Tagesdaten: 48,74 Km

Nach dem auch heute bescheidenen Frühstück mache ich mich auf den Weg. Meine Wäsche ist gewaschen und es ist ein schönes Gefühl, mal wieder frische Sachen anziehen zu können. Heute geht es aus dem Harz hinaus und es beginnt dann der flachere Teil meiner Tour. Ich verlasse die Mittelgebirge und fahre in das norddeutsche Tiefland. Mein heutiges Ziel ist Hornburg. Es sind noch nicht einmal 50 Kilometer, aber es soll ein hübsches Fachwerkstädtchen mit einer interessanten Geschichte sein. So habe ich entschieden heute nur eine kürzere Strecke zu fahren.

Von Elend nach Hornburg

Zunächst geht es aber nun vom Harz hinab nach Ilsenburg. Ich fahre in Richtung Ilsenburg auf geschotterten Waldwegen, die meist gut befahrbar sind. Auf weiten Strecken fahre ich entlang von Holzstapeln, die einen lebendigen Eindruck vom „Wald im Wandel zur neuen Wildnis“ geben. Man versucht offensichtlich möglichst viele Bäume zu fällen, was wahrscheinlich mehr ökonomischen  Nutzen bringt als das es im Sinne des Wandel des Waldes ist. Vielleicht will man damit auch den Borkenkäfer als Verursacher des Waldsterbens bekämpfen, ihm sozusagen den Gegenstand seiner Zerstörung entziehen. Je tiefer ich komme wird der Wald zwar wieder etwas grüner. Aber auch hier nimmt das Sterben seinen Lauf wie man an den mit grünen, abgefallenen Nadeln, die den Boden bedecken, erkennen kann.

Nach etwa 20 Kilometern erreiche ich dann Ilsenburg, eine beschauliche Fachwerkstadt am Rande des Nordharzes. Ich mache eine kurze Pause am Schloss und dem Kloster, die praktisch direkt nebeneinander stehen. Im Freisitz des Schlosscafés nehme ich eine kleinen Imbiss zu mir. Bevor ich meine heutige Etappe fortsetze, mache ich noch eine kleine Rundfahrt durch Ilsenburg. Danach geht es an Stapelburg vorbei über Abbenrode nach Hornburg. Die Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen überfahre ich mehrmals und komme bei Vienenburg auch an einem Teil eines Mahnmals „Eiserner Vorhang“ vorbei, das als solches aber nur mit viel Phantasie zu erkennen ist. Auf den ersten Blick ist es schlicht eine willkürlich in der Landschaft stehende Metallplatte.

Am frühen Nachmittag erreiche ich dann das Städtchen Hornburg. Gebucht habe ich in Reinhards Pension. Von außen sieht das Gebäude nicht gerade ansprechend, weil etwas heruntergekommen aus. Es ist zwar sicher auch ein altes Fachwerkhaus, aber klassizistisch verputzt. Von innen entpuppt es sich aber als wirkliches Schmuckstück. Die Zimmer sind sehr individuell, weil den alten Baulichkeiten angepasst. Dennoch verfügt es über einen modernen Standard, was Betten, Bad und Service betrifft. Empfangen werde ich von der Besitzerin Monica Dahms und ihrer kleinen Tochter. Sie und ihr Mann, den ich im Laufe des Tages auch noch kennen lerne, scheinen sehr aktive Mitglieder der Gemeinde Hornburg zu sein. Sie ist Tierärztin, er ist Historiker und Geschäftsführer des Ostfalia Verlages, der versucht die Tradition und Bedeutung der heute kaum noch im Bewusstsein der Menschen bekannten Region Ostfalen aufrechtzuerhalten. Frau Dahms ist noch Vorsitzende des Heimatmuseum Hornburg und Herr Dahms Vorsitzender des Kirchenvorstands der evangelischen Marienkirche.

Spaziergang durch Hornburg

Da es noch früh am Tag ist, bleibt mir noch genügend Zeit für einen Stadtrundgang. In Hornburg soll es etwa 400 Fachwerkhäuser geben und es gilt mit seinen 2.500 Einwohnern als eine der schönsten Kleinstädte Norddeutschlands. Heute ist Hornburg ein Ortsteil der Gemeinde Schladen-Werla im Landkreis Wolfenbüttel. Die Blütezeit Hornburgs lag im 16. Jhdt., als die Stadt durch Hopfenanbau und Hopfenhandel zu großem Wohlstand gelangte. Diese für das Brauwesen wichtige Pflanze gedieh hier durch die günstigen klimatischen Bedingungen – wenig Regen und viel Sonnenschein – besonders gut.

