Spaziergänge durch Kielce: 11,50 Km
Heute wieder ein fahrradfreier Tag und ich will mir Kielce etwas genauer anschauen. Das Wetter ist schön, die Sonne scheint und die Temperaturen steigen auf angenehme 24 Grad.
Kielce ist die Hauptstadt der Woiwodschaft Heiligkreuz im Südosten von Polen, rund 120 km nordöstlich von Krakau und rund 170 km südlich der Hauptstadt Warschau gelegen. Kielce steht mit rund 200.000 Einwohnern auf der Liste der Städte Polens auf dem achtzehnten Platz. Die Stadt hier im Heiligkreuzgebirge ist Sitz zweier Hochschulen und des Bistums Kielce der römisch-katholischen Kirche Polens. Kielce ist Verarbeitungs- und Handelszentrum landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie bedeutender Standort der Metall- und Nahrungsmittelindustrie.
1227 erhielt die Stadt das Stadtrecht. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts litt die Stadt unter dem Mongolensturm. Allerdings erholte sie sich schnell wieder. Im 14. Jahrhundert wurde Kielce das Magdeburger Stadtrecht verliehen. 1496 erhielt es sein Wappen durch den Gnesener Erzbischof, Kardinal Friedrich Jagiello, aus dem Geschlecht der Jagiellonen. Die goldenen Buchstaben CK bedeuten Civitas Kielcensis (Bürgerschaft von Kielce).
Durch die Entwicklung des Eisenerzbergbaus wuchs Kielce im 16. und 17. Jahrhundert schnell an. Der Zustrom von Italienern, Ungarn, Deutschen und Slowaken prägte die Stadt. 1645 zählte sie etwa 1250 Einwohner. Die Stadt erhielt während dieser Zeit ein Schloss, die Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, ein Zisterzienserkloster und ein Krankenhaus. Der Angriff der Schweden und die nachfolgenden Wirren durch Plünderungen und Seuchen stoppten wie an vielen anderen Orten in Polen die positive Entwicklung.
Durch die Dritte Teilung Polens fiel Kielce 1795 an Österreich und wurde an Galizien angegliedert. Kielce wurde zum Sitz eines der 13 Kreise Westgaliziens. 1809 kam es zum Herzogtum Warschau, das ab 1815 als Kongresspolen unter russischer Oberherrschaft stand. Der Aufschwung am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts machte sich in Kielce vor allem durch den Anschluss an das polnische Eisenbahnnetz 1885 bemerkbar. Bei der ersten Volkszählung im Russischen Kaiserreich im Jahre 1897 wurde eine Einwohnerzahl von 23.178 festgestellt.
1919 wurde Kielce im wieder entstandenen Polen Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft. 1939 lebten 71.000 Menschen in der Stadt. Beim deutschen Überfall auf Polen wurde Kielce am 4. September 1939 von der Wehrmacht besetzt. Die SS richtet 1941 das Ghetto Kielce ein. Kielce war aber auch gleichzeitig ein wichtiges Zentrum des polnischen Widerstandes. In und um Kielce waren verschiedene Partisanengruppen tätig. Aber auch geheime Bildungseinrichtungen bis zum Universitätsniveau waren vertreten und verhinderten ein völliges Absinken des Wissensniveaus. Im Verlauf der Weichsel-Oder-Operation wurde Kielce am 15. Januar 1945 von der Roten Armee eingenommen.
Im Juli 1946 kam es in der Stadt zum Pogrom von Kielce, bei dem ein lokaler polnischer Mob unter den Augen von Polizei und Armee jüdische Holocaust-Überlebende und Heimkehrer aus der Sowjetunion attackierte, 42 von ihnen ermordete und etwa 80 weitere verletzte. Obwohl die Haupttäter zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, ist dieses Pogrom, soweit ich es nachvollziehen konnte, ein noch immer nicht aufgearbeitetes Kapitel des polnischen Antisemitismus.
