Je suis de retour à Nevers, je suis de retour à la Loire.
Ja, zum dritten Mal innerhalb von anderthalb Jahren bin ich nun in dieser Stadt und an diesem Fluss. Nevers ist übrigens eine Kleinstadt von etwa 33.000 Einwohnern. Angesichts der sonstigen geringen Besiedlungsdichte hier wirkt es allerdings eher schon wie eine Großstadt.
Die nächsten zwei Tage werde ich hier verbringen, bevor es wieder weitergeht. Heute ist erst mal Wäsche waschen angesagt. Mit meinem Rucksack wandere ich nach dem Frühstück wieder zum Waschsalon und dort ist nun eine freundliche Mitarbeiterin anwesend, die mir hilfreich zu Seite steht. Aber nach kurzer Zeit habe ich das Prinzip dann auch verstanden. Den Preis von fast neun Euro für eine Maschine Wäsche, Waschpulver und trocknen finde ich allerdings ziemlich hoch. Es ist allerdings auch nichts Neues. In Deutschland und anderen Ländern zahlt man ähnliche Preise und das, obwohl es nicht gerade die wohlhabendsten Mitglieder unserer Gesellschaft sind, die oft auf Waschsalons angewiesen sind.
Meine spätere Suche nach einem Friseur erweist sich als schwierig und wird heute auch nicht von dem Ergebnis eines neuen Haarschnitt gekrönt werden. Die meisten Friseure geben mir zu verstehen, dass sie keinen Termin mehr frei hätten und wenn es ans Bart schneiden geht, heben sie ohnehin abwehrend die Hände. Ich bin etwas erstaunt und verwundert, zumal es hier in der Nevers an fast jeder Ecke einen Friseursalon gibt. Nun gut, dann also keinen neuen gepflegten Haarschnitt.
Vom Wetter her ist der Tag heute erheblich angenehmer als gestern. Zwar gibt es mal am Vormittag einen kleinen Schauer, aber ansonsten ist es heiter bis wolkig und auch erheblich wärmer. So fange ich an die Stadt zu erkunden. Insbesondere zwei Kirchen möchte ich mir etwas genauer ansehen. Da ist einmal die Kirche Saint-Etienne und die Kathedrale von Nevers.
Die Kirche Saint-Étienne (Stephanskirche) war eine Gründung der Mönche von Cluny. Mit ihrem Bau wurde im Jahre 1068 begonnen. Trotz zahlreicher Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte ist sie in der Grundsubstanz der romanischen Architektur erhalten geblieben und gilt als Vorzeigewerk romanischer Bauweise des westlichen Burgunds. Charakteristisch ist die Errichtung einer Apsis mit drei radial dazu abgehenden Kapellen. Die Größe der Kirche ist vor allem auch dadurch begründet, dass sie Station vieler Pilger auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela war. Ihr Fassungsvermögen wurde durch den Einbau von Tribünen und Galerien noch vergrößert. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass die damaligen Kirchen durchaus auch als Übernachtungsquartier für die Pilger dienten. Eine Vorstellung die in mir doch ein leichtes Grauen auslöst.
Die Kirche liegt etwas versteckt inmitten des Häusermeeres von Nevers. Sie ist auch nicht sonderlich ausgeschmückt, sondern eher spartanisch ausgestaltet und so ist ihre romanische Architektur tatsächlich noch in einer reinen und unverfälschten Form zu betrachten. Nach der Besichtigung von Saint-Étienne führt mich mein Weg zurück in die Altstadt von Nevers. Die Kathedrale ist nun mein nächstes Ziel. Sie trägt den Namen Saint-Cyr-et-Sainte-Julitte, was auf den Heiligen Quericius und seine Mutter Julietta verweist, die um 304 den Märtyrertod erlitten. Sie wurden zu Beginn des 6. Jahrhunderts zu den Schutzpatronen des Bischofssitzes hier in Nevers ernannt.