Aber noch aus einem zweiten Grund ist Hornburg bedeutsam. Hornburg gilt auch als Geburtsstadt des zweiten deutschen Papstes Clemens II. (1046–1047). Clemens II., dessen weltlicher Name Suitger (Suidger), Graf von Morsleben und Hornburg, (* 1005 in Hornburg; † 9. Oktober 1047 im Kloster San Tommaso in Foglia in Apsella di Montelabbate) war, war Papst von 1046 bis 1047. Er hatte also nicht lange Freude an seinem Amt. Als Geburtsort wird die Burg Hornburg angenommen, jedoch schweigen die zeitgenössischen Quellen zu dieser Frage und lassen nur Vermutungen zu. Da diese aber offensichtlich nicht bestritten werden und kein anderer Geburtsort ins Gespräch gebracht wurde, gilt der Geburtsort Hornburg heute als relativ gesichert. Seine theologische Ausbildung erhielt er an der Domschule in Halberstadt. Suitger wurde vor 1032 Domkanoniker am Halberstädter St.-Stephans-Stift und 1032 Hofkaplan des Erzbischofs Hermann von Hamburg-Bremen. Seine adlige Herkunft und seine exponierte Stellung beim Erzbischof von Hamburg-Bremen verhalfen ihm zu einer kirchlichen Karriere im königlichen Dienst. Er wurde 1035 als Kaplan in die Hofkapelle des Kaisers Konrad II. aufgenommen. Dessen Sohn König Heinrich III. ernannte Suitger 1040 zum Bischof von Bamberg.

Auf seiner Italienreise setzte König Heinrich III. nach der Synode von Sutri im Dezember 1046 drei gleichzeitig amtierende Päpste ab: Gregor VI., Benedikt IX. und Silvester III. Seinen Begleiter Suitger ernannte der Kaiser zum neuen Kirchenoberhaupt.  In einer Folgesynode, die am 24. Dezember 1046 in St. Peter in Rom stattfand, wurde Suitger wunschgemäß zum Papst gewählt. Am Weihnachtstag 1046 vollzog er als erste Amtshandlung die Kaiserkrönung von Heinrich III. Sein Bamberger Bistum behielt der neue Papst bei. 1047 wollte Clemens II. eine Reise über die Alpen unternehmen. Schon am 9. Oktober 1047 starb der Papst auf der Reise unweit von Pesaro im Kloster San Tommaso in Foglia bei Montelabbate. Schon damals kursierten Gerüchte, er sei von Gegnern in Italien vergiftet worden, was auch heute noch als wahrscheinlich gilt. Gemäß seinem Willen wurde er, der seinen bisherigen Bischofssitz als Papst nicht aufgegeben hatte, im Bamberger Dom beigesetzt. Sein Grab ist das einzige erhaltene Papstgrab nördlich der Alpen. Anlässlich seines 1000. Geburtstags wurde im Jahr 2005 in Hornburg eine von der Bildhauerin Sabine Hoppe geschaffene Statue Papst Clemens II. vor der dortigen evangelischen Marienkirche aufgestellt. So viel zu dem berühmtesten Sohn der Stadt Hornburg.

Mein Spaziergang durch Hornburg beginnt am Rathaus schräg gegenüber der evangelischen Marienkirche. Sowohl das Rathaus als auch die Kirche, die sehr sehenswert sein soll, sind Corona bedingt geschlossen. Was die Kirche betrifft ist das sehr bedauerlich. Die Marienkirche Hornburg wurde in den Jahren 1614–16 auf den Fundamenten eines mittelalterlichen Vorgängerbaus errichtet. Das Bauwerk ist eine nachgotische dreischiffige Hallenkirche mit sechs Jochen. Sie wurde bereits als protestantische Kirche erbaut. Insofern wundert mich der Name Marienkirche. Leider finde ich in den Erläuterungen, die ich lese, keine Erklärung dafür. Ebenso wundert es mich, dass die Skulptur von Clemens II. vor der evangelischen Kirche steht und nicht vor der katholischen St. Clemens, die es ebenfalls hier in Hornburg gibt. So laufe ich ohne Erklärung für diese Auffälligkeiten erst einmal etwas ziellos herum und bestaune die wirklich künstlerisch zum Teil herausragenden Fachwerkhäuser mit ihren Schnitzereien. Als einer der prächtigsten Renaissancebauten gilt das Neidhammelhaus in der Wasserstraße 2, direkt neben der Kirche. Gegenüber der Kirche dann das Haus Wasserstraße 7, das als ältestes Haus Hornburgs gilt und dessen Stil als gotisches Fachwerk bezeichnet wird.

Während ich so vor mich hin schlendere, sehe ich plötzlich zwischen der Kirche und dem Pfarrhaus Bewegung. Ein Auto kommt an und ein Mann geht in Richtung Kirche, während eine Frau das Auto entlädt und Dinge ins Pfarrhaus schafft. Also gehe ich um die Kirche herum und sehe, dass eine Hintertür geöffnet ist. Da ich natürlich neugierig bin, gehe ich hinein und schaue mich um. Kurze Zeit später kommt der junge Mann, den ich gerade beobachtet hatte und fragt mich, ob ich mir die Kirche anschauen wolle. Da er noch einiges zu tun habe, hat er nichts dagegen und wenn ich Fragen hätte, solle ich es nur sagen. Ich freue mich natürlich über das Angebot sehr und bedanke mich. Wie ich später von ihm erfahre, ist der junge Mann der Pfarrer der Kirche, Olaf Schäper,  und ganz so jung ist er dann doch nicht mehr, weil er dieses Amt, wie ich der in der Kirche dargestellten Auflistung der Pfarrer entnehmen kann, schon seit 2006 innehat. Da er aber sommerliche Freizeitkleidung trägt, wirkt er doch jünger und erheblich jünger als ich ist er allemal.

