Heute soll es noch einmal sehr warm werden. Nach dem Frühstück in meinem Hostel treffe ich mich mit Christina am vereinbarten Ort. Sie lässt erkennen, dass ihr die 50 Kilometer bis Ponferrada wohl doch zu viel erscheinen, was natürlich in Ordnung ist. Wir fahren erst einmal gemeinsam los und … nach drei Kilometern stelle ich fest, dass ich den Schlüssel von meinem Zimmer im Hostel noch in der Tasche habe. Ich beschließe spontan zurückzufahren und ihn noch abzugeben. So habe ich noch sechs Kilometer mehr zu fahren. Christina treffe ich zwar noch einmal wieder, aber sie hat inzwischen einige ihrer bisherigen Pilgerwanderfreunde aus aller Herren Länder wieder getroffen und möchte mit ihnen auch verständlicherweise Erfahrungen und Erlebnisse austauschen, so dass wir nun beschließen getrennt weiterzufahren. Glen ist auch abhanden gekommen und ich muss sagen, angesichts der schwierigen Kommunikation aufgrund meiner mangelnden Englischkenntnisse bin ich auch nicht ganz unglücklich, wieder alleine zu fahren.
Die Strecke Strecke ab Astorga ist zunächst noch Meseta, aber die Berge kommen immer näher. Hinter El Ganso geht es dann steiler hoch und hinter Rabanal, wo ich auf 1150 Metern in einer Bar eine Pause einlege, wird es dann richtig steil mit konstant 5 bis 7 Prozent. Nach acht Kilometern bin ich dann auf der höchsten Stelle des Jakobsweges, dem Cruz de Hierro (Eisenkreuz), auf einer Höhe von 1500 Metern angekommen. Es ist schon ein schönes Gefühl, das geografische Highlight des Weges erreicht zu haben. Zu meiner Überraschung ist kaum jemand hier. Ich ging davon aus, dass ich hier Massen treffen werde. Ich treffe nur einen Brasilianer, der ebenfalls mit dem Fahrrad unterwegs ist und Peter aus Salzgitter, der mit dem Bus hier ist und mir wortreich sein Leben erzählt und dass sie mich schon vom Bus aus bestaunt hätten, wie ich mit so viel Gepäck hier hoch fahre. Peter ist 69 Jahre, schwerbehindert und hat bei VW gearbeitet. Er meint er rede immer etwas viel, was ich nicht bestreiten möchte. Sie sind zu 30 Leuten mit dem, Bus und ihren Fahrrädern hier. Der Bus hat einen entsprechend großen Anhänger, den ich schon verflucht habe als sie mich überholten, weil ich fast zu spät registriert habe, dass hinter dem Bus noch was dran hängt. Peter selbst konnte nun hier oben nicht mit seinen Reisegenossen fahren, weil er irgendetwas mit dem Bein hat und auch hinkt. Er will dann nachher aber die Strecke runter fahren. Wo seine Reisegenossen gerade herumfahren, habe ich nicht so ganz begriffen. Peter übernimmt es aber dann freundlicherweise von mir einige Fotos zu machen wie ich auf dem Steinhügel stehe, mich an dem Baumstamm mit dem kleinen Eisenkreuz abstütze. Er kann eigentlich gar nicht fotografieren wie er mir erzählt, weil das seine Frau macht. Nachdem ich ihm aber die Funktionsweise von Handy und Kamera erklärt habe, macht er meines Erachtens ganz ordentliche Fotos.
Für die gläubigen Pilger hat der Platz eine besondere Bedeutung. Es ist eine Tradition, dass man hier oben einen mitgebrachten Stein am Kreuz ablegt. Manche sagen, es solle ein Stein aus der Heimat sein, andere wiederum meinen, der Stein solle auf dem Pilgerweg eingesammelt worden sein. Man kann Nachrichten darauf hinterlassen, muss aber nicht. Und man kann ihn dort als Symbol einer mitgetragenen Last ablegen und damit „erleichtert“ seinen Pilgerweg fortsetzen oder eben einfach eine lang gepflegte Tradition weiterführen. Was ich hier tue, bleibt mein Geheimnis.
Ich mache hier oben erst einmal mit einem Apfel und einem Päckchen Studentenfutter eine Mittagspause. Dann möchte sich der Brasilianer aber auch noch fotografieren lassen, dann kommen noch zwei Spanier und schließlich noch ein Holländer, alle mit dem Fahrrad, und alle möchten, dass ich dieses Foto von ihnen schieße. Ich tue mein Bestes. Nachdem ich mich von den Anstrengungen erholt habe, fahre ich weiter. Allerdings wusste ich schon, dass es nun nicht gleich bergab geht, sondern dass auch noch einige Steigungen zu bewältigen sind. Erst nach etwa acht Kilometern geht es richtig bergab, dann aber auch ordentlich mit Gefällen bis zu 13 Prozent. Wer sich hier rollen ließe, würde es sicher nicht überleben. So sind es die Bremsen, die eine besondere Herausforderung bestehen müssen. Dabei fährt man durch das halbverfallene Manjarin, dass aber wohl inzwischen ein beliebter Treffpunkt und Aufenthaltsort für diejenigen ist, die es ganz einfach mögen. Hier findet sich auch ein Baum mit sehr individuellen Entfernungsangaben in aller Herren Länder. Nach etwa 10 Kilometern erreicht man dann den pittoresken Ort El Acebo de San Miguel mit Bars und Herbergen in Häusern, die alle aus dem 16. Jahrhundert stammen, als man den Ort nach einer Überflutung neu errichtete. Hier gönne ich mir ein Eis und einen Kaffee mit Milch.
Aber es geht weiter hinab. Insgesamt muss ich 1000 Meter hinunter, denn mein heutiges Ziel Ponferrada liegt auf etwa 500 Meter Höhe. Ich komme noch durch den Ort Molinaseca mit seiner römischen Brücke. Dann erreiche ich Ponferrada und freue mich, dass meine heutige Unterkunft direkt gegenüber der Hauptsehenswürdigkeit der Stadt, der Templerburg, liegt. So lasse ich den Abend langsam auspendeln und gönne mir noch eines der klssischen Pilgermenues in einem gegenüber dem Hostel liegende Restaurant mit Blick auf die Templerburg.
Tagesdaten: 61,63 Km; 05:32:28 Std. Fz.; 11,12 Km/h; 827 Hm
Lieber Wolfgang, ich bin von Deiner Aussage, dass Du deinen Followern nicht verrätst, was Du am höchsten Punkt deiner Reise hinterlassen hast, fasziniert. Was kann das Motiv für dieses Verschweigen sein? Bist Du vielleicht von einer überraschenden Spiritualität so beeindruckt oder ist es etwas do Banales, dass man es nicht preisgeben will? Wie dem auch sei, ich bin am grübeln.
Für heute ganz liebe Grüße und eine spannende Weiterfahrt
Dein Werner