14. Tag: 1. Mai 2023 – Von Suwalki nach Augustow

Nach einem ordentlichen Frühstück mache ich mich auf den Weg. Es ist ein sonniger Tag, auch wenn die Grundtemperaturen bei um die 12° bleiben, verspricht die Sonne doch zusätzliche Wärme. Meine heutige Etappe beginnt direkt hinter meinem Hotel Akvilon an der Czarna Hancza, die mich nun über die nächsten 60 Km in kleinem bzw. größerem Abstand bis Mikaszowka begleitet. Der Weg führt zunächst etwa 10 Kilometer auf einem straßenbegleitenden Radweg entlang der Woiwodschaftsstraße 653. Dann biegt der Weg ab in den Wigbry Nationalpark. Der Nationalpark wurde 1989 zum Schutz der Seen, Sumpflandschaften und Wälder Zwischen Suwalki und Augustow eingerichtet.

Namensgeber ist der Wigry See, mit 22 qKm immerhin der zehntgrößte See in Polen. Durch ihn fließt auch die Czarna Hacza. Bald habe ich den See auch erreicht, der einen schönen Blick auf das ebenfalls am See liegende Wigry-Kloster, ein ehemaliges Kamaldulenserkloster eröffnet. Ich fahre kurz auch zum Kloster. Hier merkt man dann auch, dass heute auch auch in Polen der 1. Mai als Feiertag begangen wird. So sind viele Menschen zu Ausflügen unterwegs und auch viele Fahrradfahrer begegnen mir heute auf dem Green Velo. Manchen Radfahrern sieht man auch am mitgeführten Gepäck an, dass sie auf einer längeren Tour unterwegs sind. In Polen kann man dieses verlängerte Wochenende nämlich sogar auf fünf Tage ausdehnen, weil am Mittwoch ein weiterer gesetzlicher Feiertag ist, nämlich der Verfassungstag.

Die Fahrt führt nun weiter an der Czarna Hancza entlang. durch mehrere Dörfer, bis Wysoki Moost auf gut befahrbaren Waldwegen oder asphaltierten Verbindungsstraßen, dann etwa 40 Km auf einer recht gut befahrbaren verdichteten Sandoberfläche. Dazwischen sind immer mal kurze asphaltierte Abschnitte , insbesondere in den größeren Dörfern. Der Abschnitt ist sehr waldreich. Aber die Hügel werden immer flacher und es entwickelt sich eine sanft wellenförmige Landschaft. Ab Dworczysko wird die Straße auf den nächsten 4,5 Kilometern noch einmal abenteuerlich. Zwar ist auch dieses Teilstück eine öffentliche Straße und Teil des Green Velos. Aber hier ist der Sand locker geworden und so wird es für Fahrradfahrer zur Qual. Zwar kommt man ohne Schieben durch, aber mehr oder weniger im Schritttempo. Oft rutscht eines der Räder weg und man steht diagonal zum Weg und muss aus dem Sattel und mit den Füßen und dem Lenker das Gefährt wieder gerade rücken. Das ist unangenehm und frisst Zeit!

In Mikaszowka wird diese Tortur dann durch ein Blick auf die Holzkirche des Ortes entschädigt. Sie ist wirklich sowohl von außen als auch von innen ein Kleinod, wobei mir nicht klar geworden ist, warum man eine Kirche mit so vielen Geweihen von erschossenen Hirschen schmückt. Hier in Mikaszowka lege ich eine längere Mittagspause ein.

Hier in Mikaszowka treffe ich auch auf den Augustow-Kanal, den die Czerna Hancza von hier ab mit einem großen Teil ihres Wassers speist. Beide fließen bzw. führen dann nach Belarus in die Memel. Der Augustów-Kanal (polnisch Kanał Augustowski)  ist eine im 19. Jahrhundert erbaute künstliche Wasserstraße, die polnisches und belarussisches Gebiet durchquert. Als Preußen im Jahre 1821 ungewöhnlich hohe Zollgebühren für den Transit polnischer Waren durch preußisches Gebiet einführte, war der Wasserweg über die Weichsel zur Ostsee für Polen praktisch abgeschnitten, so war es gezwungen, nach Alternativen zu suchen. Es kam die Idee auf, eine neue Handelsroute zu eröffnen, die unter Umgehung preußischen Territoriums im Norden Polen mit dem Hafen Ventspils verbinden sollte. 

Zur Ausführung kam der Augustów-Kanal, benannt nach der von ihm durchquerten Stadt im Nordosten Polens, meinem heutigen Ziel, mit dem die Verbindung zwischen Weichsel und Memel geschaffen wurde. Die Bauarbeiten dauerten von 1823 bis 1839. Die Wasserstraße, die auch mehrere kanalisierte Flüsse einbezog und durch zahlreiche Seen führte, erreicht eine Länge von 101 Kilometern. Zur Überwindung des Höhenunterschieds von 55 Metern wurden 18 Kammerschleusen gebaut.

Der Augustów-Kanal selbst stellte aber nur einen Teilabschnitt der ursprünglich geplanten Verbindung bis Ventspils dar – da auch der Unterlauf der Memel auf preußischem Gebiet lag, hätte auch dieser umgangen werden müssen. Die Arbeiten an diesem Projekt wurden aber aufgegeben, u. a. auch, weil Preußen inzwischen in der Zollfrage Entgegenkommen gezeigt hatte.

Mit der Schaffung des Polnischen Korridors durch den Versailler Vertrag (1919) erhielt Polen wieder unmittelbar Zugang zur Ostsee und der Augustów-Kanal verlor an wirtschaftlicher Bedeutung. Nach der Grenzziehung von 1945 lagen 80 Kilometer des Kanals mit 14 Schleusen auf polnischen Gebiet, er wird heute nur noch für den Tourismus und die Sportschifffahrt genutzt. Die Geschichte des Augusto-Kanals wirft ein weiteres Schlaglicht auf die Problematik der polnisch-deutschen Geschichte. Deshalb habe ich sie hier etwas ausführlicher dargestellt.

Die restlichen 25 Kilometer meines heutigen Weges führen nun entlang des Kanals nach Augustow. Es geht zum Teil über einen hervorragenden, die Woiwodschaftsstraße 672 begleitenden Radweg, zum Teil aber auch noch einmal über mehr oder weniger festgefahrene Sandstraßen. Mein Hotel Perla liegt am Zygmunt-August-Platz im Zentrum von Augustow. Da ich doch ziemlich müde bin, reicht es nach dem Abendessen im Hotel nur noch für einen kurzen Spaziergang zur eklektizistischen Herz-Jesu-Basilika, die in den Jahren 1906 bis 1911 errichtet wurde.

Tagesstrecke: 86,22 Km; 13,25 Km/h; 362 Hm

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