62. – 64. Tag: 9. – 11. Juni 2019 – Cee – Kap Finesterre – Cee

Vorgestern, es ist Pfingstsonntag, starte ich nach dem Frühstück, das heute Señora hergerichtet hat und mache ich mich auf den Weg Richtung Finesterre. Ich weiß nicht, ob es an Señora, Sonntag oder Pfingsten liegt, auf jeden Fall gibt es heute nicht nur zwei Spiegeleier, sondern auch Speck dazu und ein mit Nüssen und Trockenfrüchten drapiertes Joghurt zum Frühstück. Ansonsten scheint sich herumgesprochen zu haben, dass ich mindestens vier Scheiben getoastetes Brot esse und Señora bedient mich entsprechend. Weder hier in meiner Unterkunft noch bei meiner Fahrt durch Galicien merke ich übrigens von Pfingsten etwas. Señora ist genauso leger gekleidet wie sonst auch und auch unterwegs begegnen mir keine festlich gekleideten Kirchgänger. Mir begegnen überhaupt keine Kirchgänger. Auf mich wirkt der Tag wie ein normaler Sonntag. Die Geschäfte sind halt überwiegend geschlossen. Mein Gepäck konnte ich heute erheblich reduzieren. Ich fahre nur mit zwei Gepäckträgertaschen los, die anderen darf ich in der Unterkunft lassen, weil ich ja am Mittwoch hier noch einmal übernachten werde.

Das Wetter hat sich wieder stabilisiert und es wird heiter bis wolkig bei Temperaturen um die 15 bis 17 Grad. Zwar sind noch weiter Schauer angesagt, aber nun bleibe ich von ihnen verschont. Das ist fürs Fahrradfahren sehr angenehm. Die Fahrt verläuft aber weiter auf und ab. Auch Galicien ist sehr bergig. Allerdings sind die Berge hier in der Gegend, durch die ich fahre, nicht höher als 500 Meter und die Steigungen, die ich zu bewältigen habe auch nicht mehr als 200 Meter. Da kommt aber im Laufe des Tages dann doch einiges zusammen. Die Fahrt führt durch viele Wälder. Galicien ist die waldreichste Region Spaniens. 30 Prozent der Wälder Spaniens sollen hier stehen, obwohl die Fläche Galiciens gerade mal knapp sechs Prozent der Fläche Spaniens ausmacht. Die Wälder hier sind großteils Monokulturen, die aus Eukalyptus und Nadelgehölzen bestehen und daher besonders anfällig für Waldbrände sind. Es gibt wohl eine Einschätzung, dass die irgendwann erfolgte Pflanzung von Eukalyptusbäumen zu dieser Monokultur geführt hat, weil Eukalyptusbäume so viel Wasser brauchen, dass sie anderen Laubwäldern die Nahrungsgrundlage entziehen.

Ins Auge fallen auch hier wieder die vielen Windräder. Etwas widersprüchlich ist es freilich dann, wenn man mitten in den Bergen auf eine hässliche und weitgehend wohl ungehindert ungefiltert Rauch ausstoßende Fabrik stößt, die auch etwas mit Energieerzeugung zu tun haben muss wie man an den abgehenden Stromleitungen sehen kann. Ich fahre mit Bertamiráns, Negreira, Bainas und Olveiroa durch etwas größere Orte und um den ziemlich großen Stausee Embalse de Fervenza herum. In Bainas kann ich dann sogar eine kleine Mittagspause einlegen, weil ein Lebensmittelgeschäft noch offen hat und die freundliche Bedienung hinter der Wursttheke mir meinen Wunsch nach einem belegten Sandwich erfüllt und mir aus einem halben Brotlaib belegt mit Schinken und Käse ein Sandwich zaubert.

Ansonsten bietet die Fahrt nicht viele Besonderheiten oder Sehenswürdigkeiten, sieht man davon ab, dass es eine lohnende Strecke ist, um die Hórreos, die galicischen Getreidespeicher in allen ihren Erscheinungsformen zu studieren. Hier findet man sie in sehr unterschiedlichen Größen und auch in unterschiedlichen Ausgestaltungen. Mal sind auch die Außenwände aus Stein, mal sind sie aus Holz. Immer noch sind viele Pilger unterwegs, denen ich aber heute seltener begegne, weil sie auf einer anderen Strecke unterwegs sind als der für die Fahrradpilger ausgewiesenen. Dennoch kreuzt sich gelegentlich unser Weg. Schließlich bin ich bereits gegen 16 Uhr in Cee, einer kleinen Stadt von ca. 7.500 Einwohnern, die an einer Bucht des Atlantiks liegt und in der ich mich für drei Nächte in einem kleinen Hotel eingebucht habe.

