Tagesstrecke: 62,33Km; 12,16 Km/h; 250 Hm
Der Tag beginnt trüb. Als ich aufwache regnet es wider Erwarten ziemlich stark. Ein schmales Regenband hat sich leicht versetzt und zieht nun in seiner vollen Länge wohl schon die halbe Nacht über Quettehou hinweg. Um 7:30 Uhr bringt mit Madame Christin dann vereinbarungsgemäß mein Frühstück und ich kann mich nicht beklagen. Meine Wünsche nach Käse und Schinken sind berücksichtigt und die wohl selbstgemachte Aprikosenmarmelade ist einfach köstlich.
Nun überlege ich wie ich den Tag angehe. Das Regenband ist schmal aber lang. Insofern scheint es sinnvoll möglichst bald loszufahren, um das Regenband hinter sich zu lassen. Danach wird es etwa vier Stunden regenfrei bleiben, bevor das nächste mächtige Rehgengebiet die Gegend am frühen Nachmittag erreicht. So sitze ich um neun auf dem gepackten Rad. Der Regen wird auch noch einmal heftiger, aber nach einer halben Stunde hört er dann auf. Allerdings sind überall große Pfützen und wenn es auf unbefestigte Wege geht, ist der Untergrund sehr schlammig oder zumindest aufgeweicht und einige Pfützen sind 15 cm tief. Also disponiere ich den vorgegebenen Weg um, und fahre mehr auf asphaltierten Straßen. Vielleicht sind mir dabei einige schöne Blicke auf das Meer entgangen.
Heute bis übermorgen fahre ich eine historisch sehr interessante Strecke. Es ist das Gebiet, in dem die Alliierten am 6. Juni 1944 mit fast 1 Mio. Menschen landeten, um dem faschistischen Deutschland, das den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte und mit seinen Verbrechen viel Leid über die Welt gebracht hatte, den endgültigen Garaus zu machen. Allerdings war es auch bis dahin noch ein weiter Weg, der noch viele Opfer kostete.
Einen ersten Eindruck erhalte ich als ich die sogenannte Crisbecq-Batterie erreiche und hier einen ersten Stopp einlege. Es war eine der deutschen Küstenbatterien des Atlantikwalls, die während der Landung in der Normandie im Juni 1944 aktiv war. Von allen am Morgen des 6. Juni 1944 eingesetzten Kräften war die Crisbecq-Batterie die erste, die das Feuer an allen Stränden der Operation Overlord eröffnete und damit genau um 5:52 Uhr den Beginn der Landung der Alliierten an der Küste der Normandie markierte. Nördlich von Utah Beach in der Gemeinde Saint-Marcouf im Departement Manche leistete sie starken Widerstand und wurde erst einige Tage nach dem D-Day von den Amerikanern eingenommen.
Ein weiteres Ziel ist dann der kleine Ort Saint-Mere-Église, das etwa 10 Kilometer landeinwärts von der Küste liegt. In der Nacht vor der Landung wurden im Hinterland von Utah Beach Einheiten der 82. und 101st Airborne Division (101. US-Luftlandedivision) Fallschirmjäger zur Flankensicherung der Landungsstrände abgesetzt. Hier erlebten die Amerikaner eine schon erste Verluste als eine Maschine der Airforce zu hoch flog und die mit dem Fallschirm abspringenden Soldaten mitten in dem kleinen Ort landeten und deutsche Soldaten, die gerade überwachten wie die Einwohner des Ortes ein in Brand geratenes Haus löschten, einige von ihnen, die in den Linden des Dorfplatzes landeten, erschossen.
