Da ich das Zimmer mit Frühstück gebucht habe, gibt es dieses auch bei Baba Pruska. Drei Frühstücksarten werden zur Auswahl angeboten. Ich entscheide mich für etwas klassisch kontinentales wie es so schön immer heißt: Zwei Spiegeleier, Brot, Wurst und Käse.

Aber warum zieht es mich nun immer wieder nach Sztynort oder Steinort wie es früher hieß. Der Ort selbst ist sicher unansehnlich. Zwar ist am Ufer des kleinen Steinortsees inzwischen einer der größten Yachthäfen an der Masurischen Seenplatte entstanden, dass dies aber für mich kein sonderlicher Anreiz ist, dürfte jedem, der mich näher kennt, nicht verwundern. Ich fahre doch lieber Fahrrad als mit dem Boot. Aber es gibt ein altes Schloss hier, was leider immer mehr verfällt und das tut mir in der Seele weh. Denn eigentlich ist Schloss Steinort ein wesentlicher Ort des Widerstands gegen die Nazidiktatur. Ähnlich beispielsweise wie Kreisau, das heutige Krzyzowa, wo die von Moltkes ihren Stammsitz hatten und Helmut James Graf von Moltke einer der führende Männer einer der Widerstandsgruppe wurde und den Kreisauer Kreis gründete. In Krzyzowa ist es schon in den 1970er und 80er Jahren mit Hilfe der Witwe von Moltkes, Freya von Moltke, gelungen, das Schloss zu renovieren und eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte zu errichten.

Dies ist in Sztynort leider bisher noch nicht gelungen, obwohl es hier sicher auch gute Gründe gäbe und berechtigt wäre, denn der letzte Schlossherr in Steinort war Heinrich Graf von Lehndorff. Lehndorff war Offizier in der Wehrmacht und gehörte zum militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, er war einer der Beteiligten an dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler. Nebenbei: Lehndorf und Marion Gräfin Dönhoff waren wohl seit ihrer Kindheit eng miteinander befreundet und sie hat ihn auch in ihrem Buch, Namen die keiner mehr nennt. Erinnerungen an Ostpreußen, porträtiert.

Sein Weg in den aktiven Widerstand hatte einen konkreten Anlass. Während des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg war Lehndorff Ordonnanzoffizier bei der Heeresgruppe Mitte. Ein Massaker an 7000 Juden in Baryssau im Oktober 1941 wurde für ihn zum entscheidenden Grund, sich dem militärischen Widerstand gegen das NS-Regime anzuschließen.

Als Oberleutnant der Reserve war Lehndorff Verbindungsoffizier des „Unternehmens Walküre“ zum Wehrkreis I in Königsberg. Er hatte Urlaub von der Wehrmacht zur Führung seines sehr großen Gutsbetriebes. Sein Schloss Steinort besuchten Henning von Tresckow, Fabian von Schlabrendorff und Helmuth James Graf von Moltke. Konspirative Gespräche wurden bei Kutschfahrten oder im Park hinter dem Schloss geführt. Letzteres hatte vor allem den Grund, dass Heinrich Graf von Lehndorff zwar Eigentümer des Schosses war und es mit seiner Familie, seiner Frau Gottliebe und den drei Töchtern, auch bewohnte. 1941 wurde jedoch ein Flügel des Schlosses requiriert und als „Feldquartier“ von Reichs-Außenminister von Ribbentrop eingerichtet. Die Widerstandskämpfer mussten also mit einem der Hauptverantwortlichen der NS-Verbrechen unter einem Dach wohnen.

Einen Tag nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 in dem nahen Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ wurde Lehndorff verhaftet. Zweimal hat er fliehen können, in Steinort und in Berlin. Lehndorff wurde am 3. September 1944 durch den Volksgerichtshof zum Tod verurteilt und am darauf folgenden Tag erhängt. An ihn und weitere Opfer des Nationalsozialismus erinnert auch die Gedenkstätte Plötzensee.

Diese Geschichte von Heinrich Graf von Lehndorff, die noch viele andere Facetten hat, die aber den Rahmen dieses Reiseberichts sprengen würden, ist für mich der Grund hier in Sztynort vorbeizuschauen, ob sich schon etwas neues getan. Einzig sichtbares Erinnerungszeugnis ist ein zum 100. Geburtstag von Heinrich Graf von Lehndorff 2009 vor dem Schloss aufgestellter Gedenkstein, der an ihn als letzten Schlossherrn und an seine aktive Rolle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus erinnert. Zu Heinrich Graf von Lehndorff und dem Schicksal seiner Familie empfehle ich auch das Buch der ehemaligen Grünen Politikerin und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Antje Vollmer, Doppelleben. Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop, das 2010 erschien.

Nach dem Frühstück mache ich mich dann auf den Weg zu einem längeren Spaziergang. Direkt neben dem Pensjonat, das auch in einem ehemaligen Wirtschaftsgebäude des Schlosses untergebracht ist, werden gerade zwei größere ehemalige Wirtschaftsgebäude aufwendig saniert und rekonstruiert. Auf meine Frage, was hier entstehen soll, antwortet mir der immer freundliche Mann an der Rezeption, dass hier ein Tagungszentrum und ein Segelmuseum, wohl passend zum Yachthafen, entstehen soll.

