Ein sehr trüber Tag erwartet mich als ich morgens aus dem Fenster meines Hotels auf den Marktplatz von Mücheln schaue. Die Nacht über hat es geregnet und der Himmel ist mit dunklen Wolken verhangen. Ich freue mich einmal mehr, dass ich heute wieder nach Hause fahre. Auf meinem heutigen Programm steht lediglich Merseburg und hier vor allem der Dom. Nach einem ordentliche Frühstück mache ich mich dann um kurz nach 9 Uhr auf den Weg. Zunächst geht es zum Geiseltalsee hinunter, immerhin Deutschlands größter künstlicher See. Auch er das Ergebnis eines großen Braunkohletagebaus zu DDR-Zeiten, für den immerhin 16 Dörfer ganz und zwei teilweise aufgegeben werden mussten. Auch diesen Tagebau hat man in den letzten Jahren geflutet und versucht den so entstandenen See als Naherholungsgebiet zu profilieren. Inzwischen sind sowohl in Mücheln als auch in dem sechs Kilometer entfernten Braunsbedra schon Häfen für Sportboote gebaut, Ferienhäuser errichtet und mit dem Aufbau einer touristischen Infrastruktur begonnen worden. Die Region setzt so ihre Hoffnung auf den See. Ich persönlich bin etwas skeptisch, weil wir natürlich im Halle-Leipziger Raum schon viele solche Naherholungsgebiete haben und ich weiß nicht, ob vor diesem Hintergrund der Geißeltalsee für die größeren Einzugsgebiete wie Leipzig und Halle nicht schon zu weit entfernt ist. Aber man wird sehen.

Ich fahre nun etwa 12 Kilometer um den halben See. Es kommen noch einige Schauer vom Himmel und der Wind bläst recht kühl und leider auch nicht von hinten in den Rücken. Zwischen Frankleben und Merseburg fahre ich vorbei an Atzendorf, wo Heidrun aufgewachsen ist, über eine weite landwirtschaftlich genutzte Ebene, die also früher zwischen einem riesigen Braunkohletagebau und den chemischen Industrieanlagen von Buna und Leuna lag. Ob das dem Gemüse und dem Getreide gut getan hat, lasse ich mal dahingestellt. Hier auf der Ebene ist es doch ziemlich windig und kalt. Überhaupt setzt heute ein Wetterumschwung ein, der offensichtlich eine neue Kältewelle bringt. Während ich morgens bei 7 Grad in Mücheln losfahre, kehre ich am Nachmittag bei 1 Grad nach Leipzig zurück. Nun ist aber erst einmal in Merseburg Station, das ich nach zwei Stunden und 20 Kilometer erreiche. Ich bin natürlich schon aus familiären Gründen häufig in Merseburg gewesen und mir gefällt die Stadt sehr. Da heute kein schönes Wetter für Außenaufnahmen ist, werde ich mir erlauben einige Fotos  aus schöneren Tagen in meine Bildergalerie hineinzuschmuggeln. Die originelle Sixti Kirche, den Blick von der Saale auf Dom und Schloss aber auch die ebenfalls als Station auf der Straße der Romanik geltende Neumarktkirche. Merseburg steht leider etwas im Schatten von dem unweit entfernten Naumburg, dass sich offensichtlich wohl besser zu vermarkten versteht, obwohl auch Merseburg kulturhistorisch ähnlich viel zu bieten hat. Vielleicht liegt es nicht an einem so schönen Abschnitt der Saale wie Naumburg. Übrigens habe ich gestern Naumburg bewusst rechts liegen gelassen. Ich werde am Sonntagabend dorthin fahren und Montag und Dienstag die dort ziemlich zahlreich konzentrierten Sehenswürdigkeiten der Straße der Romanik besuchen.

Heute steht auf meinem Programm für Merseburg vor allem der Dom, den ich mir noch einmal etwas intensiver anschauen möchte. An der Kasse für Dom und Schloss kann ich mein Gepäck abstellen und finde auch einen guten Platz für mein Fahrrad. Nachdem ich die 6,50 € Eintritt und 2 € für die Fotografiererlaubnis bezahlt habe, mache ich mich durch eine Seitentür direkt in den Dom auf den Weg. Schön ist, dass ich den Dom weitgehend für mich alleine habe. Allerdings umgibt mich auch sofort ein eiskalter Hauch. Der Dom ist natürlich nicht geheizt.

Der Merseburger Dom gehört sicherlich zu den herausragenden Baudenkmälern an der Straße der Romanik. Er ist der Sakralbau der einstigen Pfalz- und Bischofsstadt  und bildet als vierter Flügel der Merseburger Schlossanlage mit dieser ein wirklich recht außergewöhliches und trotz der vielen Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte ein architektonisch harmonisches Gesamtensemble. Er unterscheidet sich aus meiner Sicht in dieser Beziehung sehr wohltuend von dem Schloss- und Domensemble in Zeitz.

