11. Tag: 28. April 2023 – Von Sztynort nach Goldap

Als ich aufstehe und aus dem Fenster schaue, herrscht Sonnenschein. Auch den ganzen Tag über bleibt es heiter bis wolkig. Es wird etwas wärmer als gestern. Die Grundtemperatur bleibt aber noch kühl mit um die 12°. Zum Frühstück gehe ich nun ein letztes Mal zu Baba Pruska und genieße es. Nachdem ich noch Geld vom Geldautomaten abgehoben und die Packtaschen an meinem Fahrrad befestigt habe, geht es los.

Auf einer gut asphaltierten Straße, die sah vor fünf Jahren noch anders aus, geht es um die südliche Hälfte des Mauersees, der nun in Polen Mamry heißt. Hier gibt es eigentlich nur Wald und Wasser. Als ich vor Wegorzewo bin, mache ich einen kurzen Abstecher in die Stadt hinein zu einem Fahrradreparaturladen. Ich will schauen, ob ich hier ein neues Schloss für mein Fahrrad bekomme. Die Fotos im Internet waren diesbezüglich aber nicht vielversprechend. der erste Eindruck ist es auch nicht. Der Besitzer, so etwa mein Alter, vielleicht auch ein wenig älter, sitzt zwischen einem chaotisch zusammengewürfelten Berg von alten Fahrradteilen und schraubt an irgendeinem Teil herum. Mit meinem Übersetzer-App mache ich ihm mein Anliegen verständlich und er kramt in einer Kiste hinter sich herum und zieht tatsächlich ein noch originalverpacktes Fahrradschloss hervor. Es ist zwar kein Kettenschloss, sondern ein Drahtschloss. Der Draht wirkt aber ziemlich fest und stabil, ist etwa 60 cm lang,  1,5 cm stark und damit auch nicht schon mit einer einfach Kneifzange zu knacken. Auch der Verschluss macht einen soliden Eindruck.

Um die Tauglichkeit für mein Fahrrad zu prüfen, ist der Mann mit mir  hinausgegangen und schaut sehr fasziniert auf mein Pinion Getriebe. Er stellt mir mehrere Fragen, die ich aber auch mit der Übersetzter-App kaum verstehe, weil er nicht einsieht, sein Anliegen in die Übersetzer-App, die ich ihm hinhalte hineinzusprechen. Was das Schloss betrifft, werden wir uns handelseinig. Ich gebe ihm die 40 PLN (ca. 9 €) und überlasse ihm mein Kettenschloss und ziehe wieder von dannen. Da ich nun ohne das Kettenschloss weiterfahre, hat sich mein Gesamtgewicht sicher um zwei Kilo reduziert. Hinterher ärgere ich mich noch, dass ich weder den Fahrradladen noch den Mann versucht habe, zu fotografieren.

Von Wegorzewo bis Goldap führt der Green Velo über 45 Kilometer auf dem alten Bahndamm entlang, den ich ja nun schon kennengelernt habe. Der Weg bleibt weiter unasphaltiert und auf der Strecke treffe ich tatsächlich nur einen Menschen, diesen aber zum richtige Zeitpunkt. Die Frau kommt mir an einer Stelle entgegen, an der ein  Baum umgestürzt über dem Bahndamm liegt. Ich fürchte nun mein Gepäck abladen zu müssen, um das Hindernis zu überwinden. Die Frau ist etwas früher an dem Baum und hebt ihr nicht beladenes Fahrrad sehr zügig über den Baum, stellt es ab und kommt auf mich zu, greift sofort beherzt zu, um mir sofort zu helfen und mit mir gemeinsam, das Fahrrad über den Baum zu heben. Das Ganze ist damit in ein bis zwei Minuten erledigt und die Frau winkt mir zum Abschied zu als sie merkt, dass ich kein polnisch spreche. Ich rufe ihr ein „Dziekuje!“ (Danke!) hinterher, sie winkt noch einmal und fährt weiter ihren Weg. Es war offensichtlich eine Frau aus der Region, die lediglich zum Einkaufen oder ähnlichem unterwegs war und für die der Green Velo gerade günstig lag.

