47. Tag: 25. Mai 2019 – San Juan de Ortega

Offensichtlich habe ich mir einen Floh irgendwo eingefangen. Die kleinen juckenden Dreierpusteln deuten auf jeden Fall darauf hin. Mal sehen, wie sich das weiterentwickelt. Werde wohl mal nach und nach die Wäsche waschen müssen, in der Hoffnung ihn zu ersäufen. Zum Frühstück gehe ich in das von meiner Pensionswirtin vorgeschlagene Café. Es erweist sich aber nicht als so einfach, weil der Wirt nur spanisch spricht und versteht. Mit Kaffee komme ich noch zurecht. Kaffee mit Milch heißt Cafe con leche. Aber wie bringe ich ihm bei, dass ich auch so schöne mit Schinken belegte Baguettes haben will wie ich sie bei Gästen sehe. Nachdem es mir irgendwie nicht gelingt, obwohl ich dauernd auf die Dinger zeige hat die Frau am Tisch wohl gemerkt, dass meine Aufmerksamkeit weniger ihr gewidmet ist als dem, was sie verzehrt und so kommt sie mir zur Hilfe. Ich sage dann noch „dos“, weil ich ziemlichen Hunger habe. Nach kurzer Zeit bringt mir der Wirt dann zwei etwa 40 cm lange Baguettestücke, die sehr schön mit spanischem Schinken belegt sind. So viel hatte ich denn doch nicht vor zu essen, aber ich kann natürlich eines für den Mittagslunch mitnehmen. Es schmeckte übrigens köstlich.

Nachdem ich dem Wirt dann per Zeichen klarmachen konnte, dass ich das zweite Baguette gerne mitnehmen wolle und ob er es mir einpacken könne, hat er es in Alufolie gewickelt und mir formvollendet, wenn auch nicht mehr ganz unseren Umweltbedürfnissen gerecht werdend, in einem passenden Plastikbeutel verpackt. Nachdem ich den Mittagslunch in meinem Quartier abgelegt hatte, machte ich mich auf den Weg zur Kathedrale, die um 9 Uhr öffnete. Hier muss man übrigens Eintritt zahlen, der für Pilger wie mich auf 3 € statt 6 € ermäßigt ist. So wird wahrscheinlich jeder zum Pilger. Die Kathedrale ist ein sehr sehenswerter Bau. Sie ist auch heller als viele andere. Den Hauptaltar, der wieder recht gewaltig und barock ist, hat man vernünftigerweise in das ein Seitenschiff verlegt und so kann durch die Fenster des Chores Licht hineinfluten. Einer der wesentlichen Blickfänge ist natürlich das sehr aufwändige und prächtige Alabastermausoleum für Santo Domingo, dessen Grabmal im Kirchenschiff errichtet wurde und sich darunter eine aufwändig modernisierte Krypta mit dem vergoldeten Sarg befindet. Das ursprüngliche Grabmal stammt aus dem 12. Jahrhundert, der darüber errichtete Alabasterbaldachin aus dem Jahre 1513. Die Innenausstattung der Krypta muss modern sein. Ich habe selten eine so ausgeschmückte Krypta gesehen.

Hauptattraktion der Kathedrale ist ein Hühnerkäfig mit zwei lebenden Hühner, die man in der Kathedrale auch des Öfteren hören kann. Leider ist das Foto nicht so gut gelungen, bei Wikipedia gibt es aber bessere. Der gläserne Käfig hängt über den Köpfen der Besucher und wird natürlich lebhaft betrachtet. Der Hühnerkäfig mit den beiden lebenden Hühnern wird zur Erinnerung an das „Hühnerwunder“ von Santo Domingo de la Calzada gehalten. Die Legende erzählt, dass eine deutsche Familie auf der Pilgerfahrt nach Santiago im Wirtshaus von Santo Domingo über Nacht Rast machte. Die Tochter des Wirts handelte sich bei dem Versuch, den Sohn zu verführen, einen Korb ein. Sie rächte sich, indem sie einen Silberbecher in seinem Gepäck versteckte.  Offensichtlich des Diebstahls überführt, wurde der junge Mann vom Richter zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag durch Erhängen hingerichtet. Die Eltern setzten ihre Pilgerfahrt fort und kehrten auf dem Rückweg nach 36 Tagen zum Galgen zurück, an dem noch immer ihr Sohn hing – lebendig! Es heißt Santo Domingo habe ihn die ganze Zeit an den Beinen gehalten, um den Tod eines Unschuldigen zu verhindern. Die Eltern liefen daraufhin zum Richter und baten um die Freilassung des Sohnes. Der Richter hatte sich aber gerade zum Mittag niedergelassen und dachte nicht daran, die gebratenen Hühner auf seinem Teller erkalten zu lassen. Er wies das Ersuchen der Eltern mit den Worten ab, dass ihr Sohn so wenig am leben sei wie diese beiden Hühner sich vom Teller erheben würden und davonflögen. Die Hühner streckten darauf ihre Flügel, der Hahn krähte noch einmal laut und beide flogen durch das Fenster davon. So nahm das Drama doch noch einen guten Ausgang.