Merseburg als Bistumssitz geht übrigens auf einen Gelübde Kaiser Ottos I. im Jahre 955 zurück, dass er vor der Schlacht auf dem Lechfeld gab und für den Fall seines Sieges die Errichtung eines Bistums in Merseburg versprach. Es dauerte zwar noch 13 Jahre, bis er dieses Gelöbnis dann umsetzte. Jedoch löste sein Sohn Otto II. das Bistum 981 wieder auf. 1004 begründete Heinrich II. ( 973/76-1024) jedoch das Bistum Merseburg erneut, weil für ihn Merseburg ein herausragender Pfalzort seiner Regierungszeit war. Die Bedeutung von Merseburg für die Regierungszeit Heinrichs II. wird jedoch dadurch geschmälert, dass er sich später mehr nach Bamberg orientierte, wo er auch mit seiner Frau Kunigunde begraben liegt. 1015 legte Bischof Thietmar von Merseburg, der berühmte Chronist der sächsischen Kaiserzeit,den Grundstein für den Bau der heutigen Kathedrale. Der Bau wurde durch großzügige Geschenke Heinrichs II. unterstützte, der auch zusammen mit seiner Frau Kunigunde zur Schlussweihe des Doms anreiste.

Natürlich hat der Dom seitdem vielfache bauliche Veränderungen erfahren, wie man das eigentlich an allen Bauwerken der Straße der Romanik kennt. So wurde in der Zeit zwischen 1510 und 1517 unter Bischof Thilo von Trotha der Dom im Stil der Spätgotik umgebaut und nach dem Dreißigjährigen Krieg hielt natürlich nun bei den Instandsetzungsarbeiten der/das Barock Einzug in die Kathedrale und brachte vor allem bei der Innenraumgestaltung zahlreiche Veränderungen, sichtbar vor allem beim Altar und der gewaltigen Orgel.

Historisch enthält der Dom auch einige Highlights. So liegt im Zentrum der Vierung Rudolf von Rheinfelden, der Herzog von Schwaben (1025-1080 ) begraben. Der Merseburger Klerus setzte dem damaligen Gegenkönig Heinrichs IV. damit ein Denkmal für seine Haltung im sogenannten Investiturstreit zwischen Klerus und Kaiser um die Amtseinsetzung der Geistlichen durch die weltliche Macht. Rudolf von Schwaben starb in der Schlacht bei Hohenmölsen 1080, nachdem ihm eine Hand abgeschlagen worden war, obwohl die Fürstenopposition diese Schlacht an der Weißen Elster für sich entschieden hatte.  Dennoch gelang es den Anhängern Heinrichs IV. (der, den wir alle wegen seines Gangs nach Canossa kennen!) den Tod durch Verlust der Schwurhand als Gottesurteil zu propagieren, was zur Schwächung der Fürstenopposition führte. Die Hand Rudolf von Schwabens kann man übrigens mumifiziert in der Domschatzkammer in Merseburg betrachten. Angeblich soll es tatsächlich die Hand Rudolf von Schwabens sein. Das Grab ist mit einer Bronzeplatte abgedeckt, die früher vergoldet und mit Edelsteinen verziert war. Die Grabplatte enthält eine Bildnis Rudolfs von Schwaben mit Zepter und Reichsapfel, also den Insignien des Königs bzw. Kaisers, die er nie besaß. Sie gilt heute als die älteste Bildnisgrabplatte in Mitteleuropa.

Im Merseburger Dom bewundere ich natürlich auch die reich verzierte Eichenholzkanzel von der Luther im Mai 1545 drei Predigten hielt. Dass Merseburg im Laufe der Jahrhunderte allerdings doch recht drastisch an Bedeutung verlor, merkt man daran, dass es seit 1654 Erbbegräbnisstätte der sogenannten wettinischen Sekundogenitur Sachsen-Merseburg wurde. Nachdem das Hochstift Merseburg nach der Reformation aufgelöst wurde, waren Schloss und Dom im Besitz des Kurfürsten von Sachsen. Zur Zeit der Sekundogenitur Sachsen-Merseburg war das Schloss Sitz des Fürsten und der Dom die Hofkirche. Diese Sekundogenitur bestand zwar keine hundert Jahre (1656-1738) aber die Fürstengruft birgt immerhin 37 Särge, davon 20 Kindersärge, 10 Frauen- und 7 Männersärge aus Blei, Zinn, Holz oder entsprechenden Legierungen. Sie sind zum Teil sehr kunstvoll verziert. Allerdings strahlt die Fürstengruft doch eher den Charakter eine Lagerhalle denn einer Begräbnisstätte aus. Insofern kam das Ende des Sekundogeniturfürstentums Sachsen-Merseburg wohl zum rechten Zeitpunkt, für viel mehr Särge wäre auch kein Platz mehr gewesen.

Ich wandle etwa zwei Stunden trotz der Kälte durch den Magdeburger Dom und die Zahl der Kunstwerke ist schon beeindruckend. Danach treffe ich mich noch mit meiner ortsansässigen Schwägerin und meinem Schwager auf einen Lunch im einzigen noch vorhandenen Café in Merseburg. Danach treibt mich die Kälte auf dem Kürzesten Weg ins Wochenende nach Hause in Leipzig.

