33. Tag: 20. Mai 2023 Von Nielisz nach Zamosc

Nach einem ordentlichen Frühstück lasse ich mir noch etwa Zeit, da ich ja nicht zu früh in Zamosc sein möchte. Check-in in meiner Unterkunft ist erst um 14 Uhr. Das Hotel Marina hat mir übrigens sehr gut gefallen. Es ist eine einfaches aber sehr ordentliche Unterkunft, die man auch weiterempfehlen kann. Das gilt allerdings für fast alle Unterkünfte hier in Polen.

Nach dem Frühstück pflege ich zunächst vor allem mein Fahrrad noch etwas und reinige die Kette und öle sie wieder frisch ein. Dann befestige ich mein Gepäck auf dem Fahrrad, was inzwischen eine Routineangelegenheit ist und mache mich auf den Weg. Ich bleibe aber noch eine Weile im Ort, weil ich mir gerne die Holzkirche anschauen will, an der ich gestern vorbeigefahren bin und auch noch einen Blick auf den See werfen möchte.

Die heutige Kirche wurde 1859 erbaut und ein Jahr später geweiht. 1922 wurde in Nielisz eine eigene römisch-katholische Pfarrei errichtet. Ursprünglich bestand die Kirche aus einem rechteckigen Kirchenschiff und einem schmaleren Chor. Auf beiden Seiten des Presbyteriums befinden sich Sakristeien, und im Kirchenschiff befindet sich ein Musikpodest mit Orgel, das von vier Säulenpaaren getragen wird. 1975 wurde die Kirche um ein Joch verlängert und um ein Vestibül erweitert. Der Glockenturm steht auch hier als Solitär etwas abseits.

Von innen macht die Kirche einen recht neu restaurierten Eindruck. Durch die helle Holzvertäfelung wirkt sie freundlich und einladend. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war um die Kirche herum auch ein Friedhof.  Zu dieser Zeit wurde dann am Rande des Waldes, ein neuer Friedhof angelegt, der um ein Vielfaches größer wurde. Ich verweile auf dem Gelände einige Zeit und recherchiere überhaupt zu dem Ort noch etwas intensiver. Inzwischen habe ich für solche Recherchen auch die polnische Wikipedia-Seite entdeckt, weil man auf der deutschen Wikipedia-Seite zu solch kleinen Orten in Polen nichts finden würde und auch im übrigen die Artikel auf der polnischen Wikipedia-Seite zu den verschiedenen Orten doch ausführlicher sind.

So erfahre ich nun auch, dass ein solch kleines Dorf von nicht einmal 1000 Einwohnern eine bewegte und auch grauenvolle Geschichte hinter sich hat. So kam es 1915 in der Nähe von Nielisz zu einer Schlacht zwischen russischen und österreichischen Truppen. Zwei Friedhöfe blieben übrig und die Schule in Nielisz brannte nieder.  Am 20. Juni 1942 führten Einheiten des Bauernbataillons Jerzy Mara-Meyer „Visa“ eine aus ihrer Sicht erfolgreiche Aktion auf der blauen Polizeistation, das war die polnische Polizei im Generalgouvernement, in Nielisz durch, bei der 7 Deutsche getötet wurden. Am 4. Januar 1943 erschossen die Deutschen 22 Dorfbewohner als Vergeltung für die Sprengung der nahegelegenen Eisenbahnbrücke in Ruskie Piaski. Im Jahr 1943 überfielen die Deutschen das Dorf zweimal und ermordeten 35 Juden und mehrere Dutzend Polen. Auch 1944 kam es noch zu einem Massaker in Nielisz. Am 4. Januar 1944 erschoss die Polizei im Dorf 59 Menschen, darunter 27 Polen und 32 Juden. Diese dürren Zeilen zeigen, was selbst in einem kleinen Dorf in Polen in der Zeit der Deutschen Besetzung für Gräueltaten verübt wurden. Nicht genug damit, brach auch im Jahre 1950 in Nielisz ein Großbrand aus, bei dem 17 Häuser und 39 Nebengebäude niederbrannten.