Wenn man in den Ort kommt, fühlt man sich in ein Freilichtmuseum des D-Days hineinversetzt. An verschiedenen Stellen stehen Attrappen von Soldaten. An dem Zentralen Platz steht ein Lastwagen der US-Armee mit PinUp-Werbung für Lucky Strikes. Ich war auch erstaunt, wievielte Menschen hier waren, um sich die Kuriositäten des Ortes anzusehen. So hängt etwa am Kirchturm eine als US-Soldat in seiner Fallschirmspringermontur verkleidete Schaufensterpuppe am Kirchturm. Es ist eine Reminiszenz an den Fallschirmspringer John Marvin Steele, dem genau dieses Schicksal widerfuhr. Er blieb mit seinem Fallschirm an einer der Skulpturen der Kirche hängen und hat dies wohl nur überlebt, weil er sich tot stellte, während die Glocken die ganze Zeit wegen des Feuers Alarm läuteten. Auch die Kirche selbst bietet ein sicher einmaliges und einprägsames Detail, nämlich ein Kirchenfenster auf der Westseite mit Maria und dem Kind in der Mitte und amerikanischen Fallschirmjägern rechts und links. Erwähnenswert ist auch noch das Airborne-Museum, was die Franzosen den Soldaten, die mit Segelflugzeugen und den amerikanischen Fallschirmjägern der 101. Luftlandedivision kamen, gewidmet ist. Dafür fehlt mir leider die Zeit.
Mein nächstes Ziel, das ich noch vor dem Regen erreichen will ist der sogenannte Utah Beach. Utah Beach war bei der Landung der Alliierten in der Normandie im Zweiten Weltkrieg der Deckname für einen Küstenabschnitt von knapp fünf Kilometern Länge. Es war der am weitesten westlich gelegene Landungsabschnitt, in dessen Gebiet nach den ersten Planungen kein Landungsangriff vorgesehen war. Da die Alliierten jedoch möglichst schnell nach dem Beginn der Landung einen Tiefwasserhafen benötigten – und Cherbourg an der Nordspitze der Halbinsel am geeignetsten erschien –, wurde Utah Beach als fünfter Landungsabschnitt in den Invasionsplan aufgenommen.
Bei der Landung am 6. Juni 1944 wurde den Soldaten hier nur relativ wenig Gegenwehr entgegengesetzt, so dass die Verluste von 197 Mann als niedrig bezeichnet werden konnten. Einige deutsche Artilleriestellungen beschossen die Schiffe auf See, konnten dort aber keine Schäden anrichten. Am Ende des Tages hatten mehr als 20.000 Soldaten mit 1.700 Fahrzeugen am Abschnitt Utah Beach französischen Boden erreicht. Da ich Rückenwind habe, erreiche ich den Utah Beach recht zügig. Viel gibt es freilich nicht viel zu sehen, außer einigen Gedenksteinen, damals gebräuchlichen Schützenpanzern, Erläuterungsschildern und einer Gedenksäule mit zwei Inschriften sowie einen Sandstrand. Interessant ist aber auch die Länge der Strandabschnitte, die man sich für die Invasion ausgesucht hatte. Angesichts der Menschenmassen, mit denen man hier landete, waren fünf Kilometer gar nicht so viel. Immerhin landeten in den fünf Strandabschnitten an diesem 6. Juni 1944 etwa die Anzahl von Menschen einer Millionenstadt.
Zeitlich hat meine Planung gepasst. Als ich den Utah Beach verlasse beginnt der angekündigte Regen. Da ich heute nichts mehr besichtigen will, gebe ich Gas und fahre in das noch etwas über 20 Kilometer entfernte Carentan. Ich komme bereits gegen 15:30 Uhr dort an, darf aber nun eine halbe Stunde im Regen vor dem Hotel warten, bis es um 16 Uhr die Rezeption öffnet.
Das Hotel ist in die Jahre gekommen und die Zimmer sind sehr klein. Aber für eine Nacht völlig ausreichend. Als ich nun am Abend etwas essen gehen will und auch eine ansprechende Pizzeria im Internet gefunden habe, muss ich leider feststellen, dass sie Dienstagsabend geschlossen hat. Da es inzwischen aber ziemlich schüttet, werde ich bei der Suche einer Alternative ziemlich nass und lande schließlich bei einem Kebab-Imbiss mit Sitzplätzen. Immerhin!