Dann gehe ich zum Schloss, was in einem noch erbärmlicheren Zustand zu sein scheint als bei meinem letzten Besuch vor fünf Jahren. Augenfällig sind aber  Sanierungsarbeiten im Treppenhaus des Schlosses, die aber wohl nur der Sicherung dienen. Heinrich von Lehndorff hatte dass Schloss unter Leitung des erfahrensten Restaurators der Königlichen Schlösser in Berlin Ende der 1930er Jahre einer grundhaften Sanierung unterzogen, nachdem es zuvor seit dem Ersten Weltkrieg vernachlässigt und durchfeuchtet gewesen war. Es war bis zum Einzug der Roten Armee im Januar 1945 in tadellosem Zustand.

Nach längerer Besetzung durch die Rote Armee seit 1945 war im Schloss ab den 1950er Jahren eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (PGR) untergebracht. Beides hat sicher nicht zum Erhalt des Schlosses beigetragen. In den 1990er Jahren kam die gesamte Anlage mit Wirtschaftsbereich in die Hände eines Österreichers, dann, 1995, an einen Warschauer Yachtbetreiber. Derzeit kann das Schloss eben nur von außen besichtigt werden, da es mit der Zeit stark verfallen ist, und mit den Renovierungsarbeiten erst kürzlich begonnen wurde. Die größte Kostbarkeit des maroden Baus sollen die bemalten und geschnitzten barocken Holzdecken im Mittelteil sein.

Hoffnung macht, dass im November 2009 die „Polnisch-Deutsche Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz“ das Schloss erworben hat. Nach umfangreichen Sanierungsmaßnahmen soll es als Begegnungsstätte genutzt werden. Es wird, zusammen mit der deutschen Schwesterstiftung, um ein Nutzungskonzept gerungen, um Fördermittel zu erhalten. Bisher wurde mit Geld privater deutscher Spender und Mitteln aus dem polnischen Kulturministerium geholfen. Dringende Notsicherungsmaßnahmen erfolgten bis Herbst 2013. Immer noch ruft aber die Polnisch-Deutsche Stiftung auf einem großen Plakat an der Fassade des Schlosses zu Spenden auf und immer noch scheint es kein endgültiges Konzept zu geben.

Nachdem ich mich etwas umgeschaut habe, wandere ich weiter in den Schlosspark. Die Wege sind nach den Regentagen ziemlich aufgeweicht. Der Schlosspark war in den Jahren nach 1945 völlig verwildert. Er wurde im Sommer 2012 als Projekt „Rückschnitt des Wildwuchses im historischen Schlosspark“ der Jugendbauhütte der Deutschen Stiftung Denkmalschutz durch 40 deutsche Jugendliche in zweiwöchigem Einsatz bearbeitet. Insbesondere die historischen Parkwege und Sichtachsen wurden wieder freigelegt. Inzwischen verwildert es aber wieder und es wird höchste Zeit sich auch diesem einst sicher wunderschönen Landschaftspark zu widmen. Ich wandle also durch die Allen und möchte mich nach meiner Rückkehr doch mal etwas intensiver damit befassen, was nun inzwischen aus den Plänen für Steinort geworden ist. Ein Bild des Spendenaufrufs habe ich am Schluss dieses Beitrags hinzugefügt.

Mein nächstes Ziel ist nun mit einem Fußweg von etwa 2 Kilometern um den halben Steinorter See verbunden. Nach dem Regen ist er leider sehr schlammig. Die Reinigung meiner Schuhe wird später sicher noch eine Herausforderung. Hier hatten die Vorgänger Heinrich Graf von Lehndorffs eine Grabkapelle für die Lehndorffs errichtet, die aber ab 1945 mehrfach geplündert wurde und wäre 2015 fast zur Ruine geworden. Durch eine private Spendeninitiative und mit Unterstützung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien konnten Mittel bereitgestellt werden, um dieses Kleinod der Architektur des Berliner Architekten Friedrich August Stüler zu retten. Für die Wiederherrichtung des Innenraumes mit seinem Netzgewölbe und seiner Akustik sind weitere Mittel notwendig und auch die Außenanlagen, die ein Friedhof für die Bediensteten des Schlosses waren, bedürfen noch dringend einer Restaurierung. Leider ist die Grabkapelle soweit abgelegen, dass der Außenbereich wohl auch häufiger für Gelage von wem auch immer genutzt wird. Auch hier bleibt noch viel zu tun.

Nach meinem Besuch bei der Grabkapelle mache ich noch einen Abstecher zum Steinorter See und zu dem Kanal, der ihn mit dem Kisajno- und dem Darginsee verbindet. Insofern ist der kleine Steinorter See schon fast als natürlicher Hafen zu betrachten. Von hier gegenüber hat man aber einen schönen Blick auf den Yachthafen und begrenzt, weil etwas im Hintergrund eingetaucht, auf das Schloss.

Danach marschiere ich zurück, reinige meine Schuhe, esse bei Baba Pruka einige Piroggen und ruhe mich am Nachmittag ein wenig aus. Den Abend lasse ich natürlich auch bei Baba Pruska ausklingen und verzehre ein wirklich köstliches Lammkotlett-Gericht.

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