32. Tag (9. Oktober 2021): Gdansk – Die Marienkirche und Ausflug zur Westerplatte

Heute wieder das Frühstück im Hotel. Ansonsten habe ich mir noch einen abschließenden Besuch der Marienkirche mit Turmbesteigung vorgenommen und möchte am Nachmittag auch noch auf die Westerplatte fahren, dort wo man bekanntlich den Beginn des Zweiten Weltkrieges lokalisiert.

Tagesstrecke: 47,81 Km und ca. 5 Km zu Fuß

Besichtigung der Marienkirche

Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg zur nahegelegenen Marienkirche. Ich glaube das Bild stammt von Günter Gras, dass die Marienkirche wie eine sitzende Glucke in der Stadt thront. Ich finde das Bild hat etwas. Leider kann ich die Kirche nicht von oben fotografieren. Deshalb hier das Bild aus dem Artikel zur Marienkirche bei Wikipedia. Ich schaffe nur ein unzulängliches Panoramafoto von der gesamten Kirche. Außer von oben bzw. aus der Luft ist die Marienkirche kaum in ihrer vollen Pracht zu bestaunen, weil sie eng von Häusern der Rechtstadt umgeben ist. Aber ein Prachtbau ist es wirklich.

Ich war in den letzten beiden Tagen schon öfter hier und habe mich umgeschaut. Nun möchte ich versuchen das, was ich gesehen habe, unter dem heutigen Tag zusammenzufassen. Ich verbinde die heutige Besichtigung auch mit einer Turmbesteigung, um mir Danzig auch von oben anzuschauen. So gehe ich kurz nach der Öffnung des Turms die über 400 Stufen hinauf, vorbei auch an den beiden Glocken, von denen die größere Gratia Dei heißt und 7.850 kg wiegt, während Ave Maria der Name der kleineren Glocke ist mit 2.600 kg. Leider hat man von hier oben nicht so uneingeschränkte Blicke wie von anderen Türmen. Man steht zwar so ziemlich am obersten Punkt auf dem Dach des Kirchturms, das schräge Dach beeinträchtigt aber den Blick auf die nähere Umgebung. Seis drum, dennoch hat man von hier oben natürlich einen sehr schönen Blick auf die Stadt. Für mich beeindruckend sind vor allem die Veränderungen seit meinem letzten Besuch vor neun Jahren. Am deutlichsten wird das, wenn man das Bild der neu bebauten Speicherinsel mit meinem entsprechenden Foto von vor neun Jahren vergleicht. War die Speicherinsel damals noch Brachland, ist hier heute ein moderner Stadtteil entstanden. Anders als unmittelbar nach 1945 hat man hier nicht versucht historistisch zu rekonstruieren, sondern hat versucht moderne Architektur mit mit historischen Häuserformen zu verbinden. So ist trotz der modernen Architektur der ursprüngliche Charakter der Speicherinsel als Silhouette erhalten geblieben.

