Ich habe etwas umdisponiert. Während es nach bikeline noch etwa 185 Kilometer auf dem Iron Curtain Trail bis zum russichen Grenzübergang Vaalimaa wären, kann man die Strecke auch direkter mit nur etwas über 100 Kilometern fahren. Angesichts der Hitze und der Tatsache, dass ich mit der kürzeren Variante noch einen weiteren Ruhetag bekomme, entscheide ich mich also für die kürzere Variante. So bin ich gestern nur knapp 40 statt 64 Kilometer auf einem gut ausgebauten Radweg entlang der Staatsstraße 6 nach Lappeenranta gefahren und habe hier in einem Motel in der Innenstadt eine zwar sehr einfache aber für hiesige Verhältnisse preisgünstige Unterkunft gefunden.

Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich mich freue, mal wieder in eine richtige Stadt zu kommen. Man kann schon sagen, dass es die erste richtige Stadt seit meiner Abreise aus Leipzig ist und zwar nach über 2.000 Kilometern mit dem Fahrrad, denn diese Marke habe ich auf meiner Fahrt nach Imatra tatsächlich überfahren. So ist Lappeenranta mit seinen 72 Tsd. Einwohnern immerhin die elftgrößte Stadt Finnlands. Lappeenranta liegt am Saimaa, dem größten Binnensee Finnlands, der auch ein Teil des Saimaa-Seengebietes ist. Lappeenranta wurde jahrhundertelang vorwiegend militärisch genutzt und hat auch heute noch als Hauptsehenswürdigkeit seine Festungsanlagen. Insofern war Lappeenranta auch immer wieder Objekt kriegerischer Auseinandersetzungen. Zunächst von den Schweden gegründet, wurde es nach 1743 russisch, auch wenn es 1811 in das autonome Großherzogtum Finnland überging. Im Anschluss an die Festungsanlagen bildete sich ein kleiner Ort. Wann dieser Ort tatsächlich expandierte, habe ich bisher noch nicht herausbekommen. Meiner Einschätzung nach kann das aber erst im 20. Jahrhundert gewesen sein, nachdem Finnland unabhängig wurde.

Heute mache ich daher erst mal eine Erkundungstour durch Lappeenranta. In meinem Zimmer konnte ich es ohnehin nicht lange aushalten, weil es sich sehr aufwärmte war und unangenehm heiß war. So habe ich mir heute erst einmal eine dunkle Decke organisiert, mit der ich das Fenster abdecken konnte, weil ansonsten fast den ganzen Tag die Sonne draufknallt. Inzwischen habe ich nun erfahren, dass dunkle Vorhänge wohl kontraindikativ sind und werde sie also morgen durch ein weißes Leintuch ersetzen. Es scheint für Finnland eine sehr außergewöhnliche Hitzeperiode zu sein. Heute erzählte mir ein älterer Finne, der sogar einige Jahre älter als ich schien, dass er eine solche Hitze in Finnland noch nie erlebt habe.

Lappeenranta macht einen sehr modernen Eindruck. Ältere Gebäude kann man wohl an zehn Fingern abzählen. Da ist zum einen die Marienkirche aus dem Jahre 1794.  Sie ist die einzige jüngere sogenannte Doppelkreuzkirche und hat, angesichts der Zahl der Gläubigen in der Region im 18. Jahrhundert auch wieder beträchtliche Dimensionen.

Zum anderen ist da das alte hölzerne Rathaus von Carl Ludwig Engel aus dem Jahre 1829. Carl Ludwig Engel war übrigens in Berlin geboren und trat, nachdem er durch die französische Besatzung stellungslos geworden war, in russische Dienste. So wurde er zunächst Stadt-Baumeister in Reval (Tallinn) und danach Chef des Neubaukommitees in Helsinki und schließlich 1824 Generalintendant für das Bauwesen für das Großfürstentum Finnland. Er war ein Studienfreund von Schinkel und was Schinkel für Berlin wurde, wurde Engel für Finnland.

Für mich ebenfalls sehr interessant war die Kirche von Lappeeranta. Als ich auf sie zuging hatte ich den Eindruck zu einer orthodoxen Kirche zu gelangen und wunderte mich über das evangelische Kreuz auf der Mittelkuppel. Die eigenwillige Geschichte des Hauses erklärte mir dann Martti, ein pensionierter Gymnasiallehrer aus Lappeenranta, der sich offensichtlich während der Öffnungszeiten der Kirche dort als Aufpasser und Kirchenführer zur Verfügung stellt. Er freute sich vor allem, dass er mal wieder deutsch sprechen konnte und betonte auch sehr deutlich, dass schwedisch seine Muttersprache sei, er also zur schwedischen Minderheit in Finnland gehöre. Sein >Deutsch war übrigens entgegen seiner Einschätzung ausgezeichnet.