Der weitere Weg ist unspektakulär und ich fahre so vor mich hin. Die Landschaft verändert sich, nachdem ich Wegorzewo verlassen habe. Die Masurische Seenplatte habe ich hinter mir gelassen und die Seen werden durch Landwirtschaft ersetzt, so wirkt es zumindest. Auch die Landwirtschaft verändert sich. War es, bevor ich die Seenplatte erreicht habe, vorwiegend Ackerbau, so nimmt jetzt doch die Viehzucht zu.

Am Nachmittag komme ich dann in Goldap an. Meine Unterkunft, das Parkova – pokoje Hotelove, liegt direkt auf dem zentralen Platz der Stadt. Ich werde freundlich empfangen und bekomme ein schönes großes Zimmer zugewiesen. Das Hotel ist nicht sonderlich groß, auch nicht besonders vornehm, aber sauber und zweckmäßig, einen Eindruck den auch die freundliche und sachliche Besitzerin ausstrahlt. Mein Fahrrad darf ich in den großen Vorraum vor meinem Zimmer stellen. Nachdem ich mich eingerichtet habe, mache ich mich auf den Weg, die Stadt auf einem Spaziergang zu erkunden.

Goldap ist mit seinen ca. 13 Tsd. Einwohnern die nordöstlichste Kreisstadt in der Woiwodschat Ermland-Masuren. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 wurde Goldap von der russischen Armee zerstört und besetzt. Nach ihrem Abzug begann der Wiederaufbau der Stadt im Stil der „Neuen Sachlichkeit“.  Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadtbevölkerung am 21. Oktober 1944 evakuiert. Am folgenden Tag wurde Goldap von der sowjetischen Armee besetzt. Nach schweren Kämpfen gelang der deutschen Wehrmacht jedoch am 15. November noch einmal für wenige Wochen die Rückeroberung, was in der deutschen Propaganda groß gefeiert wurde. Im Verlauf der sowjetischen Winteroffensive fiel die Stadt am 18. Januar 1945 endgültig an die Rote Armee.

Nach Kriegsende 1945 wurde das zu 90 % zerstörte Goldap zusammen mit der südlichen Hälfte Ostpreußens unter polnische Verwaltung gestellt. Die Schreibweise des Ortsnamens wurde in Gołdap abgeändert. Soweit die Einwohner nicht geflohen waren, wurden sie in der darauf folgenden Zeit vertrieben und durch Polen ersetzt. Beim Wiederaufbau von Goldap nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sich wohl wieder an dem Stil der neuen Sachlichkeit wie nach dem Ersten Weltkrieg orientiert. Mit der Öffnung der Grenze nach 1991 wurde die Stadt zu einem Grenzhandelsort. Die Stadt liegt gerade mal etwa fünf Kilometer von der Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad entfernt. Das hat natürlich seit Russlands Krieg gegen die Ukraine auch ein Ende gefunden.

Besonders Sehenswertes gibt es in Goldap nicht. Allerdings gibt das Stadtbild einen anderen Eindruck wieder als die meisten übrigen polnische Städte in der Woiwodschaft Ermland-Masuren. Wegen der schweren Zerstörungen und dem Stil des Wiederaufbaus nach den Weltkriegen, strahlt Goldap eher den Eindruck eine modernen Stadt aus. Eines der wenigen herausragenden Gebäude aus der Vergangenheit ist die Marienkirche aus dem Ende des 16. Jhdt.

Nachdem ich meinen Spaziergang beendet habe mache ich mich auf meinem Zimmer frisch und begebe mich zum Abendessen in das Restaurant des Hotels. Die Besitzerin sitzt nun an einem Tisch in der Nähe der Theke und dirigiert ihre jungen Servicekräfte von da aus geschickt herum. So sorgt sie sofort dafür, das ich von einer juingen Frau bedient werde, die Englisch spricht. Ich genehmige mir heute eine Pizza, die sowohl vom Teig als auch vom Belag her sehr gut gelungen ist. So verlasse ich das Lokal entsprechend zufrieden und ziehe mich auf mein Zimmer zurück.

Tagesstrecke: 69,11 Km; 13,60 Km/h; 300 Hm

Schreibe eine Antwort

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.