Nach der Turmbesteigung mache ich noch einen längeren Rundgang durch dieses in vieler Hinsicht beeindruckende Bauwerk. Die Kathedralbasilika der Himmelfahrt der Allerheiligsten Jungfrau Maria, so der offizielle Name in deutscher Übersetzung ( bis 1945 Oberpfarrkirche St. Marien) ist die Hauptpfarrkirche der Stadt Danzig in Polen. Sie wurde von 1343 bis 1502 im Stil der Gotik erbaut. Auf einem romanischen Vorgängerbau wurde am 28. März 1343 mit dem Bau einer neuen Hallenkirche begonnen. 1466 wurde eine königliche Kapelle für den polnischen König errichtet. 1502 wurde der Bau der Marienkirche nach 159 Jahren beendet. Von 1525 bis 1945 war die Marienkirche, und damit die längste Zeit ihres Bestehens, eine evangelische Kirche. Bis 1945 war die Marienkirche das zweitgrößte evangelisch-lutherische Gotteshaus der Welt (nur das Ulmer Münster ist etwas größer). Sie ist aber überhaupt eine der größten Hallenkirchen weltweit und eine der drei größten Backstein­kirchen nördlich der Alpen. Neben dem Ulmer Münster hat lediglich die Münchner Frauenkirche ein ähnlich großes Volumen. Lediglich San Petronio in Bologna hat mit annähernd 258.000 m³ ein deutlich größeres Volumen und ist damit die wohl größte gotische Backsteinkirche.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Marienkirche im März 1945 bei der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee schwer beschädigt; vierzig Prozent der Kunstschätze wurden vernichtet. Der hölzerne Dachstuhl brannte aus, 14 der großen Gewölbebögen brachen zusammen, die Glasfenster wurden zerstört. Der Wiederaufbau des Kirchengebäudes begann 1946, im August 1947 wurde das Dach, eine Stahlbetonkonstruktion, fertiggestellt. Wegen der Vertreibung der deutschen Danziger, überwiegend Protestanten und des Zuzugs von Polen, größtenteils Katholiken, die im Zuge der Zwangsumsiedlung von Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten 1944–1946 vertrieben worden waren, ist sie seit der Kirchweihe am 17. November 1955 ein katholisches Gotteshaus. 1965 wurde die Kirche zur Basilica minor erhoben, seit 1986 ist sie Konkathedrale der 1992 zum Erzbistum Danzig erhobenen Diözese Oliva.

Ich will hier nicht weiter auf die auch eigenwillige Architektur der Marienkirche eingehen, sondern nun einige Schmuckstücke, die mir auf meinem Rundgang ins Auge fallen, näher vorstellen. Insgesamt kann man sagen, das die Ausstattung der Marienkirche trotz der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg auch heute noch zu den reichsten im Ostseeraum gehört, mit zahlreichen Retabeln, Skulpturen, Wand- und Tafelmalereien. Aber auch zahlreiche Grabstätten und Grabplatten von Bürgern und Geistlichen befinden sich in der Kirche.

Zunächst aber mache ich einen Rundgang durch diese gewaltige Halle und betrachte mir die klassischen Merkmale einer Kirche wie Hauptaltar, Orgel, Kanzel und Taufbecken. So gehe ich zunächst zum Chor mit dem reich vergoldeten Hauptaltar.  Zwischen 1510 und 1517, schuf Meister Michael Schwarz aus Augsburg, vermutlich ein Schüler Albrecht Dürers,  diesen spätgotischen Hauptaltar. Der Altar kostete einschließlich Arbeitszeit und Material 13.500 Mark, eine Summe, die damals dem Wert von 2,5 Tonnen Silber entsprach. Kurz davor und darüber im Triumphbogen betrachte ich die eindrucksvolle Kreuzigungsgruppe aus dem Jahre 1517. Wendet man sich um, streift der Blick kurz die recht kleine und angesichts der Größe des Bauwerks eher bescheidene Kanzel, um dann auf einen eindrucksvollen Orgelprospekt aus dem Jahre 1509 zu blicken. Unter der Orgel und vor dem Ostportal dann das Taufbecken.

