Ich habe sehr gut geschlafen. Natürlich lasse ich mir auch heute noch einmal das Frühstück schmecken. Aber da nun ein richtiger Fahrradtag angesagt ist, versuche ich auch möglichst bald loszufahren. Von Pawel und Justyna werde ich sehr freundlich verabschiedet. Sie sind übrigens erst seit diesem Jahr die Besitzer der Willa Jodla. Auf ihrer Internetseite schreiben sie darüber: „Das Gebäude wurde 1937 … erbaut und hieß ursprünglich „Zakopianka“. Während des Krieges wurde es für einige Zeit zu einem Zufluchtsort für Vertriebene. In der Volksrepublik Polen wurde die verstaatlichte Villa von der staatlichen Urlaubskasse genutzt und nach 1989 an Privatpersonen vermietet. Im Jahr 2021 haben wir es gekauft – Justyna, Paweł und unsere Kinder“. Ich kann den beiden nur alles Gute wünschen. Sie sind sehr engagiert und gastfreundlich. Ich habe mich hier auf sehr wohl gefühlt.

Heute nun eine längere Etappe, es ist überhaupt eine der längsten auf meiner geplanten Tour. Der Weichselradweg ist hier bis auf einen Abschnitt sehr gut ausgeschildert, der Untergrund ist allerdings sehr wechselhaft. Insbesondere auf dem ersten Drittel ist der Radweg hervorragend ausgebaut. Dann im Umkreis von Czechowice-Dziedzice wird es sehr holprig und schlammig, was aber auch an einer sehr langen Eisenbahnbaustelle liegt. Hier gehen auch einige Radwegmarkierungen verloren, so dass ich einen Umweg fahre, den ich im nachhinein betrachtet nicht hätte fahren müssen. Der Weg führt dann ein Stück auf der Staumauer des Goczałkowice-Stause. Der 32 Qkm große Stausee entstand 1956 nach Aufstauung der Weichsel. Er dient als Hochwasserschutz, Naherholungsgebiet und liefert Trinkwasser für das Oberschlesische Industriegebiet, das ich hier südlich streife. Danach geht es vorrangig auf Nebenstraßen durch dichtbesiedeltes aber auch landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Hier ist auch eine endlose Seenlandschaft, die offensichtlich ein bekanntes Refugium für Wasservögel darstellt. Es sind unzählige Orte, vorwiegend Dörfer, die ich durch- und Dutzende von Seen an denen ich vorbeifahre bis ich schließlich nach Oswiecim komme, bei uns bekannter unter dem Namen Auschwitz.

Ich habe vor meiner Tour lange überlegt, ob ich hier Station machen will. Ich war bereits vor 13 Jahre, also 2008, in Auschwitz und habe mir die Konzentrationslager angeschaut und ich wusste nicht, ob ich mir diese schockierende Zeugnisse deutscher Grausamkeit noch einmal anschauen sollte. Ich habe mich dann dafür entschieden, dies noch einmal zu tun, weil ich schon empfinde, dass man als Deutscher hier nicht einfach vorbeifahren darf. Natürlich haben wir als Nachgeborene keine persönliche Verantwortung für das, was damals hier und an anderen Orten, insbesondere auch in Polen, geschah. Aber wir haben doch eine historische Verantwortung für die Verbrechen, die im Namen der Deutschen begangen wurden. Deshalb habe ich es auch als meine Pflicht empfunden, durch einen erneuten Besuch hier an diesem Ort, diese Grausamkeiten nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Ich habe mich also auch hier für zwei Nächte in einem Hotel eingebucht und werde morgen die Konzentrationslager aufsuchen..

Als ich am Hotel ankomme, stelle ich mit Beklemmung fest, dass das Hotel genau gegenüber dem Eingang des Lagers Auschwitz I befindet. Am Hotel führen noch die alten Bahngleise vorbei, auf denen die oft dem Tod geweihten Häftlinge ins Konzentrationslager verschleppt wurden. Unbefangen blieb für mich der heutige Abend auf jeden Fall nicht.

Tagesstrecke: 101,88 Km

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