2. Tag: 15. Juli 2023 – Von Tauberbischofsheim nach Rothenburg ob der Tauber

Tagesstrecke: 76,10 Km

Von Tauberbischofsheim nach Creglingen

Um 4:45 Uhr klingelt der Wecker auf dem Handy. Ich habe gut geschlafen und da ich gestern recht früh ins Bett gefallen bin, habe ich auch ausgeschlafen. Ich dusche schnelle und dann mache ich mich ans Frühstück. Ich esse das Müsli mit dem Obstsalat und schmiere mir die drei Brötchen als Reiseproviant. Zusätzlich zum Proviant gehören natürlich heute noch größere Wasservorräte. Ich habe ein Halblitersixpack an verschiedenen Stellen meines Gepäcks verteilt.  Um 6 Uhr bin ich abfahrbereit, hole mein Fahrrad aus der Garage, lade mein Gepäck auf und lege die Schlüssel an der verabredeten Stelle ab.

Dann geht es los. Die morgendlichen Temperaturen liegen bei 16° aber es soll heute noch 20° wärmer werden. Ich radle zunächst durch das menschenleere Tauberbischofsheim vorbei an der St. Martin Kirche und einigen Bauplätzen am Rande der Altstadt. Dann geht es entlang der Tauber und eines Streuobstwiesenlehrpfads etwa anderthalb Kilometer nach Dittigheim. Hier mache ich einen kurzen Stopp an der St. Vitus Kirche, die auch von Balthasar Neumann entworfen und 1748-52 erbaut wurde. Sie gehört zu den Spätwerken des Architekten. Da die Kirche um 6:30 Uhr natürlich noch nicht offen ist, setze ich meine Fahrt zügig fort. Der Weg führt weiter entlang des Flusses durch das recht breite Taubertal. Hier fahre ich dann auch unter der langen Autobahnbrücke der A 81 hindurch und komme kurz danach nach Distelhausen, wo ich lediglich an der kleinen Friedhofskapelle St. Wolfgang, die im 15. Jhdt. als Wallfahrtskapelle erbaut wurde, einen kurzen Stopp einlege.

Weiter geht es nun nach Lauda, wo die Katholische Stadtpfarrkirche St. Jakobus auch schon von weiter her ein Blickfang ist. Sie stammt aus dem 17. Jhdt. und ist natürlich auch noch verschlossen. Hervorgehoben wird in Lauda die Historische Altstadt zu der ich nun einen kurzen Abstecher mache. Die Altstadt ist recht typisch für die fränkischen Altstädte und auch besonders geprägt durch die überwiegenden Fachwerkhäuser. Die erste Bäckerei hat nun auch offen und langsam kommen einige Frauen und Männer und kaufen für das Wochenende ihre Backwaren ein. Einen Mann in meinem Alter, der auf mich so wirkt als müsse er sich hier auskennen, schon weil er mit seinem SUV mitten auf der Straße parkt, frage ich, ob er mir sagen könnte, welches der Fachwerkhäuser das Alte Rathaus gewesen sei. Er weist auf das Haus hinter mir und bestätigt damit meine Vermutung, dass es sich bei der heutige Stadtbücherei um das Alte Rathaus handelt. Dann setzt er aber an und verweist mich auf das Neue Rathaus und erklärt mir ausführlich den Weg dorthin, so dass ich mich veranlasst sehe, auch noch eine Runde dorthin zu fahren. Dann geht es aber zügig weiter vorbei an Königshofen, dem zweiten Stadtteil des Ortes Lauda-Königshofen bis nach Bad Mergentheim, wo ich um kurz vor 9 Uhr nach 20 Kilometern ankomme.

Bad Mergentheim muss man sich dann doch etwas genauer anschauen, ist es doch sicher neben Rothenburg die bedeutendste Stadt an der Tauber. Bad Mergentheim ist zunächst mit seinen 24.500 Einwohnern die größte Stadt des Main-Tauber-Kreises und schaut auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Eine erste urkundliche Erwähnung ist aus dem Jahr 1058 bekannt. Historische Funde aus der Jungsteinzeit weisen auf frühere Siedlungen hin, wie zum Beispiel das ca. 4.500 Jahre alte Hockergrab. Die vier dort bestatteten Menschen sind heute im Residenzschloss Mergentheim zu finden. Im 12. Jhdt. gelangt ein Teil der Grafschaft, der bis dahin im Besitz der Herren von Hohenlohe war, an den Johanniterorden. 1219 traten die Brüder Friedrich, Heinrich und Andreas von Hohenlohe in den Orden ein. Ihr Erbe, das aus der damaligen Wasserburg und den umliegenden Gehöften bestand, übergaben sie dem Deutschen Orden. 1340 wurde Mergentheim durch Kaiser Ludwig dem Bayer zur Stadt erheben. Dadurch erlebte der Ort einen raschen Aufstieg.

Als der Hochmeister des Deutschen Ordens 1526 Polen bzw. Königsberg verlassen musste, verlegte er den Hochmeistersitz nach Mergentheim. So wurde von 1526 bis 1809 Mergentheim Hauptsitz des Deutschen Ordens. Dadurch erlebte die Stadt eine Zeit der kulturellen Blüte und des wirtschaftliche Reichtums. Allerdings fielen in diese Zeit auch die Hexenverfolgungen in Mergenheim. Zu den Hexenverfolgungen in Mergentheim von 1539 bis 1665 sind bisher 74 Opfer namentlich bekannt. 69 Menschen überlebten die Hexenprozesse nicht. Zu den kulturellen Höhepunkten zählte dann im 18. Jhdt. der Aufenthalt Ludwig van Beethovens. So brachte der Hochmeister Franz, der jüngste Sohn der Kaiserin Maria Theresia, diesen 1791 mit seinem Bonner Hoforchester mit nach Mergentheim. Freilich war dies nur eine kurze Episode im Leben Beethovens. Er spielte hier die Bratsche im Hoforchester. Ein Aufenthalt über das Jahr 1791 hinaus ist nicht bekannt. Der Aufenthalt ist lediglich vom 5. September bis Ende Oktober 1791 belegt.

