6. Tag (19.September 2020): Von Fladungen/Sennhütte nach Obersuhl

Tagesdaten: 87,12 Km; Wanderung durch das Schwarze Moor ca. 11 Km

Ich habe gut geschlafen, gut gefrühstückt und bevor ich weiterfahre mache ich noch eine kleine Wanderung durch das Schwarze Moor. Es liegt lediglich einen Kilometer von der Sennhütte entfernt.

Wanderung durch das Schwarze Moor

Von der Vorbereitung auf diese kleine Wanderung habe ich mir gemerkt, dass das Schwarze Moor, wie auch die anderen Hochmoore der Rhön, vor etwa 12.000 Jahren nach der letzten Eiszeit entstand. Das Moor entwässert überwiegend über den zwölf Meter tiefer liegenden Eisgraben im Süden. Dieser fließt in die sechs Kilometer östlich und 400 Meter tiefer gelegene Streu und damit in das Flusssystem des Rheines. Ein weiterer Abfluss gelangt in die hessische Ulster, die drei Kilometer westlich und knapp 300 Meter tiefer vorbeifließt und zum Flusssystem der Weser gehört. Na gut, da ich weder Moorexperte bin noch einer werden will, belasse ich es dabei. Meine Motivation für diesen Spaziergang ist vor allem, mich mal wieder anders zu bewegen als auf dem Fahrrad. So laufe ich recht uninteressiert am eigentlichen Gegenstand durch dieses Stück Natur. Dennoch fällt mir auf, dass die Erläuterungstafeln pädagogisch gut aufgebaut sind und den Wanderer mit wenig Text gut informieren. Einige habe ich hier ja auch abgebildet. Man muss also vor den Erklärungstafeln nicht eine halbe Stunde stehen bis man alles gelesen hätte.

Da ich recht früh dran bin, sind noch wenige Menschen unterwegs. So wandere ich etwas verträumt auf dem Rundweg durch das Moor. Vom Aussichtsturm genieße ich den Blick über diese Hochebene. Man kann sogar bis zur Wasserkuppe schauen. Das Wetter ist auch heute wieder sehr schön, so dass ich die Wanderung auch diesbezüglich genießen kann. Einige Wege sind gesperrt. Man schreibt Corona bedingt. Aber bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass dies wenig mit Corona zu tun hat, sondern dass einige Wege, insbesondere die Holzbohlenwege, ausgebessert werden müssen. Nach etwa einer Stunde bin ich wieder am Ausgangspunkt meiner Runde und stelle fest, dass es gut war, dass ich so früh aufgebrochen bin. Es kommen nun einige Hundertschaften von Touristen. Die Rhön scheint zur Zeit ziemlich überlaufen zu sein. Deshalb hatte ich ja auch kein Quartier mehr in Fladungen bekommen.

Von der Rhön hinunter und durchs Ulstertal nach Vacha

Nachdem ich mein Gepäck wieder auf dem Fahrrad verstaut habe, fahre ich von der Sennhütte nach Frankenheim. Auf dem Weg dahin verlasse ich nun endgültig Bayern. Frankenheim liegt in einem Thüringer Zipfel, der von drei Seiten von der innerdeutschen Grenze umgeben war. Sicher für die Bewohner auch nicht ganz einfach. Sie durften immer nur eine Straße in eine Richtung benutzen, wenn sie ihren Ort verlassen wollten. Der Ort mit seinen etwa 1.000 Einwohnern galt lange als das ärmste Dorf der Rhön. Bis 1900 lagen die einzigen Verdienstmöglichkeiten in der Peitschenherstellung, der Weberei, der Bürstenerzeugung und im Holzwarensektor.