Er erklärte mir dann, dass mein erster Eindruck auch richtig gewesen sei und die Kirche tatsächlich als orthodoxe Militärkirche Anfang des 20. Jahrhunderts entworfen und zu bauen begonnen worden sei. Als die Russen dann im Verlauf des 1. Weltkriegs Finnland aufgeben und verlassen mussten, war die Kirche gerade im Rohbau fertig und es gab offensichtlich keinen Bedarf mehr für eine orthodoxe Kirche. So schenkte die Gemeinde Lappeenranta den halbfertigen Bau der lutherischen Gemeinde Lappeenranta, die offensichtlich eine eigene Kirche beanspruchte, weil die Marienkirche in erster Linie eine Kirche der gesamten Region war. So sieht man mal wieder, dass auch die evangelischen Christen nicht frei von Eitelkeiten sind. Interessant ist übrigens, dass diese Kirche umgeben von Festungsmauern und Festungsgräben ist, was ihr noch zusätzlich einen eigenwilligen Charakter verleiht.

Im Inneren ist die Kirche übrigens viel kleiner als sie von außen wirkt. Das hat vor allem etwas damit zu tun, dass man in das Innere zwei Stockwerke baute. In das Untergeschoss baute man einen weltlichen Versammlungssaal und Wohnungen für Bedienstete. Im oberen Stockwerk wurde dann entsprechend kleiner der Kirchenraum eingerichtet. Martti verwies darauf, dass daher die großen Gottesdienste wie Weihnachten und Ostern heute alle in der Marienkirche stattfinden würden, weil die Kirchengemeinde von Lappeenranta eben inzwischen größer sei als die der Region.

Von dieser Kirche führt mich nun der Weg in die eigentlichen Festungsanlagen. Sie werden heute weitgehend kulturell bzw. für verschiedene Dienstleistungen genutzt. So finden sich hier Cafés, Gaststätten, ein Museum für moderne Kunst und einige Galerien und ich vermute auch Ateliers. Hervorhebenswert ist noch, dass hier auch die älteste noch vorhandene orthodoxe Kirche Finnlands steht, wobei sie einen eher unscheinbaren Eindruck macht.

Von der Festung gehe ich noch hinunter an den Hafen am Saimaasee, wo eine stattliche Zahl kleinerer und größerer Boote und Yachten liegt. Der Saimaasee ist der größte See Finnlands. Mit seinen fast 1.400 Qkm großen Fläche und weiteren Verbindungen mit anderen großen Seen gibt es  auf dem Saimaasee natürlich viele Möglichkeiten für längere und sicher auch eindrucksvolle Bootstouren. Ansonsten findet sich hier in der Nähe des Hafens ein größeres Freizeitgelände mit einem riesigen Sandareal in dem wohl eher professionelle Künstler typische Skulpturen, Bauwerke und Merkmale europäischer Länder geformt haben.

Inzwischen ist es allerdings wieder sehr heiß geworden, so dass ich mich erst einmal auf den Weg in meine Unterkunft mache. Hier ist es zwar trotz meines Sonnenschutzes nicht viel kühler geworden aber zum Lesen und zum schreiben kann ich mich in die Küche und den Frühstücksraum zurückziehen, der auf der anderen Seite des Hauses liegt und etwas angenehmer temperiert ist. Ich glaube übrigens viel mehr als heute ist in Lappeenranta auch nicht zu sehen und so überlege ich, ob ich morgen nicht noch einen Ausflug in die Natur machen sollte. Insbesondere würde mich der hier beginnende Saimaakanal interessieren, der die Finnische Seenplatte mit der Ostsee bei Wyborg verbindet.

Abends genieße ich wieder einmal ein warmes Essen. Hoffnungsvoll gehe ich zu einem nahe gelegenen Spanier. Aber was gibt es auch hier? Pizza, Hamburger und Kebab. Auch nicht schlecht. Da weiß man wenigstens, was kommt. Aber ich war eigentlich mit anderen Erwartungen in das Lokal gegangen.

Tagesdaten am 17. Juli: 38,72 Km; 02:53:32 Std. Fz.; 13,46 Km/h; 249 Hm

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