1809 sprach Napoleon das gesamte Deutschordensgebiet den Württembergern zu. Damit hatte die glanzvolle Zeit Mergentheims zunächst ein Ende. Ein im Juni 1809 ausbrechender Aufstand gegen die neue Herrschaft, der sich an der Rekrutenaushebung entzündete, wurde von württembergischen Truppen unterdrückt, wobei das Schloss unversehrt blieb und es Todesurteile gegen die Rädelsführer gab. Im Oktober 1826 entdeckten die Schafe des Stadtschäfers die erste sehr gehaltvolle Heilquelle. Nach Untersuchungen des Wassers und weiterer Bohrungen wurden insgesamt vier Heilquellen erschlossen. Mergentheim erhielt dann genau 100 Jahre später das Prädikat „Bad“ und ist inzwischen eine der größten Kurstädte in Baden-Württemberg mit einer der schönsten Kurparkanlagen Deutschlands.

Die Geschichte habe ich mir bei einer kurzen Rast an der St. Wolfgangskapelle am Stadtrand von Bad Mergentheim wieder in Erinnerung gerufen. Dann fahre ich über die Tauber in die Stadt hinein und mache eine kurze Stadtrundfahrt. Freilich ist das für die Stadt viel zu wenig, denn es gäbe eine Menge zu sehen. Aber da ich noch einiges, was wert ist besichtigt zu werden, vor mir habe, stehe ich natürlich unter Zeitdruck. Es ist schon etwas problematisch, dass der heute wahrscheinlich kulturell interessanteste Tag meiner Tour der wahrscheinlich heißeste ist. Schon jetzt um 9 Uhr ist es sehr warm geworden. Also radle ich lediglich eine Runde durch die Altstadt über den Marktplatz und am Residenzschloss des Deutschen Ordens vorbei. Dann geht es nach einer halben Stunde schon weiter.

Hinter Bad Mergentheim wird es nun hügeliger und das Taubertal auch wieder etwas enger. Ich komme dann bald nach Markelsheim einem staatlich anerkannten Erholungsort. Hier sehe ich auch zum ersten mal Weinberge an der Tauber. Im Ort soll der Weinbau schon seit 1096 urkundlich belegt sein. Heute ist Markelsheim ein Stadtteil von Bad Mergentheim, der das gemütliche Flair eines Weinbauortes ausstrahlt und so zum Verweilen bei einem Glas des heimischen Weines einlädt. Bei mir hat das gemütliche Flair allerdings heute keine Chance. Ich muss weiter, denn langsam wird es unangenehm warm.

Schließlich gelange ich kurz vor 11 Uhr nach Weikersheim, auch ein Städtchen, das einen etwas längeren Aufenthalt verdient hätte. Weikersheim ist der Stammsitz der Grafen von Hohenlohe. Es gelang der Familie, ein beinahe geschlossenes Territorium im Gebiet der Tauber aufzubauen, das erst Anfang des 19. Jahrhunderts zerfiel und zwischen Baden-Württemberg und Bayern aufgeteilt wurde. Weikersheim erhielt zu Beginn des 14. Jahrhunderts das Stadtrecht und ist heute vor allem bekannt wegen seines eindrucksvollen Residenzschlosses, mit dessen Bau im 16. Jahrhundert an der Stelle eines ehemaligen mittelalterlichen Wasserschlosses begonnen wurde. Die Fertigstellung erfolgte im 18. Jhdt. Die Hauptattraktion des Renaissanceschlosses ist der monumentale Rittersaal, der sich mit seiner Höhe von neun Metern über zwei Stockwerke ausdehnt und von einer riesigen Kassettendecke abgeschlossen wird. Eigentlich wäre der Besuch ein „Muss“. Aber ich lasse das Schloss links liegen. Am Marktplatz, dem Mittel- und Ausgangspunkt für alle Sehenswürdigkeiten der Stadt, lege ich einen kurzen Stopp ein und betrachte mir alles von diesem Ausgangspunkt sichtbare. Mit dem Bau des Marktplatzes wurde 1719 begonnen. Sein Mittelpunkt bildet ein Rokokobrunnen aus dem Jahre 1768. Barocke Amtshäuser, die ab 1419 erbaute, spätgotische Stadtkirche und das Schloss umgeben den Platz, der die auf das Schloss bezogene Stadtanlage vervollständigen soll.

Nach diesem Rundblick geht es weiter. Nach wenigen Kilometern gelange ich in Tauberrettersheim an eine alte Tauberbrücke. Es ist die einzige noch erhaltene Brücke, die ebenfalls nach einem Entwurf von Balthasar Neumann errichtet wurde. Bereits im Jahre 1716 entstand hier eine Holzbrücke über die Tauber, diese wurde jedoch durch ein Hochwasser zerstört. Danach wurde nun eine massive Natursteinbrücke mit sechs Bögen. Sie ist ein weiteres Zeugnis für die Vielseitigkeit Balthasar Neumanns als Baumeister.

Nun geht es noch über Röttingen mit seinem barocken Rathaus aus dem Jahre 1750 nach Creglingen, wo ich etwa eineinhalb Kilometer vom Tauber-Radweg abfahre zur sogenannten Herrgottskirche, der ich aber nun ein eigenes Kapitel widme.

 

 

Besuch der Herrgottskirche in Creglingen – Der Marienaltar von Tilmann Riemenschneider

Während des Mittelalters gehörte auch Creglingen zum Herrschaftsgebiet der Fürsten von Hohenlohe-Brauneck. Bauern und Weinbauern hatten sich hier angesiedelt und im Jahre 1349 verlieh Kaiser Karl IV. dem blühenden Ort das Stadtrecht, was den Crelingern endlich, ähnlich wie dem nahen Rothenburg, die Errichtung von Befestigungen erlaubte. Die stark befestigte Stadt ging dann durch Heirat und Verkauf Ende des 14. Jhdt. an die Markgrafen Brandenburg-Ansbach. Zu dieser Zeit entstand auch die weithin bekannte Herrgottskirche , die später insbesondere durch den Marienaltar Tilmann Riemenschneiders bekannt geworden ist.