Heute wirkt der Ort friedlich und ist es wohl auch. Mit dem wohl überwiegenden  Inlandstourismus hat man sich einen bescheidenen Wohlstand aufgebaut. Dass dieser bescheidene Wohlstand wohl noch nicht sehr lange existiert, wird mir dann am Nielisz Stausee deutlich. Der See ist ein künstlicher See am Fluss Wieprz und wurde zur Regulierung des Wasserstands des Flusses Pór, als Trinkwasserreservoir sowie zu touristischen Zwecken angelegt. Mit dem Bau des Stausees wurde erst im Jahr 1994 begonnen und er konnte auch erst Ende 2008 in Betrieb genommen werden. Es ist also ein ganz junger See.

Nach diesem doch etwas tieferen Blick in die Geschichte des Dorfes Nielisz verlasse ich den Ort und radle in Richtung Zamosc. Über die Fahrt gibt es wenig zu berichten. Es geht über ein flache, landwirtschaftlich genutzte Landschaft. Die Strecke kann man entweder überwiegend auf einem straßenbegleitendem Radweg entlang der Nationalstraße 74 oder auf parallelen Nebenstraßen machen, die aber gut asphaltiert sind. Ich entscheide mich für die zweite Alternative. Vor Zamosc muss man dann aber wieder auf den straßenbegleitenden Radweg. Zu meiner Freude entdecke ich dann hier auch eine Autowaschanlage, in der man die Autos aber selbst waschen muss. So etwas kenne ich ja auch aus Leipzig und habe früher da auch schon gelegentlich mein Fahrrad intensiv gereinigt. Das passt nun heute auch hier, um die Spuren meiner gestrigen Schlammfahrten zu beseitigen. Das Prinzip funktioniert wie bei uns und es ist auch ein Geldwechselautomat da, sodass ich bald über das notwendige Kleingeld verfüge. Nachdem ich mein Gepäck abgelegt habe reinige ich mit Hochdruck vor allem die Reifen und dann auch noch mit etwas zurückgenommenem Hochdruck den Rest des Fahrrads. Mit einem Lappen reinige und trockne ich nach. Stolz schaue ich mir das Ergebnis meiner Arbeit an, befestige meine Fahrradtaschen wieder am Rad und fahre hoch zufrieden nach Zamosc hinein.

Meine Unterkunft in Zamosc liegt direkt am Rande der Altstadt. Es ist Gosciniec Kanclerz, also das Gasthaus Kanzler. Es macht schon auf den ersten Blick ein en sehr gepflegten Eindruck. Empfangen werde ich von einer Dame mittleren Alters, die mich gleich auf Deutsch mit österreichischem Akzent willkommen heißt. Sie hat wohl mehrere Jahre im Hotel- und Restaurantbereich in Österreich gearbeitet, bevor sie sich hier in Polen selbständig gemacht hat. Sie weist mich sofort in alles im Haus ein, zeigt mir mein sehr schönes und für mich praktisches Zimmer, das Restaurant, wo ich morgen mein Frühstück bekomme und schließlich weist sie mir noch einen sicheren Platz für mein Fahrrad auf einem Absatz der Kellertreppe zu. Ich bin sehr zufrieden. Hier in Zamoscc habe ich nun für zwei Nächte gebucht, weil ich diese Stadt doch etwas näher kennenlernen möchte.

Nachdem ich mich eingerichtet und etwas frisch gemacht habe, mache ich einen ersten Erkundungsgang durch die Stadt. Über die Erkundung der Stadt und über Zamosc selbst werde ich aber erst morgen berichten. Abends gehe ich dann in ein Restaurant auf dem Marktplatz und lasse es mir im Freisitz vor dem Lokal bei einer traditionellen polnischen Wurstsuppe mit Ei und einer anschließenden gebratenen Forelle gutgehen und beobachte gleichzeitig das Treiben auf dem Marktplatz.

Tagesstrecke: 31,87 Km

Ein Kommentar

  • Heidemarie sagt:

    Wie hast du denn so schnell polnisch gelernt, dass du polnische Wikipediatexte verstehen kannst, Gute Heimfahrt morgen und grüße mir Prag, auch wenn du nicht auf die Brücke der Legionäre kommst.
    Gute Nacht 😴

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