Geht man dann noch an einigen Besonderheiten der Marienkirche vorbei, fällt vor allem die 14 Meter hohe astronomische Uhr von Hans Düringer aus Thorn ins Auge, die in den Jahren 1464 bis 1470 entstanden ist. Bei meinem weiteren Rundgang fällt mir natürlich insbesondere das Bild der Dorothea von Mantau ins Auge, das hier in der Marienkirche in einer Seitenkapelle zu sehen ist. Aber auch einige andere Gemälde sind noch erwähnenswert.  Wenn man über das Nordportal die Kirche betritt, schaut man gleich rechts auf ein Bild des „Jüngsten Gerichts“ des Brügger Malers Hans Memling (1435 – 1494). Mit diesem Bild hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Es handelt sich um ein Triptychon, das zwischen 1467 und 1471 entstand und 1473 als Beutegut des Kaperschiffes „Peter von Danzig“ nach Danzig kam. Das Schiff hatte sich an einer Blockade der englischen Küste beteiligt und das Triptychon von einem britischen Schiff erbeutet. Einer der Eigner der Peter von Danzig, der damalige Bürgermeister Reinhold Niederhoff, stiftete das Triptychon der Marienkirche. „Das jüngste Gericht“ war eine Auftragsarbeit der Zweigniederlassung der Medici-Bank in Brügge und für die Badia-Fiesolana-Kirche in Florenz bestimmt. Zahlreiche Persönlichkeiten – darunter Karl der Kühne, der damaligen Herzog von Burgund und Papst Sixtus IX. – forderten die Rückgabe des Meisterwerkes an seine legitimen Eigentümer. Ohne Erfolg. Heute hängt in der Marienkirche nur noch ein Kopie, das Original befindet sich inzwischen im Nationalmuseum in Danzig.

Zwei weitere Bilder will ich hier noch erwähnen, weil auch sie von von einer gewissen Bedeutung sind. Da ist zum einen das Werk von Anton Möller „Taten der Barmherzigkeit“, das auch unter dem Titel „Almosentafel“ genannt wird und aus dem Jahre 1607 stammt. Anton Möller (* um 1563 in Königsberg; † 1611 in Danzig) war ein deutscher Maler, der vor allem in Danzig wirkte und vor allem durch allegorische, historische und biblische Bilder sowie Porträts bekannt geworden ist. Er wird auch als „Der Maler von Danzig“ bezeichnet (wegen der Darstellung von Danzigs Stadtbild im Hintergrund vieler seiner Gemälde) oder als „Der preußische Pieter Brueghel“ (wegen seiner „bäuerlichen“ Motive). Anton Möller war der erste ostpreußische Maler von Bedeutung. Sehr eindrucksvoll ist schließlich noch das Gemälde „Die Zehn-Gebote-Tafel“ aus den Jahren 1480-1490. Wer der Maler dieses Werks ist, habe ich aber bisher noch nicht herausgefunden.

In der Kirche befinden sich zahlreiche Grabplatten von Bürgern und Geistlichen. Zwei der Gräber möchte ich besonders hervorheben, weil sie die jüngste Geschichte Polens sehr stark beeinflusst haben. Da ist zum einen das Grab des ehemaligen Sejmmarschalls Maciej Płażyński. Bei seinem Sarkophag erinnert eine Kapelle als Gedenkort an den Flugzeugabsturz bei Smolensk am 10. April 2010. Zum anderen finden wir hier in der Marienkirche auch das Grab des am 14. Januar 2019 ermordete Stadtpräsident Paweł Adamowicz, der am 19. Januar 2019 im südlichen Querhaus der Kathedrale beigesetzt wurde. Bei dem Flugzeugabsturz von Smolensk am 10. April 2010 kamen neben dem Präsidenten Polens Lech Kaczynski und seiner Frau zahlreiche weitere polnische Politiker und hochrangige Repräsentanten des Landes sowie Angehörige und Hinterbliebene von Todesopfern des Massakers von Katyn, die an Bord des Flugzeugs waren, ums Leben. Es war die besondere Tragik dieses Fluges, dass es auf dem Weg zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 70. Jahrestages des Massakers von Katyn war. Beim Massaker von Katyn erschossen Angehörige des sowjetischen Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten (NKWD) vom 3. April bis 11. Mai 1940 etwa 4400 gefangene Polen, größtenteils Offiziere aber auch andere Repräsentanten Polens, in einem Wald bei Katyn, einem Dorf 20 Kilometer westlich von Smolensk. Während alle unabhängigen Untersuchungen ergaben, dass es sich bei diesem Flugzeugabsturz um einen Unfall handelte, sind bis heute viele konservative Politiker in Polen der Meinung, dass es sich um einen Anschlag russischer Kräfte gehandelt habe und werfen der damaligen polnischen Regierung diesbezüglich Vertuschung vor. Diese Auseinandersetzung hat das Land tief gespalten. 