Nach einer Legende hatte an der Stelle, an der die Kirche heute steht, ein Bauer eine Hostie beim Pflügen eines Ackers gefunden. Da sich an dieser Stelle zahlreiche Zeichen und Wunder zugetragen haben sollen, wurde die Kapelle an eben jener Stelle erbaut. Sie diente fortan als Wallfahrtskapelle und als Ort des Totengedenkens für die jeweiligen Landesherren. Zunächst wurden die „zwaien untersten altaren“, gemeint sind der nördliche Seitenaltar sowie der Fronleichnamsaltar in der Mitte des Schiffes, am 21. März 1389 geweiht. Der „oberst altar“, der Altar im Chor, wurde zusammen mit dem Chor am 12. Dezember 1396 geweiht. Der südliche Seitenaltar wurde erst 1432 durch den Grafen Michael von Hardeck gestiftet. Die Kapelle unterstand den jeweiligen Landesherren (dominum temporale). Nach dem Verkauf der Creglinger Gebiete 1448 an Markgraf Albrecht Achilles gehörte die Stadt zu Brandenburg-Ansbach. Kirchenrechtlich unterstand Creglingen bis zur Reformation dem Bistum Würzburg.

Als ich die Kirche erreiche ist es bereits 11:30 Uhr, aber inzwischen hat das Thermometer die 30°-Marke erreicht. Insofern ist es für mich angenehm kühl als ich die Kirche betrete, ein Grund mehr hier etwas länger zu verweilen. Ich muss nun erst einmal den Eintritt von 4,- € bezahlen, finde es aber sehr angenehm, dass bei meiner Ankunft gerade zwei Reisebusse den Ort verlassen haben. So bin ich erst einmal alleine in der Kirche und auch später kommen nur zwei weitere Besucher hinzu. Wenn man sich von der Kasse aus umdreht steht man direkt vor dem Marienaltar, der mitten im Schiff der Herrgottskirche. Der der Jungfrau Maria gewidmet Altar ist eines der bekanntesten Werke von Tilman Riemenschneider. Der Stil der figürlichen Ausführung spricht für eine Ausführung in den Jahren nach der Fertigstellung des Rothenburger Heiligblut-Retabels um 1505–1508. Wie es zu diesem Auftrag kam, habe ich bisher noch nicht herausgefunden.

Der Altaraufsatz ist 9,20 Meter hoch und 3,68 Meter breit. Er besteht aus der Predella, dem Mittelschrein, zwei Seitenflügeln und dem Gesprenge. Gesprenge nennt man die Zieraufsätze# oberhalb eines Flügel- oder Hochaltars. In der Predella sind in drei gleich großen Nischen die Anbetung der Weisen, das Reliquienfach (die Monstranz mit der Hostie ging verloren) und die außerbiblische Erzählung, wie der zwölfjährige Jesus von einer Kanzel aus vor Erwachsenen eine Rede hält, zu sehen. 

Im Altaraufsatz ist die Himmelfahrt Mariens dargestellt. Links und rechts finden sich die zwölf Apostel. Das Gesprenge in der Höhe des Altars zeigt die Krönung Mariens. Links sitzt Gottvater und rechts der Sohn auf seinem Thron. Im linken Seitenflügel sieht man oben die Heimsuchung, unten die Verkündigung an Maria und im rechten Flügel oben die Geburt Jesu, unten die Darstellung Jesu im Tempel.

Die Besonderheit der Aufstellung des Altars hat wohl darin den Grund, dass jedes Jahr am 25. August das Licht durch die Westrosette so auf den Altar fällt, dass der Betrachter die Himmelfahrt Mariens mit eigenen Augen nachvollziehen kann. Dafür war ich leider zu früh dar.

Seit 1530 ist die Herrgottskirche evangelisch. Kurz nach Einführung der Reformation wurde die Kapelle geschlossen. Die Kapelle wurde einige Jahre nach der Schließung wieder geöffnet. Der Marienaltar blieb von der Reformation weitgehend verschont. Das war nicht selbstverständlich, denn gerade die Darstellung der Himmelfahrt Marias war für die Anhänger der Reformation, also der evangelischen Kirche, anstößig. Man begnügte sich in diesen Zeiten der Schlichtheit damit, im Jahre 1530 die Altartüren des prächtigen Werkes zu schließen, allerdings wurde er auch hinter  einem Bretterverschlag verborgen. Ansonsten wurde die Kirche nun protestantisch genutzt. Der Neugierde eines Stadtrates war es dann 1832 zu verdanken, dass der Altar wiederentdeckt und so der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Schließlich schaue ich mir noch die übrigen drei Altäre etwas genauer an. Auch das eindrucksvolle Wandbild des Heiligen Christopherus, das die ganze rechte Chorwand ausfüllt, betrachte ich etwas genauer. Nach einer Stunde in angenehmer Kühle verlasse ich aber dann die Kirche wieder. Draußen ist es nicht so schlimm wie ich befürchte habe, weil einige Schleierwolken die direkte Sonneneinstrahlung etwas dimmen. Unangenehm bleibt die Hitze dennoch und noch liegen etwa 20 Kilometer vor mir bis ich Rothenburg erreiche.

