29. Tag: (6. April 2024) – Von Touques nach Le Havre

Tagesstrecke: 41,2 Km; 11,6; Km/ha; 230 Hm

Nach dem einfachen aber ordentlichen Frühstück, heute gab es mal Müsli, packe ich meine Sachen und mache mich auf den Weg. In einer Boulangerie kaufe ich mir noch ein Baguette-Sandwich mit Jambon und Fromage und dann habe ich auch schon nach wenigen hundert Metern den Badeort Trouville erreicht, der allerdings den Eindruck einer Großbaustelle macht. Zumindest hier am Boulevard. Aber auch ansonsten machen Villen und öffentliche Gebäude einen dringend restaurierungsbedürftigen Eindruck. Eines der Gebäude, dass allerdings hervorsticht ist das schneeweiße Casino. Dennoch herrscht in der Stadt ein reges Leben, geprägt von Bauarbeitern, Anzugträgern aber auch Touristen.

Es lohnt sich einen Blick auf die Geschichte dieses Ortes zu werfen, ist er doch etwas anders entstanden als die üblichen Badeorte. Im Gegensatz zu Deauville, einem Ort in unmittelbarer Nachbarschaft am anderen Ufer der Touques und 1859 von Architekten auf dem Reißbrett entworfen, ist Trouville ein historisch gewachsener Fischerhafen. Während Deauville mit Regatten und Pferderennen früh Urlauber anlockte und mit einer Eisenbahnverbindung von Paris aufwartete, konnte Trouville erst die Aufmerksamkeit der Städter auf sich lenken, als im ausgehenden 19. Jahrhundert dort ein Spielcasino eröffnete. Sukzessive wurde der Ort beliebter, wovon zahlreiche nun in die Jahre gekommenen Prachtbauten der Jahrhundertwende zeugen. Für Touristen aus England wurde ein (heute nicht mehr vorhandener) Pier angelegt, der die Passagiere der Fähren aus Le Havre aufnehmen sollte. 1934 hat Max Horkheimer Trouville als exklusiven Ferienort für Oberschichten – „Großbourgoisie“, „Millionäre“ – charakterisiert. Ein bekanntes Grand Hotel am Pier war Roches Noires. Darin hat Marcel Proust im September 1893 zusammen mit seiner Mutter Urlaub gemacht; und Trouville wurde – zusammen mit Cabourg – zum Vorbild für den mondänen Badeort „Balbec“ im Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Später hat die Schriftstellerin Marguerite Duras im Roches Noires eine Wohnung besessen.

Mir gibt der Ort nicht viel, zumal ich nach der Ortsmitte dadurch abgelenkt werde, dass es wieder einmal ziemlich steil bergauf geht und ich auf 80 Meter hochfahren muss mit einer Steigung von bis zu 8 %, was dann doch die volle Konzentration in Anspruch nimmt. Auf der Abfahrt hat man dann vor Villerville eine schöne Blick über die Seinemündung auf den Hafen von Le Havre. Auch Villerville selbst ist ein hübscher Ort alter Ort, in dem 1962 der Film  „Ein Affe im Winter“ (Un singe en hiver) mit Jean Gabin und Jean-Paul Belmondo gedreht wurde, worauf im Ort mehrfach hingewiesen wird.

Weiter geht es durch Cirqueboeuf, wo vor allem die Kirche Saint-Martin aus dem 12. Jahrhundert ein Hingucker ist. Danach komme ich nach einigen weiteren Kilometern nach Honfleur. Die Stadt liegt am südlichen Ufer der Mündung der Seine in den Ärmelkanal. Sie ist der nordöstliche Endpunkt der Côte Fleurie. Ich bin zunächst einmal erschlagen durch die Massen, die sich hier bewegen. Es muss irgendein Volksfest sein, wofür mehre Karussells und ein Riesenrad spricht. Nachdem ich mich an die  Menschen- und Automassen gewöhnt habe, fällt mein Blick aber auf eine ausgesprochen pittoreske Stadt, was wohl seit dem 19. Jhdt. auch zahlreiche Maler so empfanden.