Tagesdaten: 53,60 Km; 04:24:19 Std. Fz.; 12,16 Km/h; 143 Hm

2 Kommentare

  • Heidrun sagt:

    Die Skepsis, ob der Geiseltalsee von der Region angenommen wird, teile ich nicht. Freizeitgestaltung in Familie und an frischer Luft wird immer beliebter. Natürlich sieht der See vom Uferbewuchs noch etwas nackt aus. Das liegt daran, dass der Geiseltalsee einer der zuletzt gefluteten Seen ist. Ich bin mir sicher, die Infrastruktur wird sich weiter entwickeln und Besucher werden die Gegend als Naherholungsgebiet weiter annehmen.

    Wie du schon bemerkt hast, besteht gerade für diese Region Nachholebedarf an gesunder Luft. Damit man sich eine Vorstellung vom früheren „Schwarzen Loch“ machen kann, welches mir noch gut in Erinnerung ist, habe ich einen Link kopiert, der den damaligen Zustand zeigt.

    https://mobil.mz-web.de/saalekreis/fluch-und-segen-rund-300-jahre-wurde-im-geiseltal-bergbau-betrieben-31982596?originalReferrer=http://m.facebook.com

  • Risch-Kohl Heidemarie sagt:

    Lieber Wolfgang,
    als gelernte Germanistin muss ich natürlich bedauernd feststellen, dass in deinem Bericht über Merseburg ein Hinweis auf die in althochdeutscher Sprache verfassten Merseburger Zaubersprüche fehlt. Der Historiker Georg Waitz entdeckte sie 1841 in einer theologischen Sammelhandschrift aus dem 9./10. Jhdt., was insofern eine Sensation war, als sie die einzigen überlieferten Zaubersprüche sind, die sich auf vorchristlich-germanische Mythologie beziehen. Als die wohl ältesten literarischen Texte in deutscher Sprache (sie werden heute um 750 datiert), sind sie daher sicher eine Erwähnung wert. Etwas älter ist nur noch der Codex Abrogans (ca. 710), ein lateinisch-althochdeutsches Glossar, das als das älteste deutschsprachige Schriftzeugnis überhaupt gilt.
    Bei dem Merseburger Text handelt es sich um zwei Sprüche, deren einer eine Befreiung, der andere eine Heilung beschwört. Man kann wohl vermuten, dass wie in den steinzeitlichen Höhlenzeichnungen die Tier- und Jagdzeichnungen magischen Zwecken dienten, dies auch die beiden Sprüche taten.

    Eiris sazun idisi sazunheraduoder suma
    hapt heptidun sumaherilezidun sumaclu
    bodun umbicuonio uuidi insprinc hapt
    bandun inuar uigandun· H·

    Einstmals setzten sich Frauen, setzten sich hierhin und dorthin.
    Einige hefteten[18] Hafte, andere hemmten das Heer,
    andere nesteln[19] an festen Fesseln:
    Entspring den Banden, entweich den Feinden.[20]

    was die „ididi“, hier mit Frauen übersetzt, betrifft, so handelt es sich womöglich um weibliche Gottheiten, die im altnordischen Mythos Gefangene befreiten, der Text wäre dann ein Lösungszauber, worauf jauch die letzte Zeile hinweist.

    Phol endeuuodan uuorun ziholza du uuart
    demobalderes uolon sinuuoz birenkict
    thubiguolen sinhtgunt · sunnaerasuister
    thubiguolen friia uolla erasuister thu
    biguolen uuodan sohe uuolaconda
    sosebenrenki sose bluotrenki soselidi
    renki ben zibenabluot zibluoda
    lid zigeliden sosegelimida sin.

    Phol und Wotan ritten in das Gehölz.
    Da wurde dem Balders-Fohlen sein Fuß verrenkt.
    Da besprach ihn Sinthgunt und Sunna, ihre Schwester,
    da besprach ihn Frija und Volla, ihre Schwester,
    da besprach ihn Wotan, der es wohl verstand:
    Wie Beinverrenkung, so Blutverrenkung,
    so Gliederverrenkung:
    Bein zu Bein, Blut zu Blut,
    Glied zu Gliedern, wie geleimt sollen sie sein![25]

    Bei den Göttern des zweiten Spruchs ist man sich nur bei Wotan sicher, um wen es sich handelt, den germanischen Göttervater nämlich und vermutet in Friija, Freia, sein Frau. Balder mag Baldur sein, was aber andere kluge Germanistengeister wiederum bestreiten. Bei Phol und Volla, womöglich auch bei den Schwestern Sinthgunt und Sunna streiten sie sich ebenfalls, ob es sich dabei um Götter oder um sonstwen handelt. Wie auch immer, jedenfalls haben sie alle ihr Bestes getan, das arme Ross zu heilen und da ja dann auch Wotan seinen Senf dazutat, können wir doch wohl hoffen, dass der Heilungszauber gewirkt hat.
    Soviel zur germanischen Seite Merseburgs!

    Einen herzlichen Gruß von
    Heidemarie

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