Bereits gestern bin ich mit dem Zug hier nach Naumburg angereist. Nach dem guten Frühstück in Hotel Kaiserhof unweit des Bahnhofs breche ich auf. Es ist wieder einmal ein herrlicher Tag. Die Sonne scheint, der Himmel bleibt blau und die Temperaturen werden auf deutlich über 10 Grad steigen. Ab Mittag konnte man sogar schon auf Handschuhe beim Radfahren verzichten. Heute standen zwar weniger Kilometer an. Dafür gibt es aber rund um Naumburg eine starke Konzentration romanischer Sehenswürdigkeiten. Die standen heute an. Im Mittelpunkt steht natürlich der Naumburger Dom, der nun seit etwas mehr als einem halben Jahr auch in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen worden ist. Der Weg vom Hotel ist nicht sehr weit. Ich schließe mein Fahrrad vor dem Dom an die dafür vorgesehenen Fahrradständer und bin um 10 Uhr der erste Besucher im Dom und werde auch für die nächsten 1 1/2 Stunden relativ allein den Dom erkunden können.
Der Naumburger Dom hat eine andere Geschichte als der Merseburger Dom. Er ist keine Königs- bzw. Kaisergründung, sondern eine Gründung der Markgrafen von Meißen. So erbaut Markgraf Ekkehard I. (960-1002), der 985 von der für ihren noch unmündigen Sohn Otto III. regierenden Theophanu als Markgraf von Meißen eingesetzt worden war, auf einer Anhöhe am östlichen Saaleufer eine Burg, die den bisherigen Stammsitz mit der Grablege der Familie von Kleinjena an der Unstrut hierher an die Saale verlegte. Seine beiden Söhne Hermann (980-1038) und Ekkehard II. (985-1046) erwirken dann vom Papst und von Kaiser Konrad II. die Verlegung des Bischofssitzes von Zeitz nach Naumburg in die Nähe der neuen Burg. Die beiden nacheinander regierenden Markgrafenbrüder statten das Bistum reich aus und so entsteht ein erster Naumburger Dom als frühromanischer Bau. Mitte des 12. Jahrhunderts erhält dieser erste Dombau eine hochromanische Krypta, von der auch heute noch bedeutende Teile vorhanden sind.
Um 1200 wird unter den Bischöfen Engelhard (1207-1242) und später Dietrich II (1242-1272) mit einem zweiten Dombau begonnen. Die Krypta des alten Doms wird nun erweiterter Bestandteil des neuen Doms. Mit diesem Dombau entsteht die heute noch vorhandene spätromanisch-frühgotische Kathedrale. Zu den ersten fertiggestellten Räumen gehören die spätromanischen Turmkapellen, unter anderen die Elisabethkapelle, die der heiligen Elisabeth von Thüringen geweiht ist. Im übrigen ist der Naumburger Dom als eine Doppelchorkirche entstanden, mit einem Ost- und einem Westchor.
Seine Weltberühmtheit erlangte der Dom allerdings durch zwei Persönlichkeiten, die eigentlich niemand kennt. Den mit dem Notnamen versehenen Naumburger Meister, der mit seiner Werkstatt Mitte des 13. Jahrhunderts den Westlettner mit dem Passionsrelief und den Westchor mit den weltberühmten Stifterfiguren geschaffen hat. Mit den faszinierenden und ungewohnt naturalistischen frühgotischen Arbeiten dieses Meisters wird der zweite Naumburger Dom vollendet. Bekannt ist über den Naumburger Meister lediglich, dass er sehr wahrscheinlich in Nordfrankreich ausgebildet wurde, als dort, anders als in Deutschland, bereits die Hochgotik blühte. So war er 1225 in Noyon, Amiens und Reims tätig, vielleicht sogar in Metz Etwa 1230 arbeitete er in Mainz am Dom, wo er den leider nur noch fragmentarisch erhaltenen Westlettner schuf Danach zog er nach Naumburg und 1260 schließlich wohl nach Meißen, wo er ebenfalls die Stifter- und Patronatsfiguren schuf.