Spaziergänge durch Kielce
Das Hotel Bristol befindet sich in der Ulica Sienciewicz Straße. Es ist die längste und repräsentativste Straße der Stadt. Die Straße hat eine Gesamtlänge von 1270 Metern und reicht von der Plac Moiuszki mit dem Denkmal für Henryk Sienkiewicz, dem Litaraturnobelpreisträger und Autor des auch bei uns berühmten Romans Quo Vadis, bis zum Unabhängigkeitsplatz (Niepodleglosci-Platz) vor dem Bahnhof. Die Straße ist eine Fußgängerzone und damit eine Flaniermeile mit Bürgerhäusern aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Hier finden sich auch zahlreiche Denkmäler, die an die Geschichte der Stadt und ihre Einwohner erinnern.
Von hier erreicht man leicht die meisten wichtigen Sehenswürdigkeiten. Gestern habe ich bereits die die Kathedralbasilika Mariä Himmelfahrt (polnisch Bazylika katedralna Wniebowzięcia Najświętszej Maryi Panny w Kielcach), eine römisch-katholische Kirche, besucht. Die Kirche wurde im 12. Jahrhundert vom damaligen Krakauer Bischof auf dem Burgberg in der Innenstadt erbaut. 1213 wurde sie Stiftskirche. Nach der Zerstörung durch die Tataren im Jahre 1260 wurde sie wieder aufgebaut. 1719 ließ Bischof Kazimierz Lubienski das Gebäude im bis heute prägenden frühbarocken Stil umgestalten. Von 1805 bis 1818 sowie seit 1883 ist die Kirche Kathedrale. Den Titel einer Basilica minor erhielt sie 1971 im Rahmen der 800-Jahr-Feier durch Papst Paul VI. 1990 erfolgte die Krönung des Bildes Unserer Lieben Frau der Gnade durch Papst Johannes Paul II., das um 1600 in die Kirche gekommen war.
Der freistehende architektonisch etwas zu wuchtige Glockenturm dominiert zusammen mit den Türmen des benachbarten Bischofspalastes die Stadt. Die drei Kirchenschiffe gestalteten Krakauer Maler im 19. Jahrhundert mit Fresken in verschiedenen Farben, womit sie die geringe Beleuchtung der mittelalterlichen Fenster etwas ausglichen. Der Hochaltar ist ebenfalls im Barock- und Rokokostil gestaltet. Die höchste künstlerische Bedeutung hat das aus Alabaster gemeißelte Grabmal des Adligen Zebrzydowska.
Weiter geht es zu dem direkt neben der Kathedrale errichteten Palast der Krakauer Bischöfe in Kielce (polnisch pałac Biskupów Krakowskich w Kielcach). Er ist die ehemalige Sommerresidenz der Bischöfe von Krakau. Erbaut wurde das Gebäude im 17. Jahrhundert (1637–1644) im manieristisch-frühbarocken Stil, wobei italienische und polnische Einflüsse in besonderer Weise kombiniert wurden. Von 1919 bis 1939 sowie zwischen 1945 und 1970 befand sich im Palastgebäude die Woiwodschaftsverwaltung der Woiwodschaft Kielce. Seit 1971 wird der Palast für eine Gemäldesammlung des polnischen Nationalmuseums genutzt. Den Besuch des Museums erspare ich mir, weil meine Radreisen für Museumsbesuche nicht so geeignet sind. Zum einen, weil es in Polen kaum deutsche Erläuterungen zu Kunstwerken in Museen gibt und zum anderen, weil mir auch die Muße für Museumsbesuche auf solchen Reisen fehlt. Dafür drehe ich ein Runde um den Palast und erfreue mich an der sehr schön gepflegten französischen Gartenanlage.
