Heute morgen beim Frühstück begrüßt mich der Hausherr. Er spricht auch Deutsch, aber nicht ansatzweise so gut wie seine Frau, hat aber dennoch ein großes Mitteilungsbedürfnis. Er bereitet zwar hervorragende Spiegeleier mit Speck, aber als er sich dann zu mir setzt und mich über die Zumutungen der EU-Terroristen und die Vormundschaft von Deutschland und Frankreich aufklären will, weise ich einiges davon doch recht massiv zurück. Er scheint auf jeden Fall der regierenden PiS sehr nahe zu stehen. So regt er sich dann noch darüber auf, dass Deutschland Polen vorschreiben wolle, wie Richter von der Regierung ausgesucht werden und was Richter dürften oder nicht. Da reicht es mir dann endgültig und ich mache ihn darauf aufmerksam, dass es die Sorge vieler Europäer sei, dass Polen unter der derzeitigen Regierung immer mehr rechtsstaatliche Grundsätze in Frage stelle und es daher sehr notwendig sei, dass sowohl die EU als auch andere EU-Mitgliedsländer hier intervenieren. Da die Diskussion auf Deutsch für ihn verständlicherweise nun schwierig wird, verlässt er nun glücklicherweise Platz mir gegenüber und ich kann mein Frühstück in Ruhe zu Ende genießen. Ab sofort begegnen wir uns der Hausherr und ich uns mit distanzierter Höflichkeit.

Historische Streifzüge durch die Geschichte von Zamosc

Die Stadt Zamosc wurde ab 1578 unter der Leitung des venezianischen Baumeisters Bernardo Morando als Idealstadt erbaut, was ihr den Namen Padua des Nordens einbrachte. Die Altstadt gehört seit 1992 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Grund genug sich hier genauer umzusehen.

Die Stadt ist nach ihrem Gründer Jan Zamoyski benannt, einem polnischen Magnaten, der u. a. in Padua studiert hatte und ab 1576, zur Zeit der Lubliner Union mit Litauen, höchste Staatsämter bekleidete. Zamoyski hatte den italienischen Architekten Bernardo Morando nach Polen berufen, um mit ihm eine ideale Stadt im Sinn der italienischen Renaissance zu errichten. Morando (um 1640–1700) war zeitweise sogar Bürgermeister von Zamosc, wurde geadelt und gründete in Zamosc eine Familie.

Zwischen 1772 und 1809 gehörte die Stadt zu Österreich als Teil des Kronlandes Galizien, zwischen 1809 und 1815 zum von Napoleon errichteten Herzogtum Warschau und für die folgenden rund 100 Jahre zum unter russischer Herrschaft stehenden Kongresspolen. In der Zwischenkriegszeit lag die Region (Wyżyna Lubelska) fast im Zentrum Polens und wurde früher – mit den heute ukrainischen Gebieten östlich des Bug – Wolhynien genannt.

Im Zweiten Weltkrieg gehörte die Region zum deutschen Generalgouvernement (1939–1944), das im besetzten Polen errichtet wurde. Kreishauptmann war in dieser Zeit Helmut Weihenmaier. Ein Teil der jüdischen Bevölkerung konnte vor der Besetzung fliehen, mehrere tausend Juden wurden jedoch im Ghetto Zamość zusammen mit aus der Umgebung deportierten Juden interniert und in den Vernichtungslagern ermordet.

Weihenmaier hat in Zamosc an der Deportation von Juden in die Vernichtungslager mitgewirkt. Im April 1941 ließ Weihenmaier die gesamte jüdische Bevölkerung, etwa 8.000 Menschen, aus der Stadt Zamość in die Vorstadt Nowa Osada umsiedeln. Dass diese Konzentrierungsaktion in überfüllte jüdische Wohnbezirke selbst eine Ursache des dort dann um sich greifenden Fleckfiebers war, führte nicht dazu, dass die deutsche Verwaltung die Ursachen eindämmte, sondern Weihenmeier verbot im September 1941 jeglichen Verkehr mit der jüdischen Bevölkerung und erließ Aufenthaltsverbote. Alle diese Verbrechen verhinderten aber nicht, dass Weihenmaier sein Karriere auch nach 1945 unbeeinträchtigt fortsetzen konnte. So war er von Herbst 1955 bis 1960 hauptamtlicher Bürgermeister in Tübingen unter  Oberbürgermeister Hans Gmelin. Von 1960 bis 1971 war er Landrat im Landkreis Freudenstadt. Das Anfang der sechziger Jahre eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen seiner Beteiligung an den NS-Verbrechen im besetzten Polen wurde am 24. Juli 1974 bei der Staatsanwaltschaft Wiesbaden eingestellt. 

