11. Tag (16. April 2022): Leuven

Tagesstrecke: 11 Km Stadtrundgang

Vormittags geht es zum Grote Markt, wo mit der Sint-Pieters-Kerk, dem Rathaus und dem gotischen Tafelrond drei der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten von Leuven zu sehen sind. Danach geht es über den Oude Markt (Altmarkt) an der Kirche Sint Antonius vorbei zum Großen Beginenhof. Die Kirche Sint Antonius gedenkt heute dem Pater Damian, der nach Meinung der Mehrheit der Belgier der größte Belgier aller Zeiten ist. Beginenhöfe findet man in älteren Städten in Flandern aber auch in den Niederlanden häufig. Beginenhöfe sind die typische Wohnanlage der Beginen. Beginen und Begarden waren Mitglieder von religiösen Laiengemeinschaften in weiten Teilen Europas vom Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert. Sie richteten ihr Leben am Armuts- und Bußideal in der Nachfolge Jesu Christi aus und verrichteten vor allem karitative Tätigkeiten für Kranke, Arme und Sterbende. Schließlich gibt es noch einen kurzen Abstecher in die Kirche Sint Michiels, die bedeutendste Jesuitenkirche Belgiens. In dem nahegelegenen Sint Donatus Park verweile ich eine Zeitlang. Es ist übrigens sein sehr sonniger Tag geworden, aber mit angenehmen Temperaturen um die 20°.

Besuch der Universitätsbibliothek

Nachdem ich mich am frühen Nachmittag etwas ausgeruht habe, steht nun die Universitätsbibliothek Leuven auf dem Programm. In ihrer Bedeutung steht sie den bisherigen Sehenswürdigkeiten nicht nach. Symbolisch hat sie wahrscheinlich noch eine größere Bedeutung. Leuven ist eine bedeutende Universitätsstadt. Das Stadtbild Leuvens wird stark vom studentischen Leben geprägt (2020 58.653 Studierende, davon 16 % ausländische Studierende). Im Stadtinnern befinden sich viele Bars und Kneipen.

Die Bedeutung der Universität liegt aber nicht nur in der Größe der Gegenwart,  sondern Leuven ist auch historisch begründet. Die Katholieke Universität Leuven ist die älteste Universität Belgiens und der Benelux-Staaten. Seit ihrer Gründung im Jahre 1425 gehört sie zu den bedeutendsten europäischen Universitäten und brachte durch die Jahrhunderte zahllose namhafte Wissenschaftler und Persönlichkeiten wie Adriaan van Utrecht (Papst Hadrian VI.), Matthias Wesenbeck, Erasmus von Rotterdam, Justus Lipsius, Andreas Vesalius, Gerhard Mercator, und Georges Lemaître hervor. An dieser Universität wird auch der Nachlass des Philosophen Edmund Husserl verwaltet.

Im Jahre 1968 wurde Leuven eines der Zentren des belgischen Sprachenstreits, in dem die gegenüber der dominierenden frankophonen Oberschicht wirtschaftlich und politisch aufholenden niederländischsprachigen Provinzen politische und kulturelle Autonomie innerhalb Belgiens forderten. Obwohl die Universität zu dieser Zeit offiziell zweisprachig (französisch/niederländisch) war, wurde am Anfang des Zeitalters der Massenuniversität der De-facto-Zustand wachsender französischsprachiger Studentenzahlen von den niederländischsprachigen Studenten zunehmend als unzumutbar empfunden. Nach zum Teil heftigen Auseinandersetzungen zwischen Studenten und den Behörden kam es schließlich zu einer Aufteilung der K.U. Leuven in eine niederländischsprachige (KUL) und eine französischsprachige (UCL) Universität. Löwen blieb daraufhin Sitz der niederländischsprachigen KUL, während die französischsprachige Université catholique de Louvain in den neu gegründeten Ort Louvain-la-Neuve im wallonischen Landesteil etwa 20 Km südlich von Leuven verlegt wurde.