 

Die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Detwang – Der Heilig-Kreuz-Altar von Tilmann Riemenschneider

Und diese 20 Kilometer haben es besonders dadurch in sich, dass nun mit ca. 150 Höhenmetern die stärksten Steigungen auf der Route zu bewältigen sind. Die nächsten Kilometer werden dadurch natürlich anstrengender, auch wenn die Steigungen zu bewältigen sind. So fahre ich nun bei etwa 35° die Tauber hoch. Die Steigungen sind zwar noch immer relativ sanft, aber es wird eben doch anstrengender und in der Hitze, selbst wenn sie durch Wolken etwas gedämpft wird, ist fast unerträglich. Nun habe ich aber erst einmal ein weiteres Ziel vor Rothenburg, nämlich Detwang mit einem weiteren Riemenschneider-Altar. Auch wenn ich für die Natur im Moment wenig Sinn habe, muss ich doch feststellen, dass die Strecke zwischen Crelingen und Detwang landschaftlich eine der schönsten Streckenabschnitte entlang der Tauber ist. Das Tal wird enger, dennoch schmiegen sich hier einige Dörfer wie Archshofen, Tauberzell oder Bettwar in das Tal hinein.

Gegen 13:30 Uhr bin ich dann in Detwang. Leider macht die Kirche erst um 14 Uhr wieder auf. Natürlich verspüre ich wenig Lust in der Hitze noch eine halbe Stunde zu warten. Allerdings wollte ich mir die hier aufgestellten Riemenschneider-Altare doch mal insgesamt ansehen. Also setze ich mich auf dem Friedhof der St. Peter und Paul Kirche unter einen schattenspendenden Baum und gönne mir mit zwei meiner mitgebrachten und gut belegten Brötchen den Mittagslunch. Wasser habe ich ja noch genug. Während ich so mein Mittagsmal einnehme, mache ich mich mit Detwang etwas vertraut. Detwang ist das ältere Siedlungsgebiet von Rothenburg. Hier steht mit der Pfarrkirche St. Peter und Paul eine der ältesten Kirchen Frankens. Sie wurde 968 geweiht und ist die Mutterkirche Rothenburgs.

Es bleibt noch Zeit genug, um sich auch noch ein wenig mit dem Leben Tilman Riemenschneiders zu befassen. Deshalb stelle ich es auch hier kurz vor. Tilman Riemenschneider (1460-1531) lebte in einer Umbruchzeit, in der Übergangsphase vom Mittelalter (Gotik) zur Neuzeit (Renaissance). In dieser Zeit war Würzburg das Zentrum der Bildhauerkunst Süddeutschlands. Das Werk von Tilman Riemenschneider weist eine unverwechselbare handwerkliche Meisterschaft auf. Er blieb jedoch der mittelalterlichen Auffassung von Frömmigkeit verhaftet. Die Religiosität, die die Gesichter seiner Figuren ausstrahlen, ist eine stille, tiefempfundene, die Gefühlsregungen sind verhaltene, innige. Insofern erinnert Tilman Riemenschneider mich immer sehr stark an den Naumburger Meister, der zwar etwa 250 Jahre früher gelebt hat, in seiner Ausdrucksstärke bei der Darstellung von Personen aber sicher eine sehr große Ähnlichkeit mit den Werken von Riemenschneider hat. Beide waren sicher mit die bedeutendsten Bildhauer  bzw. Bildschnitzer ihrer Zeit. So gilt Riemenschneider etwa ab 1490 der bedeutendste spätgotische Bildschnitzer in Mainfranken.

Riemenschneider wurde 1460 als Sohn eines Münzmeisters im thüringischen Heiligenstadt geboren. Er begab sich als junger Bildschnitzergeselle auf Wanderschaft und gelangte dabei erstmals nach Würzburg und bereiste u.a. Schwaben und den Oberrhein. 1485 heiratete er die Goldschmiedewitwe Anna Schmidt. Durch die Einheirat in einen bestehenden Werkstattbetrieb wurden ihm das Bürgerecht und die Meisterwürde der Stadt Würzburg übertragen. Seine gut gehende Bildhauerwerkstatt, in der bis zu 18 Gesellen arbeiteten, erhielt zahlreiche Aufträge. Zu den Meisterwerken zählten „Adam und Eva“ am Portal der Würzburger Marienkapelle, das Kaisergrab (1499) im Bamberger Dom und die Altäre in Münnerstadt, Rothenburg und Creglingen. Da Riemenschneider keines seiner Werke signiert hat, ist die Unterscheidung zwischen vollständig eigenhändiger Arbeit Riemenschneiders und Arbeiten der Mitarbeiter in seiner Werkstatt sehr schwierig. Als später die Nachfrage nach seinen Werken stark anstieg und Riemenschneider selbst immer mehr durch seine öffentlichen Ämter in Anspruch genommen wurde, oblag die Ausführung der Arbeiten immer mehr seiner Werkstatt. Hier waren zeitweise allein zwölf Lehrlinge beschäftigt. Wahrscheinlich hat Riemenschneider oft nur die Entwürfe geliefert und die Fertigung beaufsichtigt. Diese Werke werden heute mit „Tilman Riemenschneider und Werkstatt“ bezeichnet.

Die Wertschätzung als mainfränkischer Künstler wurde u.a. auch dadurch deutlich, dass er 1504 als Mitglied in den städtischen Rat gewählt wurde. Diesem gehörte er für zwei Jahrzehnte an. 1520-25 fungierte er sogar als Bürgermeister von Würzburg. Nachdem er sich 1525 im Bauernkrieg auf die Seite der Aufständischen geschlagen hatte, geriet er in Misskredit. Die Anführer des Aufstands – unter ihnen alle Würzburger Ratsherren – wurden in den Verliesen der Festung Marienberg eingekerkert, gefoltert und zum Teil grausam bestraft. Auch Tilman Riemenschneider war zwei Monate in Kerkerhaft, in der er „vom hencker hart gewogen und gemartert“ wurde. Gegen Zahlung der Hälfte seines Vermögens wurde er freigelassen. Die nachtragende Obrigkeit sorgte dafür, dass Tilman Riemenschneider seine politischen Ämter und seine Arbeit verlor und bald in Vergessenheit geriet. Nach seiner Freilassung erhielt er nie mehr einen größeren Auftrag. Der Meister der spätgotischen Plastik starb 1531 in Würzburg.