Die Kathedrale Nevers gehört sicher zu den weniger bekannten Kathedralen Frankreichs. Dennoch ist sie ein sehr sehenswertes, monumentales und auch außergewöhnliches Bauwerk. Sie verfügt insofern über eine Besonderheit, dass sie zwei Chöre besitzt, einen romanischen Westchor und einen gotischen Ostchor. Etwas derartiges soll es in Frankreich höchst selten geben. Über einer Krypta aus dem 10. Jahrhundert wurde im 11. Jahrhundert der Westchor und anschließend das romanische Westquerhaus und später auch ein romanisches Langhaus errichtet. Nachdem das Langhaus abbrannte, wurde am 13. und 14. Jahrhundert das gotische Langhaus der gotische Chor und der südseitige gotische Glockenturm errichtet.
Die Kathedrale wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bombenangriffe der Engländer schwer beschädigt. Dabei wurden auch die alten Kirchenfenster zerstört. Die Restaurierung erfolgte zwar im alten Stil, jedoch sind die Kirchenfenster der Kathedrale offensichtlich ganz bewusst modern gestaltet worden. So ist die Kathedrale von Nevers eine hochinteressante Komposition aus Romanik, Gotik und Moderne.
Inzwischen ist Mittagszeit und ich verspüre Appetit, Hunger und das Bedürfnis nach einer Pause. In der nahe gelegenen Fußgängerzone werde ich bei einer Crêperie fündig und lasse mir ein Crêpe mit dem schönen Namen La Canibale schmecken. Danach schlendere ich noch ein wenig durch die Innenstadt von Nevers. Allerdings zieht es mich ins Hotel, um dort ähnlich wie die Franzosen eine längere Mittagspause einzulegen. Auf dem Weg dahin gehe ich aber noch in das Espace Bernadette Soubirous, das direkt gegenüber meinem Hotel liegt. Es ist eine alte ehemalige Klosteranlage, in dessen Kapelle seit 1925 angeblich unverwest der Leichnam der Bernadette Soubirous liegt. Diese Frau hat man die Totenruhe wirklich nicht gegönnt. Sie lebte von 1844-1879 und war diejenige, die als Seherin von Lourdes Berühmtheit erlangte und dadurch Lourdes zu einem der meist besuchten Wallfahrtsorte der Welt machte. Mit 16 trat sie dann in das Karmeliterkloster in Nevers ein, wo sie dann auch an Knochenmarkstuberkolose nur 35-jährig verstarb.
Nach mehrmaligen Exhumierungen, bei denen man offensichtlich keine fortschreitende Verwesung feststellen konnte oder wollte, entschied man sich im Rahmen ihres Seligsprechungsverfahrens dazu, Bernadette in einem verglasten Bronzesarg in der Kapelle aufzubahren. Man bedeckte jedoch das Gesicht und die Hände mit Wachsmasken, die nach Abgüssen und photographischen Aufnahmen gefertigt wurden. Damit wurde natürlich diese Aufbahrungsort auch ein bedeutender bedeutender Pilgerort für katholische Christen und neugierige Touristen wie mich. In der Kapelle ist ein ständiges kommen und gehen. Auch zahlreiche Schulklassen werden hier durchgeschleust. Fotografieren ist nicht erlaubt, das Verbot wird aber permanent umgangen. Mein Pietätsgefühl haben mich dann doch gehindert, ein Foto zu machen. Der Leichnam der Benadette selbst wirkt wirklich wie eine Wachsfigur und wie echt die wirken wissen wir ja spätestens sein Madame Tussaut. Auch wenn mich meine Neugierde nicht davon abhalten konnte, Bernadette einen Besuch abzustatten, empfinde ich diese Ausstellung eines Leichnams doch etwas seltsam, obwohl das in zahlreichen Kulturen ja nicht unbekannt ist. Bei mir löst der Anblick von solchen Leichnam eher einen leichten Schauer aus.