Von Frankenheim geht es dann sehr steil bergab über die Grenze nach Hessen und über Batten nach Hilders im Ulstertal. Die Ulster ist ein Nebenfluss der Werra. Naturräumlich ist sie der wichtigste und zentrale Fluss im Inneren der Rhön. Der erste Teil meiner heutigen Tour führt mich nun zunächst etwa 25 Kilometer entlang der Ulster vorbei an Thann und dann wieder nach Thüringen bis nach Geisa. Hier mache ich eine kleine Pause, bevor es zum etwa abseitsgelegenen Point Alpha geht. Die als Denkmalensemble ausgewiesene Altstadt von Geisa verfügt über eine im Wesentlichen erhaltene historische Bausubstanz mit der Stadtkirche St. Philippus und Jakobus sowie dem Schlossbezirk als altes administratives Zentrum. Das Gebiet um Geisa war von 817 bis 1803 im Besitz der Reichsabtei Fulda, weshalb die Gegend neben dem Eichsfeld heute eine der beiden katholischen Gegenden im ansonsten evangelischen Thüringen darstellt. Geisa wurde mit der Deutschen Teilung ab 1945 in seiner weiteren Entwicklung gehemmt. So lag sie als westlichste Stadt des „sozialistischen“ Europas im Sperrgebiet der innerdeutschen Grenze.

Nach meiner Pause fahre ich dann zum sogenannten Point Alpha. Er war einer von vier US-Beobachtungsstützpunkten an der hessischen innerdeutschen Grenze. Heute ist „Point Alpha“ der Name einer Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätte an gleicher Stelle. In direkter Nachbarschaft Geisas erfüllte der Beobachtungsstützpunkt „Point Alpha“ bis zum Fall des Eisernen Vorhangs eine wichtige Beobachtungsaufgabe im Verteidigungskonzept der NATO. Auf der anderen Seite der Grenze standen zwar Wach- und Führungstürme der DDR-Grenztruppen, außer diesen Einheiten waren aber keine Truppen des Warschauer Paktes direkt an der Grenze stationiert. Der Stützpunkt lag im Zentrum der NATO-Verteidigungslinie „Fulda Gap“ (Fuldaer Lücke), in der die NATO im Ernstfall die Invasion der Truppen des Warschauer Pakts erwartete. Die „Fulda Gap“ zog sich von Herleshausen über Fulda bis in die Nähe von Bad Neustadt. Der Name Point Alpha geht darauf zurück, dass es der erste errichtete Beobachtungspunkt war. Als Beobachtungspunkt war Point Alpha darüber hinaus deshalb geeignet, weil er sich auf 411 Meter Höhe auf einem Bergzug befindet und damit einen guten Überblick über das angenommene vorderste Aufmarschgebiet des Warschauer Pakts im Ulstergrund bot. Auch für das Abhören des Funkverkehrs aus Richtung Osten waren die geographischen Bedingungen günstig.

Heute hat das Ganze eher Freilichmuseumscharakter. Da Wochenende ist, sind heute auch recht viele Touristen hier. Ich schaue mich ein wenig um. Der amerikanische Beobachtungsturm war Teil eines amerikanischen Kasernenkomplexes, dessen Soldaten aber nur für die Beobachtung und Funkabhörung zuständig waren und sich im Falle eines Angriffs der Warschauer Pakt Truppen sofort hätten strategisch zurückziehen müssen. Ich spaziere hier ein wenig rum und versuche das von der Gegenwart unterstützte Bild der Vergangenheit in mir aufzunehmen. Es war schon eine etwas abstruse Situation, dass der amerikanische Beobachtungsturm nur 200 Meter vom Wachturm der DDR-Grenztruppen entfernt stand. Sicher konnten beide Seiten mit ihren Fernsichtgeräten den Gegenübern bis tief in die Augen sehen.

Vom Point Alpha fahre ich wieder zurück an die Ulster und diese noch einmal 15 Kilometer entlang bis kurz vor ihre Mündung in die Werra bei Philippsthal, wo ich aber in die andere Richtung entlang der Werra bis nach Vacha fahre. Vacha ist sicher als Beispiele für Schicksale an der innerdeutschen Grenze ähnlich bekannt wie das geteilte Mödlareuth. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges wurden zwei Bögen der historischen Werrabrücke Vacha, zu dieser Zeit Teil der Reichsstraße 84, gesprengt. Nach Kriegsende lag Vacha in der Sowjetischen Besatzungszone, ab 1949 in der DDR unmittelbar an der innerdeutschen Grenze. Mehrere Einwohner der grenznahen Stadt wurden 1952 im Zuge der „Aktion Ungeziefer“ aus Vacha ins Landesinnere der DDR deportiert.

