Nachdem ich gestern schon gegen 21:30 Uhr in einen Tiefschlaf gefallen war, wache ich heute Morgen gegen 4:30 Uhr auf. Gerne hätte ich natürlich noch etwas länger geschlafen, aber nachdem ich mich noch eine halbe Stunde im Bett gewälzt habe, stehe ich doch auf und fühle mich auch recht fit. Der Kaffee tut gut und Müsli und Brote auch. Ich hole meinen Laptop raus und schreibe den Bericht für gestern. Danach rufe ich meine heutige Tour auf und plane sie um, indem ich Wegepunkte so verteile, dass ich davon ausgehen kann, dass die Tour heute über Asphaltstrecken führt. Die P-Straßen in Lettland, es sind die sogenannten Staatsstraßen 1. Ordnung, scheinen mir eigentlich immer asphaltiert zu sein. Die Tour wird damit zwar um etwa 10 Kilometer länger, aber das nehme ich gerne in Kauf. Ich werde auch die kommenden Touren nun entsprechend umplanen.

Meine Vermieterin kommt schon um kurz vor 9 Uhr, obwohl sie sich erst für 9:30 Uhr angekündigt hatte. Ich bin noch dabei meine Sachen zu verpacken und ein wenig aufzuräumen. Sie meint zwar ich solle mir Zeit lassen und aufräumen brauche ich auch nicht. Allerdings verspüre ich dann doch wenig Lust, mich noch länger aufzuhalten. Um 9:30 Uhr bin ich auf der Piste. Der Tag heute verspricht freundlicher zu werden als der gestrige. Kein Regen und Temperaturen bis 23 Grad. Da lässt es sich gut radeln. Da ich nun über gepflasterte Straßen fahre, kann ich wieder ein wenig die Landschaft betrachten, ohne befürchten zu müssen, über irgendeine Bodenwelle zu fallen. Hier im Zentrum Lettlands geben die Moränenstruktur mit ihren Hügeln der Landschaft schon ein sehr malerisches Gepräge. Da hat Lettland dann Estland doch etwas voraus. Was die Bausubstanz angeht mehren sich aber inzwischen die Ruinen. In Odziena komme ich an der Ruine eines ehemals wohl auch sehr malerischen Herrenhauses vorbei. Dieses wurde 1905 während einer Revolution (?) abgebrannt, steht aber heute noch als stattliche Ruine da, die den einstigen Glanz erkennen lässt. Inzwischen sind auch ganz kleine Teile des 1. Stocks wieder restauriert und offensichtlich genutzt. Ansonsten bieten die Türme und Zinnen den vorbeiziehenden Störchen offensichtlich ein Eldorado.

In Plavinas gelange ich ans Ufer der Daugava, die früher im Deutschen Düna hieß. Die Daugava hat eine Länge von 1020 Kilometern, entspringt nahe den Wolgaquellen, fließt durch Russland, Weißrussland und auch 357 Kilometer durch Lettland, wo sie als gewaltiger Strom durch Riga fließt und danach in die Ostsee mündet. Sie ist damit der längste Fluss, der durch das Baltikum fließt, sogar etwas länger als die Memel. Der Fluss ist auch größtenteils schiffbar. Mehr oder weniger flussnah geht es nun die letzten 20 Kilometer entlang der Daugava nach Jekabpils.

An der Brücke über die Aiviekste kurz vor ihrer Mündung in die Daugava gelange ich auf die E 22/ A 6. Ich freue mich, dass es sich um eine ganz neue Straße handelt. Allerdings währt meine Freude nicht lange. Für eine Europastraße mit einem gewaltigen Aufkommen an LKW ist sie einfach viel zu eng und hat auch keinen nennenswerten asphaltierten Seitenstreifen. Letzterer ist gerade mal 5 bis 10 Zentimeter breit. Ich bekomme zum ersten Mal etwas Angst auf so einer Straße zu radeln. Einige LKW brausen wirklich im Zentimeterabstand an mir vorbei, wenn Gegenverkehr ist und sie nicht ausweichen können und natürlich nicht abbremsen wollen. Ganz besonders prekär wird es, wenn in einer solche Situation drei LKW hintereinander an die vorbeirasen. Da wird man sozusagen von der Straße gefegt. Dreimal bevorzuge ich auch das Schotterbett, was man ja eben nur bei akuter Lebensgefahr nutzt.  Bei solchen Straßenverhältnissen fällt dann das Gottvertrauen, dass ich mir sonst bei etwas diffizileren Straßenverhältnissen auferlege, schon etwas schwer. Dennoch gilt weiter: Bloß nicht umdrehen.

Mein Versuch, die Situation auf einer der berühmten lettischen Schotterpisten zu umgehen, gelingt auch nicht überzeugend. Ich fahre sieben Kilometer auf Schotterstrecke um drei Kilometer E 22 zu meiden. Danach bleiben mir noch immer neun Kilometer. Zumindest ist mein ein wenig wiedererlangtes Vertrauen in die lettischen Straßen gleich wieder dahin und ich ärgere mich über die lettische Verkehrspolitik und das bei einem grünen Staatspräsidenten. Bei einer Europastraße gehe ich eigentlich davon aus, dass es hier feste Vorgaben für den Straßenbau gibt. Ich werde das mal bei Gelegenheit recherchieren.

Nun, ich komme dann doch lebend an meinem Ziel an und beziehe ein sehr schönes Apartment mit Waschmaschine und Küchenzeile. Es liegt zwar an einer Hauptverkehrsstraße, aber ansonsten stimmt alles. Es läuft völlig anonym ab. Den Schlüssel muss man sich mit einem Code aus dem dafür vorgesehenen Kasten holen. Selbst Frühstück bekommt man, die entsprechende Zutaten liegen bereits im Kühlschrank und sind so umfassend, dass ich davon heute auch mein Abendessen und morgen meine Tagesverpflegung bestreiten kann. Meine Wäsche kann ich auch waschen. Im Badezimmer steht eine Waschmaschine. Ich finde sogar Waschmittel. Insofern hat der Tag dann doch einen zufriedenstellenden Ausklang.

Tagesdaten: 68,5 Km; 05:21:00 Std. Fz.; 12,8 Km/h; 360 Hm

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