Cee liegt noch knapp 20 Kilometer vom Kap Finisterre entfernt und ist damit ein guter Ausgangspunkt für meine letzte Etappe. Ausschlaggebend für meine Entscheidung hier zu übernachten war die Tatsache, dass die Quartiere doch um einiges preisgünstiger sind als in Finisterre. In dem Hotel habe ich auch wieder mein eigenes Bad und auch sonst ist alles nach meinem Geschmack. Nach einem Bummel durch die Stadt, die allerdings nicht allzu viel zu bieten hat, nehme ich mein Abendessen in einem kleinen nahegelegenen Restaurant ein. Hier gibt es wieder ein Tagesmenü für 10 €. Mit dem Wein ist man hier nicht mehr ganz so großzügig wie in Kastilien. Ich bekomme nur eine halbe angebrochene Flasche Rotwein. Das reicht aber auch. Ansonsten gibt es Salat, ein Stück Fleisch, das sie hier filetto nennen und ich als Schnitzel Natur bezeichnen würde mit Pommes frites. Zum Nachtisch gibt es dann noch ein Eis und in den von mir georderten Espresso schüttet der Chef einen Schuss Schnaps hinein, der den Espresso aber meines Erachtens nicht verbessert hat.

Gestern dann natürlich einer der Höhepunkte meiner Tour, nämlich ihr Ende. Auch heute ist von Pfingsten hier nichts zu merken, Pfingstmontag ist offensichtlich auch kein Feiertag in Spanien. Das Frühstück im Hotel ist spanisch passabel. Danach fahre ich dann mit ganz kleinem Gepäck los. Der Weg führt entlang der Bucht hier von Cee und die Strecke bietet schon bald wunderschöne Ausblicke auf das Ziel meiner Tour, das Kap Finisterre. Auch die Strecke der Fußpilger verläuft nun wieder entlang der Straße, so dass ich sehen kann wie viele Menschen hier noch unterwegs sind, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei fahren viele Pilger von Santiago mit dem Bus nach Finisterre, so dass es da oben sicher auch ziemlich voll ist. Es geht zwar auch hier entlang der Atlantikküste auf und ab, aber es sind nur noch leichtere Steigungen bis zu 100 Metern. Da ich mir viel Zeit für Fotostopps nehme, bin ich erst gegen 11:30 Uhr am Kap. Vorher habe ich den vorgelagerten Ort Finisterre durchfahren.

Ja, die Ankunft da oben setzt schon Emotionen frei. Nach knapp 3.050 Kilometern bin ich am Ziel. Nun habe ich es tatsächlich geschafft Europa nicht nur vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer, sondern auch von der Barentssee bis nach Kap Finisterre, also bis ans Ende der Welt, wie die Menschen zumindest über viele Jahrhunderte glaubten, bis sie durch die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus eines Besseren belehrt wurden. Hier oben steht denn auch ein Nullpunkt-Kilometerstein für den Jakobsweg, an dem ich Halt mache und ein junges Pärchen bitte mich zu fotografieren. Als ich ihnen erzähle, wo ich herkomme machen sie das mit großem Engagement. Ich bin im ersten Moment doch emotional ziemlich berührt, fange mich dann aber wieder. Nach dem Fotoshooting spaziere ich noch ein wenig auf dem Kap herum und genieße vor allem den Blick in die unendliche Ferne. Hier am Kap Finisterre beginnt übrigens der sich nach Norden ziehende Küstenstreifen mit der wenig einladenden bzw. vertrauenserweckenden Bezeichnung Costa de la Muerte, also der Todesküste. Ihren Namen erhielt sie wegen der schwierigen Bedingungen für die Seefahrt und deren daraus resultierenden Schiffbrüchen und Toten. In Erinnerung ist vielleicht noch das verheerende Tanker-Unglück der Prestige im Jahre 2002. Die Ölteppiche dieses Unglücks verseuchten die Costa de la Muerte und beeinträchtigten das Ökosystem über ein  Jahrzehnt.

