Ein wunderschöner Tag. Die Sonne strahlt den ganzen Tag und die Temperaturen liegen bei etwas über 20 Grad. Ideal zum Radfahren. Das Frühstücksbuffet ist wieder hervorragend. Es gibt von allem etwas und die Brötchen sind gut. Ich kann das Hotel „7 Säulen“ in Dessau nur jedem empfehlen, den es mal nach Dessau verschlägt. Gegen 8.30 Uhr komme ich dann schon los. Ich habe mir ja für den Tag nicht nur die Rückfahrt nach Leipzig, sondern auch das Dessau-Wörlitzer Gartenreich vorgenommen.
Was ist nun das Dessau-Wörlitzer Gartenreich? Es ist eine Ansammlung von Landschaftsparks um Schlösser gelegen, die in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts im damaligen Fürstentum Anhalt-Dessau entstanden sind. Spiritus Rector dieses Gartenreichs war Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt Dessau (1740-1817), von den Dessauern noch heute liebevoll und vertraulich Fürst Franz genannt. Gemeinsam mit seinem Freund, dem später bedeutendsten Vertreter des deutschen Frühklassizismus sowohl als Architekt als auch als Architekturtheoretiker, Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736 – 1800), unternahm er mehrere Studienreisen nach Italien, Frankreich, der Schweiz, nach Holland und England, wo er sich offensichtlich umfassend kulturhistorisch und ökonomisch inspirieren ließ. Er ließ sich aber nicht nur inspirieren, sondern setzte nach seiner Rückkehr die auf den Reisen gewonnenen Erkenntnisse in seinem Fürstentum mit zahlreichen Reformen auf den Gebieten der Bildung, des Gesundheits – und Sozialwesens, des Straßenbaus, der Land- und Forstwirtschaft und des Gewerbes um. Er machte damit Anhalt-Dessau während seiner fast 60-jährigern Regierungszeit nicht nur zu einem der modernsten Kleinstaaten Deutschlands, sondern konnte auch dessen Wirtschaftsleistung erheblich erhöhen. Dazu gehörte auch seine großräumige Landschaftsgestaltung auf einer Fläche von etwa 200 qkm. Wenn man bedenkt, dass das Fürstentum Anhalt-Dessau damals bestenfalls 800 qkm umfasste, kann man ermessen, welche Bedeutung diese Gestaltung für das Fürstentum hatte. Dabei muss man sich auch vergegenwärtigen, dass die hier entstandenen Parkanlagen nicht mehr vorrangig der Unterhaltung der Hofgesellschaft dienten, sondern die Parks von Anfang an für jedermann zugänglich waren. Hier wurde auch die Intensivierung der Landwirtschaft und des Gartenbaus nach neuesten Erkenntnissen betrieben. So wurden hier auch landwirtschaftliche und technische Musterbetriebe angelegt. Insofern verfolgte der Fürst mit diesen Landschaftsparks auch einen pädagogischen Anspruch gegenüber seinen Untertanen.
Meine Tour führt mich zunächst aber noch ein Stück durch Dessau, vorbei am eindrucksvollen Gebäude des Bundesumweltamts. Danach geht es bald über die Jagdbrücke, die aber eigentlich nur eine Radfahrer- und Fußgängerbrücke über die Mulde ist, in die Elbauen. Der durch die Elbhochwässer 2002 und 2013 stark beschädigte Elberadweg ist inzwischen wieder komplett hergerichtet, so dass man die Landschaft nun wieder unbeeinträchtigt genießen kann. Der zum Teil sehr alte Baumbestand, die Weiden, auf denen Kühe sich in aller Ruhe ihrer Nahrungsaufnahme widmen, die teils knorrigen Eichen, die einzeln auf diesen Weiden stehen, aber auch die von Fürst Franz hier hingesetzten Kleinodien wie die Solitude am Sieglitzer Berg oder das Dessauer Tor und das Walltor machen die Gegend sehr eindrucksvoll. Ich finde diese Elblandschaft, durch die ich nun schon öfter geradelt bin, immer wieder als sehr schön. Es geht dann unter der Autobahn A 9 hindurch durch Vockerode und vorbei an dem nicht sonderlich attraktiven ehemaligen Kraftwerk Vockerode. Schließlich erreiche ich gegen kurz nach 10 Uhr den Parkplatz am Wörlitzer Park, der sogar über abschließbare Fahrradboxen verfügt.