Etwa anderthalb Stunden kann ich in Ruhe den Dom erkunden. Von einer Vorhalle geht es durch das mächtige Hauptportal und von da stolpert man förmlich in die alte Krypta. Danach führt der weg über eine Treppe zum Ostaltar hoch. Die Treppe hat einen sehr markanten und pittoresken Handlauf, der allerdings eine moderne Schöpfung des 20. Jahrhunderts ist. Hier im Ostchor sind vor allem die ebenfalls wohl vom Naumburger Meister geschaffenen Figuren des ein Lesepult haltenden Diakons und die Grabplatte mit dem Relief angeblich des Bischofs Dietrich II. Zeitlich spräche hier mehr für den Bischof Engelhard, der 1242 starb, während Dietrich II. erst 1272 starb, zu einer Zeit also als der Naumburger Meister Naumburg wohl bereits verlassen hatte.
Mein Hauptinteresse gilt freilich dem Westchor mit dem Lettner und seinem Passionsrelief sowie den Stifterfiguren. Hier ist es vor allem die Figur der Uta von Naumburg, die auf viele, insbesondere Männer, eine besondere Faszination ausgeübt hat. Ich gestehe freimütig, dass auch ich mich nicht frei davon fühle. Diese Faszination für Uta hat sich freilich erst seit der deutschen Romantik herausgebildet. Sie wird als die schutzssuchende edle Frau gedeutet, die noch in ihren Handlungen, mit denen sie ihren Mantel schützend um sich zieht, nach außen absolute Souveränität ausstrahlt. So wohl formuliert kann man das bei Wikipedia nachlesen. So hat denn auch Umberto Eco wohl auf einmalige und vielen aus der Seele gesprochenen Weise Uta von Naumburg mit den Worten gewürdigt: “ Wenn Sie mich fragen, mit welcher Frau in der Geschichte der Kunst ich essen gehen und einen Abend verbringen würde, wäre da zuerst Uta von Naumburg“.
Aber wer war diese Frau. Sie ist trotz ihrer inzwischen weltweiten kulturhistorischen und weiblichen Faszination fast ebenso unbekannt wie der Schöpfer ihres Bildnisses. Man weiß sehr wenig über sie, nur dass sie etwa 1000 als Uta von Ballenstedt geboren wurde, mit dem Markgrafen Ekkehard von Meißen verheiratet war und vor 1046 verstorben ist. Die Ehe der beiden blieb kinderlos, so dass damit auch das Geschlecht der Ekkehardiner endete als Ekkehard 1046 starb.
Obwohl wir also wenig über Uta von Ballenstedt wissen, muss man doch zugestehen, dass die Weltberühmtheit der Stifterfiguren sich vor allem auf ihre Darstellung im Naumburger Dom bezieht. So sind die anderen Stifterfiguren weit weniger im Fokus des kunsthistorischen Interesses. Das gilt übrigens ebenso für die Stifterfiguren im Dom von Meißen, die eine eben solche Qualität haben und ja auch spätere Werke des Naumburger Meisters sind. Obwohl die Figuren sehr natürlich, realistisch und authentisch wirken, darf man wohl nicht davon ausgehen, dass sie tatsächlich so aussehen wie die Personen für die sie stehen. So sind die Stifter des Naumburger Doms alle etwa 200 Jahre vor ihrer künstlerischen Erschaffung verstorben. Authentische Bilder von den Stiftern gab es damals noch nicht. Der Naumburger Meister hat also diese Stifter in seinen Figuren sozusagen neu erfunden und gestaltet. Dabei hat er offensichtlich gerade der Uta ein erst Jahrhunderte später wirkendes Charisma verliehen, das jenseits der außergewöhnlichen Qualität des Kunstwerks für die Weltberühmtheit gesorgt hat. Hier bestätigt sich wieder die Weisheit, dass wirklich ist, was wirkt!
Mein Tour durch den Naumburger Dom führt mich noch in die Elisabethkapelle, den Kreuzgang und die Domschatzkammer mit mehreren Altären, darunter zwei Altären aus der Werkstatt Lucas Cranachs d.Ä., und einer eindrucksvollen Pietá. Ich mache auch noch einen Spaziergang durch den Domgarten, wo man einen Garten des Naumburger Meisters errichtet hat und die Blätter, die an den Säulenkapitellen seines Westlettners so filigran gearbeitet wurden, botanisch bestimmt hat. Man könnte sicher Tage in dem Dom verbringen, allein um sich noch näher mit den einzelnen sehenswerten Grabmälern zu befassen. Es gibt ja auch immer wieder neues zu entdecken. Aber nach etwa zwei Stunden zieht es mich dann doch weiter.