Auch wenn ich schon öfters in Vacha gewesen bin und selbst vor der Grenzöffnung schon auf der anderen Seite gestanden habe, möchte ich mir heute doch noch mal einiges genauer ansehen. Ich halte zunächst an der Burg Wendelstein und freue mich, dass ich den Turm besteigen darf. Von hier hat man natürlich einen wunderbaren Blick auf die Stadt und auf die Werrabrücke. Die 225 Meter lange mittelalterliche Werrabrücke war übrigens früher Teil der Frankfurt-Leipziger-Straße. Sie ist heute wieder instand gesetzt. Dem heutigen Verkehr würde sie aber wohl nicht mehr gerecht werden und so war es sinnvoll, sie nach der Wende nur noch als Fußgängerbrücke zu nutzen und mit dem Signum „Brücke der Einheit“ zum Gedenken an die ehemalige deutsch-deutsche Teilung zu versehen. Nach einer Rundfahrt durch die Stadt mache ich noch eine Pause im Freisitz eines Eiscafés. Die Rechtfertigung dafür gebe ich mir, weil es mit fast 25 Grad doch wieder recht warm geworden ist.

Von Vacha nach Obersuhl

Nach meiner Rast im Eiscafé verlasse ich Vacha über die Brücke der Einheit. Es ist schon recht spät geworden und vor mir liegen noch etwa 25 Kilometer. Der Weg führt nicht immer direkt aber im Großen und Ganzen an der Werra entlang. Sie wird mich nun für mehrere Tage begleiten. Mein heutiges Domizil ist das Hotel Hike&Bike in Obersuhl. So fahre ich nun über Heringen, wo ich beim Aldi noch eine Flasche Rotwein erwerbe, über Widdershausen, Dankmarshausen und Untersuhl in Thüringen nach Obersuhl in Hessen. Ich werde freundlich im Hotel von der Verwalterin empfangen. Es ist ein kleines und sehr neues Hotel, das in einem erst kürzlich renovierten alten, mit Schindeln verkleidetem Haus an der Hauptstraße untergebracht ist. Es gibt eine Bar, in der sich schon mehrere Biker gefunden haben und nach offensichtlich schon mehreren Bieren recht laut über ihre erlebten Abenteuer debattieren. Die Wirtin zeigt mir mein Zimmer und weist mich auch im Übrigen in die Gepflogenheiten des Hauses ein. So gibt es im Haus nur zu trinken aber weder Frühstück noch sonst etwas zu essen. Das Frühstück ist zwar im Preis enthalten, aber man muss es wie das Abendessen in dem etwa 250 Meter entfernten Hotel Sonnenhof einnehmen. 

Als ich mein Gepäck vom Fahrrad nehme, stelle ich fest, dass die Halterung der linken hinteren Fahrradtasche gerissen ist und dass die Tasche nur noch schräg in der Halterung hängt. Drama! Die Wirtin bietet mir Werkzeug an, um die Halterung zumindest notdürftig zu reparieren. Ich will gerne darauf zurückgreifen, richte mich aber erst einmal in meinem Zimmer ein. Beim Auspacken merke ich, dass die Schraube noch immer an der Halterung hängt. Somit fehlt nur das Gegenstück, die Schraubenmutter. Sie müsste dann aber noch im Inneren der Tasche zu finden sein. Als ich alles ausgepackt habe, finde ich sie tatsächlich am Boden der Tasche und kann den Schaden selbst ohne größeres Werkzeug reparieren. Inzwischen ist mir auch eingefallen wo und wie der Schaden entstanden sein könnte. Als ich über einen Holzbohlensteig entlang der Werra einem entgegenkommendem Fußgänger ausweichen musste, blieb ich an der Seite stehen bis er vorbei gekommen war. Als ich weiterfahren wollte, verhakte sich meine Tasche an einem der Geländerpflöcke. Dabei muss es passiert sein. Ich freue mich jedenfalls, dass es noch einmal gut gegangen ist und ich die Angelegenheit schnell reparieren konnte. Als handwerklich nicht besonders bewanderter Reiseradler, habe ich vor Pannen und solchen Schäden natürlich die meisten Sorgen. Zur Belohnung hole ich mir nun erst einmal ein Bier an der Bar und gehe danach zum Abendessen in den Sonnenhof.

 

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