Als ich von meinen Studien aufschaue, bemerke ich dass die Kirchentür von St. Peter und Paul gerade von einer Dame aufgeschlossen wird. Nach wenigen Minuten folge ich ihr und frage sie, ob die Kirche nun schon aufhabe, denn es ist erst 13:50 Uhr. Als sie dies mit einem Nicken beantwortet, schlüpfe ich schnell hinein und genieße erst einmal die kühlende Luft. Dann mache ich mich auf die Erkundungstour. Die kleine einschiffige Kirche ist mit einem eingezogenen, kreuzrippengewölbten Chor im Unterbau des quadratischen Turms, einer zweijochigen Sakristei in der Nordecke zwischen Turm und Langhaus und zwei romanischen Stufenportalen versehen. Sie ist recht leicht überschaubar. Der Heilig-Kreuz-Altar von Tilmann Riemenschneider steht hier im Chor hinter der mittleren der drei gotischen Arkaden. Er macht schon auf den ersten Blick einen etwas merkwürdig unvollständigen Eindruck und strahlt nicht die Meisterschaft der sonstigen Werke Riemenschneiders aus. Ursprünglich war der Altar wohl für die Michaelskapelle in Rothenburg geschaffen worden. Er wurde dann 1653 aus welchen Gründen auch immer nach Detwang übertragen. Allerdings war er für den Chor des kleinen Kirchleins zu breit und musste daher verkleinert werden. Der Heilig-Kreuz-Altar ist also ein nur noch fragmentarisch erhaltenes Retabel, das die Kreuzigung Jesu darstellt. Bei der Neuaufstellung wurde der Schrein in der Breite um 40 cm reduziert und die Komposition dadurch verengt und entstellt. Wegen der engen stilistischen Verwandtschaft wird es den Werken von Tilman Riemenschneider und seiner Werkstatt zugerechnet. Der Skulpturenschmuck wird in die Jahre 1505 und 1508 datiert und wurde somit etwa zur gleichen Zeit gefertigt wie das Creglinger Marien-Retabel. Im Schrein ist der Gekreuzigte dargestellt, links davon die Gruppe der klagenden Frauen mit Johannes und eine Gruppe mit dem Pharisäer rechts. Auf den Flügeln sind Flachreliefs mit der Ölbergszene und der Auferstehung Christi zu finden.

Etwas enttäuscht wende ich mich von dem Riemenschneider-Altar ab und schaue mir noch die Zwei Seitenaltäre und das Taufbecken an. Es fällt mir etwas schwer, diesen kühlen Raum zu verlassen und mich noch einmal in die Hitze zu begeben. Aber was sein muss muss eben sein und so verabschiede ich mich von der wortkargen Aufsicht und verlasse mit meinem Fahrrad den Friedhof und radle ziemlich lustlos weiter.

Rothenburg ob der Tauber

Eigentlich sind es ja nur noch etwa 3 Kilometer bis nach Rothenburg. Ich fahre also weiter und nach etwa zwei Kilometern komme ich an einer weiteren Sehenswürdigkeit kurz vor Rothenburg vorbei, dem sogenannten Topplerschlösschen.

Das Topplerschlösschen wurde vom Rothenburger Bürgermeister Heinrich Toppler im Jahr 1388 im Bautyp eines sogenannten Weiherhauses, einer Sonderform des Festen Hauses, als Sommerhaus errichtet. Heinrich Toppler war der bedeutendste Bürgermeister der freien Reichsstadt Rothenburg. Von 1373 bis 1407 hatte er dieses Amt mit Unterbrechungen inne. 1388 wurde er zu einem der vier Hauptleute des Schwäbischen Städtebundes gewählt. 1408 wurde er nach einer Intrige als Hochverräter verhaftet und enthauptet.

Eigentlich in der Stadt Rothenburg wohnend, hatte Toppler den Bauplatz für einen Landsitz von der Stadt erworben und zwischen 1388 und 1440 das kleine Schlösschen darauf errichtet. Es diente nicht nur zu seinen Repräsentationszwecken, sondern laut dem Kaufvertrag für das Grundstück auch dem Schutz der Mühlen im Tal der Tauber. Nach seiner Ächtung fiel es an die Stadt Rothenburg. In der Folge gehörte es verschiedenen Rothenburger Familien, seit 1861 ist es im Besitz der Familie Boas, die es bis in die 1960er Jahre als Ferienhaus vermietete.

Den Unterbau des Schlösschens bildet ein turmartiger, zweigeschossiger Bruchsteinsockel von 5,4 m Durchmesser. Auf diesem sitzen zwei weit vorkragende Fachwerkobergeschosse mit steilem Satteldach. Kleine Herrenhäuser dieses Typus waren im Spätmittelalter häufig, sind jedoch äußerst selten erhalten. Das Gebäude stand ursprünglich in einem künstlichen Weiher mit einem größten Durchmesser von 55 m, der durch eine Quelle gespeist wurde. Über den heute trockenen Hausteich führte ursprünglich eine Zugbrücke, heute übernimmt ihre Funktion eine Steinbrücke aus dem 16. Jahrhundert.

Ich mache hier einige Fotos, verspüre jedoch kein Verlangen, dieses Haus mir von innen anzuschauen. Ich will jetzt eigentlich nur noch in meine Unterkunft in Rothenburg. Also geht es weiter. Nach einigen Metern gelange ich an eine recht befahrene, sich nun in Serpentinen nach Rothenburg hochschlängelnde Straße. Auf der anderen Seite der Straße beginnt ein sehr steiler Fahrrad- und Fußweg hinauf in die Stadt. Ich merke gleich, dass ich hier nicht mehr fahren kann, sondern schieben muss. Also los. Wie sehr beneide ich da die E-bike Fahre, die mich nun zahlreich überholen. Sie können auf diesem Weg natürlich alles herausholen, was ein solches E-bike zu bieten hat und das ist bei solchen Steigungen eine ganze Menge. Ich muss öfters Pausen einlegen, komme aber schließlich doch nach etwa einem Kilometer schieben ziemlich schweißgebadet auf einer der Hauptstraßen von Rothenburg am Plönlein, dem Wahrzeichen Rothenburgs, an. Noch 300 Meter und ich komme nun doch ziemlich erschöpft bei meiner Unterkunft, dem Hotel Klosterstüble, an.