Ein weiteres Verbrechen der Deutschen hier in der Region von Zamosc sollte auch nicht vergessen werden. In der sogenannten „Aktion Zamość“ sollte die polnische Bevölkerungsmehrheit durch deutsche Siedler, die als „Wehrbauern“ in der SS-Landwacht Zamosc organisiert waren und hauptsächlich aus Bessarabien und Kroatien stammten, „germanisiert“ werden. Die in der Stadt und dem Kreis Zamość lebende Bevölkerung sollte teils umgesiedelt, teils ermordet werden. Die Aktion begann Ende November 1942, nachdem die Sommeroffensive der deutschen Wehrmacht die Front auf sowjetischem Gebiet weiter nach Osten verschoben hatte. In der Nacht vom 27. auf 28. November 1942 begannen Polizeikommandos mit der Räumung der Dörfer. Die Bevölkerung wurde zusammengetrieben und mit Handgepäck und 20 Złoty pro Person in das Sammellager Zamość abtransportiert. An diesen Zwangsaussiedlungen beteiligten sich unter Führung der Umwandererzentralstelle die Ordnungspolizei, der SD, die SS-Landwacht Zamosc sowie die örtlichen Garnisonen der Luftwaffe und der Wehrmacht. Bereits bei der Vertreibung und dem Transport ins Lager wurden viele Menschen, die Widerstand leisteten oder flüchteten, erschlagen oder erschossen. Unmittelbar nach dem Abtransport wurden „volksdeutsche“ Umsiedler, Bessarabien- und Bukowinadeutsche, die in Lagern gewartet hatten, in die Höfe eingewiesen. Dies betraf etwa 300 Dörfer. In dieser Zeit trug die Stadt in den Planungen den Namen Himmlerstadt, später auch Pflugstadt. Es wurden rund 110.000 Polen aus 300 Dörfern verschleppt. Es konnten aber nur 9.000 deutsche Siedler in 126 Dörfern angesiedelt werden. Die Aktion führte zu einem starken Anwachsen der Widerstandsbewegung in der polnischen Bevölkerung, die auch durch die Antipartisanenaktionen der deutschen Besatzer nicht zu brechen war. Nachdem aus dem Gebiet von Zamość Polizeitruppen zwecks Niederschlagung des Ghettoaufstandes in Białystok abgezogen wurden, konnte die deutsche Besiedlung nicht mehr fortgeführt werden. Sie wurde im August 1943 beendet. Die deutschen Ansiedler flüchteten 1944 vor der vorrückenden Roten Armee. 1944 wurde die Stadt schließlich von der Roten Armee von der Naziherrschaft befreit; die Region war von 1945 bis August 1991 Grenzgebiet zur Sowjetunion, danach bis heute Grenzgebiet zur Ukraine.

Die Adelsfamilie der Zamoyski wurde von den Nationalsozialisten und später von den Kommunisten drangsaliert. Marcin Zamoyski, ein Spross der Familie, war 1990–1992, 2002–2014 Stadtpräsident und 1992–1994 Woiwode der Woiwodschaft Zamość. Das mag ein Ausdruck dafür sein, dass die Adelsfamilie Zamoyski bis in die Gegenwart hinein großes Ansehen in der Region genießt.

Soweit einige Stichpunkte zur Geschichte von Zamosc.

Spaziergang durch Zamosc

Der Markplatz

Beginnen wir mit dem Zentrum der Stadt, dem Marktplatz. Auf Ihm stechen insbesondere das Rathaus und die fünf sogenannten Armenischen Häuser hervor.

Das Rathaus mit geschwungener Freitreppe und einem 52 m hohen achteckigen Uhrenturm wurde von Morando 1591-1600 im manieristischem Stil erbaut. Ein Umbau erfolgte 1639–51. Es gibt Hinweise, dass die Freitreppe und der Uhrenturm erst Ergebnisses dieses Umbaus waren. Ob das tatsächlich zutrifft  kann ich aber nicht mit Sicherheit sagen.

Weitere Schmuckstücke am Marktplatz sind die fünf Armenischen Häuser. In ihnen lebten armenische Händler, die nach 1585 in die Stadt gezogen waren. Die Fassaden sind teilweise mit orientalischen Motiven, Flachreliefs von Christus, den Aposteln und Maria sowie Tierfiguren geschmückt. In den Häusern ist das Stadtmuseum untergebracht. Aber nicht nur Armenier prägten die Geschichte und die Architektur der Stadt. Im Laufe der Jahrhunderte siedelten sich Spanier, Engländer, Juden, Schotten, Deutsche, Griechen, Italiener und Russen an.

