32. Tag: 19. Mai 2023 – Von Chelm nach Nielisz

Es hat aufgehört zu regnen, aber der Himmel bleibt bedeckt und die Luft trübe. Es ist wohl einiges an Regen heruntergekommen. Zunächst begebe ich mich um 7 Uhr zum Frühstück. An der Rezeption sitzt wieder die amerikanisch sprechende extrovertierte ehemalige Englischlehrerin und fragt mich etwas. Zweimal muss ich ihr deutlich machen, dass ich nichts verstanden habe. Dann entlässt sie mich mit einem „never mind“. Im Restaurant ist wieder ein etwas reduziertes aber doch gutes polnisches Buffet aufgebaut.

Nach dem Frühstück arbeite ich auf meinem Zimmer weiter an meinen Reiseberichten. Ich muss ohnehin noch auf meine Wäsche warten, was bis 10 Uhr dauern kann. Dann will ich aber los, weil heute noch etwa 80 Kilometer vor mir liegen. Zwischendurch packe ich schon mal meine Sachen soweit wie möglich ein. Bereits kurz nach 9 Uhr klopft es an meiner Tür und ich bekomme von dem jungen Mann, der die Englischlehrerin an der Rezeption abgelöst hat, ein Paket Wäsche überreicht. Ich freue mich natürlich, dass das geklappt hat auch wenn der Preis für die Wäsche fast so hoch ist wie mancher Zimmerpreis der letzten Wochen.

Um 10 Uhr geht es dann los. In der Tankstelle nebenan erwerbe ich noch ein belegtes Baguette für die Mittagspause und zwei Päckchen Tempotaschentücher, nachdem meine mitgebrachten zur Neige gehen. Dann geht es aber los. Überall noch große Pfützen und die Flüsse und Bäche sind zwar nicht über die Ufer getreten, führen aber deutlich mehr Wasser und das Wasser ist auch deutlich trüber als normal. Ich fahre auf dem Fahrradweg zunächst ein Stück um die Altstadt herum und dann auf einem weiteren sraßenbegleitendem Radweg und später auf Nebenstraßen aus Chelm hinaus.

Die ersten 30 Kilometer verlaufen wunderbar, die Landschaft bleibt flach und so komme ich gut vorwärts. Dann wird es aber etwas hügeliger und das Navi kündigt nun an, das die nächst Abzweigung auf einen Weg führt, was immer bedeutet das der Untergrund lose und nicht mehr asphaltiert ist. So ist es dann auch. der Weg führt durch ein Waldgebiet. Auch hier größere Pfützen aber es lässt sich noch ordentlich fahren. Allerdings verschlechtert sich die Wegequalität zunehmend, vor allem ist es ein sandiger Lehm, der sich zunehmend im Profil meiner Räder festsetzt, so dass diese kaum noch greifen. irgendwann geht es nicht mehr weiter und ich muss absteigen und ein Stück schieben, was nun wieder dazu führt, das der Morast meine Schuhe verklebt und versaut und auch meine frischgewaschene Hose in Mitleidenschaft zieht. Ich werde noch von drei jungen Polen auf ihren Mountainbikes überholt. Selbst sie eiern in dem Schlamm weitgehend herum und haben natürlich auch keine 20 Kg Gepäck dabei.

Irgendwann ist auch dies vorbei und es geht wieder auf asphaltierten Nebenstraßen weiter. Die flache Landschaft ist allerdings nun durch eine ausgeprägte Hügellandschaft abgelöst worden. Mein Zwischenziel heute ist die Stadt Krasnystaw, die ich nach knapp 50 Kilometern erreiche. Die Stadt hat knapp 20 Tsd. Einwohner und ist die einzige nennenswerte Stadt, die ich heute durchquere. Auf dem wieder typischen großen und grün bepflanzten Hauptplatz vor dem Rathaus mache ich auf einer Bank meine Mittagspause. Hinter mir brüllt zwar irgendeine christlich Gruppe ihre Heilslehre ins Volk, aber da ich ohnehin nichts verstehe, brauche ich mich darüber auch nicht aufzuregen.

Über Krasnystaw findet man bei Wikipedia nicht allzu viel. Außer dass es von 1490 bis 1826 Sitz der Bischöfe von Chełm war. Während der Schwedenkriege Mitte des 17. Jahrhunderts wurde das Schloss zerstört und die Stadtmauern wurden geschleift. Mit der Dritten Teilung Polens fiel die Stadt 1795 an Österreich, 1809 bis 1815 gehörte sie zum von Napoleon gegründeten Herzogtum Warschau, danach bis 1918 zum russischen Kongresspolen.