Eigentlich wollte ich noch weiter nach Muxía fahren, wo am Kap Tourinán tatsächlich der westlichste Punkt Spaniens liegt. Aber hier oben entscheide ich dann doch, dass es das nun gewesen sein soll. Ich habe mein Ziel erreicht und dabei belasse ich es. Ich lausche noch eine Weile einem oben am Leuchtturmhaus aufspielenden Dudelsackpfeifer, klettere noch ein wenig über die Felsen des Kaps und blicke immer wieder fasziniert in die Ferne. Inzwischen kommen aber immer mehr Menschen hier an und es sind nicht nur tapfere Pilger, sondern ganze Busladungen voll von Touristen, die es sich auch nicht nehmen lassen wollen, hier ein Foto von sich schießen zu lassen. Als ich dann zurückfahre, stehen oben auf dem Parkplatz über hundert Pkw und fünf Reisebusse. Die Touristen sind also zu dem Zeitpunkt schon in der Überzahl. Damit erklärt sich dann auch, warum das Kap Finisterre nach der Kathedrale in Santiago der meist besuchte Ort in Galicien ist.

Ich fahre nun zurück bis Finisterre, wo ich mich am Hafen erst einmal zu einer längeren Pause niederlasse, mir ein Bocadillo, ein Baguette-Sandwich, mit Schinken und Käse und ein großes Radler bestelle und beim Verzehr dieser Köstlichkeiten meinen Gedanken nachhänge. Dabei geht es auch wieder darum, warum ich solche Touren eigentlich mache, dass ich die Mühsal doch spüre, mich frage, ob es mit dem zunehmenden Alter zusammenhängt. Meine Touren sind eben auch von der Ambivalenz zwischen Fernweh und Heimweh geprägt. Aber dennoch habe ich schon einige andere Touren im Kopf, die ich noch machen möchte. Nun geht es aber erst einmal wieder nach Hause, um die häusliche Geborgenheit zu genießen aber auch die geplanten Urlaube mit meiner lieben Frau Heidrun und danach wird man weiter sehen.

Nach diesen Kontemplationen kehre ich nach Cee in mein Hotel zurück. Ich spüre wie immer eine gewisse Erschöpfung nach so einer Tour und glaube auch dieses Mal, dass es meine bisher schwerste Tour war. Aber bei genauerer Betrachtung hatte jede meiner bisherigen Touren ihre Höhen und Tiefen. Das gehört nun auch einfach dazu.

Heute habe ich dann einen richtigen Ruhetag. Ich schlafe erst einmal, ohne den Wecker gestellt zu haben. Natürlich wache ich dennoch gegen 6 Uhr auf. Ich räkle mich noch eine ganze Zeit im Bett und freue mich darüber heute nicht aufs Fahrrad steigen zu müssen. Ich dehne das Frühstück aus. Ich gehe danach zum Busbahnhof und treffe tatsächlich auf einen Deutsch sprechenden Busfahrer, der mir erklärt, dass es kein Problem gibt, das Fahrrad mit dem Bus nach Santiago mitzunehmen, dass es auch nichts extra kostet, dass die Fahrt etwa 3 Stunden dauert und etwas über 9 € kostet. So zufrieden gestellt gehe ich in das nahe gelegene Einkaufszentrum, wo ich gestern einen Friseur entdeckt hatte. Der Friseur hat gerade aufgemacht und so komme ich auch gleich dran. Mit der Übersetzer-App teile ich der Friseuse mit, wie ich die Haare und den Bart gerne geschnitten haben möchte und sie verpasst mir dann einen entsprechend kurzen Haarschnitt, schneidet auch den Bart auf einen Dreitagebart zurück und wäscht mir hinterher sogar noch die Haare. Das Ganze übrigens für 11 €. Es lohnt sich also nach Spanien zum Friseur zu fahren!

Damit habe ich meine Erledigungen für heute schon hinter mich gebracht und frage mich nun wie man denn einen Ruhetag weiter begehen könnte. Da mir nicht viel einfällt gehe ich erst einmal in ein Bar und gönne mir ein Radler. Danach kehre ich in mein Hotel zurück und beginne auf meinem E-Reader ein neues Buch. Hatte ich in den letzten Wochen von dem leider viel zu früh verstorbenen Philip Kerr und seiner Romanfigur Bernhard Gunther gezehrt, fange ich nun mit Ferdinand von Schirachs „Collini“ an. Dann übermannt mich aber irgendwann der Schlaf und ich mache erst mal einen Mittagsschlaf. Danach setze ich mich an meinen Laptop und schreibe diesen Bericht und verabschiede mich damit wieder in meinen Ruhetag. Einen letzten Bericht werde ich natürlich noch über meine Rückreise schreiben.

Tagesdaten:

09. Juni 2019 : 76,05 Km; 05:51:53 Std. Fz.; 12,96 Km/h; 1098 Hm

10. Juni 2019: 38,88 Km; 03:42:20 Std. Fz.; 10,49 Km/h; 615 Hm

11. Juni 2019: Ruhetag

 

09. Juni 2019

10. Juni 2019

 

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