Mein nächstes Ziel ist der Zieliński-Palast. Er ist nach Tomasz Zieliński (1802–1858) benannt und befindet sich in der Innenstadt. Ich habe nicht viel über ihn erfahren können, außer dass er Vorsteher des Kreises Kielce und privater Kunstsammler und Kunstmäzen war. Von außen sieht der Palast recht gewöhnlich aus. Mir gelingt es aber auch in den Garten zu gelangen und da sieht man dann einen historistischen Architekturmix. Der Gebäudekomplex mit neogotischen Elementen ist Bestandteil der ehemaligen bischöflichen Residenzanlagen in Kielce. Er liegt zwischen dem ehemaligen Bischofspalast (im Norden) und dem „Park Stanislawa Staszica“ (im Süden). Er grenzt direkt an das ehemalige Gefängnis an und wird heute als „Dom Środowisk Twórczych“ (Haus der Künstler oder Haus der Kunst [genau: Haus des künstlerischen Umfelds]) genutzt.
Soweit ich es beurteilen kann, sind diese drei Gebäudekomplexe die Hauptsehenswürdigkeiten von Kielce. Aber es gibt natürlich noch mehr zu sehen. Von hier aus gehe ich nun weiter zum neben dem Zielínski-Palast gelegenen Gefängnis. Es befand sich schon zu seiner Zeit dort und wurde auch bis 1956 als Gefängnis genutzt. Die Gebäude der Anlage stammen aus dem 18. Jahrhundert und waren ursprünglich Stallungen des Bischofssitzes. Sie wurden in den Jahren 1826 bis 1828 zu einem Gefängnis umgebaut. Heute beherbergt es das Zentrum für patriotisches und bürgerliches Denken und das Institut für Design.
Weiter geht es noch einmal hinauf zur Kathedrale und über die Ulica Jana Pawla II. und zu dem gegenüberliegenden Platz, der von dem großen Denkmal für die polnische Heimatarmee dominiert wird. Die Armia Krajowa (polnisch für Landesarmee, abgekürzt AK; im Deutschen meist als polnische Heimatarmee bezeichnet) war eine polnische Widerstands- und Militärorganisation im von Deutschland besetzten Polen während des Zweiten Weltkrieges. Im Untergrund wurde sie auch „PZP“ (Polski Związek Powstańczy), etwa „Polnische Aufständische Allianz“, genannt. Sie war die größte militärische Widerstandsorganisation in Europa im Zweiten Weltkrieg. Das Denkmal gebührt ihr zurecht. Sie hat tausende Opfer für die Befreiung Polens erbracht.
Nun geht es zurück in die Ulica Sienkiewicza und hinauf zur Plac Moniuszki mit dem Denkmal für Henryk Sienkiewicz. Schon von Weitem stechen einem das in großen Lettern geschriebene QUO VADIS ins Auge und gerade in der Gegenwart stellt man fest, dass diese Frage letztlich zeitlos ist und im alten Rom ebenso berechtigt war wie in der Gegenwart. Rund um den Platz herum sieht man dann auch die modernen Bauten des Kielcer Kulturzentrums und Kielcer Tanztheaters. Beide Häuser bilden eigentlich einen einheitlichen Gebäudekomplex.
Nun geht es etwa in die Niederungen von Kielce. Hier steht die prächtige Kirche des Adalbert. Hinein kann ich leider nicht, weil wieder mal gerade ein Trauergottesdienst stattfindet. An Stelle der Kirche befand sich ursprünglich eine Siedlung, aus der die Stadt Kielce hervorging. Daran soll eine Gedenktafel am Zaun der Kircher mit der Inschrift erinnern: „Hier stand das Haus, aus dem unsere Stadt hervorging“. Gefunden habe ich die Tafel allerdings nicht.