Der Wörlitzer Park ist einer der bedeutendsten Landschaftsparks in Europa. Er ist eine etwas über 1 qkm große Garten-, Seen- und Waldlandschaft, die an einem Altarm der Elbe angelegt wurde. Hier befindet sich ein Schloss, ein Küchen- und Wirtschaftsgebäude und das sogenannte Graue Haus, dass der Fürstin über 20 Jahre als Dauerwohnsitz diente und von ihr bezeichnenderweise Graues Kloster genannt wurde. Der Park grenzt direkt an den kleinen Ort Wörlitz, der letztlich zum Teil auch integriert ist. Architektonisch hat sich hier von Erdmannsdorff ausgetobt. So gilt das Wörlitzer Schloss als der Gründungsbau des deutschen Klassizismus. Hier zeigt sich ähnlich wie in Weimar zwischen Karl August und Goethe die doch gegenseitig befruchtende Freundschaft eines Fürsten mit einem Bürgerlichen ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Beide, sowohl Goethe als auch von Erdmannsdorff, wären ohne ihre Freundschaft mit einem Fürsten sicher nicht das geworden bzw. hätten nicht den Nachruhm gehabt wie ohne diese Freundschaften. Aber auch die Fürsten konnten sich mit den Werken ihrer Freunde schmücken und hätten ohne diese Freundschaften nicht den Nachruhm erlangt.
Aber auch mit zahlreichen anderen Gebäuden hat sich Erdmannsdorff hier verewigt. Historisch sicher am interessantesten ist die kleine, am Rande des Schlossgartens errichtet Synagoge, die Ausdruck der diesbezüglich toleranten Politik des Fürsten sein sollte. Die Zerstörung der Synagoge bei den Novemberpogromen 1938 konnte übrigens durch das „entschiedene Handeln“ des damaligen Gartendirektors Hans Hallervoreden, er ist tatsächlich der Großvater von Dieter Hallervorden, verhindert werden. Er verlor daraufhin sein Amt, wurde aber nach 1945 im hohen Alter wieder eingesetzt.
Ich konnte leider hier nicht alle Sehenswürdigkeiten besuchen. Wer Wörlitz tatsächlich erkunden will, sollte sich wenigstens einen Tag Zeit nehmen, was aber sicher die wenigsten tun. Auch hier wird übrigens ständig restauriert und nicht immer sind alle Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Zwei seien hier noch erwähnt, die auch auf die Pläne von Erdmannsdorff zurückgehen. Da ist einmal das Gotische Haus, dass im neogotischen Stil erbaut wurde und das wegen seiner zwei unterschiedlichen Fassaden markant ist. Die eine ist die einer venezianischen Kirche und die andere erinnert an ein Herrenhaus der Tudorgotik. Zum anderen gibt es da die Insel Stein, der sogenannte Vesuv von Wörlitz mit der Villa Hamilton. Für mich eines der schönsten Motive im Wörlitzer Park.
Die Insel Stein ist eine künstliche Insel, die der Fürst in Erinnerung an seinen Aufenthalt am Golf von Neapel erbauen ließ. Die aus Findlingen bestehende Insel wird gekrönt von einem künstlichen Vulkan, der dem Vesuv nachempfunden ist. Als Höhepunkt konnte der „Vesuv von Wörlitz“ bei Gartenfesten des Fürsten mittels ausgefeilter Ton-, Licht- und Wassertechnik sogar Lava speien. Am Fuße der künstlichen Insel steht die Villa Hamilton, die der Fürst der Freundschaft mit dem Geologen und englischen Gesandten am Hof des Königs von Neapel, Sir William Hamilton, widmete. Hamilton war Gastgeber des Fürsten und Erdmannsdorffs auf deren Reise an den Golf von Neapel und nach Sizilien. Als Vorbild für diese aus drei Zimmern bestehende Villa diente tatsächlich das Wohnhaus Hamiltons.
Zwei Stunden hatte ich mir für Wörlitz vorgenommen. Ich lasse den Besuch ausklingen in der Gaststätte „Zum Seeblick“. Sie liegt direkt am Zaun aber außerhalb des Parks. Vor einigen Jahren hatte hier der heutige Wirt eine kluge Geschäftsidee. Er stellte einen Räucherofen auf und räuchert darin Forellen, die er mit selbstgemachtem Kartoffelsalat anbietet. Hier wirbt er unter dem Motto: „Ein Optimum an Qualität, weil Roland hier die Fische brät“. Der Fisch ist meines Erachtens besser als das Motto und ich kann dieses Lokal nur weiterempfehlen. Es liegt unweit der sogenannten Amtsfähre. Ein kleiner Trampelpfad führt hier durch die den Park begrenzende Hecke und auch der Zaun ist einfach durchtrennt. Es scheint sich um eine Art normative Kraft des Faktischen zu handeln, dass dies so akzeptiert wurde. Denn inzwischen boomt der Laden und auch ich lasse es mir hier schmecken.
Der Besuch des Wörlitzer Parks kostet übrigens keinen Eintritt. Lediglich die zum Teil kuriosen Fähren, die oft nur wenige Meter überwinden, kosten 50 Cent und die Gebäude wie das Schloss, das Gotische Haus und die Villa Hamilton sowie die Insel Stein verlangen Eintritt.
