20. Tag: (28. März 2024) – Beauvoir am Mont-Saint-Michel

Der Morgen ist sonnig, es scheint aber höchst wechselhaft zu werden. Der Wind fegt hier mit über 35 Km/h übers Land. Beim Fahrradfahren ist das bei Gegenwind sehr unangenehm wie ich gestern schon feststellen konnte. Heute steht also die Besichtigung des Mont-Saint-Michel an. Vor sieben Jahren war ich schon einmal mit Heidrun hier. Viel hat sich seitdem nicht verändert. Dennoch ist der Mont Saint Michel immer ein Erlebnis. Allerdings ist es ein ähnliches Erlebnis wie in Versailles. Man wird hier zu Tausenden durchgeschleust. Bei 3,5 Mill. Besuchern jährlich sind das statistisch etwa 10 Tsd. Besucher pro Tag. Ich fahre wieder mit dem Fahrrad hin. In diese Richtung habe ich Rückenwind, so dass die vier Kilometer bereits in 10 Minuten geschafft sind. Den Weg und die Fahrradabstellplätze hatte ich ja gestern schon erkundet.

Während ich gestern ja schon allgemein auf die Geschichte des Mont-Saint-Michel eingegangen bin, will ich hier nun kurz die wichtigsten Dinge über die Abtei darstellen. Angefangen hat alles mit einem Traum. Im Jahr 708 wurde Bischof Aubert von Avranches in einem Traum vom Erzengel Michael aufgefordert, hier auf der Insel eine Kirche für ihn zu bauen, was er nach einigem Zögern auch in die Wege leitete. Zunächst wurde wohl nur ein einfacher Bau errichtet. Im Jahre 966 wurden die bisher für den Berg und seine Reliquien verantwortlichen Mönche durch 30 Benediktiner abgelöst. Von nun an ging es langsam aufwärts mit dem Kloster; um das Jahr 996 wurde hier die Hochzeit zwischen dem normannischen Herzog Richard II. und Judith de Bretagne gefeiert.

Im 11. Jahrhundert begann der Neubau. Er wurde im Jahr 1204 durch bretonische Truppen gebrandschatzt. Die nachfolgenden Restaurierungs- und Neubauarbeiten dauerten über 300 Jahre und wurden auch während des Hundertjährigen Kriegs (1337–1453) nicht unterbrochen. In diese Zeit fällt die Umgestaltung von Berg und Abtei zu einem Festungsbauwerk, das sowohl den Engländern als auch den protestantischen Angriffen während der Hugenottenkriege (1562–1598) standhielt.

König Ludwig XI. erhielt von den Mönchen die Möglichkeit, Räumlichkeiten als Gefängnis zu nutzen. Dafür erhielten sie für jeden Gefangenen ein Unterhaltsgeld. Politische Gegner ließ der König hier einsperren, auch in seinem an der Decke hängenden berüchtigten Eisenkäfig. Die Praxis, Gegner der Staatsgewalt hier in der Abtei einzusperren, wurde von späteren Machthabern fortgesetzt. Inhaftierungen erfolgten oft ohne Gerichtsurteil. Für wohlhabende Häftlinge wurden komfortable Zellen eingerichtet. Insofern ist die Geschichte der Abtei doch weniger kontemplativ und besinnlich als vielmehr sehr mit der jeweiligen Macht verknüpft. Es zeigt wie breit das Spektrum katholischer Geistlicher doch in der Geschichte reichte: Von der Armenpflege bis zur Gefängnisverwaltung.

Wenn man den Mont-Saint Michel betritt, geht man zunächst eine enge gepflasterte Gasse im bergauf. Links und recht finden sich in der Gasse Restaurants, Imbisse, Crêperien, Buchläden, Andenken- und Kunsthandwerkläden und auch einige Hotels. Ich würde vermuten, dass dies früher die Wirtschaftsgebäude der Abtei waren. Dann kommt man in den engeren Bereich der Abtei, wo man seine Eintrittskarte vorzeigen muss. Ab hier geht es hunderte  Treppenstufen hinauf bis zur Abteikirche, die natürlich der Mittelpunkt der oberen Ebene der Abtei ist und die ja auch weithin sichtbar in das Land hineinragt. Darunter gibt es dann noch die mittlere und die untere Ebene. Von der Abteikirche aus beginnt der Rundgang. Als ich dort bin ist gerade Messezeit, sodass man nicht ungehindert durch das Kirchenschiff wandern kann. Während der Langbau der Kirche deutlich romanischen Ursprungs ist, ist der Chor gotisch. Der frühromanische Teil der Kirche wurde im 12. Jhdt. mit ihrem dreigeschossigen Wandaufriss (Arkaden, Emporen, Fensterzone) fertiggestellt; sie gehört somit zu den frühesten Bauten der normannischen Sakralarchitektur in Frankreich. Der Chor wurde dagegen erst im 15./16. Jhdt. im spätgotischen Stil errichtet und ersetzte wahrscheinlich einen romanischen Vorgängerbau.

