Leipzig – Templin (12. bis 14. März 2018)

Eigentlich wollten wir nur einen Ayurveda-Erlebnistag in der Naturtherme Templin verbringen. Da ich aber nichts Besseres zu tun hatte, beschloss ich mit dem Fahrrad hochzufahren und machte mich bereits am Montag auf den Weg. Es sollte auch eine Trainingstour für die im April bevorstehende Tour von Belgrad ans Schwarze Meer werden. Der Sonntag hatte uns mit fast sommerlichen 18° verwöhnt, so dass ich mich auch nicht von dem prognostizierten Kälteeinbruch zum Ende der Woche abhalten ließ. Allerdings waren es Montag als ich losfuhr nur noch 9° und es regnete. Der Regen sollte mich den ganzen Tag und zwar ununterbrochen begleiten.

Ich hatte mir den Radweg Leipzig – Berlin vorgenommen. Er ist zwar etwas länger als die direkte Strecke, aber ich wollte ihn mal fahren. Bis Bad Düben kam ich zügig voran. Dann kam ich in das große Waldgebiet zwischen Bad Düben und Bad Schmiedeberg. Mittendrin dann plötzlich und unangekündigt ist der Weg wegen Waldarbeiten gesperrt. Schon vorher hatte ich die Schäden, die Friederike hinterlassen hat, gesehen. Die Wälder sehen wirklich ziemlich gezaust aus. Ich versuchte die Sperrung zu umfahren, landete aber schließlich, nachdem ich einige querliegende Bäume überwunden hatte, mitten in einem Waldbruchgebiet, wo ich kaum noch vor und zurückkam. Mit meinem Navi gelang es mir schließlich den relativ kürzesten „Weg“ zu einer Straße zu finden. Sie tatsächlich zu erreichen war aber noch einmal eine besondere Herausforderung und das alles bei ruhig vor sich hinplätscherndem Landregen. So kam ich dann auf der Straße nach Bad Schmiedeberg. Von dort ab ging es nicht mehr so oft durch Waldgebiete, dennoch war ein Teil der Wege unbefestigt und angesichts des Wetters sehr aufgeweicht, was das Radfahren nicht gerade erleichterte. Dennoch schaffte ich meine fast 90 Kilometer nach Wittenberg und kehrte in der dortigen Jugendherberge ein.

In der Jugendherberge nahm man mich freundlich auf. Als ich die Frage beantwortete, wo ich denn heute herkomme bei diesem Wetter, meinte der gerade anwesende Küchenchef, es müsse eben auch Verrückte geben. Vielleicht gab man mir im Hinblick auf diese Einschätzung dann ohne Aufpreis ein Zweibettzimmer mit der Bemerkung, dass sicher heute niemand mehr käme. Wahrscheinlich wollte man den Verrückte eben isoliert halten. Ich war aber durchaus dankbar dafür. Trotz Regenschutzkleidung war ich doch ziemlich durchnässt und gestaltete mein Zimmer in einen Trockenraum um. Handschuhe, Mütze und Schal kamen auf die Heizung, den Rest hängte ich luftig auf Bügel und hoffte, so morgen wieder trockenen Sachen anziehen zu können. Meine Geräte wie Handy, Navi, Fotoapparat und Bordcomputer hatten Gott sei Dank keinen Schaden genommen. Nachdem ich mich geduscht und frische Sachen angezogen hatte, ging ich dann zum Abendessen und bekam vom Küchenchef einen extra reichlichen Teller mit vier verschiedenen Nudelgerichten. Das ließ ich mir nach diesem Tag gefallen.
Die Jugendherberge in Wittenberg ist sehr modern, obwohl sie in dem alten Vorschloss direkt an das Schloss angrenzend untergebracht ist. Anwesend war nur noch eine Schulklasse von 10- bis 12-jährigen mit einer gestrengen Lehrerin, die für Ruhe und Ordnung sorgte. Ich hatte mir vorgenommen, möglichst häufig in Jugendherbergen zu übernachten, um mich an etwas einfachere Quartiere zu gewöhnen, auf die ich in diesem Jahr aus unterschiedlichen Gründen ohnehin werde zurückgreifen müssen. Wobei ich bei den meisten Jugendherbergen ohnehin Abbitte tun muss, weil sie weiß Gott nicht mehr so altbacken wie früher in meiner Jugend sind. Ich habe hier gut gegessen und auch gut geschlafen für einen doch insgesamt konkurrenzlosen Preis von 36€ mit Halbpension.

