Gestern lag nicht viel an. Ich stand auch etwas später auf und machte mir dann mit den gestern aus der Bar mitgebrachten Muffins, noch zwei im Proviant befindlichen Bananen und drei winzigen Kaffees für zusammen 0,90 € so etwas ähnliches wie ein Frühstück. Danach schrieb ich den Bericht für den vorgestrigen Tag und machte noch einmal einen kurzen Besuch in der Stiftskirche. Ich wollte nicht vor 11 Uhr losfahren, weil das Hostel in Burgos erst ab 13 Uhr den Check-in vorsah. So konnte ich auch mal wieder meine Fahrradkette reinigen und ölen.

Gegen 11 Uhr machte ich mich dann auf den Weg nach Burgos. Es nieselte erst einmal wieder, so dass ich vorsichtshalber wieder die Regenhose überzog. Doch auch heute war es wieder nach fünf Minuten vorbei und dann blieb es trocken. Der Weg von San Juan nach Burgos steigt die ersten drei Kilometer erst noch einmal leicht an bis man auf die N-120 kommt. Auf der geht es dann die ersten 10 Kilometer leicht abwärts und den Rest eben. Es ist also keine sonderlich herausfordernde Fahrt. Lediglich, dass es entlang der recht befahrenen N-120 geht, ist wegen des Lärms nicht so angenehm. Die Straße ist hier doch recht befahren, allerdings sind heute am Sonntag natürlich kaum LKW unterwegs. Die Fahrt ist auch sonst nicht weiter problematisch, weil es einen etwa 1,50 Meter breiten Seitenstreifen gibt, auf dem man als Radfahrer relativ sicher ist.

Nach etwa 10 Kilometern gönne ich mir in einer Bar in Ibeas erst einmal eine Mittagspause und bekomme nun einen ordentlichen Kaffee und zwei Baguette-Sandwichs. Es tut gut endlich etwas Vernünftiges zu sich nehmen zu können. Die Bar ist recht voll. Sie liegt gegenüber einem Wahllokal und nach der Stimmabgabe scheint man hier gerne reinzukommen, um sich zu stärken. Sonst bekomme ich übrigens von der Europawahl kaum etwas mit. Dann geht es weiter und ich fahre schließlich auf dem nun ebenfalls entlang der N-120 führenden Pilgerweg auf festem Schotter nach Burgos hinein und komme um Punkt 13 Uhr vor dem Hostel an. Das Hostel ist unweit der Calle Vitoria, einer der Hauptstraßen nach Burgos hinein, in einer großen am Stadtrand liegenden Wohngegend mit bis zu 10-stöckigen Mietshäusern gelegen. Eines der Mietshäuser scheint insgesamt für das Hostel zur Verfügung zu stehen, denn es hat einen eigenen Hauseingang. Aber genau weiß ich das nicht, weil ich im 1. Stock untergebracht bin. Eigentlich hat das Hotel den Charakter eines einfachen Hotels. Man hat ein recht geräumiges Zimmer, sogar mit kleinem Schreibtisch und eigenem Bad und WC. Es hat also alles, was ich brauche und insofern fühle ich mich hier gleich wohl.

Nachdem ich mich eingerichtet habe, ruhe ich dann erst einmal aus, lese hier und da ein wenig bis mir die Augen zu fallen und ich einen kleinen Nachmittagsschlaf mache. Mein Abendessen nehme ich dann in einer kleinen, nahegelegenen Bar Timoteo ein, die ihr Speisenangebot auf der Basis gebackener Kartoffeln anbietet. Ich wähle mir eine patata queso, also eine mit Käse überbackene Kartoffel und dazu eine Mischung aus Chorizo, gebratenem Speck und einer morcillo, die als Spezialität hier angeboten wird und eine Mischung aus gebratener Blutwurst, Reis und Fett ist. Wir würden wohl „tote Oma“ dazu sagen. So zusätzlich noch mit einem Rotwein gestärkt, gehe ich zurück auf mein Zimmer und schreibe meinen Bericht von gestern.

Der ist mal wieder etwas länger geworden und so ist es auch wieder später geworden. Aber obwohl die allabendlichen Berichte ganz schön schlauchen, sind sie mir doch wichtig. Ich merke inzwischen wie schnell Erlebtes dem Vergessen anheimfällt und das wird um so schlimmer, je mehr Eindrücke man durch so eine Reise bekommt. Dennoch stehe ich heute gegen 7 Uhr auf. Das Frühstück im Hostel ist dann leider wirklich kein Hit, aber für 3 € kann man natürlich auch nicht allzu viel erwarten. Es gibt Kaffee aus dem Automaten, recht dünnen Orangensaft ebenfalls aus dem Automaten, Toastbrot Butter und zwei Sorten Marmelade. Mein Problem ist, dass ich dann immer fünf bis sechs Scheiben esse, die meinen Hunger nicht stillen, mir auch wenig Energie geben aber auf die Dauer wieder Fett ansetzen. Das ist auch der Grund, warum ich auf meinen Touren eher zu als abnehme. Heidrun würde jetzt natürlich intervenieren und sagen, es ist auch der Rotwein. Recht hat sie natürlich.