Die beindruckend prächtige und bildreiche Ausstattung der Kirche aus der Zeit der Renaissance und des Barock ist sehr harmonisch aufeinander abgestimmt. Das Hauptstück ist ein zweistöckiger manieristischer Altar mit Säulengliederung und reicher Ornamentik, der 1617 gestiftet und 1660 gefasst wurde. Es zeigt in der Predella ein Abendmahlsrelief und im Hauptgeschoss einen figurenreichen Kalvarienberg, der von den Figuren Johannes des Evangelisten und des Apostels Andreas flankiert wird. Im Aufsatz ist die Auferstehung offensichtlich in Anlehnung an Dürers Große Passion und auf dem Gebälk und als Bekrönung drei Figuren der Tugenden dargestellt. Seitlich neben dem Altar sind 1660 gestiftete Altarschranken mit Kniebänken aufgestellt. Vor der Westempore steht ein 1581 datierter Taufstein aus farbig gefasstem Sandstein. Unter dem Baldachin des hölzernen Deckels findet sich eine vollplastische Gruppe der Taufe Christi. Die Kanzel mit Schalldeckel wurde 1616 gestiftet und zeigt Moses als Trägerfigur und am Korb Reliefs der Ehernen Schlange, der Ölbergszene, der Verkündigung, der Opferung Isaaks sowie musizierende Engel und die knienden Stifter vor dem Gekreuzigten. Es ist wirklich eine beeindruckende Harmonie, die das Innere der Kirche ausstrahlt. Ich bedanke mich noch beim Pfarrer für seine Freundlichkeit, revanchiere mich mit einer kleinen Spende zum Erhalt der Kirche und vergesse aber leider zu fragen, warum eine evangelische Kirche den Namen Marienkirche trägt und warum die Pabstskulptur Clemens II. gerade vor der evangelischen Kirche und nicht vor der katholischen Kirche St. Clemens steht.

Danach schlendere ich weiter durch die Stadt. Auch die jüdische Geschichte ist nicht in Vergessenheit geraten. So findet sich in der Dammstraße noch ein Renaissance-Wohnhaus, das früher die jüdische Schule war. Hinter dem Haus stand bis 1924 die jüdische Synagoge, deren Inneneinrichtung sich heute im Jüdischen Museum/Landesmuseum in Braunschweig befindet und dort zu besichtigen ist. Sehenswert ist auch das Dammtor, das letzte erhaltene Stadttor von Hornburg. Von dort begebe ich mich nun in Richtung Burg. Frau Dahms hat mir noch den besten Weg zur Burg beschrieben. Die auf einer keilförmigen Anhöhe liegende Höhenburg erhebt sich über die Stadt. Sie besteht aus einer ovalen Kernburg mit einer Fläche von etwa 40 × 100 Meter, die von einer Ringmauer umgeben ist.  Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Burg Angriffsziel kaiserlicher und schwedischer Truppen. 1626 erstürmten Tillys Söldner die Burg, 1630 die Schweden. 1632 übergaben sie die Burg an den kaiserlichen Reitergeneral Gottfried Heinrich zu Pappenheim. 1645 wurde sie vom schwedischen General Königsmarck erneut zerstört. Nach dieser fünften Zerstörung kam es nicht mehr zum Wiederaufbau; sie diente danach als Steinbruch. 1648 kam die Burgruine als Domänenamt an das Kurfürstentum Brandenburg. Seit 1910 steht die Burgruine in Privatbesitz. 1927 wurde sie nach einem Stich von Merian aus der Zeit um 1650 teilweise auf den Grundmauern rekonstruiert. Dabei wurden historisierende Formen verwendet. Aus der Ferne entsteht so der Eindruck einer mittelalterlichen Burg. Aus der Nähe betrachtet soll sich der Burgbau als ein komfortables zeitgemäßes Wohnhaus darstellen. Das kann ich leider aber nicht beurteilen. Die Burg befindet sich noch heute in Privatbesitz und kann nicht besichtigt werden.

Nach meinem Rundgang erfrische ich mich noch etwas in meiner Pension. Bei meinem Spaziergang hatte mir die Gaststätte „Am Ruckshof“ zugesagt. So kehre ich dort ein und verspeise ein Hamburger Schnitzel. So gestärkt ziehe ich mich zurück auf mein gemütliches Zimmer in Reinhards Pension.

 

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