Nach einer zweistündigen Siesta mache ich mich noch einmal auf den Weg durch die Stadt Nevers. Das Wetter ist am Nachmittag sehr schön geworden und so läd es zu diesem Spaziergang gerade zu ein. Gesehen habe ich inzwischen alle wichtigen Sehenswürdigkeiten, aber ich möchte noch einmal über die Loire gehen und die Silhouette von Nevers von dort aus betrachten. Auf der Brücke kommt mir ein älteres Paar entgegen, die beide eine Pilgermuschel um den Hals tragen und auch sonst sehr salopp in weiter und bequemer Kleidung daherkommen. Da ich ja mit den Sprachen so meine Probleme habe, habe ich einfach den Daumen zum Gruß gehoben. Die Frau lächelt aber wir halten nicht an. Auf dem Rückweg begegne ich den beiden am Rande der Altstadt wieder und nun spricht mich die Frau erst auf Französisch an und nachdem ich ihr mitteilte, dass ich kein französisch spreche wechselt sie ins Englische. Wir tauschen uns aus, wo wir her kämen. Sie sind flandrische Belgier und als sie hören, dass ich aus Deutschland komme wechseln Sie beide gleich ins Deutsche über und wir können uns gut verständigen. Natürlich reden wir über unsere Vorhaben und tauschen uns aus. Sie sind beide wohl schon öfters auf dem Jakobsweg unterwegs gewesen und wollen nun in den nächsten 3-4 Wochen die Strecke bis Limoges zu Fuß zurücklegen. Sehr schnell teilen Sie mir auch ihr Alter mit. Der Mann ist 75 und seine Frau wird in den nächsten Tagen 74. Ich habe großen Respekt vor ihnen.
Auf Ihren Vorschlag gehen wir dann in eine Bar und genehmigen uns ein Bier bzw. ein Kir. Sie sind beide Musiker und so werde ich auch bald gefragt ob ich mich denn für klassische Musik interessiere, was ich leider verneinen muss. Dennoch kommen wir immer tiefer ins Gespräch. Der Mann ist offensichtlich ein Bachkenner und ich kann schon dadurch bei Ihnen Punkten, dass ich aus Leipzig komme. So erzählt er mir auch, dass er im Jahr 2000 zum 350. Todestag und Zeitpunkt von Johann Sebastian Bach in der Nikolai-Kirche in Leipzig ein Konzert gegeben habe. Letzlich verbringen wir dann den gesamten Abend miteinander, diskutieren über die Gott und die Welt, erzählen von uns und unseren Familien und unterhalten uns wirklich ausgezeichnet. Etwas schwierig ist, dass beide meist gleichzeitig sprechen, aber sich offensichtlich nach 52 Ehejahren darauf eingestellt haben und das für sich nicht weiter störend empfinden. Allerdings reden sie dadurch etwas lauter als normal und so werden wir meistens in den beiden Lokalen, in denen wir waren, von den um uns sitzenden Gästen auch wahrgenommen, manchmal interessiert und öfters eher kritisch. Das tut denn den Gesprächen aber keinen Abbruch.
Wir stellen uns auch bald mit Namen vor. Die Frau heißt Marleen Kuijken-Thiers und der Mann ist Sigiswald Kuijken. Er ist Violinist, Gambenspieler und Dirigent. Er gehört laut Wikipedia zu den bedeutenden Pionieren der Erforschung der Spieltechniken des 17. und 18. Jahrhunderts auf der Barockvioline. Davon erzählte er auch öfters und es ist sehr interessant, seinen engagierten Vorträgen zu lauschen. Seit 40 Jahren leitet er ein privates Orchester mit dem Namen „La Petite Bande“. In diesem Orchester spielt auch Marleen mit. Sie scheinen ohnehin ein eingeschworenes Duo zu sein. Auch wenn die Webseite (lapetitebande.be) von diesem Orchester nicht deutschsprachig ist, sondern nur Englisch, Französisch und Niederländisch, macht sie doch einen sehr interessanten Eindruck. Es war wirklich ein schöner Abend mit den beiden und schon jetzt bedauere ich, dass ich Sigiswalds Einladung zu seinem Konzert am 5. Juni in Montpellier nicht werde folgen können.