Obwohl das Hostel etwa drei Kilometer von der Altstadt entfernt liegt ist der Weg dorthin kein Problem. Alle sieben Minuten fahren Busse die Calle Vitoria entlang bis zur Altstadt. Ich bin also von meiner Unterkunft in höchstens 15 bis 20 Minuten dort. So auch heute. Allerdings mache ich noch einen kurzen Abstecher zu der nahegelegenen Iglesia Santa Maria la Real, die spanische Gotik mit einem arabisch geprägtem Portal im Mudejar-Stil verbinden soll. Ich muss ehrlich zugeben, hätte ich es nicht gelesen, wäre mir nichts aufgefallen und auch nachdem ich es gelesen habe, könnte ich nicht erklären, was hier den Mudejar-Stil ausmacht.. Aber ich werde diesem Stil ja noch öfters begegnen.

Ich steige an der Plaza Mio Cid aus, wo ein großes Reiterdenkmal mit El Cid in martialischer Haltung steht, das Schwert nach vorne zielend und sozusagen zum Angriff blasend. El Cid war ein kastilischer Ritter, der im 11. Jahrhundert als Söldnerführer und als eine Art Warlord eine wichtige Rolle bei der Reconquista gespielt hat, also bei der von den Spaniern so bezeichneten Wiedereroberung Spaniens von den Mauren. Er war wohl wie alle solche Gestalten ein etwas windiger Typ und wechselte auch schon mal die Seiten, kehrte aber schließlich in den Schoß der Reconquista zurück. Nach seinem Tod und einem bevorstehenden Angriff der Mauren soll seine Frau Jimena ihn auf ein Pferd binden lassen haben, um an der Spitze seiner Söldner die Mauren noch einmal in die Flucht zu schlagen, was angeblich aus gelang. El Cid wurden hernach zahlreiche Epen gewidmet und eine Unzahl von Legenden über seine Heldentaten verbreitet.

Ich gehe dann am Ufer der Rio Arlanzón entlang bis zum Arco de Santa Maria, das wohl imposanteste der 12 Tore, die die Stadt im Mittelalter hatte. Das Tor wurde im 16. Jahrhundert von Kaiser Karl V. wieder aufgebaut, nachdem er die Unterstützung der Stadt gegen den Aufstand kastilischer Bürger erhalten hatte. Auf der Fassade über dem Torbogen finden sich sechs Statuen on Menschen mit Bedeutung für Burgos und Kastilien. Natürlich auch Karl V. an prominenter Stelle. Durch das Tor geht auf die Plaza Santa Maria, wo einem die prächtige Kathedrale gegenübersteht. Ich verharre eine Weile und überlege wie ich diese Herausforderung angehe und entscheide mich dann dafür, erst einmal einen Rundgang um die Kathedrale zu machen. Obwohl sie eine sehr filigrane Architektur hat, strahlt sie für mich auch etwas sehr mächtiges und festungshaftes aus. Hier steht nicht nur eine Kathedrale, sondern ein Konglomerat an sakralen Bauten, das sich aber zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt hat.

Sehr früh habe ich aber noch eine andere Assoziation: Sagrada Familia! Ja, man mag es für absurd halten, aber die Kathedrale in Burgos erinnert mich sehr an die Sagrada Familia in Barcelona. Ich denke tatsächlich, dass sich Antoni Gaudi hier für sein Werk in Barcelona nicht unmaßgeblich inspirieren ließ. Ich denke es liegt vor allem an der Unzahl von Fialen, also steinerne, schlanke, spitz auslaufende, flankierende Türmchen. Sie sind das herausragende Kennzeichen der Sagrada Familia in Barcelona. Natürlich gibt es sonst erhebliche stilistische Unterschiede, denn Gotik hat wenig mit Modernismus zu tun. Wesentlicher Unterschied ist, dass die Kathedrale von Burgos sehr figurativ ausgestaltet ist, während Gaudi doch mehr ornamental gestaltet hat. Bei meinem Rundgang sehe ich auch die vier Portale, von denen leider das bedeutendste, die Puerta Pellejeria zurzeit in Restauro und damit zur Hälfte verdeckt ist.

