Das Frühstück war eigentlich ordentlich nur nicht meins. Es gab ein Eieromlett mit würstchenscheiben und einen Salat aus geriebenen Zucchini ebenfalls mit Würstchenwürfeln. Dazu gab es vier halbe Scheiben Brot und mit heißem Wasser aufgegossenen Kaffee, bei dem man dann etwa einen Zentimeter Kaffeesatz am Boden hatte.
Das Navi schickte mich auf einer Nebenstrecke zur Europastraße in Richtung Vilnius. Die war aber sehr hügelig, so dass ich nach etwa 15 Kilometern wieder auf die Europastraße fuhr. Hier war ich ja gestern sehr gut vorangekommen. Heute ging es dann nicht so zügig voran. Der Wind war mir nicht so gewogen. Nach etwa 40 Kilometern erreiche etwa 25 Kilometer vor Vilnius den vom nationalen Geographieinstitut Frankreichs 1989 errechneten geographischen Mittelpunkt Europas. Er konkurriert natürlich mit anderen Berechnungen, so etwa mit Hildweinsreuth bei Flossenbürg in der Oberpfalz. Im Grunde bleiben diese Berechnungen eher Kuriositäten von bestenfalls touristischer und eventuell politischer Relevanz. So hat auch Litauen seinen europäischen Mittelpunkt zu einer Ausflugsstätte ausgebaut und bei seinem EU-Beitritt 2004 mit großem Aufwand eingeweiht. Ich verbringe hier meine Mittagspause und mache mir ein Müsli. Der Platz um den europäischen Mittelpunkt ist mit einer Säule, auf der eine goldene Sternenkrone sitzt versehen. Außerdem verweist ein Granitmonolith auf den Mittelpunkt Europas unter Angabe der Längen- und Breitenkoordinaten.
Die Fahrt nach Vilnius erweist sich wie üblich in Großstädten doch als sehr zeitaufwändig. Viele Ampeln und unebene Wege verzögern die Fahrt. Dennoch bekommt man auch immer einen ersten guten Eindruck. Da mein Hostel am anderen Ende am Rande der Altstadt liegt, muss ich also eine ganze Strecke durch Vilnius fahren. Während man zunächst durch Randbaugebiete mit den Plattenbauten aus der Sowjetzeit fährt, gelangt man dann in ein sehr modernes neues Stadtgebiet und wenn man über die Brücke ans linke Ufer der Neris gelangt erreicht man die Altstadt von Vilnius die zu den größten und besterhaltenen Europas gehört und daher auch seit 1994 zu Weltkulturerbe gehört.
So geht es vorbei am Burgberg mit dem weithin sichtbaren Gediminas-Turm, an der römisch-Katholischen Kathedrale Sankt Stanislaus mit dem freistehenden Glockenturm, am erst in den letzten Jahren rekonstruierten Großfürstlichen Schloss und taucht ein in eine der Altstadtmagistralen ein, die einen dann bis zum Tor der Morgenröte führt, dass als eines der wichtigsten Kultur und Architekturdenkmäler von Vilnius gilt und gleichzeitig ein bedeutender Wallfahrtsort für katholische, orthodoxe und unierte Christen ist.
Mein Hostel liegt unweit von diesem Tor. Es ist sehr einfach, aber ich bekomme ein Zimmer von etwa 25 Qm mit vier Betten für mich alleine. Es ist auf jeden Fall angenehmer als das nur 9 Qm große Einzelzimmer. So kann ich mich zumindest ausbreiten und meine Sachen und Packtaschen zum Auslüften verteilen. Vom Frühstück rät man mir ab. Es sei zu simpel. Also werde ich mich mit Müsli versorgen und nach einer geeigneten Möglichkeit zum Kaffeetrinken Ausschau halten.
Nachdem ich mich eingerichtet habe, versorge ich mich erst einmal in einem nahegelegenen Supermarkt mit dem Notwendigsten und mache dann einen langen Abendspaziergang durch die Altstadt und klettere dann auch noch auf den Burgberg und den Gedeminas-Turm, von dem man eine herrliche Sicht auf die Stadt hat.
Wenn man sich etwas mit der Geschichte Vilnius und Litauens befasst, erkennt man auch das heutige politische Bemühen, so etwas wie eine nationale Identität herzustellen. Dazu dienen sicher die Rekonstruktionen geschichtsträchtiger Bauten wie des Großfürstlichen Schlosses und des immer noch schwer bearbeiteten Burgbergs. Die nationale Identität zu stiften ist natürlich angesichts der multiethnischen Vergangenheit gerade von Vilnius aber auch angesichts der Bevölkerungsabwanderung aus Litauen ein etwa anachronistisch wirkendes Vorhaben. So lebten beispielsweise 1916 in Vilnius 53,7 % Polen, 41,5 5 Juden und nur 2,1 Litauer. In der polnischen Zwischenkriegszeit lebten 1931 65,5 % Polen, 27,8 % Juden 3,8 % Russen und nur noch 0,8 % Litauer hier. Der Zweite Weltkrieg führte dann zu einem völligen Bevölkerungsaustausch. 1959 lebten in Vilnius 34 % Litauer, 29% Russen, 20 % Polen 7% Juden und 6 % Weißrussen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung Litauens lebten 2001 57,5 Litauer, 18,9 % Polen, 14,1 Prozent Russen, 4,1 %Weißrussen und nur noch 0,5 % Juden hier.
Dennoch ist die Geschichte Litauens und Vilnius hoch interessant aber auch hochkomplex. Immerhin war Vilnius mal die Hauptstadt eines Reiches, das sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer erstreckte und immerhin war es eine der weltoffensten Städte Europas. Drei Namen sind für die Litauer bei Ihrer Identitätsfindung und Schaffung besonders wichtig. Es sind der Staatsgründer Mindaugas, der Gründer von Vilnius Gediminas und Vytautas der Große, der zusammen seinem Vetter Jagiello die polnisch-litauische Union schuf, die ihre Machtsphäre bis an das Schwarze Meer ausdehnte.
Auf dem Rückweg, es ist inzwischen schon 21 Uhr, finde ich in der Altstadt noch ein angenehmes Lokal in einem Innenhof, das damit wirbt, dass es hier litauische Küche gibt. Ich bestelle mir einen weißen litauischen Salat, dann so etwas wie gebackene Pelmeni mit einer sehr wohlschmeckenden Pilzsauce und zum Abschluss noch einen litauischen Apfelkuchen mit Eis. Es hat wirklich ausgezeichnet geschmeckt. Natürlich sind die Preise hier auch für ausländische Touristen angepasst.
Tagesdaten: 68, 25 Km; 04:53:52 Std. Fz.; 13,60 Km/h; 308 Hm