Nun bin ich also auf den Spuren der Romanik in Niedersachsen. 5 Tage habe ich mir für die Tour von Braunschweig über Hildesheim, Bad Gandersheim, Goslar und Königslutter zurück nach Braunschweig vorgenommen. Angeregt wurde ich dazu durch den Ergänzungsband zum offiziellen Kunstreiseführer zur Straße der Romanik, der unter dem Titel „Links und rechts der Straße der Romanik“ weitere sehenswerte romanische Bauten sowohl in Sachsen-Anhalt aber auch in Niedersachsen und Thüringen vorstellt. Dabei finden sich auf der von mir gewählten Route durch Niedersachsen besonders markante Bauwerke. Aber auch mit diesem Kunstreiseführer ist noch lange keine Vollständigkeit erzielt. Er bleibt doch an den unmittelbar an Sachsen-Anhalt angrenzenden Regionen orientiert. Aber was nicht ist, kann ja noch werden!
So fuhr ich bereits gestern mit dem IC nach Braunschweig, was sich schon mal als schwierig erwies, da ich mich erst gestern morgen entschieden hatte, schon den Sonntag als Reisetag zu nutzen. So ist es leider nicht möglich für den gleichen Tag eine Fahrradkarte für einen IC über Internet zu buchen. Ohne die Sicherheit, einen Stellplatz im IC für mein Fahrrad zu bekommen, wollte ich aber nun auch nicht meine Fahrkarte kaufen. So rief ich nun den Kunden-Service an und die freundliche Dame am anderen Ende der Leitung konnte mir zwar einen Platz reservieren, mir auch eine Fahrkarte ausstellen aber keine Fahrkarte für das Fahrrad. Nun man merkt doch gleich, dass die Bahn auch bei allem Bemühen mancher Mitarbeiter noch weit hinter der Zeit her fährt wie sich ja an den Verspätungen deutlich ablesen lässt. Die Fahrkarte für das Fahrrad könne ich nur am Automaten oder im Reisezentrum der Bahn erwerben. So schlug ich ihr nun vor, mir die Reservierung des Stellplatzes zu bestätigen und dass ich mich ansonsten um die Fahrkarten, sowohl um meine als auch um die Fahrradkarte selber kümmern werde. Ich stellte mir also über das Internet zunächst eine Fahrkarte für mich aus und fuhr dann so rechtzeitig zum Bahnhof, dass ich mir noch eine Fahrkarte für mein Fahrrad besorgen konnte. Am Automaten war dann wieder Fehlanzeige. Auch hier konnte man für den gleichen Tag keine Fahrradfahrkarte erwerben. So musste ich doch noch ins Reisecenter, wo natürlich alle Schalter besetzt waren. Mein Fahrrad mit dem gesamten Gepäck hatte ich natürlich mitgenommen und stellte es im Reisecenter am Rand ab. Als gerade ein Schalter frei wurde kam eine Mitarbeiterin von der Information und forderte mich kategorisch auf, mein Fahrrad zu entfernen. Auch mein Hinweis, dass man Gepäck in Bahnhöfen doch nicht unbeaufsichtigt lassen solle, verfing nicht. Dann müsse ich es eben draußen abstellen. Da riss mir dann endgültig der Geduldsfaden und ich verließ das Reisecenter unter recht lautstarker Empörung. Ich ging also zum Bahnsteig, wo inzwischen der Zug, der mich nach Braunschweig bringen sollte, schon angekündigt wurde und kurz danach auch einfuhr. Die Tür, durch die man zu den Fahrradstellplätzen gelangt, war leider defekt, so dass ich eine andere Tür nehmen und das Fahrrad erst durch die sitzenden Fahrgäste durchlavieren musste. Bei den neuen Zügen ist es zwar ganz nett, dass man nicht mehr nur gerade Gänge hat, wenn man allerdings mit sperrigem Gepäck wie einem Fahrrad unterwegs ist, ist es erst einmal lästig. Aber auch diese Herausforderung bewältigte ich schließlich. Nun wartete ich gespannt auf den Schaffner, weil mir bisher alle Mitarbeiter der Bahn erklärt hatten, dass der Kauf einer Fahrradkarte im Zug nicht möglich sei. Um, so erstaunter war ich, dass der Schaffner mein Begehr für das Selbstverständlichste auf der Welt hielt und mir eine Fahrkarte auch ohne Aufpreis ausstellte. So wurde dieses Problem doch noch gemeistert.