Meine nächste Station ist nun das Kloster Schulpforta. Leider führten doch einige Kilometer entlang der viel befahrenen und ohne Radweg versehenen B 87 entlang. Aber ich komme heil an. Das Kloster entstand im 12. Jahrhundert, nachdem der Naumburger Bischof Udo I. das Zisterzienserkloster Schmölln hier her in die Nähe der Siedlung Kösen verlegte. Das Ordenskloster Porta, wie es damals hieß, entwickelte sich zwischen dm 12. und 14. Jahrhundert zu einem der reichsten Klöster Mitteldeutschlands. Nach der durch die Reformation erfolgten Säkularisation entwickelte sich in den Klostergebäuden eine sächsische Landesschule. Von den Nationalsozialisten wurde es 1935 in eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt und dann nach 1945 in eine Erweiterte Heimoberschule umgewandelt. Seit 1990/91 ist es wieder eine Landesschule. Der Schulcharakter wird sofort deutlich, wenn man auf das Gelände fährt. Überall wuseln Jugendliche durch das Gelände und die Gebäude, gehen ihren Lernverpflichtungen nach, diskutieren pärchen- oder gruppenweise engagiert sie beschäftigende Themen, frönen aber auch recht offenherzig ihren jugendlichen Leidenschaften, Händchen haltend, küssend und umarmend. Meistens grüßen sie mich sehr höflich, was gegenüber Unbekannten so üblich scheint. Es ist wieder mal eine anderen Welt, in die ich hier eintauchen darf, bis ich in der ehemaligen Klosterkirche wieder allein bin. Freilich zeigt sich diese Kirche heute in gotischer Gestalt, weil ein Neubau Mitte des 13. Jahrhunderts den früheren romanischen Bau ersetzte. Es sollen aber noch Teile der romanischen Vorgängerkirche aus dem mittleren 12. Jahrhundert vorhanden sein. Ich fand sie vor allem in dem sehenswerten Kreuzgang der Kirche.
Nach meinem üblichen Mittagsmahl auf dem Gelände von Schulpforta geht es wieder auf der B 87 weiter nach Bad Kösen zum Romanischen Haus. Das Haus ist nicht sonderlich sehenswert, außer dass es wirklich noch romanisch erscheint. Es war früher ein Wirtschaftshof des Klosters Pforta und beherbergt heute ein Museum zur Geschichte des Klosters Pforta sowie eine Ausstellung von etwa 230 Käthe-Kruse-Puppen. Aber es ist Montag und das Museum ist geschlossen.
Von Bad Kösen aus geht es nun auf mehr oder weniger guten Waldwegen die Hänge an der Saale hinauf zur Rudelsburg. Teilweise muss ich schieben, weil es bis zu 15 Prozent Anstiege gibt und die auch noch über Stock und Stein gehen. Aber da mein Tagesziel ja heute wieder das Hotel Kaiserhof in Naumburg ist, bin ich ohne Gepäck unterwegs, was auch das Schieben erleichtert. Die Rudelsburg liegt wie ihre nur wenige 100 Meter entfernte Schwester, die Burg Saaleck, malerisch auf Kalkfelsen über der Saale. Der Blick von hier oben auf eine Saalschleife, die den kleinen Ort Saaleck umfließt, ist wirklich einmalig. Die Burgen dienten wohl dem Schutz und der Bewachung der alten Handelstraße zwischen Nürnberg und Leipzig und Frankfurt und Leipzig, die hier im Tale entlangliefen. Natürlich dienten sie auch der Erhebung von Zöllen bei den vorbeiziehenden Händlern. Beide Burgen wechselten häufiger den Besitzer. So war zunächst das Bistum Naumburg der Besitzer, dann die Markgrafen von Meißen und schließlich auch die Thüringer im Besitz der beiden Burgen. Mehrfach waren sie auch Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen. Im Dreißigjährigen Krieg wurden sie dann zerstört, verfielen und wurden als Steinbrüche ausgebeutet. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde insbesondere die Rudelsburg als schönste Saale-Burg wiederentdeckt. Es wurde eine beliebte Station für Wanderer, umso mehr als 1820 eine erste Gaststätte eröffnete. Schon 1826 Schrieb Hans Kugler hier das berühmte Lied „An der Saale hellem Strande“. Der einsetzende Wandertourismus machte die Rudelsburg deutschlandweit bekannt. Sie wandelt sich zum Treffpunkt romantisch gesinnter Wanderer und auch romantisch gesinnte Burschenschaftsstudenten aus Jena, Leipzig und Halle entdecken die Burg für sich. Ab 1871 beginnen Sanierungsarbeiten die insbesondere zu einem Einbau des noch heute vorhandenen Restaurants führen. Ich komme aber leider in die Kernburg wieder nicht hinein, weil montags auch hier geschlossen ist. So begnüge ich mich mit einem Rundgang um die Burg und genieße die herrliche Aussicht.
