Nun bin ich schon zwei Monate unterwegs. Langsam wird es auch Zeit, wieder mal nach Hause zu kommen. Aber es trennen mich noch etwa 1000 Kilometer. Ich habe aber eine Route, auf der ich wohl doch auf dem schnellsten Wege an mein heimatliches Ziel gelange. Heute ist erst einmal mein letzter Tag im Baltikum. Das Frühstück, was man für mich bereitet hat, ist einfach aber ausgezeichnet. Es fehlt an nichts, außer einem Toaster für das viele Weißbrot.

Nach dem Frühstück geht es dann an die inzwischen eingespielte Routine. Das Gepäck wird auf dem Fahrrad verstaut und los geht’s. Zunächst mache ich noch eine kleine Stadtrundfahrt, um mir zwei Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Es gibt hier Alytus noch eine Synagoge. Sie wurde 1911 an der Stelle eines hölzernen Vorgängerbaus aus dem Jahre 1857 errichtet, der 1909 durch einen Brand zerstört wurde. Das Gebäude ist ein Ziegelbau, der im Stil des Historismus errichtet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude nicht mehr als Synagoge genutzt und zweckentfremdet. Danach war es viele Jahre ungenutzt und verfiel immer mehr. Erfreulicherweise scheint der Verfall gestoppt zu sein. Die Synagoge wird zurzeit instandgesetzt. Ein neues Dach und neue Fenster lassen schon erkennen, dass man dieses Gebäude vor seinem Verfall retten will.

Die zweite Sehenswürdigkeit ist die St.-Kasimir-Kirche. An ihrer Stelle wurde schon 1670 eine erste hölzerne und 1891 eine orthodoxe Kirche errichtet. Diese wurde nach dem Ersten Weltkrieg an die litauische katholische Kirche übergeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie geschlossen und als Salzspeicher und später als Autowerkklub genutzt. 1990 erhielt die litauische katholische Kirche sie wieder zurück und baute eine völlig neue Kirche mit einer eindrucksvollen postmodernen Fassade. Als moderner Kirchenbau ist sie wirklich sehenswert. Ich kann sogar einen Blick hineinwerfen, weil gerade geputzt wird und die Putzfrau mir freundlicherweise Einlass gewährt.

Nun geht es aber los Richtung Westen. Die Fahrt heute ist dann doch relativ anstrengend: Viele Höhenmeter durch die Hügellandschaft, direkter Gegenwind aus Westen, der zwar nicht allzu kräftig aber doch bremsend wirkt und schließlich mit 27 Grad doch recht hohe Temperaturen. Kaum merklich verändert sich auch die Landschaft. Mir fällt es erst auf als ich meine erste P.-Pause brauche. Bisher konnte ich immer schnell in einen Waldweg hineinfahren und war dann für mich. Heute sind nur gut einsehbare Feldwege und Haus- bzw. Hofeinfahrten, die ich natürlich für diese Art der Pausen nicht nutzen möchte. Ja, was hat sich nun landschaftlich verändert. Der Wald ist auf jeden Fall nicht mehr so dominant und landschaftsprägend wie auf den bisherigen 3000 Kilometern. Die landwirtschaftliche Nutzung tritt deutlich in den Vordergrund. Natürlich gibt es immer noch Wälder und Bäume, aber sie sind meist nicht mehr so groß und treten auch von den Straßen mehr und mehr zurück. Die braucht man jetzt weniger für den Holztransport und mehr für den Transport landwirtschaftlicher Produkte und landwirtschaftlicher Geräte.

