Ich schlief trotz der durchgehenden Helligkeit recht gut. Die zwei Tage waren ja aufregend genug. Um 8 Uhr gab es Frühstück, was sehr ordentlich war, auch wenn es durch eine interne Panne etwas zu spät serviert wurde. Danach machte ich mich auf den Weg nach Kirkenes zum Fahrradladen. Der ganze Weg führte über gut ausgebaute Fahrradwege. Man wusste schon, dass ich derjenige mit dem Bremsproblem war. Der Werkstattmitarbeiter, ein großer kräftiger Norweger nahm, mein Rad und mich mit in die Werkstatt im Keller und meinte zunächst, dass sich ja da gar nichts mehr tue. Als er das Fahrrad dann in einen etwa sehr altmodischen Fahrradmontageständer befestigt hatte, öffnet er eine Abdeckkappe am Bremskolben, betätigt dann etwa 100-mal die Bremse und siehe da, sie griff wieder. Nach fünf Minuten war das Problem erledigt und er wollte noch nicht einmal eine Vergütung dafür. Hocherfreut über mein wieder voll funktionsfähiges Fahrrad verlasse ich den Laden und beschließe noch eine kleine Rundfahrt durch Kirkenes. Zunächst zieht es mich zum Hafen, wo ich vor etwa 9 Jahren damals mit der Hurtigruten schon einmal nach Kirkenes gekommen war. Kirkenes ist der nördliche Wendepunkt der Hurtigruten. Zu meiner Überraschung liegt heute hier die Kong Harald am Peer, das Schiff, auf das wir damals in Tromsö umsteigen mussten, weil unsere Midnadsol wegen eines Motorschadens ausfiel. Danach mache ich noch eine kurze Rundfahrt durch die Stadt.

Viel zu sehen gibt es hier nicht. Historisch ist Kirkenes wohl erst im 19 Jhd. entstanden als man hier Eisenerz fand. Im 2. Weltkrieg war die Stadt wegen ihrer strategischen Lage stark umkämpft. Auch Kirkenes war von den Deutschen besetzt und wurde von den Russen bombardiert, um die Deutschen daran zu hindern, die Versorgungswege der Alliierten für die Russen nach Murmansk, dem einzigen nicht von den Deutschen kontrollierten oder blockierten Hafen im europäischen Teil der Sowjetunion, zu stören bzw. zu unterbrechen. Die Bombardierung durch 328 Luftangriffe machte Kirkenes zur meistbombardierten Stadt Norwegens im 2. Weltkrieg. Den Rest erledigten dann die Deutschen bei ihrem Abzug als sie bis auf 20 Häuser alle Gebäude niederbrannten. Insofern ist das Kirkenes von heute erst nach 1945 entstanden. Es ist keine schöne Stadt und hat daher auch nicht viel an Sehenswürdigkeiten zu bieten. Die Russen ließen ein Ehrenmal für die Rote Armee errichten, die Kirkenes nachdem sie die Deutschen zurückgeschlagen hatten, im Oktober 1944 „befreiten“. Dann ist da noch die „Andersgrotta“, einer der Luftschutzbunker, in dem die Einwohner von Kirkenes den Krieg überlebten und das Denkmal der Kriegsmütter.

Wirtschaftlich ist heute der Haupterwerb der Einwohner der Fischfang und der Dienstleistungssektor. Der Eisenerztagebau wurde 1996 stillgelegt und auch seine Revitalisierung ab 2010 war nicht von Erfolg gekrönt, sondern der Erzabbau wurde bereits 2015 erneut eingestellt. Natürlich ist die Stadt mit ihren etwas über 3000 Einwohnern von Touristen überflutet. Täglich schwemmt hier ein Hurtigrutenschiff mehrere hundert Touristen an Land. Auch von anderen Kreuzfahrtschiffen wird die Stadt inzwischen angefahren. Man hat sich darauf eingestellt, auch wenn die Kreuzfahrttouristen nicht viel Kapital in so Stadt bringen.

Mittags fahre ich dann zurück und mache noch einen Abstecher an die unweit von meinem Quartier entfernte Grenzübergangsstelle nach Russland. Inzwischen ist auch das Wetter erheblich freundlicher geworden. Der Himmel reißt auf und es scheint die Sonne. Die norwegisch-russische Grenze ist übrigens innerhalb Europas lange Zeit die einzige direkte Grenze zwischen einem Nato-Staat und Russland gewesen. Heute ist das etwas anders, was die Russen bekanntlich und vielleicht auch verständlich nicht gerade erfreut.

An der Grenze treffe ich noch ein sympathisches Schweizer Ehepaar in meinem Alter, das auch mit Fahrrädern unterwegs ist und gerade eine Tour von Bergen zum Nordkap gemacht hat. Ich bin sehr beeindruckt. Sie haben in vier Wochen 2500 Kilometer zurückgelegt und man kann nun wirklich nicht sagen, dass Norwegen ein fahrradfreundliches Geländeprofil hat. Wir tauschen Erfahrungen aus und unterhalten uns sehr angeregt. So geht mein zweiter Tag zu Ende, ohne dass ich mit meiner Tour überhaupt richtig begonnen habe. Das wird sich aber nun morgen ändern.

Tagesdaten: 37,54 km; 03:10:32 Std. Fz.; 11,50 km/h; 381 Hm

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