Was die Ermordung des Stadtpräsident Paweł Adamowicz betrifft so wurde auf ihn am 13. Januar 2019 während der regionalen Abschlussveranstaltung des Großen Orchesters der Weihnachtshilfe ein Messerattentat verübt, an dessen Folgen er am Tag darauf starb. Der Täter hatte wegen mehrerer Banküberfälle mehr als fünf Jahre lang in Haft gesessen und litt nach Medienangaben zunehmend an psychischen Problemen. Er machte die Bürgerplattform, der Adamowicz seit 2015 nicht mehr angehört hatte, für seine Haftstrafe verantwortlich. Nach Adamowicz’ Tod gab es in Polen landesweit spontane Demonstrationen gegen Hass und Gewalt. Der Trauergottesdienst, geleitet vom Posener Erzbischof Stanisław Gądecki fand in der Marienkirche in Danzig statt. Insgesamt nahmen etwa 45.000 Menschen an der Verabschiedung teil, unter ihnen der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, der polnische Präsident Andrzej Duda, die ehemaligen Präsidenten und Ministerpräsidenten Lech Wałęsa, Aleksander Kwaśniewski und Bronisław Komorowski, Jerzy Owsiak, Jerzy Buzek, Marek Belka und Ewa Kopacz. Nach seinem Tod beklagten Kommentatoren, dass der von der Regierungspartei PiS kontrollierte staatliche Fernsehkanal TVP gezielt Kampagnen gegen Adamowicz geführt und somit das Feld für das Attentat bereitet habe.

So wird einem bei dem Rundgang durch die Marienkirche die tiefe Spaltung der Gesellschaft Polens gerade durch diese beiden Grabmale noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt. Damit beende ich aber meinen Rundgang. Für den Nachmittag habe ich mir ja auch noch einiges vorgenommen.

 

Ausflug zur Westerplatte

Nach dem Besuch der Marienkirche hole ich mir mein Fahrrad aus dem Hotel und mache mich auf den Weg zu einer Fahrradtour an die Küste der Danziger Bucht, die in einem kleinen Reiseführer der Stadtverwaltung Danzig empfohlen wurde. So fahre ich zunächst an den Strand in Brzezno, der als einer der beliebtesten Badestrände in Danzig gilt. Hier befindet sich ein 130 Meter langer Seesteg zu dessen beiden Seiten sich ein bewachter Sandstrand befindet, der sich bei den Danzigern großer Beliebtheit erfreut. Obwohl das Wetter wunderschön ist, ist es natürlich Anfang Oktober bei etwa 16° bis 17° doch schon zu kalt, um zu baden. Allerdings tummeln sich heute viele Spaziergänger hier am Strand und auch vor den Buden an dem Seesteg stehen viele an dem Eis- oder Waffelstand Schlange. Es herrscht ein buntes fröhliches Treiben und von der Seebrücke hat man eine Blick auf das Seebad Sopot und den polnischen Ostseehafen Gdyna.

Von hier wäre es bis zur Westerplatte Luftlinie nur etwa zwei Kilometer. Dazwischen liegt aber die Mündung der Martwa Wisla, der Toten Weichsel. Leider ist von dem vorgesehenen Wassertaxi, das einen über den Fluss bringen soll, nichts zu sehen. Deshalb verlängert sich mein Ausflug um etwa 20 Kilometer, weil ich erst wieder nach Danzig hineinfahren muss, bevor es eine Brücke gibt, auf der man über die Weichsel fahren kann. Bevor es wieder nach Danzig geht, komme ich noch am Leuchtturm in Nowy Port vorbei, von wo ich einen schönen Blick auf mein heutiges Ziel, dass Denkmal auf der Westerplatte habe, was von hier aus Luftlinie bestenfalls 300 Meter entfernt steht, ich aber nun etwa 20 Kilometer fahren muss, um es zu erreichen.