Die Stadt war jahrhundertelang ein relativ unbedeutender Hafen. Mit der Zeit hat sich das Städtchen mit seinen schmalen und sechs Stockwerke hohen Häusern und der Lieutenance (dem Rest einer Befestigungsanlage) am Vieux Bassin (Altes Hafenbecken) aus dem 17. Jahrhundert zu einem der reizvollsten Orte der Normandie und vielbesuchten touristischen Anziehungspunkt entwickelt.

Im 19. Jahrhundert wurde Honfleur zum Zentrum künstlerischer Aktivitäten. Eugène Boudin, der Maler der Küstenlandschaften, wurde hier geboren. Das Musée Eugène Boudin ist ihm gewidmet und dokumentiert die malerische Atmosphäre der Stadt und der Seine-Mündung. Honfleur ist aber auch der Geburtsort des französischen Komponisten Erik Satie. Maler wie Courbet, Sisley, Jongkind, Claude Monet, Pissarro, Renoir und Cézanne kamen nach Honfleur und trafen sich oft in der Ferme St-Siméon, einem Bauernhof, der als eine der Geburtsstätten des Impressionismus gilt und zu einem Hotel umfunktioniert wurde.

Ich hätte mir Honfleur gerne noch etwas genauer angeschaut. Aber zum einen schrecken mich die vielen Menschen ab und ich hätte mich auch nicht getraut mein Fahrrad mit dem gesamten Gepäck irgendwo abzustellen und noch weniger Lust hatte ich, es weiter über das strapaziöse, sicher schon sehr alte Kopfsteinpflaster zu schieben. So beließ ich es bei ein paar Fotos von den das Hafenbecken umgebenden recht hohen Häusern und dem Stadttor mit Resten der Befestigungsanlage.

Weiter geht es nun auf einem gut ausgebauten Radweg zu der zumindest für mich größten Herausforderung des heutigen Tages, der Pont de Normandie (Brücke der Normandie). Es ist eine Schrägseilbrücke, die mit 856 m die größte Spannweite in Europa besitzt. Sie überquert die Seinemündung und verbindet Le Havre auf dem rechten Ufer im Norden mit Honfleur auf dem linken Ufer im Süden. Die Brücke wurde in den Jahren 1988 bis 1994 gebaut und am 20. Januar 1995 eingeweiht. Insgesamt hat der 23,60 m breite Brückenzug eine Länge von 2141,25 m.

Die Brücke wird zur Zeit nur auf einer Hälfte befahren, was für Radfahrer insofern von Vorteil ist, dass sie nun nicht mehr auf einem nicht abgetrennten Fahrradstreifen fahren müssen, sondern den Fußgängerweg benutzen dürfen und müssen, der von der Autofahrbahn mit einem hohen Bordstein abgegrenzt ist. Fußgänger machen diesen Weg meines Erachtens ohnehin höchst selten. Auch viele Fahrradfahrer meiden wohl die Brücke zu befahren. Mir kommt bei meiner Überfahrt ein Paar entgegen, die ihr Fahrrad allerdings schieben. Von einem Rennradfahrer werde ich rücksichtsvoll überholt.

Wenn man so am Anfang der Fahrt über die Brücke steht und hinaufschaut erzeugt das doch schon ein sehr ambivalentes Gefühl. Einerseits die Beklemmung wegen der Herausforderung, andererseits der Anspruch sie zu meistern. Beides lässt den Adrenalinspiegel steigen. Dazu kommt noch der Wind, was die Sache nicht besser macht. Einerseits habe ich Rückenwind, was die Auffahrt erheblich erleichtert, andererseits kommt der Wind manchmal sehr heftig von schräg hinten und man muss aufpassen, dass man auf dem schmalen Weg nicht gegen den Bordstein gedrückt wird.

Dennoch komme ich durch und es geht alles gut und schon als ich den höchsten Punkt erreiche und mitten über der Seinemündung stehe, ergreift mich ein gewisser Stolz, dass ich das geschafft habe. Bei der Abfahrt muss man natürlich auch insbesondere wegen des Windes aufpassen, es geht allerdings zügig und ohne weitere Probleme von statten. Am Ende der Brücke führt geht es auf einen asphaltierten Weg, abseits der Straße, die zu einer Mautstelle führt, weiter, … dachte ich.

