37. Tag: (14. April 2024) – Von Étables nach Boulogne-sur-Mer

Tagesstrecke: 32,70 Km; 11,22 Km/h; 269 Hm

Fahrt von Étables nach Boulogne-sur-Mer

Ich habe zwar ein mit sieben Qm sehr kleines Zimmer in dem Hotel in Étables. Dafür gibt es aber ein hervorragendes Frühstück. Zum ersten Mal seit längerer Zeit kann ich auch mal wieder ein gutes Müsli essen. So gestärkt mache ich mich dann auf die recht kurze Etappe nach Boulogne-sur-Mer. Der Himmel bleibt zwar bewölkt, aber die Temperaturen steigen noch einmal auf 19 Grad.

Viel zu erzählen gibt es heute von dieser Etappe nicht. Es ist allerdings Sonntag und man muss auf die französischen Männer auf ihren Rennrädern aufpassen. Sie überholen mich natürlich, aber keiner hat eine Klingel. So geben sie höchstens merkwürdige Geräusche von sich, wenn ich nicht schnell genug ausweiche. Bisher ist alles gut gegangen. Am Fischmarkt vorbei, der auch am Sonntag schon geöffnet hat, verlasse ich die Stadt. Nach einigen Kilometern kommt dann der Hinweis auf einen Soldatenfriedhof, bei dem ich einen kurzen Stopp einlege. Es ist der Friedhof für Gefallene aus den Commonwealth-Ländern, insbesondere also natürlich Briten und Skandinavier. Hier liegen wieder mehr als 10 Tsd. Gefallene.

Nach knapp 20 Kilometern komme ich dann an einem merkwürdigen Schloss vorbei. Es ist teilweise Burgruine und teilweise Schloss und sieht aus als habe man es aus einem Spielzeugland hier her versetzt. Schloss Hardelot ist ein wahres Kuriosum der Côte d‘Opale, das mehr denn je den vermeintlich brüderlichen Bund zwischen Frankreich und England symbolisiert. Dieses kleine Windsor erblickt etwa 1870 das Licht der Welt. Henry Guy, britischer Staatsbürger und ehemaliger Armeeoffizier seiner Majestät, erwirbt die Ruinen der mittelalterlichen Burg und errichtet ein Schloss im Neu-Tudorstil, das er als Ferienhaus nutzt. 20 Jahre lang lebt er dort in Saus und Braus mit seiner Frau und seinen sechs Kindern. Nach seinem Tod 1898 wird das Anwesen von John Whitley gekauft, der ebenfalls Brite und noch dazu Mitbegründer des Ferienorts Hardelot ist! Der Golfplatz, den er anlegen lässt, startet an einem der Türme der Ringmauer.

Unter Whitley gibt sich die gesamte britische niedere Adel auf farbenfrohen Festen ein Stelldichein. Die nachfolgenden Kriege können dem Gebäude nichts anhaben. Nach aufwendigen Sanierungsarbeiten im Auftrag des Departements öffnete Schloss Hardelot 2009 unter seinem neuen Namen Centre Culturel de l‘Entente Cordiale wieder seine Pforten, mit dem Ziel, die Geschichte des Gebäudes und, damit verbunden, jene der britisch-französischen Beziehungen von gestern bis heute zu erzählen. Ich bleibe draußen vor, laufe einmal um das Anwesen herum und radle dann weiter.

Gegen 14 Uhr erreiche ich dann Boulogne-sur-Mer. Etwa 10 Kilometer vor Boulogne wurde es wieder hügeliger und die Stadt selbst ist nicht gerade radfahrerfreundlich, weil sie auch auf Hügeln gebaut ist. Auf ihrer höchsten Kuppe steht die Basilika Unserer Lieben Frau von der Unbefleckten Empfängnis und thront weithin sichtbar über der Stadt. Mein Quartier ist heute wieder einmal ein Ibis budget, das aber einen erheblich angenehmeren Eindruck mach als die bisherigen. Mein Fahrrad darf ich mit auf mein Zimmer nehmen. Die Größe des Quartiers erlaubt, es im Badezimmer abzustellen.