Etwas weiter entlang der Weichsel habe ich dann auch noch einen schönen Blick auf die Festung an der Weichselmündung auf der gegenüberliegenden Seite der Weichsel. 1482 wurde dort ein Leuchtturm aus Backstein errichtet. Später entstand rund um den Turm ein quadratisches Fort mit vier Bastionen. Die Festung wurde mehrmals umkämpft. 1577 wurde sie vom polnischen König Stefan Báthory erfolglos belagert. 1622–1629 diente die Festung als Stützpunkt der polnischen Flotte. In der Nacht vom 5. auf 6. Juli 1628 wurden die polnischen Schiffe durch schwedische Streitkräfte mit Kanonenfeuer angegriffen, wobei das Schiff Gelber Löwe und die Galeone Sankt Georg versenkt wurden. Im Polnisch-Schwedischen Krieg während der Seeschlacht von Oliwa am 28. November 1627 wurde die schwedische Flotte von der Festung beschossen. 1734 wurde die Festung von der russisch-sächsischen Armee und 1793 von der preußischen Armee angegriffen. 1807 wurde sie von Napoleon, 1814 wieder von den Preußen belagert. Die Festung hat also eine höchst wechselvolle Geschichte erlebt.

Auf meiner weiteren Fahrt zurück nach Danzig komme ich nun durch Stadtteile die nicht mehr so adrett und schick aussehen wie die Rechtstadt oder die Altstadt. So fahre ich an einem alten stalinistischen Kulturpalast und einem bandwurmartigen Plattenbau entlang, die mir eine noch andere Seite Danzigs zeigen. Nach etwa acht, neun Kilometern komme ich dann an die Brücke, auf der ich nun über die Weichsel fahren kann. Dahinter erhebt sich dann zunächst das goldglänzende Fußballstadion von Danzig, die sogenannte Baltic Arena, das für die Fußball-Europameisterschaft 2012 errichtet wurde. Von hier aus führt der Weg dann durch ein ziemlich heruntergekommenes Gebiet, dass sich aber offensichtlich im Wandel befindet. Es soll wohl nach und nach zu einem modernen Hafengebiet ausgebaut werden. Zur Zeit sieht es aber noch recht heruntergekommen aus. Die Straßen sind sehr holprig mit vielen Schlaglöchern und unangenehmen, wenn auch altehrwürdigem Kopfsteinpflaster. Zum Teil ist der Belag aber völlig verschwunden und man fährt durch Pfützen und Schlamm. Da ich mir die Festung Weichselmündung noch gerne etwas genauer angeschaut hätte, fahre ich auf noch elenderen Straßen und Wegen dorthin, stehe aber vor verschlossenen Toren. Von hier aus ist es allerdings nicht mehr weit, bis ich an der Westerplatte angekommen bin.

Die Geschichte der Westerplatte stellt sich wie ein Krimi dar. Sie beginnt eigentlich schon in den 1920er Jahren mit gegenseitigen Provokationen sowohl von deutscher als auch von polnischer Seite. Während des Polnisch-Sowjetischen Krieges (1919–1921) weigerten sich die Hafenarbeiter der Freien Stadt Danzig im August 1920, während der sowjetischen Offensive auf Warschau, für die polnische Armee bestimmtes Kriegsmaterial zu löschen. Englische Truppen entluden die Munition, die auf französischen Schiffen eingetroffen war. Die Polen machten die Danziger Verwaltung für diesen Vorfall verantwortlich und forderten von der Freien Stadt Danzig ein Gelände zur Anlegung eines Munitionsdepots.

