10. Tag (23. September 2020): Vom Elend zum Brocken und wieder zurück

Tagesdaten: 31,62 Km

Auch das Frühstück war kein Highlight, aber lassen wir das. Heute wollte ich auf den Brocken und da neben der Brockenbahn auch eine Straße hochführt, wollte ich diesmal mit meinem E-Bike zum Gipfel fahren. Hochgestiegen bin ich den Brocken schon vier oder fünf mal. Nach dem Frühstück machte ich mich ohne Gepäck auf den Weg, weil ich ja hier im Hotel Waldmühle für zwei Nächte gebucht hatte. Ich fahre auf der Brockenstraße zunächst bis Schierke. Es geht hier moderat bergauf. Ich kann hier noch im Ecco-Gang fahren. Schierke entwickelt sich immer mehr zu einem adretten Touristenort, obwohl man nicht den Eindruck hat, dass es im Moment allzu gut besucht ist. Das ist sicher auch Corona bedingt. Man kann zumindest den Eindruck haben. Dennoch sind zahlreiche Touristen im Ort. Aber ich habe den Eindruck, dass es sich um Tagestouristen handelt. Auf jeden Fall hat sich der Ort mit jedem meiner Besuche mehr herausgeputzt. Zahlreiche, früher runtergekommene Häuser sind inzwischen schön restauriert und geben dem Ort ihren Reiz.

Von Schierke sind es dann noch knapp zehn Kilometer bis zum Brockengipfel. Nun wird es etwas steiler aber der Tourengang reicht völlig. Nachdem ich den Ort hinter mir gelassen habe, trifft mich fast der Schlag. Der Nadelwald am Harz ist inzwischen weitgehend abgestorben. Auf riesigen Flächen ragen nadellose Baumleichen in den Himmel. Es ist eine fast unwirkliche Landschaft. Ich glaube ich war vor drei Jahren das letzte Mal auf dem Brocken. Da hat man zwar auch schon viele Waldschäden gesehen, aber dies hier stellt wirklich alles in den Schatten. Es erinnert mich an das Waldsterben im Bayerischen Wald in den1980er/1990er Jahre. Auch dort hat der Borkenkäfer den Wald innerhalb von zwei bis drei Jahren vernichtet und er hat sich bis heute nicht vollständig erholt. Jedenfalls muss man konstatieren, das der Wald am Harz nicht nur stirbt, sondern weitgehend schon tot ist. Es ist ein Drama. Was mich wundert ist wie viele Menschen hier noch unbefangen wandern, obwohl inzwischen Schilder auf möglichen Baumbruch verweisen und einige Wege auch gesperrt sind. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Wanderung zu Fuß auf den Brocken inzwischen lebensgefährlich ist.

Die Fahrt selbst ist unproblematisch. Ich habe sie mir eigentlich anspruchsvoller vorgestellt. Es zeigt sich eben, dass das E-bike seine Vorzüge vor allem in bergigem  Gelände hat. Ich komme nicht sonderlich angestrengt oben am Brocken an und hier ist ein ziemlicher Betrieb. Es gibt viele Wanderer und noch mehr Touristen, die mit der Brockenbahn hier hochgekommen sind. Sicher sind hier mehrere hundert Menschen auf dem Gipfelplateau. Ich schaue mich zunächst auf dem Gipfel um und blicke auf allen Seiten in die Ferne. Überall sind die Waldschäden zu erkennen. Große graubraune Flächen, wo früher einmal Fichten und Tannen grünten. Vor dem Gipfelstein lasse ich mich dann auch noch fotografieren. Ich bin übrigens bei weitem nicht der einzige der mit dem Fahrrad hier oben ist. Ich muss aber zugeben, dass die meisten mit Fahrrädern jüngere Männer mit Sporträdern oder Mountainbikes sind.

Nach meiner Umschau besuche ich das neu restaurierten Brockenhaus, das heute als Besucherzentrum genutzt. Ursprünglich entstand das Brockenhaus 1983 als Abhörzentrale des Ministeriums für Staatssicherheit. Mit der markanten Kuppel erhielt das Haus dann im Volksmund die Bezeichnung „Brocken-Moschee“ bzw. noch treffender „Stasi-Moschee“. Das Zentrum enthält Ausstellungen zur Geschichte des Brockens, zur Abhörtechnik in Zeiten der DDR aber auch zum Nationalpark Harz. Dabei wird das Waldsterben am Harz meines Erachtens sehr beschönigend und die Ursachen verschleiernd mit Thesen wie „Hier baut die Natur die neue Wildnis“ oder „Wald im Wandel zur neuen Wildnis“ verbrämt. Nach dem Besuch des Brockenhauses gönne ich mir noch eine Gulaschsuppe im Freisitz des Brockenrestaurants.

Danach reicht es mir für heute auf dem Brocken und ich kehre nach Elend zurück. Die Fahrt den Brocken hinunter ist natürlich unproblematisch. Auf einer gut asphaltierten und nicht stark befahrenen Straße, bis Schierke ist sie für den privaten Autoverkehr gesperrt, ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück und lese ein wenig. Mich hat der Besuch auf dem Brocken ziemlich frustriert. Diesen Wald so zu sehen ist schon erschütternd. Erschütternd ist aber auch wie man hier damit umgeht. Das Motto „Wald im Wandel zur neuen Wildnis“ löst bei mir schon die Assoziation aus, ob hier nicht eine Art von Tarnen und Täuschen in der Tradition des Hauses liegt. Fairerweise muss ich gestehen, dass auch in der Ausstellung vom Klimawandel als Ursache für die Schwächung des Waldes geschrieben wird. Dennoch scheint mir die Tendenz der Ausführungen doch sehr beschönigend und auf eine unabsehbare bessere Zukunft orientiert.

Das Abendessen im Hotel Waldmühle hebt meine schlechte Stimmung auch überhaupt nicht.

 

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