/h; 108 Hm