Während der deutschen Besetzung gab es auch hier die schon bekannten Verbrechen vor allem an den jüdischen Einwohnern.  Von 1940 bis 1942 befand sich ein Ghetto für 4000 Juden in den Stadtgrenzen, die Insassen wurden später in das Ghetto Izbica verschleppt. Es war ein Durchgangsghetto in der Nähe von Lublin. Von hier wurden die Juden dann in die Vernichtungslager von Belzec und Sobibor verschleppt. Der für die Deportationen verantwortliche Kreishauptmann Adolf Schmidt lebte bis 1985 unbehelligt in der Bundesrepublik Deutschland und arbeite als Rechtsanwalt in Düsseldorf.

Allerdings existierten hier auch verschiedene polnische Widerstandsgruppen. Eine Gruppe von Bataliony Chłopskie unter dem Kommando von Stanisław Sokołowski befreite in der Nacht vom 19. auf den 20. September 1943 etwa 300 Häftlinge aus dem örtlichen Gefängnis. Dort wurden während der Besatzung 395 Gefangene hingerichtet. Im Frühjahr 1944 zerstörten die Widerstandsgruppen 26 deutsche Eisenbahnzüge. Diesen Widerstandsgruppen ist wohl auch das Denkmal auf dem großen Platz in Krasnystaw gewidmet.

Da ich nicht vorhabe mir die Stadt näher anzugucken, erwähne ich nur die zwei Gebäude, die mir besonders ins Auge fallen. Das ist zum einen das am Platz gelegene Rathaus aus den 1920er Jahren und die Kirche des Hl. Franz Xaver – eine historische Kirche, die an der Wende des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts in Krasnystaw errichtet wurde.

Das Rathaus ist ein mittelgroßes Gebäude. Es hat ein Stockwerk, ein ziemlich hohes Dach und einen kleinen Glockenturm mit Balkon. Es soll ein typisches Beispiel für den Bau von Rathäusern in Polen sein. Na ja, ich habe schon ganz andere gesehen.  Die Kirche des Hl. Franz Xaver wurde in den Jahren 1950 und 1991 renoviert. Das Gewölbe ist mit Malereidekorationen des Mönchs Adam Swach aus dem Jahr 1721 und mit Szenen aus dem Leben des Heiligen Franz Xaver bedeckt. Besichtigen kann ich die Kirche leider nicht, weil gerade ein Trauergottesdienst anfängt.

Also geht es weiter. Zunächst fahre ich ein Stück entlang der Wieprz, ein Fluss, der dann bei Deblin in die Weichsel mündet. Danach geht es wieder etwas bergauf in die Hügel der Umgebung von Krasnystaw und dann muss ich wieder für etwa zwei Kilometer auf einem Weg fahren, der sich als Schlammweg entpuppt. Mein Fahrrad und ich werden nun noch schmutziger und eigentlich bräuchten wir beide hernach eine Waschanlage, um wieder präsentabel zu sein. Es ärgert mich umso mehr, dass ich hinterher recherchiere, dass ich beide Stellen unschwer auf asphaltierten Straßen und sogar kürzer hätte umfahren können. Aber ich will ja den Green Velo fahren und da gehören nun solche Erfahrungen offenbar dazu. Natürlich war der Zustand der Wege auch eine Folge der Regenfälle der letzten und insbesondere des gestrigen Tages. Man sieht hier deutlich, dass der Regen Erosionen ausgelöst hat und vor allem, dass es angesichts des tonigen Bodens sicher einige Zeit braucht, bis das so trocknet, dass solche Wege wieder befahrbar werden. Ich bin also wieder um eine Erfahrung reicher geworden.

Der Rest meiner heutigen Etappe verläuft dann zügig. Meine Unterkunft ist ein kleines preisgünstiges Hotel am Nielisz-See. Der See, der wohl ein beliebtes Ausflugsziel für polnische Touristen zu sein scheint, ist ein Stausee, der durch die Wieprz gespeist wird. Der Grund warum ich hier Station mache hat nichts mit dem Ort zu tun. Mein Ziel ist im Moment Zamosc. Die Strecke wäre aber auf dem Green Velo über 100 Kilometer gewesen, so dass ich es nicht in einem Tag geschafft hätte bzw. schaffen wollte.

Im Hotel Marina angekommen, widme ich mich erst einmal der Reinigung meines Gepäcks, meines Fahrrads und meiner Schuhe. Beim Fahrrad muss ich wohl morgen noch nacharbeiten und insbesondere die Kette vom Dreck befreien und erneut ölen. Für heute reicht es aber erst mal.

Abends gönne ich mir im Restaurant des Hotels eine sehr gut schmeckende Pizza und lasse dann den Abend mit dem ein oder anderen Bier ausklingen. Dabei betrachte ich mir die Strecke nach Zamosc noch einmal genauer und plane sie so um, dass ich zumindest morgen keine unasphaltierten Wege mehr fahren muss. Es reicht für heute. Morgen kann ich die Fahrt ruhig angehen. Nach Zamosc sind es nur noch 30 Kilometer.

Tagesstrecke: 82,14 Km; 13,61 Km/h; 502 Hm

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