Mit dem Tiefschlaf ist es nach 3 Stunden vorbei. Um 5 Uhr wache ich auf und leider kann ich danach auch nicht mehr weiterschlafen. Irgendwie habe ich Beklemmungen vor dem heutigen Tag. Ich wälze mich daher noch eine Stunde im Bett herum und lese im Internet, insbesondere die neuesten Absurditäten aus der deutschen und der amerikanischen Politik. Dass man tatsächlich in vielen Ländern und auch zunehmend in Deutschland glaubt, das Thema der Migration einfach durch Grenzschließung zu lösen, weist schon auf einen Höhepunkt politischer und historischer Ignoranz hin und das, was Trump zur Zeit an der mexikanischen Grenze treibt, ist an Brutalität und Inhumanität durch einen westlichen Politiker kaum noch zu überbieten. Hier wird uns dann erst in 20 Jahren vielleicht aufgehen, dass hier eine neue Brutstätte für Terrorismus gelegt wurde. Angesichts der globalisierten Welt wird sich auf die Dauer eine globalisierte Freizügigkeit nun einmal nicht verhindern lassen. Wer das will, schürt neuen Hass und neue Gewalt. Das ist der inzwischen weltweit agierende Stammtischpolitik aber offenbar nicht beizubringen und so werden wir sicherlich wieder einige apokalyptische Erfahrungen machen müssen, die leider meistens auch nicht zur Vernunft führen. Ich fürchte sie werden die Geister dann nicht mehr loswerden, die sie riefen. Zauberlehrlinge halt. Aber ich schweife von meiner Reise ab.
Das Frühstück im Quality Airport Hotel ist zwar ordentlich, aber leider ist das Buffett viel zu klein für den Gästeansturm, der hier nach 7 Uhr anzutreffen ist. Vor allem an den beiden Kaffeeautomaten haben sich große Schlangen gebildet. Da mir der Sinn nicht nach Massenauflauf mit Knuffen, Stupsen und Drängen unterschiedlicher Mentalitäten steht, begnüge ich mich mit zwei dickeren Scheiben Baguette, Wurst und Käse sowie einem Orangensaft. Das bunte Treiben geht mir gehörig auf die Nerven.
Um 7.30 Uhr checke ich dann aus und lasse mich vom Shuttle wieder zum Flughafen fahren. Ich treffe meinen gestrigen Sitznachbarn wieder und da er regional und vor allem sprachlich vertraut ist, hefte ich mich an seine Fersen. Er geht zum Servicepoint der SAS und organisiert seine Umbuchung. Meiner Bitte mich doch zu unterstützen, folgt er leider nicht, weil er noch etwas zu erledigen habe. Es sei aber alles kein Problem. Tatsächlich ist es dann auch kein Problem. Die freundliche Dame am Servicepoint spricht auch ein Englisch, dass ich verstehe und telefoniert auf meine Bitte auch mit der Gepäckabteilung des Flughafens wegen meines Fahrradpakets. Sie meint das ginge nun auf jeden Fall in Ordnung. Danach geht es noch durch die Sicherheitskontrollen, bei der man meinen Rucksack intensiv inspiziert bis man dann meine Powerbank findet und es zufrieden ist. Offensichtlich hatte sie auf dem Bildschirm für Irritationen gesorgt. Natürlich bin ich nun wieder viel zu früh am Abfluggate und zu meiner Verwunderung sind es doch erheblich weniger Passagiere als auf dem gestrigen Flug. Auch mein Sitznachbar taucht nun nicht mehr auf. Erfreulicherweise kann ich mich aber noch vor dem Einstieg in das Flugzeug davon überzeugen, dass mein Fahrrad und auch meine Tasche verladen werden, wenn es auch immer weh tut zu sehen, wie man mit dem Gepäck dabei umgeht.
Der Flug ist dann wieder unproblematisch und sehr ruhig. Auch heute ist es aber im Norden wieder sehr neblig, wolkig und verregnet. Dennoch trifft das Flugzeug wohl gerade ein Loch in den Wolken und landet pünktlich und sehr sanft gegen 12.30 Uhr auf dem Flughafen Hobuktmoen bei Kirkenes. Es ist ein richtig kleiner Regionalflughafen. Man gelangt noch über eine Treppe auf das Flugfeld herunter und muss dann in das Abfertigungsgebäude gehen. Kirkenes empfängt uns mit leichtem Regen. Das Gepäck kommt dann recht schnell an. Ich suche mir erst einmal ein ruhiges Plätzchen, an dem ich mein Fahrrad auspacken und wieder zusammenbauen kann. Dabei werde ich allerdings von vielen Vorbeikommenden beobachtet und ganz interessiert befragt. So muss ich nun mehrmals beantworten, wo ich herkomme und was ich vorhabe und natürlich auch empört die Annahmen zurückweisen, dass mein Fahrrad einen Motor habe. Ein Japaner erzählt mir, dass er auch leidenschaftlicher Radfahrer sei und viel in Tokio fahre. Das stelle ich mir auch nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig vor.