Die Kathedrale hat aber durchaus noch anderes zu bieten. So zeigt ein Jacobus-Altar hier den Heiligen wieder an zentraler Stelle als Maurentöter. Sehr sehenswert ist auch das Sternengewölbe und die sehr figurativen Säulenkapitelle. Leider kann ich mir dann doch nicht die Zeit nehmen, um alles noch genauer zu betrachten, denn inzwischen ist es 10 Uhr vorbei und ich muss langsam aufbrechen. Ich mache aber noch einen Rundgang durch den heute als Museum genutzten Kreuzgang. Hier werden Heiligen- und Marienstatuen sowie viele kleinere Altäre ausgestellt. Gleichzeitig gibt es aber auch Ausstellungen mit moderner christlicher Kunst. Die Kathedrale von Santo Domingo ist also sehr sehenswert und man sollte an ihr nicht vorbeipilgern.

Nachdem ich im Supermarkt noch meine Getränkevorräte aufgefüllt habe, geht es dann gegen 11 Uhr los. Es regnet leicht, also ziehe ich mir schon einmal die Regenhose über. Als ich dann ein Stück gefahren bin, hört der Regen auch wieder auf. Die ersten 10 Kilometer geht es leicht bergab nach Herramélluri, wo ich in das weite Tal des Rio Tirón fahre und 15 Kilometer leicht bergauf nach Belorado geht. Unterwegs überholt und spricht mich ein Mann so etwa meines Jahrgangs an. Nach kurzer Zeit stellen wir fest, dass wir beide Deutsche sind, er auch Wolfgang heißt und aus der Gegend von Arnstadt kommt. Da gibt es dann natürlich einiges zu erzählen. Dazu gesellt sich dann auch noch eine Holländerin, die Wolfgang schon häufiger getroffen hat. Er hat den Weg in Bayonne begonnen. Wahrscheinlich ist er mit dem Flugzeug dahingekommen, ich habe aber vergessen danach zu fragen. Er hat inzwischen schon einen Rahmenbruch hinter sich, was eigentlich das Schlimmste ist, was einem auf so einer Tour passieren kann. Er erzählte, dass er drei Tage gebraucht habe, um jemanden zu finden, der ihm seinen Alurahmen schweißen konnte. Nach einem kurzen Geplauder fährt aber wieder jeder seinen Weg und Stil weiter. So bleibe ich bald zurück, schon allein wegen meiner Fotostopps.

In Belorado mache ich dann Mittagspause und verzehre vor der Iglesia de Santa María mein mitgebrachtes Schinkenbaguette. Die Kirche besichtige ich vor allem wegen ihres Jakobusaltars, wo er auch wieder als Maurentöter dargestellt ist. Auch sonst ist die Kirche aber schon sehenswert. Aber ich muss weiter, denn noch liegt fast die Hälfte der Strecke vor mir und ab jetzt geht es in mehrmaligem Auf und Ab bis auf eine Höhe von über 1000 Metern zu meinem heutigen Ziel San Juan de Ortega. Es ist übrigens keine bergige Region, sondern eher eine Hochebene mit Hügeln und Kuppen, die aber nach Westen weiterhin noch ansteigt. Die Fahrradroute führt hier wieder auf Nebenstraßen schlangenförmig durch die Landschaft, um die Fahrt auf der hier doch stärker befahrenen N-120 zu vermeiden. Man hat einen weiten Blick ins Land und es wird hier weiterhin Getreidewirtschaft betrieben. Weinfelder sieht man nun nicht mehr.