Nächstes Ziel ist das auch zum Gartenreich Dessau-Wörlitz gehörende Schloss Oranienbaum. Es wurde zunächst als Sommerresidenz Fürstin Henriette Catharina, einer geborenen Prinzessin von Oranien-Nassau, zwischen 1681 und 1685 erbaut und später zu deren Witwensitz um- bzw. ausgebaut. Zu dem Schloss gehört ein 28 ha großer barocker Garten, der angeblich im niederländischen Stil angelegt ist, aber doch sehr an die französischen Barockgärten erinnert. Die niederländischen Elemente sind mir jedenfalls verborgen geblieben, was vielleicht an meiner mangelnden Bildung im Hinblick auf Barockgärten beruht. Nach dem Tod der Fürstin wurde Schloss Oranienbaum nur noch gelegentlich für Jagdausflüge genutzt. Erst Fürst Franz entwickelte wieder ein mehr Interesse an Oranienbaum. Er ließ Schloss und Park umgestalten, wobei der einstige barocke Inselgarten zu einem englisch-chinesischen Garten mit einer fünfgeschossigen Pagode, einem vom in einem Teichgelegenen chinesischen Teehaus und mehreren Bogenbrücken umgestaltet wurde.
Ich wandle etwa eine halbe Stunde durch den wirklich sehenswerten Park. Auch hier müsste man sich sicher einen halben Tag Zeit nehmen, um die ganze Vielfältigkeit der Anlage zu erfassen. Das Schloss selbst kann man zwar besichtigen, macht aber von außen noch einen recht beklagenswerten Eindruck. Man restauriert wohl schon seit mehreren Jahren und gelegentlich kommt auch das jeweilige holländische Königspaar vorbei, um nach den Restaurationsfortschritten zu schauen. Auch sonst ist Oranienbaum einen Besuch wert. So wurde die gesamte Stadt Ende des 17. Jahrhunderts zu einem wohl einzigartigen Barockensemble niederländischer Prägung gestaltet.
Leider ist es schon spät geworden und ich muss noch über 60 Kilometer nach Leipzig zurückradeln und es herrscht leichter Gegenwind. Also mache ich mich gegen 15 Uhr auf den Weg. Der Weg führt nun an Gräfenhainichen vorbei durch Zschornewitz, wo 1915 das erste Großkraftwerk in Deutschland und das seinerzeit auch größte Braunkohlekraftwerk der Welt errichtet wurde, das heute als Industriedenkmal dient. Sehenswert ist übrigens auch die gartenstädtische Werkssiedlung „Kolonie“. Der Weg führt nun über einige recht holprige Waldwege, was das Vorwärtskommen doch etwas erschwert und verlangsamt. Bald gelange ich aber wieder auf befestigte und asphaltierte Radwege an Straßen entlang. So geht es an Muldenstein vorbei durch Friedersdorf und über die Staumauer des Muldestausees an die Goitzsche, wo ich mir noch eine Rast und ein Eis gönne und schließlich durch das nördliche Leipziger Neuseenland zurück nach Leipzig gelange.
Lieber Wolfgang,
Habe heute den letzten Tag des Kurztrips Dessau und Wörlitzer Park verfolgt. Leider ist mein Kommentar zu Deinen Ausführungen zur Ästhetik des Bauhaus-Stils aufgrund meiner technischen Insuffizienz im Umgang mit Hardware verlorengegangen. Aber vielleicht können wir das einmal persönlich vertiefen, denn der wirtschaftlichen und funktionalen Architektur per se Ästhetik zuzubilligen führt genau zu Deinem Schluß, daß die Platte ästhetisch ist und das fällt mir schwer zu akzeptieren.
Der Bericht über den Besuch des Wörlitzer Parks mit den ausdrucksstarken Bildern gehört durchaus in meine Vorstellung von ästhetischer Bau- und Landschaftsarchitektur.
Und Deine schon lexikalisch vermittelten Informationen über diese wunderschöne Anlage erweitern nicht nur mein Wissen sondern regen an diese wieder einmal zu besuchen und mit dem jetzt vorhandenen Erkenntniszuwachs ganz anders zu betrachten.
Also verspätet aber nicht zu spät Danke für Deine Berichterstattung über diesen Trip.
Ich werde weiterhin ein treuer Leser bleiben und freue mich schon auf die Berichterstattung aus Frankreich.
Bis dahin weiterhin alles Gute und herzliche Grüße auch an Heidrun
Werner
Lieber Werner,
danke für Deinen wie immer aufmunternden Kommentar. Ich möchte aber doch betonen, dass es nicht meine These sein sollte, dass wirtschaftliche und funktionale Architektur per se ästhetisch ist. Mir gefällt der Wörlitzer Park übrigens auch besser als die Plattenbauten, wobei man sich hier gelegentlich schon Fragen nach der Wirtschaftlichkeit und Funktionalität stellt. Aber immerhin hatte Fürst Franz ja zumindest einen edukativen Ansatz. Beim Bauhaus war es wohl eher die Philosophie der Bauhausarchitekten, nach der sich die Ästhetik an der Funktionalität und der Wirtschaftlichkeit der Architektur orientieren sollte. Und ich wollte es gerade damit zuspitzen, dass man bei dieser Betrachtungsweise auch den Plattenbauten aber auch vielen Bauten in der alten Bundesrepublik wie dem Hansaviertel u.a. in Berlin eine Ästhetik zubilligen müsse. Grüße ganz herzlich zurück Wolfgang