 

Spaziergang in Boulogne-sur-Mer

Nachdem ich mich eingerichtet und ein wenig ausgeruht habe, will ich eigentlich mir nur noch eine Pizza zum Abendessen genehmigen. Ich hatte mir über Google eine mit sehr guten Kritiken ausgesucht, die unweit von meinem Ibis liegt. Als ich aber um 18:45 Uhr dort war, war die Tür verschlossen und ich hatte übersehen, dass auch diese Pizzeria wie fast alle französischen Lokale erst um 19 Uhr öffnet. Da mich aber die Grand Rue schon vorher beeindruckt hatte, ließ ich mich einfach von ihr die Steigung hinauf fortziehen und stand bald vor den Festungsanlagen der Altstadt auf der einen und der eindrucksvollen Place A. Mariette-Pucha, der ägyptisch mit einem Pyramiden-Denkmal anmutete.

Schon von Weitem hatte ich gesehen, das hier in der Altstadt auch die Basilika Notre-Dame stehen musste, die man zwar von überall her erkennen kann, außer jetzt, wo ich vor der Altstadt stehe. Also gehe ich erst einmal durch das sehr dominant wirkende Tor in die Altstadt und schlendere ein wenig durch die Straßen und Gassen. Vorbei geht es am sogenannten Imperial Palace, der jedoch 1777 als Hotel errichtet wurde und Anfang des 19. Jhd. als Hauptquartier des Generalstabs der Grande Armée genutzt wurde. Sein Name als Kaiserpalast rührt wohl daher, dass hier der Erste Konsul und spätere Kaiser Napoleon Bonaparte sich dort in den Jahren 1803, 1810 (mit Kaiserin Marie-Louise von Österreich) und 1811 aufhielt. Auch Zar Alexander I. von Russland soll hier einst logiert haben.

Gegenüber steht dann der als Glockenturm verwendete Belfried des ersten Grafenschlosses, der heute auch mit dem Rathaus verbunden ist. Das Rathaus, das sich ebenfalls in der ummauerten Stadt befindet, hat eine Fassade aus Ziegeln und Stein aus dem Jahr 1734. Aus dieser Zeit stammen das Büro des Bürgermeisters und der Gouverneurssaal, der heute wohl als Hochzeitssaal verwendet wird. Als ich dann in die nächste Straße biege, sehe ich auch Notre-Dame wieder und in der kleinteiligen Altstadt hat sie natürlich eine gigantische, wenn auch etwas eingeengte Wirkung. Der Versuch, sie hier zu fotografieren ist gar nicht so einfach und ich würde sagen, es gibt nur einen recht kleinen Flecken in der Stadt, wo es einem gelingt, das Bauwerk insgesamt aufzunehmen. Ich entdecke diesen Platz auch erst als ich meinen Spaziergang auf der Promenade Charles Dickens fortsetze, einem Fußweg auf der alten Festungsmauer.

Die Basilika Unserer Lieben Frau von der Unbefleckten Empfängnis wurde von Abt Benoît-Agathon Haffreingue zwischen 1827 und 1866 an der Stelle der 1798 dem Erdboden gleichgemachten Kathedrale erbaut. Seine 101 Meter hohe Kuppel ist wie schon gesagt kilometerweit zu sehen. Natürlich ist die Kirche zur Zeit meines Spaziergangs schon verschlossen. Als Besonderheiten werden aber im Inneren ein prächtiger Torlonia-Altar genannt, der ein Meisterwerk des italienischen Mosaiks sein soll, das in den Werkstätten des Vatikans hergestellt wurde. Als beeindruckend wird auch die Krypta der Basilika dargestellt. Ihre Fundamente reichen wohl bis in die Römerzeit zurück. Sie ist sehr beeindruckend durch ihre Ausmaße (eine der größten Krypten Frankreichs und Nordeuropas), ihre Räume (untere Krypta, Kuppelkrypta, Kapelle der Jungfrau …), ihre mit Fresken bedeckten Wände („Grisailles“ des 19. Jahrhunderts und mittelalterliche Gemälde), ihre Skulpturen und ihren Schatz an sakraler Kunst (darunter der Reliquienschrein des Heiligen Blutes, der 1308 von Philipp dem Schönen gestiftet wurde).