Dieser Forderung gab der Völkerbund mit Beschluss vom 14. März 1924 statt. Polen wurde das Ostseebad Westerplatte „als Platz zum Löschen, Lagern und Transport von Sprengstoffen und Kriegsgerät“ zugestanden, obwohl der Danziger Senat von Anfang an dagegen protestiert hatte. Unter hohen Kosten, an denen sich Danzig wider Willen beteiligen musste, wurde unmittelbar neben dem Hafeneingang an der Stelle eines vielbesuchten Badeortes ein Hafenbecken ausgehoben. Dazu wurden entsprechende Lagerschuppen errichtet und ein Anschluss an das Danziger Eisenbahnnetz geschaffen. Die Westerplatte wurde zwar nicht polnisches Staatsgebiet, der Hauptteil der Halbinsel war jedoch dem polnischen Militär vorbehalten und für Unbefugte nicht zugänglich. Die zulässige Stärke der Wachmannschaft war vom Völkerbund auf zwei Offiziere, 20 Unteroffiziere und 66 Mannschaften festgesetzt worden. Die Stadt Danzig durfte seit einer Abmachung von 1928 zwei Polizeiposten an den Zugängen zur Westerplatte unterhalten.

In der Folge kam es zu zwei Vorfällen, welche die „Affäre Westerplatte“ ausmachten. Der Vertrag von Versailles räumte der polnischen Seite die Benutzung des Danziger Hafens als „port d’attache/Heimathafen“ für ihre Kriegsschiffe ein. Als am 14. Juni 1932 ein Flottenbesuch britischer Zerstörer stattfand, verweigerte jedoch der Danziger Senat der polnischen Marine das Recht, auch eines ihrer Kriegsschiffe dort anlegen zu lassen. Als Antwort darauf lief der polnische Zerstörer ORP „Wicher“, ohne den Senat wie gewöhnlich zu benachrichtigen, im Danziger Hafen ein. Im Anschluss kam es zu gegenseitigen Höflichkeitsbesuchen zwischen dem polnischen und britischen Offizierskorps. Überdies wurde die Wachmannschaft der Westerplatte in Alarmbereitschaft versetzt. Diese Machtdemonstration hemmte den Senat zunächst, die Rechte der polnischen Seite weiter zu beschneiden.

Zum zweiten Teil der „Affäre Westerplatte“ kam es am 6. März 1933, nachdem der Danziger Senat entgegen den Vertragsbestimmungen die dem Hafenausschuss unterstehende Hafenpolizei entlassen und die ihm unmittelbar unterstehende Danziger Polizei zur Sicherung des das Munitionslager umgebenden Hafengeländes eingesetzt hatte. Als Reaktion darauf landete der polnische Truppentransporter ORP Wilia ein Bataillon polnischer Marineinfanterie an und verstärkte somit entgegen den Vertragsbestimmungen die dortige Garnison. Auf eine entsprechende Beschwerde Danzigs verfügte der Völkerbund, dass Polen dieses Vorhaben aufzugeben und die erbaute Feldbefestigung zu schleifen habe. Die polnische Seite fügte sich zunächst der Anordnung. Sie schuf aber in den kommenden Jahren durch Abreißen alter Bauten und den Bau neuer Unterkunfts- und Wachhäuser mit in den Kellergeschossen vorbereiteten MG-Stellungen ein befestigtes Verteidigungssystem. Nach der deutschen Besetzung der „Rest-Tschechei“ wurden im März 1939 die Befestigungen verstärkt. An Bewaffnung waren ein 7,62-cm-Feldgeschütz, zwei 3,7-cm-Pak, 18 schwere und 23 leichte Maschinengewehre sowie Gewehre, Pistolen und Handgranaten vorhanden. Der Kampfauftrag für die Besatzung lautete, im Falle eines deutschen Angriffs die Stellung zwölf Stunden lang zu halten.