Ich werde sehr freundlich empfangen und brauche auch nicht lange auf das von mir gewünschte, frisch gezapfte und kühle Bier warten. Nachdem mein Fahrrad in der Garage untergestellt ist, ich eingecheckt  und mich auf meinem Zimmer kurz eingerichtet habe, lege ich mich auf das Bett und falle sehr schnell in einen Tiefschlaf.

Besuch der Jakobskirche – Der Heilig-Blut – Altar von Tilman Riemenschneider

Um 16:45 Uhr klingelt dann der Wecker meines Handys und ich erwache gefühlt aus dem Tiefschlaf. Den Wecker hatte ich extra gestellt, um noch der St. Jakobskirche einen Besuch abzustatten, die um 18 Uhr schließt. Also quäle ich mich von meinem Bett hoch, nehme im Bad eine Dusche und kleide mich etwas für die Stadt geeigneter an. Dann mache ich mich auf den Weg zur nur wenige Meter entfernten Jakobskirche. Die (ursprünglich katholische) evangelisch-lutherische Stadtpfarrkirche St. Jakob in Rothenburg ob der Tauber wurde zwischen 1311 und 1484 erbaut. Dabei wurde der Ostchor 1322 vollendet, nach einer Baupause wurde das Hauptschiff zwischen 1373 und 1436 errichtet. Der eine Straße überbrückende Westchor mit der Heilig-Blut-Kapelle wurde zwischen 1453 und 1471 erbaut. Die Weihe erfolgte 1485. 1544 wurde die Reformation eingeführt. Zwischen 2005 und 2011 wurde die Kirche aufwendig saniert.

Die sicher bekannteste Sehenswürdigkeit dieser Kirche ist das sogenannte Heilig-Blut-Rentabel von Tilman Riemenschneider. Nun also bereits der dritte Altar von ihm im Umkreis von zwanzig Kilometern. Der Altar befindet sich auf der Westempore der Kirche, die man allerdings innen nicht auf Anhieb findet, weil es eigentlich ein ungewöhnlicher Chorraum hinter der Orgel der Kirche ist. Ich war bereits vor vier Jahre bei meiner Tour nach Santiago de Compostela einmal hier. Das Rentabel hat Tilman Riemenschneider zwischen 1500 und 1505 für eine Heilig-Blut-Reliquie geschnitzt. Diese Reliquie wird im Gesprenge in einer Bergkristallkapsel des Reliquienkreuzes aufbewahrt (ca. 1270). Bei der Heilig-Blut-Reliquie soll es sich um einen während des letzten Abendmahls aus dem Kelch verschütteten Tropfen handeln, der durch die Wandlung zum Blut Christi wurde. Themen der figürlichen Ausgestaltung sind Jesus Einzug in Jerusalem (rechter Flügel), das Abendmahl Jesu (Mittelschrein) und der Ölberg (linker Flügel). Innovativ waren dabei nicht nur die grandiose Schnitztechnik des Meisters, sondern auch die monochrome Fassung und die Gestaltung des Retabels als ständiges, unveränderliches Schaustück (die Flügel sind auf den Werktagsseiten nicht gestaltet). Der durchbrochene Schrein und die raffinierte Reliefausarbeitung verbinden sich mit einer revolutionären Lichtdramaturgie, wie man sie bis dahin noch nicht gekannt hatte. Die zentrale Figur ist Judas, nicht, wie sonst üblich, Jesus selbst. Judas und Jesus haben überdies eine erstaunliche Ähnlichkeit in den Gesichtszügen. Die Figur des Judas kann aus dem Bild herausgenommen werden und verdeckt den Spalt zwischen den beiden Reliefblöcken des Schreins. Erst bei Herausnahme der Figur des Judas wird der dahinterliegende Apostel Johannes voll sichtbar; dieser hat den Kopf auf seine Arme gebettet und schläft. Letzteres kann ich freilich leider nicht sehen, weil die Figur des Judas nicht herausgenommen ist.

Ich verweile hier einige Zeit und wundere mich ein wenig wegen welcher ziemlich absurden Geschichten (verschütteter Wein als Reliquie 🤔😂) man einen wertvollen Altar schnitzen konnte. Danach verlasse ich den Westchor und gehe wieder hinunter in das Mittelschiff und in den Ostchor. Hier steht der Hauptaltar der Kirche, der sog. Zwölf-Boten-Altar aus dem Jahr 1466. Der spätgotische Flügelaltar enthält eine geschnitzte Kreuzigungs- und Heiligengruppe. Neben den Flügeln und der Predella ist der Altar an den Außenseiten und der Rückseite bemalt. Die Bilder des Altars stammen von Friedrich Herlin, die plastischen Bildwerke wohl aus der Ulmer Schule unter dem Einfluss Hans Multschers. Auf der Rückseite der Seitenflügel (Werktagsseite) sind die älteste Darstellung der Stadt Rothenburg ob der Tauber und sehr seltene Bildlegenden von Jakobspilgern zu sehen, die im Zusammenhang mit der Jakobus-Legende stehen. Diese Rückseite kann ich leider nicht sehen, weil der Altar geöffnet ist und man nicht drumherum gehen darf.