Schon von der Festungsmauer aus hatte ich den die Place A. Mariette Pacha bewundert. Dieser große langestreckte Platz steht ganz im Zeichen des Auguste Mariette, der 1821 und Boulogne-sur-Mer geboren wurde. Nach der Lektüre in Wikipedia stellt sich dann heraus, dass es sich bei ihm um einen sehr interessanten Mann handelte. Auguste Mariette war anfänglich Lehrer in seiner Vaterstadt und erhielt 1849 eine Anstellung am Ägyptischen Museum in Paris. Im Oktober 1850 reiste er im Auftrag des Louvre nach Ägypten, um koptische, syrische und äthiopische Manuskripte aufzukaufen. Die Verhandlungen verliefen zäh, und Mariette vertrieb sich die Zeit mit Ausflügen zu historischen Stätten. Bei einer dieser Reisen entdeckte er bei Sakkara einen Sphinx und glaubte, das Serapeum, die unterirdische Begräbnisstätte der Apis-Stiere, gefunden zu haben. Ohne behördliche Genehmigung begann er zu graben und fand 1851 tatsächlich den Eingang zum Heiligtum. Darin befanden sich 24 große Steinsarkophage, die jeweils aus einem einzigen 80 Tonnen schweren Granitblock gehauen waren. Weil die Deckel dieser steinernen Kästen allesamt zur Seite geschoben und die Sarkophage gänzlich leer waren, vertraten die Forscher stets die Ansicht, dass sie systematisch geplündert worden sein mussten. In den folgenden Jahren schmuggelte Mariette rund 7000 Objekte nach Frankreich. Nach seiner Rückkehr 1854 wurde er zum Zweiten Kurator der ägyptischen Abteilung des Louvre ernannt.

Offensichtlich waren seine Funde so bedeutend, dass er 1855 auf dessen Einladung hin den inzwischen greisen fast 90 jährigen Alexander von Humboldt in Berlin besuchte. 1857 reiste er ein zweites Mal nach Ägypten, um seine Ausgrabungen fortzusetzen. Er öffnete die Gräber dabei ohne Rücksicht auf die Befunde mit Sprengladungen(!). 1858 wurde er vom Vizekönig Said Pascha zum Direktor des Altertümerdienstes (Service des Antiquités de l’Égypte) ernannt und war fortan mit der Oberleitung der von der Regierung initiierten Ausgrabungen betraut. 1862 wurde er zum Bey erster Klasse ernannt und erhielt 1879 den Titel Pascha.

In dieser Stellung setzte sich Mariette nun mit aller Energie dafür ein, dass die Verordnung zum Schutz der Altertümer in Ägypten respektiert wurde. 1859 gründete er zur Aufbewahrung der zahlreichen Fundstücke das spätere Ägyptische Museum in Kairo. Er verhinderte, dass kostbare Juwelen des Grabschatzes der Königin Ahhotep I., welche zur Weltausstellung 1867 in Paris gezeigt wurden, als „Geschenk“ für die französische Kaiserin Eugénie endeten.

Unter Mariette wurden wichtigste Denkmäler zu Tage gefördert; seine bedeutendste Arbeit dieser Art ist die Freilegung der Tempel von Abydos und Edfu. Sein letzter Erfolg war die Öffnung dreier Pyramiden der 6. Dynastie bei Sakkara, die in ihren inneren Grabkammern wichtige Inschriften enthalten. Mariette starb zehn Jahre nach der Uraufführung von Verdis Oper Aida in Kairo, deren Libretto auf einer Erzählung Mariettes basiert. In seiner Vaterstadt wurde ihm 1882 ein Denkmal errichtet. inzwischen ist aus dem Denkmal ein ganzer Platz geworden.

So, nun reicht es aber. Inzwischen ist es nach 20 Uhr und ich verspüre nun richtigen Hunger und gehe zurück zu der von mir ausgesuchten Pizzeria, wo ich mich an einer guten Pizza Capricciosa mit einem Glas Rotwein erfreue und in Wikipedia weiter das hier Aufgeschriebene recherchiere.

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