Nach ca. 60 Kilometer gelange ich an die polnische Grenze. Wenn nicht die alten Grenzübergangsgebäude noch vorhanden wären und die Straße nicht eine wenig nachvollziehbare Breite bekäme, würde man von der Grenze wenig merken. Es ist die Woiwodschaft Podlachien, die ich nun zunächst durchfahre und die, wenn ich es richtige sehe, nicht zum früheren Ostpreußen gehörte. Der erste Ort, durch den ich fahre ist Sejny eine Kleinstadt. Hier lege ich in einer kleinen Parkanlage eine längere Mittagspause ein und bereite mir ein Müsli, was auf solchen langen Etappen immer besonders guttut. Dann geht es weiter Richtung Suwalki. Die Fahrt wird nun wegen des anhaltenden Gegenwindes aber auch wegen der einsetzenden Erschöpfung ausgesprochen zäh. Dies, obwohl die Straßenverhältnisse in Polen ausgezeichnet sind, wenn nicht gerade gebaut wird, was allerdings noch häufig der Fall ist, und ich auch über weite Strecken auf einem ebenfalls sehr guten Radweg fahren kann. Auf den 40 Kilometern, die ich heute durch Polen fahre, habe ich auf jeden Fall schon mehr Radweg gehabt als in Lettland und Litauen zusammen. Das fiel mir immer schon in Polen auf, dass es ein Land ist, das viel in den Radwegebau investiert.

Mein Quartier in Suwalki liegt gut 3,5 Kilometer außerhalb der Stadt. Die letzten drei Kilometer der Fahrt dahin sind noch einmal eine ziemliche Tortur. Die Nationalstraße Nr. 8, auf der ich hier fahren muss, wird gerade erneuert, ist also eine Baustelle. Dennoch ist heftiger LKW-Verkehr. Die Sicherungsmaßnahmen an polnischen Baustellen sind dabei nicht so ausgeprägt wie bei uns. Das hat teilweise natürlich auch Vorteile, teilweise ist es aber auch sehr schwierig. So schlängle ich mich mit den LKW durch die etwa zwei Kilometer lange Baustelle bis ich zu einem Abzweig zu meiner Unterkunft mit dem schönen Namen Apartmenty-Europejska komme und vor einem Baustoffgroßhandel lande. Einige Blicke auf Google-Maps zeigen mir, dass es nicht weit entfernt sein kann, auch wenn das angesichts der Umgebung kaum vorstellbar erscheint. Aber schließlich finde ich das Haus nach einem kleinen Umweg doch. Es macht auch einen sehr guten Eindruck. Leider ist von einer Infrastruktur wie Supermarkt oder Gaststätten nichts zu sehen. Das bekomme ich dann auch an der Rezeption zu hören. Nicht einmal Getränke bekommt man hier. Um mich zu versorgen, muss ich die dreieinhalb Kilometer zurück in die Stadt fahren. Gott sei Dank gibt es eine Alternativstrecke zu Nationalstraße 8 und so mache ich mich nach dem Bezug des sehr schönen Zimmers, das allerdings ein normales Hotelzimmer ist und kein Apartment, etwas genervt noch einmal auf den Weg in die Stadt. Bis ich an einen Supermarkt gelange, habe ich bereits sechs Kilometer zurückgelegt. So werden es also noch weitere 12 Kilometer bis ich in mein Quartier zurückkehre. Für heute reicht es dann.

Tagesdaten: 117,15 Km; 09:31:09 Std. Fz.; 12,30 Km/h; 693 Hm

2 Kommentare

  • Regina Sakowitz sagt:

    Lieber Wolfgang,
    schön, dass Du gut voran kommst. Nun bist Du schon in Polen. Deine Berichte und Fotos sind toll. Wenn noch 1000 km vor Dir liegen, dann müsstest Du ja in 2 Wochen zu Hause sein, wenn Deine Tageskilometer so beibehalten werden. Ein wenig Heimweh und Sehnsucht hört man schon heraus, was aber wirklich auch zu verstehen ist.
    Dann weiterhin eine gute Fahrt und optimale Bedingungen.

    Herzliche Grüße
    Regina Sakowitz

    • Wolfgang Kohl sagt:

      Liebe Regina, vielen Dank für Deine freundlichen Zeilen. Ja, ich denke, dass ich in 10 Tagen wieder zu Hause sein werde. Darauf freue ich mich nun auch sehr. Zweieinhalb Monate sind schon eine lange Zeit. Auch wenn es eine tolle Tour ist, die ich da mache. Liebe Grüße nach Chemnitz und bis bald mal Wolfgang

Schreibe eine Antwort auf Wolfgang Kohl Antwort abbrechen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.