Nach kurzer Zeit werde ich von einem Fahrradfahrer, der auf der Straße fährt angerufen und verstehe erst nicht, was er meint. Er ruft mir auf französisch entgegen. Bis er mir dann per Handzeichen Treppenstufen zeigt und mir damit wohl signalisiert, dass wenn ich weiterfahre, Treppen auf mich zukommen, was natürlich mit meinem Fahrrad und Gepäck nicht erfreulich wäre. Deshalb hebe ich meine Hände zum Dank und fahre zurück und wechsle auf die Straße, wo ich jetzt auch wieder den Fahrradstreifen sehe. Ich bin offensichtlich einfach den Fußweg weiter gefahren. An der Mautstation sehe ich dann, was auf mich zugekommen wäre. Ich hätte etwa 60 Stufen überwinden müssen, um auf die anderes Seite der Straße zu kommen. So müssen die Fahrradfahrer an der Mautstation nichts zahlen und können einfach durchfahren und werden auf einem Radstreifen von der Straße auf eine andere Straße geleitet, die die Brückenstraße unterfährt und die Radfahrer so sicher auf die andere Seite leitet.

Der Rest der Tour nach Le Havre ist ziemlich langweilig. Es geht nun noch mehrere Kilometer auf guten Radwegen entlang einer Straße durch die Auenlandschaft der Seinemündung. Dann geht es etwa fünf Kilometer durch die Hafenanlagen von Le Havre und dann noch einmal fünf Kilometer durch die Stadt. Am Ort meiner Unterkunft erwartet mich Jean-Baptist, ein Mittedreißiger etwas korpulent und mit langen Haaren, der mir die Wohnung die ich preiswert gemietet habe, zeigen und mich einlassen will. Er und sein Vater betreiben offensichtlich so etwas wie ein Eventmanagement und haben sich die Wohnung als Anlageobjekt zugelegt.

Die Wohnung ist sehr schön. Sie hat einen Wohn-und Schlafraum, eine Küche und ein Bad und, was für mich immer wichtig ist – eine Waschmaschine. Dazu gehört eine etwa 30 Qm große Terrasse, die auf der Höhe des zweiten Stocks liegt, allerdings auch an einer befahrenen Straße. Allerdings merkt man der Wohnung auch an, dass offensichtlich keine praktisch denkende Frau mit der Verwaltung der Wohnung zu tun hat. Im Bad fehlt jegliche Möglichkeit, ein Handtuch aufzuhängen und fürs Wäschewaschen fehlt ein Wäscheständer, wo man die Wäsche zum Trocknen aufhängen kann. So muss ich eben improvisieren. Auch der Kleiderschrank ist eher dürftig, aber zumindest hängen hier fünf Bügel drin, die man zum Wäsche trocknen nutzen kann. Kaffeetassen gibt es auch nicht, sondern nur Becher, an denen man sich beim Kaffee trinken die Finger verbrennt. Aber immerhin, Rotwein- und Biergläser gibt es genug. Man soll ja auch die positiven Dinge hervorheben.

Ich werde hier in Le Havre drei Nächte und zwei Tage bleiben. Bin also wieder Selbstversorger und mache mich bald nach meiner Ankunft auf den Weg, einzukaufen. Mein Appartement liegt sehr zentral, nur wenige Schritte hinter dem eindrucksvollen Rathaus. Über die Straße weg gibt es einen Bäcker und einen riesigen Supermarkt, wo ich alles bekomme, was ich im Moment brauche. So habe ich mich erst einmal für die nächsten Tage eingerichtet.

Ein Kommentar

  • Steffi sagt:

    Hallo lieber Wolfgang, heute schicke ich wieder ein paar Grüße und danke für deine Reiseberichte. Die Normandie war mir nur recht oberflächlich bekannt und die Infos zu den „Kriegsschauplätzen“ hatten mich auch bisschen erschüttert. Die Beschreibung zur Brücke Pont de Normandie fand ich sehr interessant und hat das imposante Bauwerk würdig benannt. Nun wünsche ich dir schöne Tage in Le havre.
    Ich starte heute für 5 Urlaubstage nach Warnemünde.
    Viele Grüße Steffi

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