Zwei weitere Märkte in der Altstadt

Unweit vom Markplatz befinden sich auf der einen Seite der Salzmarkt und auf der anderen Seite der Wassermarkt.

 

Die Kollegiatkirche und der Zamoyski-Palast.

Nächste Highlights sind die Kollegiatkirche und der Zamoyski-Palast. Die Kollegiatkirche, nach Entwürfen Bernardo Morandos von 1587 bis 1630 erbaut, gehört angeblich zu Polens schönsten Kirchen aus der Zeit des Manierismus. Die Fassade wurde 1825–27 allerdings im Geschmack des Klassizismus verändert. Sie ist die Kathedralkirche des seit 1992 bestehenden Bistums Zamość-Lubaczów.

Auch das Schloss Zamość wurde 1579–1586 von Morando erbaut. Es wurde 1747–51 erweitert und nach 1831 im Geschmack des Klassizismus umgebaut. Es sollte sozusagen das Kopfensemble der geplanten Stadt sein. Auch von offizieller Seite wird  bestätigt, dass von der früheren Pracht nicht viel übrig geblieben ist. Nur der Torso. Anfang des 19. Jahrhunderts zog die Armee in das Palais ein. Später wurde es als Krankenhaus genutzt. Heute ist es ein Gerichtsgebäude und es macht einen ziemlich runtergekommenen Eindruck, weil es weder saniert ist, noch sonst irgendeine besondere Ausstrahlung hat. Lediglich das Denkmal von Jan Zamoyski vor dem Zamoyski-Palast lässt noch die alte Bedeutung des Ortes erkennen.

 

Vier weitere Kirchen der Stadt

Hier einige weitere Kirchen der Stadt. Es gibt natürlich noch einige mehr, aber dafür reichte die Zeit nicht. Auch in der Kirchengeschichte einer Stadt wie Zamosc könnte man die erheblichen historischen Veränderungen und Spannungen in der Region nachzeichnen.

 

Die Synagoge von Zamosc

Die Jüdische Gemeinde Zamość wurde 1588 gegründet, als Jan Zamoyski sich bereit erklärte, Juden in der Stadt anzusiedeln. Zunächst siedelten sich sephardische Juden aus Italien, Spanien, Portugal und der Türkei an. Im siebzehnten Jahrhundert schlossen sich ihnen aschkenasische, also mittel- ost- und nordeuropäische Juden an. Im Jahr 1684 wurde Jan Zamoyskis Privileg für die jüdische Gemeinde von Marcin Zamoyski erneut bestätigt. Das Bauwerk der Synagoge wurde von 1610 bis 1618 auf Initiative von Juden errichtet. Der Baustil dieser Synagoge wird der Epoche der Spätrenaissance zugeordnet. 

Das Hauptgebäude besitzt oben eine hohe Attika. Im Inneren wird der große Saal von einer hohen Gewölbedecke und zahlreichen Stuckaturen geprägt. Die Stuckaturen werden dem sogenannten Lubliner Typ zu geordnet. Der in der Synagoge vorhandene steinerne Toraschrein stammt aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und damit aus der Bauzeit des Gebäudes.

Während der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg wurde die Synagoge von den Nationalsozialisten verwüstet und diente dann als Tischlerei. Nach dem Krieg wurde die Synagoge von 1948 bis 1950 repariert und wieder hergestellt. Dabei wurde auch eine Vorhalle errichtet. Ab 1958 nutzte zwischenzeitlich die städtische Bibliothek die Räumlichkeiten der Synagoge.

Erst im Frühjahr des Jahres 2005 wurde die Bibliothek verlagert. Anschließend wurde die Synagoge der jüdischen Gemeinde zurückgegeben. Seither finden am Gebäude umfangreiche Restaurierungsarbeiten statt, welche zum Teil durch Stiftungsgelder mitfinanziert werden. Die Planungen sehen eine öffentliche Begegnungs- und Veranstaltungsstätte vor, in welchem ein jüdisches Museum und ein Bildungszentrum integriert sind.