Auch das Frühstück war völlig in Ordnung, was für mich ja von besonderer Bedeutung ist. So ging ich frischen Mutes in den neuen Tag, der sich noch dadurch weiter erfrischte, dass meine Kleidung wieder getrocknet war und es nun nicht mehr regnete. Dennoch blieb der Himmel überwiegend grau. Ich hatte aber ohnehin schon umdisponiert. Ich verließ den Radweg Leipzig-Berlin und wollte die zahlreichen unbefestigten Strecken meiden. Ich strebte deshalb in Richtung Potsdam, wo von Wittenberg die B 2 fast schnurgerade nach Potsdam führt. Bundesstraße zu fahren ist für Radfahrer zwar auch kein Vergnügen, aber ich wusste, dass es hier auch über weite Strecken begleitende Radwege gibt.

Und so ist es auch. Zwar muss man zunächst einmal hinter Wittenberg rund 15 Kilometer direkt auf der B2 fahren. Aber in Brandenburg ändert sich die Welt für Radfahrer und wendet sich zum Positiven. Hier muss ich noch einmal das Hohe Lied auf das Radwegenetz in Brandenburg singen. Es ist meines Erachtens das Beste, was wir in Deutschland haben. So werden größere und verkehrsreiche Straßen fast immer von Radwegen begleitet und durch die Wälder führen meist asphaltierte Fahrradstraßen. Ich kann nur sagen, Brandenburg ist ein wirkliches Eldorado für Radfahrer, was sich auch in den nächsten Tagen noch bestätigen wird.

Direkt hinter der Landesgrenze vor dem ersten Ort Marzahna beginnt der Radweg und mit wenigen Unterbrechungen kann ich dann die restlichen ca. 50 Kilometer bis Potsdam auf einem befestigten Radweg fahren. Er führt parallel zur B 2, aber gelegentlich auch im Abstand von 50 bis 100 Metern, wobei man sich dem Eindruck hingeben kann, man führe direkt durch den Wald. Natürlich bleibt der Straßenlärm. Unterbrochen sind die Radwege eigentlich nur in kleineren Ortschaften, wo die Straßenbaulast bei den Kommunen und nicht beim Land liegt. So fahre ich über Treuenbrietzen und Beelitz Richtung Potsdam. Bei Beelitz dominieren dann die Spargelfelder, die für die bald anstehende nächste Saison vorbereitet sind. In Beelitz lege ich eine Rast im Bistro Jakobs ein und lasse mir ein Chili con Carne schmecken. In der Jugendherberge in Potsdam komme ich dann schon gegen 15 Uhr an.
Die Jugendherberge ist voller als die in Wittenberg und es wimmelt von Halbwüchsigen beiderlei Geschlechts, die natürlich auch immer wieder ihre Größe, Stärke und Lautstärke beweisen müssen. Ich bekomme diesmal kein Zimmer für mich und den Aufpreis für ein Einzelzimmer möchte ich mir sparen. Mein Argument, dass ich zwar kein Einzelzimmer möchte aber nichts dagegen hätte, wenn ich allein in einem Zimmer schliefe, verfängt bei der jungen und mit freien tätowierten Schultern an der Rezeption sitzenden Frau nicht. Auch der Hinweis auf mein vorgerücktes Alter scheint sie nicht zu beeindrucken. Sie meint aber mein Mitbewohner wäre sehr nett. Also mache ich mich auf die Suche nach dem Zimmer. Als ich es gefunden habe und betrete, stockt mir etwas der Atem. In dem ca. 9 qm großem Raum stehen drei Etagenbetten, sechs Spinde und in der verbleibenden Mitte liegt eine dreckige Jeans, ein übel riechendes Hemd und gleichfalls nicht gerade wohlriechende Unterwäsche. An mehreren Stellen stehen oder liegen offene bzw. leere Bier- und Colaflaschen. Der Gestank erinnert etwas an eine heruntergekommene Spelunke. Ich wandere daher erstmal wieder mit meinem Gepäck zur Rezeption und erkläre der freundlichen jungen Frau, dass ich nicht bereit sei, in diesem Zimmer zu übernachten.