Nun aber zur Universitätsbibliothek, deren eindrucksvolles Gebäude noch heute das Stadtbild prägt. Von der Gründung der Universität im Jahre 1425 an bis 1636 gab es keine Zentralbibliothek. Erst 1636 wurde eine solche in der ehemaligen Tuchhalle eingerichtet. Im Ersten Weltkrieg wurde die Bibliothek in der Nacht vom 25. zum 26. August 1914 ein Raub der Flammen, als deutsche Truppen in der von ihnen am 19. August besetzten Stadt Löwen etwa ein Sechstel aller Gebäude niederbrannten. Auslöser dieser Zerstörungsaktion war, dass in der Stadt Schüsse fielen; diese wurden irregulären Heckenschützen zugeschrieben. Etwa 1000 Handschriften, 800 Inkunabeln und 300.000 Bücher verbrannten. Dieses Ereignis spielte in der Folge sicher nicht ganz zu Unrecht eine große Rolle in der Kriegspropaganda der Entente gegen die Mittelmächte. Deutschland wurde bezichtigt, nicht einmal unwiederbringliches Kulturgut unversehrt zu lassen („Ici finit la culture allemande“).

Die Universitätsbibliothek wurde nach dem Ersten Weltkrieg 1921–1928 nach Plänen des amerikanischen Architekten Whitney Warren (1864–1943) im Stil der flämischen Renaissance und mit charakteristischem Glockenturm mit amerikanischer Finanzhilfe – der amerikanische Handelsminister 1920-1928 und spätere Präsident (1929-1939) Herbert Hoover spielte dabei eine besondere Rolle – an neuer Stelle wieder aufgebaut. Auch die alte Tuchhalle wurde wieder rekonstruiert und heißt heute Universitätshalle und beherbergt das Verwaltungszentrum der Universität. Die neue Bibliothek wurde 1928 am amerikanischen Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli, eröffnet. Während des Zweiten Weltkriegs brannte die Bibliothek am 16. Mai 1940 erneut aus – diesmal beschuldigten sich die abziehenden Briten und die vorrückenden Truppen der Wehrmacht gegenseitig. 900.000 Bücher verbrannten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bibliothek erneut originalgetreu rekonstruiert und 1987 unter Denkmalschutz gestellt.

Die 1968 bis 1970 erfolgte Teilung der Universität Löwen in einen flämischen und einen französischsprachigen Teil und die damit einhergehende Umsiedelung des letzteren nach Louvain-la-Neuve betraf auch die Universitätsbibliothek. Zum Glück wurden die Bücher nun nicht mehr verbrannt, sondern es fand eine Aufteilung des Buchbestandes statt, die überwiegend einvernehmlich erfolgte; für den strittigen Teil wurde schließlich – einem zunächst scherzhaft gemeinten Einfall folgend – nach geraden und ungeraden Signaturen aufgeteilt. Absurd, aber zumindest nicht zerstörend.

Ich hatte mir vorgenommen, die Universitätsbibliothek etwa genauer anzuschauen. Deshalb lasse ich mir den Einlass erläutern und erhalte auch einen Audioguide, der mich durch das Haus führen soll. Der Audioguide ist zwar nur bedingt funktionsfähig und mit meinem iPhone tut er sich besonders schwer, aber nach mehreren Fehlversuchen funktioniert es, auch wenn ich immer wieder in Funklöcher gerate und dann einige Zeit ziemlich absurd hin und her laufe, um eine Funkverbindung zu suchen. Dennoch hat sich der Besuch gelohnt und so lerne ich viel über die Geschichte des Hauses kennen, kann den eindrucksvollen Lesesaal besuchen und kann schließlich auf den Turm steigen und von dort die Aussicht auf Leuven genießen. Nach etwa einer Stunde verlasse ich das Rathaus und mache noch einmal einen Schlenker über den Gote Markt und kehre dann erst einmal zurück in mein wenig einladendes Hotel.

Abendspaziergang

Hier gibt es nicht mehr viel zu erzählen. Nach dem Abendessen drehe ich noch eine Runde. Die Gebäude sind ja inzwischen bekannt. Aber natürlich muss man noch ein Wort zu Fonske verlieren.

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