17. Tag (30. September 2020): Von Gorleben nach Boizenburg

Tagesdaten: 92,63 Km

Nachdem ich aufgestanden bin genieße ich erst einmal einen traumhaften Blick aus dem Fenster auf die Elbauen. Das Wetter ist auch wieder sehr schön, obwohl zunehmend Wolken kommen sollen. Noch ist der Himmel aber strahlend blau. Vor meiner Zimmertür steht ein Korb mit meiner gewaschenen Wäsche. So kann ich mich heute mal wieder richtig frisch ankleiden. Auch das Frühstück ist perfekt. Ein riesiges Buffett steht für mich alleine bereit. Die übrigen Gäste scheinen schon früher das Hotel verlassen zu haben. Wurst und Käse sind aber wieder aufgefüllt, so dass es an nichts mangelt.

Abstecher zu den Lagern von Gorleben

Nach dem Frühstück möchte ich zunächst noch in Gorleben bleiben und mir mal anschauen, was man von dem Atommülllager Gorleben und von dem ursprünglich als Endlager für den Atommüll vorgesehenen Salzstock Gorleben sehen kann. Die Anlagen liegen einige Kilometer außerhalb des Ortes in einem Waldgebiet. Zunächst gelangt man zum Atommülllager Gorleben, dass aber lediglich ein Zwischenlager für den hochradioaktiven Abfall sein soll. Die endgültige Lagerung sollte bis vorgestern im Salzstock Gorleben erfolgen. Natürlich sind beide Standorte nicht zugänglich. Vom Zwischenlager erkennt man von außen nur das Transportbehälterlager, wenn man die Beschreibung gelesen hat, die die Gegner dieser Lagerungsstätten inzwischen auf Schautafeln dargestellt haben. Es entbehrt übrigens nicht einer gewissen Ironie, dass zumindest der erste Eindruck so wirkt als habe sich eine friedliche Koexistenz zwischen den Betreibern der beiden Lagerstätten und deren Gegnern entwickelt.  Die Gegner der Lagerungsstätten haben nämlich inzwischen zwischen den beiden Standorten ebenfalls einen festen Standort der als Infopunkt mit Schautafeln und Erläuterungen errichtet wurde. Als Mahnmal wurde das Schiff Beluga hierher transportiert. Es handelt sich um ein ehemaliges Hafenfeuerlöschboot, das von 1985 bis 2004 für Aktionen der Organisation Greenpeace eingesetzt und nach dem Beluga, einem weißen Gründelwal der sporadisch in Flüsse einwandert, benannt war.

Nur wenige hundert Meter weiter gelangt man dann zum geplanten Endlager im Salzstock Gorleben, dass – wie schon gesagt – bis vorgestern im Salzstock Gorleben vorgesehen war. Schon von weitem ist ein großer Förderturm auf dem Gelände sichtbar. Im Februar 1977 benannte die niedersächsische Landesregierung schließlich den Salzstock Gorleben als einzigen Standort für das Endlager sowie das „Nationale Entsorgungszentrum (NEZ)“. Die letztliche Entscheidung für Gorleben ist nach dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht vor allem aus strukturpolitischen Gründen zur wirtschaftlichen Entwicklung des damaligen Zonenrandgebietes gefallen. Sicherheitsorientierte geowissenschaftliche Argumente spielten bei der Festlegung auf Gorleben nicht die Hauptrolle. Das rief natürlich die Atomkraftgegner auf den Plan und es kam in den folgenden Jahren zu zahlreichen Protesten. Trotz dieser Proteste erfolgte in den Jahren 1979 bis 1983 die übertägige und von 1986 bis 2000 die untertägige Erkundung. Die Kosten für die Erkundung von bisher 1,6 Milliarden Euro (2013) wurden bisher zu 90 % von den Energieversorgungsunternehmen getragen. Die übrigen Kosten wurden vom Bund übernommen. Ich will hier nicht auf die weiteren Diskussionen zwischen 2000 und heute eingehen. Zumindest steht nun seit vorgestern aufgrund des Zwischenberichts zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle fest, dass es in Gorleben kein Endlager für den Atommüll geben wird.

Dennoch komme ich natürlich nicht auf das Gelände. An der Wache empfiehlt man mir aber doch einfach mal um das Gelände herumzufahren, weil es hier entlang des Zauns einen weitgehend asphaltierten Weg gebe: So umfahre ich die Anlage, aber außer dem Förderturm und einigen übertägigen Bauten erschließt sich mir nicht mehr viel. So fahre ich dann auch bald zurück nach Gorleben und starte zu meinem heutigen Ziel Boizenburg

Fahrt nach Boizenburg

Zunächst fahre ich von Gorleben aus auf der Kreisstraße K 27 etwa 10 Kilometer bis Langendorf. Dort geht es dann auf einem Fahrradweg auf dem Elbedeich weiter bis zur Bundesstraße B 191. Kurz bevor ich diese erreiche passiere ich die teilweise mit 1050 Metern einstmals längste Eisenbahnbrücke Deutschlands, die 1870 bis 1873 erbaut wurde. Die Brücke wurde durch amerikanische Bombenangriffe am 20. April 1945 erheblich beschädigt und war seitdem nicht mehr nutzbar. Dennoch ist sie heute noch ein nicht zu übersehendes Ruinendenkmal in der Elbe. Kurz dahinter gelange ich auf die B 191 auf der ich über eine neue Autobrücke auf die anderes Seite der Elbe wechsle und bei Dömitz nach Mecklenburg Vorpommern komme. Diese Straßenbrücke die auch schon ehemals in den 1930er Jahren eine Vorgängerbrücke hatte, wurde nach der Wende 1992 neu errichtet.