Der Besuchereingang ist auf der Südseite das Portal Sermental, die schon aus dem Jahre 1240 stammt und Christus als Meister gewidmet wurde und das in den Südarm des Querschiffes führt. Rechts vom Eingang kann man gleich einen Blick auf die sogenannte Paradiespforte werfen, die ein Zugang zum Kreuzgang ist. Sie ist aber verschlossen. Der Zugang für die Besucher führt am Ende des Rundganges über die Sakristei. Hinter dem Eingangsportal kommt zunächst zur Kasse und da ich nun schon über 65 bin, brauche ich nur 6 statt 7 € zu zahlen. Danach bekomme ich ein Audiophon in die Hand gedrückt, was mich auf Deutsch durch die Kathedrale führt und wichtige Erläuterungen gibt. Im Nachhinein muss ich sagen, dass dieser Audioguide unverzichtbar ist.

Der Bau dieser ersten großen, spanischen Kathedrale im gotischen Stil wurde von König Ferdinand III. von Kastilien und Maurizio, dem Bischof von Burgos, in Auftrag gegeben. Anlass war die Hochzeit Ferdinands mit Beatrix von Schwaben. Ferdinand wollte damit wohl die veränderte Rolle Kastiliens im europäischen Machtgefüge durch eine adäquate Bischofskirche demonstrieren. Baubeginn war am 20. Juli 1221 auf dem Gelände der früheren romanischen Kathedrale. Verantwortlicher Baumeister war ein namentlich nicht bekannter Franzose. Nach neun Jahren war die Konstruktion der Apsis abgeschlossen. Der Hochaltar wurde am 20. Juli 1260 das erste Mal geweiht, anschließend ruhte der Bau fast 200 Jahre.

1417 wohnte der Bischof von Burgos dem Konzil von Konstanz bei und sah auf dieser Reise gotische Kathedralen in Frankreich und Deutschland. Sein Nachfolger Alfonso de Cartagena besuchte 1435 anlässlich des Konzils von Basel ebenfalls Süddeutschland, besichtigte den gerade vollendeten Turm des Basler Münsters und kehrte mit dem deutschen Baumeister Johannes von Köln (spanisch: Juan de Colonia) zurück, der die Kathedraltürme von Burgos angelehnt an das Basler Münster mit offenen Steinmetzarbeiten vollendete. Auch Johanns Sohn Simon und sein Enkel Franz wurden bedeutende Baumeister an der Kathedrale von Burgos und prägten den Bau im 15. Jahrhundert. Mit Sicherheit kannte Johannes von Köln auch den Fassadenplan der geplanten Kölner Domtürme von 1310/20. 1539 stürzte allerdings der von ihm erbaute Vierungsturm ein und wurde anschließend in ähnlicher Form wieder errichtet. Der Bau der Kathedrale wurde 1567 mit der Vollendung des Vierungsturmes abgeschlossen, jedoch wurden bis 1734 Änderungen und Ergänzungen vorgenommen.
Die Kathedrale von Burgos ist äußerlich durch die reich dekorierten Turmkonstruktionen der Fassade und der Vierung gekennzeichnet. Es wurde auch das Wort von einem „versteinerten Wald“ geprägt.

Die Kirche hat einen kreuzförmigen Grundriss und besteht aus Langhaus, Querhaus, zwei Seitenschiffen, Chorumgang, 19 Kapellen und 38 Altären. Durch den tiefen Altarraum liegt das Querhaus mittig; wie in vielen spanischen Kirchen teilt der Chor das Mittelschiff. Den Grund für diese Mittigkeit des Chores, der den freien Blick durch das Langhaus oft einschränkt, habe ich nun auch erfahren. Es beruht wohl darauf, dass die Kirchen oft an der Stelle und auf den Grundmauern ehemaliger Moscheen errichtet wurden, die einen streng rechteckigen Grundriss aufwiesen und nicht eine langgestreckte Apsis an der Ostseite des Langhauses. So ist der Coro in spanischen Kirchen kein architektonischer Begriff, sondern ein rein funktionaler, der den abgetrennten Kirchenraum für den Klerus und andere Funktionsträger bezeichnet.

Die Gesamtlänge der Kathedrale beträgt 106 Meter, sie ist am Hauptschiff 26 Meter und am Querschiff 59 Meter breit. Die Höhe der Kuppel über dem Querhaus beträgt 54 Meter. Die ursprünglich klar gegliederte äußere Gestalt der Kathedrale ist aufgrund der Anbauten nicht mehr erkennbar: Neben Kapellen an den Quer- und Seitenschiffen der Kathedrale wurden im 15. Jahrhundert der Kreuzgang und im Südwesten der erzbischöfliche Palast angebaut. Die Betrachtung wird durch die dichte Umbauung natürlich erschwert. Einen Gesamtblick auf das mächtige Bauwerk hat man eigentlich nur auf der Plaza Santa María.