Bei meinem Rundgang komme ich auch an dem Loudwig von Toulouse Altar vorbei, dessen figürliche Gestaltung ebenfalls von Tilman Riemenschneider geschaffen worden sein soll, während die gemalten Flügel Jakob Mülholzer zugeschriebenen werden. Inzwischen hat sich die Kirche ziemlich verdunkelt, weil draußen am Himmel dunkle Wolken aufgezogen sind. Ich beschließe daher zunächst mein Abendessen im Hotel Klosterstüble einzunehmen. Bald beginnt es zu regnen und zwar kurz und heftig. Ich esse derweil eine der angebotenen Pizzen, die sehr gut schmeckt. Dazu gibt es noch zwei Bier und damit kann ich den Regen gut überdauern. Nachdem ich mein Essen beendet habe, hat auch der Regen wieder aufgehört. Ich gehe also vor die Tür des Hotels und bin sehr überrascht, dass die Temperaturen nach dem Regen um etwa acht Grad gefallen sind und insofern eine recht angenehme Frische in diesen Tag noch Einzug gefunden hat. Obwohl ich schon wieder oder noch immer recht müde bin, beschließe ich doch noch einen Spaziergang durch Rothenburg zu machen.

Spaziergang durch Rothenburg

Es wird kein sehr weiter und auch kein sehr langer Spaziergang. Vor allem schaue ich noch auf dem sehenswerten Marktplatz mit seinem Renaissance-Rathaus  aus dem Jahre 1572-78 und schlendere etwas länger auf dem Felssporn, auf dem einst die Burg gestanden hat, herum. Hier zunächst ein kurzer historischer Abriss zur Geschichte der Stadt: Rothenburg ob der Tauber erhebt sich auf einem Hochplateau und ist umgrenzt von wehrhaften Mauern. Als Sinnbild des Mittelalters in Deutschland hat Rothenburg sein einzigartiges historisches Stadtbild bewahrt und wurde nach dem 2. Weltkrieg gekonnt wieder aufgebaut und restauriert.

Die Stadtmauer mit ihren Wehrgängen und mächtigen Basteien zeugt von einer langen und bewegten Vergangenheit. Im 10. Jahrhundert entstand die fränkische Grafenburg oberhalb des Taubertals. Die danach von den Staufern errichte Kaiserburg wurde in Folge zur Keimzelle der Stadt. Der Aufschwung begann mit der Erhebung zur Freien Reichstadt im Jahre 1274. In den nächsten 100 Jahren entstand ein Handelszentrum ersten Ranges, das um 1400 unter dem Bürgermeister Heinrich Toppler seinen Höhepunkt erreichte. Sein gewaltsamer Tod ließ den Ruhm der Stadt in der Folgezeit verblassen.

Heinrich Toppler (* um 1340 in Rothenburg ob der Tauber; † 13. Juni 1408 ebenda) war ein Ratsherr der Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber. Er wurde wiederholt zum Bürgermeister der Stadt gewählt. Unter seiner Führung erwarb die Stadt zahlreiche Burgen und Landgüter in ihrem Umfeld und stieg zu einer wichtigen Regionalmacht in Süddeutschland auf.  Parallel zu dem Ausbau des reichsstädtischen Territoriums erlangte er auch persönlich einen umfangreichen Grundbesitz, der ihn zu einem der reichsten Bürger Rothenburgs werden ließ. Im Taubertal, außerhalb der Stadtmauern, ließ er sich einen repräsentativen Wohnturm, das sogenannte Topplerschlösschen errichten, an dem ich ja vorhin schon vorbeigefahren bin. Zum Verhängnis wurde Toppler schließlich eine Auseinandersetzung mit König Rupprecht und den Nürnberger Burggrafen. In seiner militärischen Bedrängnis wandte sich Toppler dem abgesetzten König Wenzel zu. Nachdem diesbezüglich Briefe Wenzels an die Stadt Rothenburg abgefangen worden waren, leitete Rupprecht einen Hochverratsprozess gegen Toppler ein. Daraufhin wurde er 1408 in das Verlies des Rathauses eingesperrt und verstarb wenige Monate später unter bis heute ungeklärten Umständen. Man vermutet das er hingerichtet wurde.

Nach seiner ersten Wahl zum Bürgermeister 1373 machte er sich rasch einen Namen durch waghalsige, aber erfolgreiche politische und finanzielle Transaktionen. Ruhm erwarb er sich aber vor allem durch seine langfristigen Maßnahmen wie den schon erwähnten Erwerb von Burgen und Landgütern um Rothenburg herum, so dass bis 1406 rund 400 Qkm der Stadt gehörten. Eine weitere langfristig wichtige Maßnahme war die systematische Förderung der Wiederansiedlung von Juden in der Stadt ab 1374. Im Mittelalter war es allein den Juden erlaubt, das Kreditgewerbe auszuüben. Im Spätmittelalter vollzog sich ein Wandel von der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft. Kredite spielten eine zunehmende Rolle bei der Finanzierung von Unternehmungen, von Bauten und von Kriegszügen. Der Zuzug der Juden stärkte somit die finanzielle Beweglichkeit des Gemeinwesens. Gleichzeitig trugen die jüdischen Unternehmer mit ihren beträchtlichen Steuerzahlungen erheblich zur Füllung der Stadtkasse bei. Während um 1370 Juden in Rothenburg wirtschaftlich keine Rolle gespielt hatten, brachten 1388 allein acht jüdische Familien etwa ein Zehntel des Steuerhaushalts der Stadt auf. Parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung trieb Toppler den Ausbau der Rothenburger Stadtbefestigung voran. Die äußere Stadtmauer wurde verstärkt und erweitert, wenngleich sie bereits vor der Topplerzeit weitgehend fertig gewesen sein dürfte. Aber auch dies wurde ihm zugerechnet, so zeigt sich, dass der Ruhm Heinrich Topplers auch legendenumwoben ist. Immerhin hat die Stadt ihm 1908, also 500 Jahre nach seinem Tod einen Gedenkstein auf dem Burgplateau aufgestellt, der auch 2008 noch einmal besonders hervorgehoben wurde. Welcher Bürgermeister kann schon auf eine so lange Verbundenheit seiner Stadt mit ihm verweisen.