Mein letztes Ziel am heutigen Vormittag soll die ehemalige Synagoge sein. Sie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in maurisch-neuromanischem Stil erbaut. Die Planungen gingen auf eine Idee des örtlichen Industriellen Moses Pfefer (1856–1919) zurück. Der Bau der Synagoge begann 1901 und wurde 1903 abgeschlossen. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Synagoge von den Nationalsozialisten geschändet und in ein Gefängnis und ein Lager für gestohlenes jüdisches Eigentum umgewandelt. Nach Kriegsende wurde das Gebäude in Brand gesetzt. Es stand bis 1951 leer und wird seither als Staatsarchiv genutzt. Die angrenzende Mikwe und das Haus des Rabbiners wurden in den 1970er Jahren abgerissen. In staatlichem Besitz wurde das Gebäude erneuert, wobei das ursprüngliche Satteldach eingeebnet wurde. Seit 1987 ist das Gebäude ein geschütztes Kulturdenkmal. Anlässlich des 50. Jahrestages des Pogroms von Kielce wurden 1996 die Innenräume und die Fassade renoviert.
Wenn man heute das Gebäude aus der Nähe betrachtet, ist es schon wieder ziemlich heruntergekommen. Es steht heute zwischen den zwei Richtungen einer Hauptverkehrsstraße sozusagen auf einem Grünstreifen. Einige Hinweis und Gedenkplatten sind angebracht, aber man hat nicht den Eindruck, dass die Stadt selbst sich mit sonderlicher Empathie an die ehemaligen jüdischen Mitbürger denkt, die Opfer des nationalsozialistischen Terrors geworden sind. So wurde auch erst vor einigen Jahren eine Gedenktafel für die Opfer des Pogroms von Kielce am Ort des Geschehens in der Ulica Planty 9 angebracht, die von Lech Walesa initiiert wurde. In unmittelbarer Nähe der Synagoge erinnert eine Gedenktafel auf einem Findling an die 27.000 Opfer des Ghettos Kielce, die von den deutschen Besatzern im Vernichtungslager Treblinka und in anderen Todeslagern ermordet wurden.
Nun reicht es mir für heute Vormittag. Ich gehen über den Marktplatz voebei am Rathaus zurück zu meinem Quartier und dann auf einen Imbiss (Salat nach Lady Di) in ein nahegelegenes Restaurant. Während des Restaurantbesuchs habe ich herausgefunden, wo 1946 das Judenpogrom stattfand und wo auch tatsächlich eine Gedenktafel angebracht sein soll. Es ist nicht weit entfernt und so mache ich noch einen kurzen Abstecher dahin.
Danach brauche ich aber erst mal eine Mittagspause.
Der Nachmittagsspaziergang
Nach der Mittagspause mache ich einen längeren Spaziergang der mich durch die Allee der Stars führt, wo, wenn ich richtig gezählt habe, 54 Stelen mit Kopfbüsten berühmter Musiker, Schriftsteller, Maler, Schauspieler und sonstiger Kulturschaffender zu sehen sind. Es sind nicht primär polnische Kulturschaffende, sondern eine sehr interessante internationale Repräsentation. Ich hoffe ich habe nicht zu viele ausgesucht.
Danach wandere ich weiter zum Park Kadzielnia, ein wirklich interessantes Naturschutzgebiet mit einem Freilichttheater. Kadzielnia ist ein 295 m.ü.d.M. hoher Hügel, getrennt durch eine Ausgrabung eines alten Steinbruchs, über dem sich ein Felsmonolith „Fels der Geologen“ erhebt. Der Gipfelteil des Felsens ist als Naturschutzgebiet geschützt und der Rest des Steinbruchs ist der Kazielnia-Park, der über Wander- und Radwege zugänglich ist. Im südlichen Teil der Ausgrabungen befindet sich ein Amphitheater mit 5000 Plätzen. Am Beginn des Park befindet sich eine Gedenkstätte, die, wenn ich es richtig verstanden habe, den Deportationen polnischer Familien nach Sibirien gedenkt, die nach dem Überfall der Sowjetunion auf Polen zwischen 1939 und 1941 erfolgten.
Der Park ist schon sehr eindrucksvoll, zumal er mitten in der Stadt liegt. Ich denke so ein Naturensemble in einer Stadt ist schon recht einmalig.
Für einen Tag Kielce reicht es, hoffe ich, um einen Eindruck dieser Stadt zu vermitteln. Natürlich könnte man sich noch viel mehr ansehen, aber morgen geht es erst mal weiter.