Mein Rundgang dauert etwa zwei Stunden. Highlights sind sicher das Langhaus, der so sicher einmalige dicht figurativ und ornamental ausgestattete Vierungsturm, der Chor und der Hauptaltar. Das Sterngewölbe des Vierungturms vereinigt gotische und maurische Einflüsse. Von den Kapellen sind sicher die die Reliquienkapelle, die Kapelle der Heiligen Anna und vor allem die Kapelle der Concepción (Maria Empfängnis) hervorzuheben. Wobei man bei der Prachtausstrahlung sowohl der Kathedrale als auch ihrer Kapellen nur schwer eine Abstufung vornehmen kann. Etwas Besonderes ist dann schließlich auch noch der Kreuzgang, der zweigeschossig ist, wobei heute nur noch das Obergeschoss sakral genutzt ist und von ihm auch noch weitere Kapellen abgehen. Im Kreuzgang selbst finden sich zahlreiche reich geschmückte Grabmäler hoher geistlicher Würdenträger von Burgos.

Nach drei Stunden verlasse ich, inzwischen etwas erschöpft, die Kathedrale, und lege erst einmal eine längere Mittagspause in einer nahegelegenen Bar ein und verzehre ein halbes Hähnchen. Zuvor hatte ich mir noch in der Touristeninformation einige Material besorgt. In Deutsch gibt es allerdings, außer einem sehr guten Flyer zur Kathedrale, kaum etwas. Allerdings wird mir mitgeteilt, dass heute am Montag, die meisten Sehenswürdigkeiten geschlossen haben. Das erspart mir nun die Qual der Wahl und nach meiner Mittagspause entschließe ich mich zu einem Stadtrundgang entsprechend dem englischsprachigen Flyer „Burgos in 24 hours“.

Zunächst schaue ich in die direkt neben der Kathedrale stehende Iglesia de San Nicolás. Sie ist hauptsächlich dafür bekannt, dass sie eines der größten Altarbilder Spaniens besitzt und das einzige aus Kalkstein gemeißelte. Dieser Renaissancealtar ist wirklich sehr eindrucksvoll und man sollte daher an die Kirche keinesfalls links liegen lassen. Der Altar wurde vom Burgoser Kaufmann Don Gonzal Lopez de Polanco vor seinem Tod 1505 als sein Grabdenkmal für sich und seine Familie in Auftrag gegeben und finanziert. Die unzähligen Szenen auf dem Altar sind Darstellungen des himmlischen Königreichs und ein Beweis für die Sorge des Stifters um das Jenseits. So enthält der Altar Darstellungen und Szenen von über 300 Heiligen, von denen man wohl auf diese Weise auf Hilfe im Jenseits hoffte. Hier kommt mir wieder der Gedanke, ob die doch immer noch enge Bindung vieler Spanier an die katholische Kirche nicht auch mit der reichen und figurativen Ausgestaltung der Gotteshäuser zusammenhängt, die so nicht in allen katholischen Regionen der Welt vollzogen wurden. Hier werden den Menschen in einfachen und eingängigen Bildern Geschichten nahe gebracht, die aus heutiger Sicht eine sehr frühe Form von erfolgreicher populistischer Agitation waren. Man könnte daraus sowohl für die Analyse als auch für die Konsequenzen mancher heutigen Diskussionen durchaus seine Schlüsse ziehen.

Nach dem Besuch in San Nicolás mache ich erst einmal einen Spaziergang zunächst über die Plaza Mayor hoch zur Zitadelle von Burgos. Von hier hat man einen schönen Blick über die Stadt und sieht auch, dass die Stadt, außer der Kathedrale, nicht viel Besonderes zu bieten hat. Burgos ist eine Industriestadt. Die Kathedrale ist von hier oben leider zum Teil von Bäumen verdeckt, so dass es keinen prachtvollen Blick von hier oben auf sie gibt. Nach etwa anderthalb Stunden beende ich dann meinen Stadtrundgang und fühle mich auch einigermaßen geschafft. Ich fahre also mit dem Bus zurück, kaufe in einem Supermarkt noch etwas Gehaltvolleres für mein morgiges Frühstück ein und ruhe mich dann etwas auf meinem Zimmer aus. Mein Abendessen nehme ich wie schon gestern in der nahegelegenen Bar Timoteo ein. Heute nehme ich wieder die mit Käse überbackene Kartoffel und Champignons mit Garnelen. – Sehr lecker!

Tagesdaten:
26.05.2019: 22,80 Km; 01:21:45 Std. Fz.; 16,73 Km/h; 68 Hm
27.05.2019: 13 Km Stadtrundgang

 

 

 

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