Der Fahrradkarton sieht ziemlich ramponiert aus. Doch als ich das Fahrrad heraushebe, habe ich nicht den Eindruck, dass ihm viel Übles passiert ist. Lediglich einer der Speichenreflektoren ist zerbrochen, was verschmerzbar ist. Weniger erfreulich ist allerdings, dass die vordere Bremse nicht mehr greift und das Licht nicht mehr geht. Das Problem mit dem Licht bekomme ich aber schnell in den Griff, weil ich die Steckverbindung, die auseinander gegangen ist, finde. Bei der Bremse ist es offensichtlich ein Luftproblem, das ich schon beim Rücktransport meines Fahrrads von Tulcea hatte. Damals war es die hintere Bremse. Als ich dann aber die Bremse mehrmals betätigte, funktionierte sie wieder einigermaßen. Das funktioniert heute leider nicht. Endgültig gerichtet hatte es mir aber auch damals erst BDO.
Nach dem Aufbau des Rades geht es ans Gepäck. Ich bekomme erst einmal alles verpackt und nach einer Probefahrt befinde ich auch alles, bis auf die vordere Bremse, in Ordnung. Für meinen Fahrradkarton habe ich erfreulicherweise eine Reinigungskraft gefunden, die sich bereit erklärte, ihn zu entsorgen. So fahre ich bei leichtem Regen los. Ich bin froh, dass ich mir für die ersten Tage ein festes Quartier gesucht habe. Es liegt etwa 17 Kilometer vom Flughafen und 14 Kilometer von Kirkenes entfernt direkt an der russischen Grenze, da wo der einzige Grenzübergang zwischen Norwegen und Russland ist.
Hier, rund 400 Kilometer nördlich des Polarkreises, sieht die Natur natürlich völlig anders aus, als bei uns. Es dominiert karger Fels. Die Landschaft ist hügelig, sieht aber wegen der Felsen eher bergig aus. Zum Fahren ist es ein einziges Auf und Ab. Dort wo der Boden genug hergibt, wachsen Birkenwälder. Allerdings werden die Birken und die wenigen anderen Bäume hier nicht viel höher als 5 bis 6 Meter und meist ist es auch mehr ein Buschwald denn ein richtiger Baumwald. Die Felsen sind mit Moos überzogen, hier wachsen Farne, Gras und mir noch weitgehend unbekannte Wiesenblumen. Trotz ihrer Kargheit, genieße ich diese Landschaft, die Alter und Gelassenheit ausstrahlt.
Die Straße vom Flughafen führt dann bald auf die E 6, die ich nun in Richtung Osten fahre. Nach einigen Kilometern kommt das Dorf Hesseng. Es ist sehr modern und hat auch zwei große Supermärkte wie ich im Vorbeifahren registriere. Hier beschließe ich dann später den ersten Proviant einzukaufen. Einige Meter weiter kommt dann ein Kreisverkehr mit einem mikadoartigen Stangengebilde in der Mitte. Hier trifft die vom Westen kommende E 6 auf die nach Osten führende E 105, die beide hier oben beginnen. Ich fahre also die E 105 weiter und komme gleich an einem Schild vorbei, das die Entfernung nach Murmansk mit 213 Kilometern ausweist.
Nun geht es noch etwa 9 Kilometer auf ausgezeichneten Radwegen, die offensichtlich gerade neu gebaut worden sind, in Richtung russischer Grenze. Kurz davor treffe ich auf mein Quartier Sollia Gjestegaard, eine idyllische Hotelanlage mit für norwegische Verhältnisse sehr moderaten Zimmerpreisen. Ich werde sehr freundlich empfangen und da ich die Unterkunft auf dem Laufenden über meine verspätete Ankunft gehalten hatte, gibt es auch kein Problem die erste Nacht zu canceln und eine weitere zuzubuchen. Als ich der jungen Frau an der Rezeption das Problem mit meiner Fahrradbremse erzähle, weiß sie auch sofort Rat und vermittelt mir einen Termin in einer Fahrradwerkstatt in Kirkenes für morgen.
Mein Zimmer ist in einer von vier Baracken mit jeweils 12 Zimmern gelegen. Die Baracken verfügen noch über einen großen Aufenthaltsraum und eine wirklich gut ausgestattete Küche. Das Zimmer selbst ist zwar sehr klein aber auch sehr praktisch und funktional eingerichtet. Es hat einen Schreibtisch und viel Stauraum in mehreren Schränken. Dazu kommt ein Sessel und ein etwas schmales, aber bequemes Bett. Auch das Bad ist sehr klein und leider etwas weniger praktisch eingerichtet. So fehlen Haken, um die Handtücher aufzuhängen. Dennoch kann ich jedem, der hier in die Gegend kommt, die Unterkunft ohne weiteres weiterempfehlen. Es gibt auch noch komfortablere Unterkünfte auf dem Gelände. Frühstück ist im Preis inbegriffen.
Den Rest des Tages richte ich mich ein und fahre dann noch einmal nach Hesseng zum Einkaufen. Da ich das Preisniveau in Norwegen noch von früheren Reisen kenne, erschreckt es mich nicht allzu sehr. Ich versorge mich erst einmal mit Bananen, Äpfeln und vor allem mit Wasser und freue mich zum Schluss, dass ich eine 0,5 Liter Dose Bier für „nur“ 25 NOK also 2,65 € bekomme. Danach leiste ich mir noch eine kleine Pizza für etwa 7 €. Eine aus unserer Sicht normal große Pizza hätte schon 15 € gekostet. Abends schreibe ich dann den Bericht von gestern und muss mich nun erst einmal daran gewöhnen, dass es einfach nicht dunkel wird. Es ist kurz vor 24 Uhr als ich mich ins Bett begebe trotz des unvorteilhaften Wetters noch taghell.
Tagesdaten: 38,43 km; 03:12:33 Std. Fz.; 12,03 km/h; 430 Hm