Ich war schon fast geneigt ein Einzelzimmer zu nehmen, aber die Dame tut noch nicht einmal überrascht, sondern gibt mir einen anderen Schlüssel und meint mit dem Gast, der noch kommen werde, käme ich sicher gut klar. Na dann. Das Zimmer liegt zwar im älteren Teil der Jugendherberge, ist aber deutlich größer und hat genauso viele Etagenbetten und Spinde wie das kleine Zimmer.
Ich richte mich also ein, verweile aber nicht lange, sondern will die Helligkeit noch für eine Stadtrundfahrt durch Potsdam nutzen. Natürlich kann man Potsdam nicht auf einer zweieinhalbstündigen Stadtrundfahrt mit dem Fahrrad kennen lernen. Allerdings war ich hier schon häufiger und einige Sehenswürdigkeiten sind mir vertraut. Ich fahre zu dem völlig neu wiederaufgebauten Stadtschloss, in dem heute der Landtag Brandenburgs seinen Sitz hat und werfe dann auf die direkt dahinter am Alten Markt liegende Nikolaikirche. Der klassizistische Zentralbau entstand 1830 bis 1837 nach den Plänen Karl Friedrich Schinkels, während die 77 Meter hohe und weithin sichtbare Kuppel erst 1843 bis 1850 draufgesetzt werden konnte. Weiter geht es dann nach Sanssouci, wo ich allerdings nicht direkt mit dem Fahrrad in den weitläufigen Park hineinfahren darf und deshalb nur außen herum und dann zum Neuen Palais, des früheren Gästehauses, der früheren Residenz der Kronprinzen von Preußen und der Sommerresidenz von Wilhelm II. fahre. So wird es eine schöne Runde mit vielen neuen Eindrücken, die mir aber wieder einmal klarmacht, dass man für Potsdam gut und gerne mal eine Woche veranschlagen könnte.

Nach meiner Rückkehr ist auch mein Zimmergenosse angekommen. Er heißt Darius und ist Auszubildender beim IT-Systemhaus der Bundesagentur für Arbeit. Er ist im dritten Ausbildungsjahr, macht einen durchaus gestandenen und sympathischen Eindruck und wird bei der BA schon für Lehrveranstaltungen zu IT-Themen eingesetzt. Ich gehe aber gleich nach meiner Rückkehr erst einmal zum Abendessen. Es gibt Boulette, Kartoffelbrei und Erbsen. Dazu kann man sich Tee nehmen, was ich ausgiebig tue. Das Essen ist okay und für den Preis nicht zu verachten.

Die Nacht wird leider sehr unruhig. Über uns toben sich die Halbwüchsigen aus. Darius sieht aus dem Fenster und stellt fest, dass jemand brennende Zigarettenkippen auf sein Auto geschmissen hat. Außerdem wird von oben aus dem Fenster gepinkelt. Also schreitet er zur Tat und kommt nach einer halben Stunde sehr verärgert zurück auf das Zimmer. Er hat wohl den Täter, der sein Auto beschmutzt hat, dingfest gemacht. Es soll ein Syrer gewesen sein. Alle anderen hätten sich unwissend gegeben. Als er die Nachtwache informieren wollte, habe er diese erst einmal wecken müssen.