Aber zurück zu Geschichte. 1525 verbündete sich die Stadt mit dem Bauernführer Florian Geyer, womit Rothenburg jedoch eine fürchterliche Niederlage gegen das fürstliche Heer der Ansbacher Markgrafen erlitt. Etwas später schloss sich die Stadt 1544 der Reformation an. Während des Dreißigjährigen Krieges gelang es nach mehreren Versuchen der katholischen Liga unter Feldherr Graf von Tilly 1631 die Stadt zu erobern. Der Legende nach wollte Tilly die Anführer des Widerstandes hinrichten lassen. Beim Willkommenstrunk hatte er den Einfall, Gnade walten zu lassen, wenn es jemandem gelänge 13 Schoppen Wein (3,25 liter) in einem Zug zu leeren. Altbürgermeister Nusch wagte erfolgreich diesen Meistertrunk. Aus diesem Anlass findet nun jährlich das Festspiel des Meistertrunks statt. Tatsache ist aber auch, dass die Legende vom Meistertrunk erst 1770 entstanden ist. Es ist jedoch anzunehmen, dass Tilly die Stadt verschonte, da er nicht wollte, dass sich die Geschehnisse von Magdeburg, bei denen seine Truppen wenige Monate zuvor die Bevölkerung massakriert und die Stadt niedergebrannt hatten, wiederholten. Die Bluttat von Magdeburg erklärt aber auch die Angst, die die damaligen Rothenburger beim Nahen der Tillyschen Armee empfunden haben müssen.

Nach den Wehen des Dreißigjährigen Krieges verlor Rothenburg seine Macht. Mit der unter großen Besitzverlusten erfolgten Einverleibung ins Königreich Bayern gab es1802 auch noch seine Reichsfreiheit ab. Erst im Zeitalter der Romantik erweckten Maler und Poeten das vergessene Städtchen aus einem Dornröschenschlaf. Künstler wie Ludwig Richter und Carl Spitzweg verewigten seine romantischen Winkel in ihren Bildern. Der mittelalterliche Charakter ist heute durch das Eingreifen des damaligen Unterstaatssekretärs im US-Kriegsministerium und späteren US-Hochkommissar für Deutschland, John McCloy, erhalten geblieben. Er erklärte 1950 schriftlich, er habe einen auf Rothenburg geplanten Artillerieangriff durch seine Intervention beim zuständigen General Devers verhindert. Dafür bekam er später von der Stadt die Ehrenbürgerwürde verliehen. McCloy kannte Rothenburg nur aus Erzählungen seiner Mutter, die die Stadt vor dem Krieg besucht hatte und von dem mittelalterlichen Ort schwärmte. So wurde das kostbarste Kapital Rothenburgs, sein mittelalterlicher Charakter noch vor Kriegsende gerettet.

Auf dem Burgplateau, von wo man auch einen sehr schönen Blick auf Teile der Altstadt von Rothenburg hat, verharre ich dann noch an dem schon erwähnten Gedenkstein für Heinrich Toppler, aber auch an dem Gedenkstein für ein Judenpogrom im Jahre 1298. Das als Rintfleisch-Pogrom oder RintfleischVerfolgung in die Geschichte eingegangene Pogrom führte vor allem in Franken, aber auch in der Oberpfalz und anderen Teilen Altbayerns, zu einem Massenmord an Juden, bei dem auch die Stadt Rothenburg beteiligt bzw. ihre Juden nicht geschützt hat. Ausgangspunkt des Massakers ist ein Gerücht in der kleinen Stadt Röttingen, durch die ich ja gestern bereits gefahren bin, dass es eine Hostienschändung durch Juden gegeben habe. Eine Gruppe von „Judenschlägern“ zog unter der Anführung des „nobilis Rintfleisch“ oder „König Rintfleisch“ durch Franken und angrenzende Gebiete und verübte Massaker an den örtlichen jüdischen Gemeinden. Am 20. April 1298 wurden in einem ersten Massaker die 21 Juden der Stadt Röttingen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Rintfleisch, der in den Quellen teilweise als verarmter Ritter und meist als „carnifex“ (= Fleischer, aber auch Scharfrichter) bezeichnet wird, verkündete, er habe vom Himmel eine persönliche Botschaft erhalten und sei zum Vernichter aller Juden ernannt worden. Rintfleisch, dessen Vorname nicht überliefert ist, war wahrscheinlich kein Adliger.

Der Höhepunkt der Massaker war in der zweiten Julihälfte, im August ebbten die Verfolgungen ab, den Schlusspunkt bildete die Vernichtung der jüdischen Gemeinde von Heilbronn am 19. Oktober 1298. Insgesamt wurden mindestens 4000 bis 5000 Juden ermordet, die jüdischen Gemeinden vieler Städte in Franken wurden ausgerottet. Die Gemeinde in Rothenburg ob der Tauber wurde in vier Wochen drei Mal angegriffen: Am 25. Juni waren 53 Tote zu beklagen (nach anderer Quelle 57), am 18. Juli weitere mindestens 36; der Rest der Gemeinde, knapp 450 Menschen, floh daraufhin in die Rothenburger Reichsburg, die ab Sonntag, 20. Juli, belagert und am 22. Juli eingenommen wurde; alle Juden wurden umgebracht.

Nun reicht es mir für heute. In meinem nahe gelegenen Hotel lege ich mich bald ins Bett und hoffe auf einen erholsamen Schlaf.

 

 

Herrliches Altstadtpanorama von Süden vom Burgtor zum Weißen Turm, Aufnahme 2016 – Also nicht von mir, sondern aus wikipedia (Liste der Baudenkmäler in Rothenburg ob der Tauber/Altstadt) übernommen, weil ich es leider nicht so schön gesehen und hinbekommen habe.

 

 

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