Wenn man vor der Synagoge steht, fällt auf, dass es von der Synagoge zum Nachbarhaus einen Verbindungsgang gibt, das Nachbarhaus aber offensichtlich dem Verfall preisgegeben ist. Ein Schild verschafft Aufklärung. Das Nachbarhaus und die Synagoge gehörten ursprünglich zusammen, weil das Nachbarhaus das Jüdische Gemeindezentrum von Zamosc war. Das Gemeindehaus und die Eingangshalle befinden sich nach der Erklärung heute in Privatbesitz. Die Stiftung zur Bewahrung des jüdischen Erbes in Polen konnte daher das Haus nicht in das „Revitalisierungsprojekt“ einbeziehen und hat keinerlei Einfluss auf den Zustand des Gebäudes.

Ich besuche natürlich die Synagoge, obwohl der Besuch an sich wenig bringt. Allerdings gibt es zur Zeit eine Ausstellung zu Rosa Luxemburgs 150. Geburtstag, der am 5. März 2021 war. Die Ausstellung befasst sich aber weniger mit Rosa Luxemburg als viel mehr mit dem Schicksal ihrer Familie, insbesondere ihrer Geschwister.

Das Geburts- und das Wohnhaus von Rosa Luxemburg in Zamosc

Die Ausstellung leitet mich nun weiter zu der wohl bekanntesten Tochter der Stadt Zamosc: Rosa Luxemburg, die hier am 5. März 1871 geboren wurde. Heute gibt es zwei Häuser, die an sie erinnern könnten. So wurde jahrelang das Wohnhaus der Eltern auch für das Geburtshaus gehalten, bevor man vor einigen Jahren feststellte, dass die Eltern dieses Haus erst nach der Geburt von Rosa erworben hatten. Das Geburtshaus steht zwei Straßenzüge weiter und ist zur Zeit durch Planen verdeckt, wartet also auf seine Restaurierung. Lange lebte Rosa Luxemburg ohnehin nicht in Zamosc, weil ihre Eltern mit den Kindern bereits 1873 nach Warschau zogen, um Geschäftsverbindungen des Vaters zu stärken und den Kindern, auch den Töchtern, bessere Bildungschancen zu bieten.

An dem anderen Wohnhaus, in dem Rosa Luxemburg dann natürlich auch gelebt hat, war nun seit den 1970er Jahren ein Schild angebracht, dass auf den Geburtsort von Rosa Luxemburg hinwies. Nachdem auf Initiative der PiS ein Gesetz verabschiedet wurde, dass anordnete, dass Symbole, Denkmäler und Hinweise auf den Kommunismus und seine Repräsentanten zu beseitigen seien, behauptete die PiS, dass dies auch die Gedenktafel für Rosa Luxemburg betrifft. Die Gedenktafel am Elternhaus musste dann im März 2018 auf Anordnung der von der PiS geführten Regierung entfernt werden, was international Verwunderung und auch Empörung auslöste. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, dass das Geburtshaus von Rosa Luxemburg auch zu den ganz wenigen Häusern der Altstadt gehört, die noch nicht renoviert sind. Aber immerhin teilt es damit das Schicksal mit dem Schloss von Zamosc.

Ein schönes Beispiel der Politik von Rechtspopulisten. Immer wenn sie noch nicht an der Regierung sind, beklagen, dass man in der Meinungsfreiheit und seiner freien Entfaltung eingeschränkt und gehindert wird. Aber wenn sie dann an der Regierung sind, fängt man damit an, Andersdenkende mundtot zu machen und selbst das Gedenken an sie auszulöschen. Man muss nicht unbedingt ein Anhänger von Rosa Luxemburg sein, um festzustellen, dass sie an keinerlei kommunistischen verbrechen beteiligt war. Immerhin ist Rosa Luxemburg nicht nur als Kommunistin, sondern auch als große Humanistin in Erscheinung getreten, die sich auch nicht scheute sich mit Lenin und anderen Betonköpfen der bolschewistischen Bewegung anzulegen.

Der Platz, wo die Tafel hing ist übrigens heute noch gut sichtbar. Hier hat jemand mit Kreide sinngemäß drauf geschrieben: „Rosa – wir erinnern“.

 

Spaziergang im Park Miejski

Direkt von der Altstadt kann man in einen wunderschönen Landschaftspark, den Park Miejski gehen. Er wurde zwischen 1922 und 1927 entworfen und soll zu den schönsten städtischen Parks in Polen gehören. Auch mir hat er es angetan und ich spaziere in den beiden Tagen mehrmals hier durch.

 

 

Zamosc von oben

Vom Glockenturm der Kathedrale hat man einen wunderbaren Blick auf die Altstadt.

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