Der nächste Tag ist nach wie vor grau und es regnet auch wieder leicht. Nieselschauer werden mich dann den ganzen Tag begleiten. Aber zunächst stärke ich mich wieder bei einem ordentlichen Frühstück. Gegen 8:30 Uhr komme ich los. Bis Templin liegen noch etwa 110 Kilometer vor mir. Auf der Hälfte der Strecke liegt aber die Jugendherberge Sachsenhausen bei Oranienburg, die ich mir für heute vorgenommen habe. Ich fahre aus Potsdam raus und dann durch den Grunewald entlang der A 115 zunächst zum Servicestand von Eurolines am ZOB in Berlin nahe des ICC und erstehe dort eine Fahrkarte für einen Bus, der mich nach Ostern nach Belgrad transportieren soll, von wo aus ich dann meine im letzten Jahr abgebrochene Tour entlang der Donau zum Schwarzen Meer fortsetzen möchte. Das Ganze geht dann unproblematischer als ich ursprünglich dachte. Ich erhalte sogar ein Schnäppchenangebot. Wenn ich mit der Busbindung einverstanden bin, kann ich tatsächlich für gerade mal 67 € nach Belgrad fahren. Dazu kommen dann etwa noch 8 € Gepäckgebühren einschließlich für das Fahrrad.

Weiter führt mich die Tour am Charlottenburger Schloss vorbei durch Reinickendorf und hinaus über Hohen Neuendorf und Birkenwerder nach Oranienburg und Sachsenhausen. An der Jugendherberge bin ich dann bereits gegen 13:30 Uhr, was mich auf die Idee bringt, doch noch heute bis Templin zu fahren. Bei booking.com hatte ich schon eine sehr preiswerte Radler- und Jugendherberge für morgen gebucht. Leider ist die Herberge heute nicht mehr bei booking.com eingestellt. Mein Anruf landet dann auf dem Anrufbeantworter und es bleibt mir nur, um einen Rückruf zu bitten. Aber ich radle los. Da es noch 55 Kilometer bis Templin sind, drücke ich aufs Tempo, ohne mich noch recht auf die Landschaft zu konzentrieren. Zunächst geht es entlang des Oder-Havel-Kanals, dann viele Kilometer auf einer gut ausgebauten Fahrradstraße durch einen Auenwald und dann über Liebenwalde bis nach Zehdenick entlang dem Voßkanal. Inzwischen hat die Herberge zurückgerufen und mir mitgeteilt, dass ich auch heute schon dort übernachten könne. Da ich Rückenwind hab, komme ich zügig voran und auch wenn es hinter Zehdenick etwas hügelig wird, erreiche ich mein Quartier noch kurz vor 18 Uhr.

Der Empfang in der Herberge durch die Leiterin Frau Winter ist ausgesprochen liebenswürdig. Die Herberge ist in einer alten Baracke untergebracht, die aber liebevoll und praktisch wiederhergerichtet und ausgebaut wurde. Es gibt Jugendherbergsstandard aber auch mehrere Doppelzimmer zu einem recht einmalig niedrigen Preis. Die Einrichtung ist einfach, aber völlig ausreichend, praktisch und alles ist ausgesprochen gepflegt und sauber. Frau Winter erkundigt sich sofort nach meinen Frühstückswünschen, zeigt mir das Haus und die Möglichkeit, Wäsche zu waschen. So gibt es auch eine Gemeinschaftsküche aber auch eine Waschmaschine und einen Wäschetrockner. Sie gibt mir einen ersten Überblick über die Sehenswürdigkeiten der Stadt und wo ich die besten Informationen bekomme und empfiehlt mir auch Lokale für das von mir ersehnte Abendessen. Ich entscheide mich für einen nahegelegenen Griechen und radle, nachdem ich mich in meinem Zimmer eingerichtet habe, dorthin und verwöhne mich nach meiner 110 Kilometer-Tour mit einer üppigen gemischten Fleischplatte mit Reis, Salat und Zaziki. Dabei fällt mir bei einem Blick auf die Nachrichten, die ich in meinem iPhone verfolge,  auch auf, dass heute (14. März 2018) ja unsere Kanzlerin zum vierten Mal wiedergewählt wurde und ich nun just an diesem Tag nach Templin komme, in die Stadt, in der sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat.

Schreibe eine Antwort

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.