Wieder ein recht stürmischer Tag und wieder ist es zweckmäßig, umzudisponieren. Wollte ich ursprünglich von Leipzig aus auch mit dem Fahrrad nach Halle fahren, so ist dies bei diesem Westwind sicher nicht sinnvoll. Also fahre ich mit der S-Bahn nach Halle und vertraue darauf, dass ich bei der Rückfahrt nach Leipzig Rückenwind haben werde.
Mein heutiges erstes Ziel ist die Burg Giebichenstein in Halle, die heute als Hochschule für Kunst und Design einen Namen hat. Diese Hochschule ist aber in der sogenannten Unterburg aus dem 15. Jahrhundert untergebracht. Station auf der Straße der Romanik ist dagegen die Ruine der Oberburg. Einige Kellergewölbe und ein weit ins Land hinein sichtbarer markanter Torturm blieben erhalten. Von einem früheren quadratischen Wohnturm kann man wohl noch ein freigelegtes Erdgeschoss mit Resten eines Kamins, einem Mittelpfeiler und einer nach oben führenden Treppe sehen. Von der Burgkapelle sind nur noch Fundamente erhalten. Allerdings kann ich diese Details nicht näher betrachten, denn die Oberburg bleibt im Winterhalbjahr geschlossen und es führt kein Weg hinein. So sind die Hallenser gelegentlich, was vielleicht dazu beigetragen hat, dass das Ansehen der Stadt nicht gerade ausgeprägt ist. Wie kann man nur eine Hauptsehenswürdigkeit der Stadt jährlich fünf Monate geschlossen halten? Die Magdeburger wären da sicher etwas geschickter vorgegangen. Es bleibt mir nur ein Rundgang um die Burg, der aber wegen der attraktiven Lage auf einem weiteren Porphyrfelsen direkt an der Saale schöne Betrachtungen und Fotos zulässt.
Zur Historie der Burg Giebichenstein ist zu bemerken, dass 961 Kaiser Otto I. die Siedlung Giebichenstein einschließlich ihrer Befestigung dem Magdeburger Moritzkloster übereignete. Dieser Besitz gehörte damit nach der Gründung des Erzbistums Magdeburg im Jahre 968 den Erzbischöfen. Sie nutzten die damals bestehende Burganlage als Pfalz. Vermutlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden dann unter Erzbischof Wichmann die ersten steinernen Bauten der Oberburg. Die über Halle regierenden Erzbischöfe von Magdeburg bestimmten diese dann 1382 als ihre Hauptresidenz. Im 15. Jahrhundert erfolgte allerdings der Umzug in die neu erbaute Unterburg. Mit der Fertigstellung der Moritzburg im Nordwesten von Halle im Jahre 1503, die von den Erzbischöfen als Zwingburg gegen die Stadt bezogen wurde, um damit ihren Herrschaftsanspruch über die Stadt Halle zu demonstrieren, verlor die Burg Giebichenstein ihre einstige Bedeutung. Während des 30-jährigen Krieges brannte die Oberburg im Jahre 1636 fast vollständig nieder. Auch Teile der Unterburg wurden zerstört, aber später wieder aufgebaut und erneuert.
Zwar ist der Himmel heute sehr bedeckt, dennoch habe ich von der Giebichensteinbrücke und der der Burg gegenüberliegenden Bergschenke einen schönen Blick auf das eindrucksvolle Ensemble. Auch wenn die Burg sehr nahe an der Saale liegt, kann man sich aber nur schwer vorstellen, dass es für Ludwig den Springer möglich war, einen solchen Sprung unversehrt zu überstehen. So erweist sich die Legende als schöne Geschichte, die aber allein durch Augenschein wiederlegbar ist. Aber auch wissenschaftlich ist ja inzwischen wohl nachgewiesen, dass der Begriff „Springer“ auf einem Übersetzungsfehler des lateinischen Namens Salicus beruht und die richtige Übersetzung eigentlich „Salier“ bedeutete.
Nach dem kurzen Rundgang um die Burg treibt mich der Wind dann doch zurück zur Unterburg, wo ich mein Fahrrad abgestellt hatte. Die folgenden acht Kilometer bis in den südlichen Stadtteil Böllberg gehen zwar wunderschön entlang der Saale, die hier immer mehr zu einem attraktiven Naherholungsgebiet ausgebaut wird. Der Wind kommt aber noch aus Südwesten und bläst mir so sehr kräftig ins Gesicht. Für die acht Kilometer brauche ich mit Fotostopps etwa eine Stunde. Station der Straße der Romanik ist hier die Dorfkirche Böllberg St. Nikolaus. Ich hatte mich hier angemeldet und kann mir im Benachbarten Pfarramt des Ortsteils Wöllmitz den Schlüsse holen.
Ihre Bedeutung hat die Dorfkirche in Böllberg vor allem dadurch, dass ihre Architektur seit dem 12. Jahrhundert weitgehend unverändert erhalten blieb und somit ein Zeugnis der Grundform des frühen christlichen Kirchenbaus ist. Es ist ein rechteckiger Saal oder besser Raum, an den sich eine halbkreisförmige ungegliederte Apsis anschließt. Kunstgeschichtliche Bedeutung hat vor allem die bemalte, flache Holzdecke erlangt, die im Stil mittelalterlicher Schablonenmalerei des 15. Jahrhunderts erhalten ist. Diese angeblich sehr seltene Schablonenmalerei erregte sogar die Aufmerksamkeit des preußischen Stararchitekten Karl Friedrich Schinkel, der sich eine Kopie anfertigen ließ. Mit dem Hinweis auf dieses fast einzigartige Kunstwerk soll der schon aus Landsberg und Petersberg bekannte preußische Landeskonservator Ferdinand von Quast, der ein Schüler Schinkels war, Mitte des 19. Jahrhunderts den vorgesehenen Abriss der Kirche verhindert haben.
Von der romanischen Ausstattung sind noch ein schlichtes steinernes Taufbecken und der Altartisch vorhanden geblieben ist. Das Innere ist im übrigen eher barock ausgestattet. Das gilt sowohl für den Altar als auch für die Kanzel. Bemerkenswert sind noch ein geschnitztes Kruzifix aus der Spätrenaissance (16. Jhd.) und eine hölzernes Lutherbild aus dem Jahre 1657.
Danach geht es wieder zurück nach Leipzig. Ich fahre zunächst den Saaleradweg weiter durch die südlichen Vororte von Halle bis zur Mündung der Weißen Elster in die Saale. Danach geht es auf dem zum großen Teil gut ausgebauten Elsterradweg in Richtung Osten zurück nach Leipzig. Die Windprognose erweist sich als richtig. Der Wind bläst nun ordentlich aus Westen und treibt mich vor sich her. So sind die 30 Kilometer bis nach Hause in etwas über zwei Stunden geschafft. Wäre nicht eine Umleitung über Kopfsteinpflaster in Lützschena gewesen, wäre es wahrscheinlich noch schneller gegangen. Nun liegen auf der Südroute der Straße der Romanik nur noch drei Stationen vor mir, die ich aber unbedingt vor dem 9. April, wenn ich meine nächste große Tour beginne, noch schaffen will. Aber auch diese Stationen sind wohl in einem Tag zu bewältigen und bis zu meiner Abfahrt sind es ja auch noch über vier Wochen.
Tagesdaten: 59,23 Km; 04:48:18 Std. Fz.; 12,5 Km/h; 273 Hm