Von der Abteikirche gelangt man dann in den Kreuzgang, der sehr filigran gestaltet ist. Der in den Jahren 1225–1228 oberhalb des Rittersaales errichtete, leicht trapezförmige Kreuzgang soll zu den wundersamen architektonischen Spielereien des Klosters gehören. Die schlanken (Doppel-)Säulen sind – anstatt nebeneinander- bzw. gegenüberliegend – versetzt gestellt; optisch ergeben sich so dreidimensionale, in die Tiefe gestaffelte überschneidende Bögen, was ein typisch normannisches, aus der islamisch geprägten normannischen Architektur Siziliens übernommenes Architekturdekor sein soll.

Vom Kreuzgang aus gelangt man in das  im 13. Jahrhundert oberhalb des Gästesaals auf der Nordseite der Kirche erbaute Mönchsrefektorium. Es soll zu den architektonischen Höhepunkten der Abtei gehören. Es hat über 50 Fenster, von denen beim Betreten des etwa 10 Meter breiten und ca. 30 Meter langen Raumes ohne Mittelstützen allerdings nur die beiden in der Ostwand sichtbar sind – alle anderen verbergen sich in den Tiefen der Seitenwände, die wie eine enggestaffelte, beinahe unendliche Arkadengalerie wirken. Man kann vermuten, dass diese außergewöhnliche Lösung weniger aus ästhetischen Gründen gewählt wurde, sondern in erster Linie der Stabilisierung der Außenwände gegen Winddruck geschuldet ist.

Zum Schluss will ich hier noch den sogenannten Rittersaal auf der mittleren Ebene der Abtei vorstellen. Bei dem Saal aus dem frühen 13. Jahrhundert handelt es sich wahrscheinlich um das ehemalige Skriptorium des Klosters. Aufgrund der Erfindung des Buchdrucks im ausgehenden Mittelalter funktionslos geworden, diente der große (26 × 18 Meter) – durch drei Säulenreihen viergeteilte und mit einem schönen Rippengewölbe versehene – Raum mit seinen zwei großen Wandkaminen später wohl tatsächlich als repräsentativer Kapitel- oder Empfangssaal.

Ich glaube damit habe ich die wichtigsten Räumlichkeiten der Abtei kurz vorgestellt und beschrieben. Natürlich gibt es noch viele andere Räumlichkeiten, die interessant sind. Insgesamt dauert mein Rundgang etwa zwei Stunden. Ich kann nicht verhehlen, dass ich von dem Bauwerk tief beeindruckt bin. Zum einen weil es schon recht einmalig ist was hier und zu welcher Zeit geschaffen wurde. Zum anderen, weil ich nicht wissen möchte wie viele Opfer der Bau gekostet hat.

Als ich rauskomme schauert es mal wieder, obwohl heute eigentlich kein Niederschlag vorausgesagt war. Aber wir haben hier eben reinstes Aprilwetter. Mir bläst nun der Wind so heftig entgegen, dass ich auch in einem niedrigen Gang nur auf Geschwindigkeiten zwischen 6 und 9 Km/h komme. So mache ich beim nächsten Sandwichladen in den Galeries Saint Michel erst einmal einen Stopp und stärke mich mit einem Schinken/Käse Baguette und einem Kaffee. Danach kämpfe ich mich die letzten drei Kilometer zurück in meine Unterkunft.

In der Unterkunft bekomme ich dann als ich meine Sachen ablege einen enormen Schreck – meine Brille ist weg. Ich suche alles noch einmal ab, aber die Brille ist nicht da. Das letzte Mal, dass ich sie bewusst hatte war in dem Sandwichimbiss. Also heißt es noch einmal zurückfahren. Allerdings liegt an dem und unter dem Tisch an dem ich sah keine Brille und auch die Verkäuferinnen haben nichts mitbekommen und es ist auch keine Brille abgegeben worden. Natürlich kann es sein, dass mir die Brille auch aus der Jackentasche gefallen ist, weil ich vergessen habe den Reisverschluss zuzuziehen. auch auf dem Weg hin und zurück habe ich allerdings keine Spur von meiner Brille gefunden. Es war meine beste Brille, eine Gleitsichtbrille. Nun habe ich nur noch eine sogenannte Lesehilfe bei mir. Die reicht zwar fürs Wesentliche. Dennoch ist der Verlust sehr ärgerlich. So hinterlässt mich der heutige Tag nicht gerade frohgelaunt.

 

Ein Kommentar

  • Werner Hempel sagt:

    Lieber Wolfgang, wunderschöne, ausdrucksstarke Bilder die Mont-Saint-Michel sehr umfassend für den Betrachter präsentieren. Es gelingt Dir den Betrachter für einen Besuch zu animieren. Wir haben aber Frankreich nicht so auf dem Schirm, vor allem weil mein Französisch aufgrund des fortgeschrittenen Alters äußerst dürftig ist .
    Sehr ärgerlich für Dich ist der Verlust deiner Brille, weil Du ja noch etliche Tage unterwegs bist. Wir wünschen Dir auf jeden Fall eine möglichst störungsfreie Weiterfahrt und auch ohne die Brille weiter so brillante Fotographien wie bisher.
    Herzliche Grüße von der Mosel
    Werner

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