Schon vor Belorado hatte ich die La Rioja verlassen und fahre jetzt durch die Provinz Burgos. Ich fahre in Tosantos an einer Felsenkapelle vorbei, ohne sie aber aufzusuchen, weil sie einen verschlossenen Eindruck macht und ich nicht extra ein weiteres Stück bergauf fahren möchte. So können einen doch gelegentlich Kleinig- und Befindlichkeiten vom Besuch von Kulturdenkmälern abhalten. Nun geht es einfach noch für zwei bis zweieinhalb Stunden durch diese Landschaft mal runter und vor allem immer mal wieder rauf. In welchen Höhen man sich befindet, merkt man kaum, weil ja alles wie eine hügelige Ebene aussieht. Schließlich erreiche ich das Kloster San-Juan-de-Ortega, wo auch das kleine Hotel liegt, in dem ich für heute gebucht habe. Eine Rezeption gibt es nicht, sondern man wird auf die Bar an der Klosterkirche verwiesen. Hier erhalte ich dann den Schlüssel für mein Zimmer und mir wird mitgeteilt, dass die Hotelbewohner hier ab 19 Uhr Abendessen können, was ich aber leider dahin missverstand, dass ich bis 19 Uhr nur zu Abend essen könnte und mich nun vermeintlich sputen musste.

Ich schaue zwar noch einmal kurz in die Klosterkirche hinein. Es ist im Grunde eine ähnliche Geschichte wie die des Santo Domingo. Auch dieser San Juan, der ein Schüler des Santo Domingos gewesen sein soll, widmete sich, nach seiner Priesterweihe und einer Wallfahrt nach Jerusalem, dem Bau von Kirchen, Herbergen und vor allem Brücken entlang des Jakobsweges. So soll er zum Beispiel die Brücke in Logroño über den Ebro erneuert haben. Im 11. Jahrhundert sicher keine einfache Aufgabe. Aus seiner Einsiedelei hier oben entstand mit dem Kloster San Juan de Ortega eine wichtige Station auf dem Jakobsweg. Hier soll Königin Isabella I. 1474 den Auftrag für ein prachtvolles Grabmal für San Juan gegebenen haben.

Als ich dann um 18:45 Uhr in die Bar komme, bin ich der erste und einzige Gast. Jeder Gast bekommt einen bestimmten Sitzplatz zugewiesen und die Wirtin sagt mir dann, dass ich mit meinem Essen aber noch warten müsste. Nach und nach begreife ich, was gemeint ist. Die Küche für die Hotelgäste macht erst um 19 Uhr auf. Nach 19 Uhr treffen dann auch die anderen Hotelgäste ein. Zu meinem Tisch gesellen sich zwei Herren etwa meines Alters und es stellt sich heraus, dass sie aus Frankfurt am Main sind und den Jakobsweg zu Fuß machen. Sie haben sich dafür wohl etwa sechs Wochen Zeit genommen. Einer der beiden ist Chilene, lebt aber seit 40 Jahren in Deutschland und spricht natürlich inzwischen fast akzentfrei Deutsch, hat aber auch den großen Vorteil, dass er fließend Spanisch spricht. So kann er für den Tisch als Dolmetscher wirken. Das Abendessen ist in Ordnung, wenn auch nicht unbedingt etwas besonderes. Koteletts und eine Art gebratene Blutwurst, wir würden sagen „Tote Oma“, die aber eine Spezialität der Provinz Burgos sein soll. Die Unterhaltung ist für mich leider schwierig, weil durch etwa 15 Personen in einem recht kleinen Raum die Nebengeräusche für mich eine Unterhaltung fast unmöglich machen. Man hat allerdings Verständnis dafür, weil die Ehefrau des einen auch zwei Cochlea Implantate hat und er daher die Problematik kennt. So verabschiede ich mich nach dem Essen und ziehe mich ins Hotel zurück.

Über das Hotel bin ich etwas verärgert. Es hatte mit Abstand den höchsten Preis bisher in Spanien. Die Zimmer sind auch einigermaßen aber auch nichts Besonderes. Es fehlt ein Tisch, es fehlt ein Vorleger für die Dusche und WLAN funktioniert auf den Zimmern nicht, dazu muss man in den Gemeinschaftsraum. Dort steht auch ein Kaffeeautomat, der einen von den Betreibern wärmstens empfohlen wird. Der Kaffee kostet auch nur 0,30 €. Aber wenn man einen Cappuccino ordert, hat der etwa das Volumen eines Espressos und nicht einmal eines Doppelten. Frühstück gibt es normalerweise erst um 8:30 Uhr und morgen, also sonntags erst um 9:30 Uhr, Serviceorientierung sieht anders aus und ich habe sie bisher in Spanien auch anders erlebt. Wenn man früher das Hotel verlassen will, kann man in der Bar am Abend vorher ein paar Muffins , Banane und Apfel sowie Wasser und Orangensaft erwerben und wird ansonsten auf den Kaffeeautomaten verwiesen. Das irritiert dann sogar einige der Pilgergäste, weil Pilger eigentlich dazu neigen, früh zeitig aufzubrechen.

Tagesdaten: 60,98 Km; 05:17:20 Std. Fz.;  11,35 Km/h; 721 Hm

 

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