Die letzten 500 Meter auf dem Weg zur Rudelsburg sind übrigens eine bemerkenswerte Huldigungsmeile mit romantischen deutsch-nationalen Denkmälern, bei denen sich insbesondere die Organisationen der Corpsstudenten, hier insbesondere der Kösener-Senioren-Convents-Verband, Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ausgetobt haben. So finden wir ein riesiges Relief eines sich im Sterben aufbäumenden Löwen zur Erinnerung an die im deutsch-französischen Krieg 1870/71 gefallenen Mitglieder, eine Gedenksäule Kaiser Wilhelm I. zu Ehren, ein martialisches Denkmal des sitzenden Jungen Otto von Bismarck in höchst lässiger, arroganter und überheblicher Pose mit Degen in der Hand und Dogge neben sich und schließlich noch eine nur noch als Stumpf vorhandene Säule mit den Namen der Corpsstudenten, die, nach Universitätsstandorten geordnet, im Ersten Weltkrieg ihr Leben verloren hatten. All dies wurde natürlich zu DDR-Zeiten nicht sonderlich gepflegt, außer dass man den Platz vor dem Löwenrelief auch in späteren DDR-Zeiten wohl als Aufmarschplatz für Junge Pioniere verwendete. Nach 1990 wurde aber alle diese Denkmäler von den entsprechenden Interessengruppen höchst zügig wieder restauriert und so erstrahlen sie heute wieder im alten Glanz und sind ein schönes Beispiel dafür wie einstmals revolutionäre Institutionen einer rückwärtsgewandten reaktionären Huldigung verfallen.
Die letzte Station meiner heutigen einer heutigen Tour ist der kleine Ort Flemmingen, der auf den Höhen oberhalb des Saaletals auf dem Weg zurück nach Naumburg liegt. Der Weg ist insofern beschwerlich als es mehrere Kilometer über einen noch feuchten Weg geht und der Lehm hier oben sehr klebrig ist. Ich stehe mehrfach davor, das meine Räder blockieren, muss die Räder öfter mit kleinen Stöckchen vom Lehm freikratzen und auch häufiger schieben. Das Dorf Flemmingen ist ein sehr adretter, farbiger und gepflegter Ort. Man fühlt sich wohl dem Kulturerbe Saale-Unstrut zugehörig. Die kleine Dorfkirche St. Lucia soll um 1140 von 15 flämischen Siedlerfamilien errichtet worden sein, also von frühen Migranten! Leider habe ich niemanden erreicht der mich eingelassen hätte. Denn das Bemerkenswerteste an der Kirche sollen die einzigartigen spätromantischen Wandmalereien in der Apsis und dem Chor sein, die wohl um 1200 entstanden sind. Die Kirche wurde wohl in den letzten Jahren aufwendig saniert und dabei die Wandmalereien wieder sichtbar gemacht. Also, leider Pech gehabt! Aber ich versuche es sicher noch ein anderes Mal. Von Außen sieht die Kirche auch noch romanisch aus, ist aber wohl nichts besonderes.
Zurück geht es nun über feste Straßen. Flemmingen ist sozusagen ein Vorort von Naumburg. Leider sind viele Straßen gepflastert, so dass es eine recht holprige Angelegenheit war, die aber mein robustes Fahrrad gut überstanden hat.
Tagesdaten: 26.57 Km; 02:42:05 Std. Fz.; 9.83 Km/h; 288 Hm