Man rechnete in Polen damals also schon mit einem Angriff Deutschlands und hatte sich darauf vorbereitet. Die ersten Pläne für den Überfall auf Polen sahen den 26. August 1939 als Stichtag vor. Am 25. August 1939 lief das als Schulschiff dienende Linienschiff Schleswig-Holstein zu einem angeblichen Besuch in den Danziger Hafenkanal ein. Die Absicht war, bei der Kriegseröffnung mit ihren schweren Schiffsgeschützen der Kaliber 28 cm und 10,5 cm die polnische Garnison sturmreif zu schießen. Die Eroberung der Westerplatte selbst sollte durch eine heimlich an Bord befindliche Marinestoßtruppkompanie (MSK) mit vier Offizieren, einem Arzt und 225 Mann erfolgen.

Am 31. August kam der verschlüsselte Funkspruch mit der Aufforderung, am nächsten Tag um 4:45 Uhr Polen anzugreifen. In der Nacht zum 1. September wurde die „Schleswig-Holstein“ im Hafenkanal verlegt, um ein besseres Schussfeld auf die Westerplatte zu haben. Unterstützt durch die SS-Heimwehr Danzig griffen die MSK-Soldaten von der Landseite an. Der erste Angriff blieb unter schweren deutschen Verlusten im Abwehrfeuer liegen. Nachdem auch am zweiten Kriegstag die Verteidiger die Angriffe hatten abwehren können, wurden Bombenangriffe angefordert, die am 2. September durch Stuka-Verbände erfolgten. Wegen der mangelnden Abstimmung zwischen den deutschen Verbänden blieb jedoch ein anschließender Infanterieangriff aus. Beschuss und Bombardement der Westerplatte zogen sich bis zum 7. September hin, an dem noch eine erfolglose bewaffnete Aufklärung stattfand. Erst nachdem die Verteidiger diesen Vorstoß zum Stehen gebracht hatten, kapitulierten sie. Die polnischen Verluste waren in Anbetracht des schweren Feuers durch 28-cm- und 10,5-cm-Schiffsgeschütze und des Angriffs durch Flugzeuge relativ gering: Eine polnische Quelle beziffert sie auf 15 Gefallene, 13 Schwer- und 25 bis 40 Leichtverwundete. Die Anzahl der während des eine Woche dauernden Angriffs auf die Westerplatte gebundenen deutschen Soldaten wird auf 3400 geschätzt.

Der Überfall der Deutschen auf die Westerplatte war neben seiner Völkerrechtswidrigkeit auch von keinem militärischen Erfolg gekrönt. Dennoch hatten die polnischen Verteidiger letztlich keine Chance, zumal die Hilfe durch die polnische Armee ausblieb, weil die deutschen an verschiedenen Stellen Polen überfielen und die polnischen Truppen, die zur Entlastung erwartet wurden, dadurch anderweitig gebunden waren.

Ich bin inzwischen schon recht spät dran und schaffe es nicht mehr, die zur Gedenkstätte entwickelte Westerplatte so zu erkunden wie ich es eigentlich vorhatte. Dennoch mache ich eine kleine Rundfahrt mit meinem Fahrrad. Die Verteidigung der Westerplatte wurde in Polen nach dem Krieg zum Symbol des Widerstandes gegen Deutschland. Das Denkmal entstand 1966. Die Westerplatte hat in Polen ihren deutschen Namen behalten. Ein weiteres blumengeschmücktes Denkmal erinnert an 15 polnische Verteidiger, von denen die meisten am 2. September gefallen sind. Die zerstörte dreistöckige „Kaserne“ ist betretbar und wurde durch Betonbögen vor weiterem Verfall gesichert. Drei Gruppen großer Schautafeln erinnern an die Ereignisse von 1939 und die Kapitulation der Westerplatte am 7. September.

Nach dem ich mir alles in Eile angeschaut habe, fahre ich zurück nach Danzig in mein Hotel. Den Abend verbringe ich dann noch einmal in der Pizzeria, die ich gestern entdeckt habe und beschließe damit den letzten Abend meiner Tour. Morgen geht es wieder nach Hause.

 

Schreibe eine Antwort

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.