16. Tag (21. April 2022): Von Geraardsbergen nach Kotrijk

Das Frühstück bekomme ich heute vom Sohn des Hauses nach meinen Wünschen serviert. Er hatte mir auch gestern Abend noch meine gewaschene und getrocknete Wäsche gebracht. Die Dame des Hauses habe ich seit meinem Empfang allerdings nicht mehr gesehen. Nach dem Frühstück geht es dann weiter. Die Fahrt heute nach Kotrijk ist nicht besonders ereignisreich. Weiter geht es durch die landwirtschaftlich genutzte Hügellandschaft. Einen Stopp lege ich in der Stadt Ronse ein, die mit etwa 26 Tsd. Einwohnern hier zu den größeren Städten zählt. Viel gibt es nicht über die Stadt zu berichten.  Im 13. und 14. Jahrhundert blühte die Stadt besonders durch die Tuchfabrikation auf. 1478 wurde sie von französischen Truppen niedergebrannt. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde die Stadt, die zu den Spanischen Niederlanden gehörte, ein Zentrum des Calvinismus. Unter der Schreckensherrschaft des spanischen Statthalters Herzog von Alba von 1567 bis 1573 waren viele Tuchweber gezwungen, nach Holland, Deutschland oder England zu emigrieren. Am 21. Juli 1559 vernichtete ein Stadtbrand die meisten Gebäude. Bis Anfang des 17. Jahrhunderts wurde die Stadt wieder aufgebaut. Ein ehemals prächtiges Schloss wurde 1823 zerstört. Eine Pestepidemie entvölkerte 1635 bis 1636 die Stadt nahezu völlig.

Herausragendes Bauwerk der Stadt ist sicher die Basilika St. Hermes (niederländisch Sint-Hermesbasiliek), eine römisch-katholische Kirche. Die Wallfahrtskirche des Bistums Gent ist dem hl. Hermes geweiht und trägt den Titel einer Basilica minor. Sie steht als Monument unter Denkmalschutz und ist bekannt für ihre Krypta. Ziel der Wallfahrt ist der Reliquienschrein aus dem Jahr 1584 mit Stickereien aus dem Jahr 1637. Der hl. Hermes wird für die Heilung psychisch Kranker verehrt. Ich mache einen kurzen Besuch in der Kirche, die aber überwiegend wegen Restaurierung unzugänglich ist. So ist auch die Krypta geschlossen. Lediglich der Altar mit dem Reliquienschrein des hl. Hermes ist zu sehen.

Ein Kuriosum in Ronse ist schließlich noch das Empfangsgebäude des Bahnhofs Ronse. Es ist das Gebäude des ersten Bahnhofs Brügge, das hierher umgesetzt wurde. Beim Aufbau des Gebäudes wurden allerdings die Seiten vertauscht, so dass die ehemalige Gleisseite zur Straßenseite des Bahnhofs wurde.

Nachdem ich am Marktplatz eine kurze Mittagspause eingelegt habe geht es weiter. Auch die restlichen 35 Km sind recht ereignisarm. Erwähnenswert ist noch die Fahrt über die Kluisberge, die etwas beschwerlich ist, weil der Radweg naturbelassen, also nicht asphaltiert ist und es relativ steil bergauf geht. Dafür führen dann die letzten 20 Km sehr entspannt zunächst entlang der Schelde und dann von Bossuit entlang des Bosuit-Kortrijk-Kanals nach Kortrijk.

In Kortrijk habe ich ein Privatquartier gebucht. Ich werde vom Herrn des Hauses, wahrscheinlich ein Geschäftsmann, in einem großzügigen Bungalow in Empfang genommen. Ich erhalte ein hübsches Zimmer unterm Dach. Die Verständigung ist leider sehr schwierig, weil wohl auch er nicht sonderlich fremdsprachensprachgewandt ist. Die Frau des Hauses sehe ich nur von Weitem. Sie ist mit Hausarbeit beschäftigt und kommt augenscheinlich aus dem asiatischen Raum. Begrüßen tun wir uns immer aus der Ferne. Es sind die einzigen Male, wo ein Lächeln über ihr Gesicht huscht.

Nachdem ich mich eingerichtet habe, mache ich einen Spaziergang in die Stadt. Kortrijk liegt nur 9 Km von der französischen Grenze entfernt. Es ist heute als Industrie- und Handelsstadt mit seiner Universität, mehreren Hochschulen, Akademien, Bibliotheken, Museen und Bühnen ein bedeutendes Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturzentrum sowie ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt zwischen Belgien und Frankreich. Auch Kortrijk wurde in den vergangenen Jahrhunderten oft durch kriegerische Auseinandersetzungen in Mitleidenschaft gezogen. Das gilt auch für das 20. Jahrhundert. Während des Ersten Weltkriegs gab es hier im Jahre 1917 große Zerstörungen. Auch während des Zweiten Weltkriegs, im Mai 1940, war die Stadt Opfer von Angriffen; ebenso erfuhr sie 1944 schwere Verwüstungen infolge Bombardements der Alliierten.

Mein Spaziergang bringt mich in einen ziemlichen Trubel hinein. Auf dem Marktplatz findet gerade ein großer Jahrmarkt statt. Ich kann das gotische Rathaus Kortrijk aus den Jahren 1418–1420 betrachten, das im Übergangsstil der Spätgotik–Renaissance errichtet wurde. Obwohl es schon auf 19 Uhr zugeht gelingt, es mir noch in die  römisch-katholische Kirche St. Martin (niederländisch Sint-Maartenskerk) hineinzuschauen. Sie ist dem Heiligen Martin von Tours geweiht. Sie wurde zwischen 1390 und 1466 gebaut. Ich verweile allerdings nicht lange, weil ich langsam müde und hungrig werde. So kehre ich noch bei einem Italiener am Markt ein. Bestelle mir eine Pizza, die allerdings sehr dünn und hart ist, so dass dieses Abendessen kein Vergnügen ist. Danach wandere ich zu meinem etwa 1,5 Km entfernten Quartier und falle früh ins Bett und in einen Tiefschlaf.

Tagesstrecke: 68 Km

 

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