Ich passiere dann das Dorf Rüterberg, dass direkt an der Elbe liegt und damit seinerzeit direkt an der Grenze. Dieses Dorf war durch seine politisch etwas ungünstige Lage ab 1967 nahezu abgesperrt von der Außenwelt. Aber am 8. November 1989 wurde auf einer Einwohnerversammlung beschlossen, das Schicksal fortan in die eigene Hand zu nehmen und die Einwohnerversammlung fasste den Beschluss, sich zur Dorfrepublik Rüterberg nach dem Vorbild der Dorfgemeinschaften in der Schweiz zu erklären. Der Zufall der Geschichte wollte es, dass bereits am nächsten Abend die Berliner Mauer geöffnet und damit auch die deutsch-deutsche Grenze immer durchlässiger wurde. Hätte die Geschichte einen anderen Verlauf genommen, wäre dies für die Einwohner sicher nicht so glimpflich ausgegangen. Aber der selbsternannten Dorfrepublik wurde tatsächlich noch staatliche Anerkennung zuteil. So verlieh das Land Mecklenburg-Vorpommern 1991 der Gemeinde Rüterdorf bis 2002 das Recht. die Bezeichnung „Rüterberg Dorfrepublik 1967-1989“ auf dem Ortsschild zu führen. Heute erinnern nur noch Schautafeln und ein Denkmal aus Elementen des ehemaligen Metallgitterzauns an dieses Ereignis.

Nur wenige Meter hinter Rüterberg passiert man abermals die Grenze nach Niedersachsen und gelangt in das Gebiet des Amtes Neuhaus, das ebenfalls eine historische Eigentümlichkeit aufgrund der geografischen Lage aufweist. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gehörte fast das gesamte Gebiet des Amtes Neuhaus noch zum Landkreis Lüneburg und damit zu Hannover. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte das ehemals hannoversche Gebiet damit zunächst kurzzeitig zur britischen Besatzungszone, aus praktischen Gründen (keine Brücke über die Elbe und entsprechend zu erwartende Versorgungsschwierigkeiten) erfolgte aber im Juli 1945 eine Übergabe an die sowjetische Besatzungszone und daraus folgend eine Zugehörigkeit zur DDR. Nach der Wende wurden im Mai 1990 in den acht alten selbständigen Gemeinden Gemeinderatswahlen durchgeführt, und am 31. März 1992 wurde das Amt Neuhaus aus den acht Gemeinden neu gebildet. Die acht Gemeinderäte beschlossen jeweils einstimmig einen Wechsel zum Land Niedersachsen. Bis zum 29. Juni 1993 gehörten sie noch zum Landkreis Hagenow des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Am 30. Juni 1993 wurden sie durch einen Staatsvertrag zwischen den beiden Bundesländern wieder Teil des Landkreises Lüneburg.

Sehr reizvoll ist hier die Fahrt durch die Elbauen, insbesondere bei so schönem Wetter wie heute. Von hier hat man dann auch ab der Höhe des auf der gegenüberliegenden Seite der Elbe liegenden Hitzackers einen Blick auf die Klötzie, einem Höhenzug, der sich entlang des Elbrandes in nördlicher Richtung zieht und zum Drawehn gehört, einer teils bewaldeten, teils landwirtschaftlich genutzten Hügellandschaft im Nordosten des Landes Niedersachsen. In Darchau setze ich dann mit einer Fähre wieder über die Elbe und fahre in das gegenüber gelegene,  erheblich größere Neu Darchau. Von dort geht es dann auf einem Radweg entlang der Kreisstraße bis Alt Garge und von dort über den Elbedeich bis nach Bleckede. In dieser hübschen Fachwerkstadt mit seinem Fachwerkschloss mache ich eine Pause. Danach geht es wieder mit der Fähre über die Elbe und nach etwa 7 Kilometern verlasse ich das Amt Neuhaus und bin wieder in Mecklenburg-Vorpommern. Von hier sind es dann nur noch etwa 7 Kilometer bis nach Boizenburg. Mein „Waldhotel“ liegt aber wie der Name schon andeutet etwas außerhalb von Boizenburg und zwar mitten im Wald. Dennoch bin ich sehr zufrieden, zumal ich im Restaurant auch zu Abend essen kann.

 

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