Die neuen ICs der Bahn sind ja so ganz angenehm, nur sollte man wirklich kein Gepäck dabei haben. Die Ablagemöglichkeiten sind einfach zu gering. So bekommt man auf den Ablagen oberhalb der Sitze in der Regel noch nicht einmal halb große Taschen unter, geschweige denn meine auch nicht übermäßig großen Fahrradtaschen. Ich finde das eine ausgesprochene Fehlkonstruktion für Fernzüge. Die Plätze, die dann für größeres Gepäck vorgesehen sind, sind meistens schon belegt, so dass man darauf angewiesen ist, sein Gepäck neben sich auf einen freien Sitz zu stellen, was einem gegebenenfalls auch keine sonderlichen Sympathien einbringt oder es unter sich und dem Sitz zu verstauen. Ich hatte Gott sei Dank zwei gegenüberliegende Bänke und einen Tisch für mich, so dass ich mich einigermaßen ausbreiten konnte und auch niemand daran Anstoß nahm, weil der Zug nicht sonderlich voll war. So konnte ich die Fahrt nach den ganzen Aufregungen erst einmal genießen. Bis 10 Kilometer vor Braunschweig! – Ich hatte schon mein Fahrrad wieder aufgerüstet und zum Ausstieg bereit gestellt als der Zug plötzlich hielt und nach etwa 5 Minuten die Durchsage kam, dass sich wegen Personen auf den Gleisen, die Weiterfahrt um mindestens 30 Minuten verzögern werde. Ich verfluchte diese Personen, nahm aber mein Navi zur Hand. Der Zug hielt nämlich an einem kleinen Bahnhof und es wurde durch gesagt, dass man für die Raucher die Türen öffne. Nachdem ich die Koordinaten für meinen Standort und das Hotel eingegeben hatte, stellte ich fest, dass ich nur acht Kilometer zum Hotel radeln musste. So entschied ich mich auch als Nichtraucher die Bahn zu verlassen und radelte, nachdem ich mein Fahrrad durch eine Unterführung gewuchtet hatte, los. Da hier alles ziemlich flach ist und es auch viele Radweg gibt, war die Tour kein Problem. Ich radelte weitgehend die B 1 auf einem gut ausgebauten Radweg entlang und erreichte mein Hotel nach einer dreiviertel Stunde.
Das Hotel war nun der erste Lichtblick an diesem Tag. Für 35 € bekam ich ein zwar einfaches aber sehr sauberes Zimmer inclusive Frühstück und mit funktionierendem WLAN. Das Altstadthotel Wienecke liegt wirklich unweit der Altstadt. Bis zum Dom sind es gerade mal 10 Minuten zu Fuß. Nachdem ich eingecheckt hatte, machte ich noch einen Abendspaziergang zum Dom und zum Burgplatz. Schon bald merkt man in Braunschweig, dass diese Stadt noch heute ganz dem Banne Heinrichs des Löwen verfallen ist. Löwen dominieren sowohl nominell als auch plakativ das Stadtbild, bis dahin die Halterungen für die Sitzfläche der Bänke, als Löwenköpfe zu modellieren bzw. in Stein zu hauen oder in Metall zu gießen. Der Löwe ist allgegenwärtig in Braunschweig. Heinrich der Löwe (1219-1195) war sicher der mächtigste Herzog im damaligen Heiligen Römischen Reich des 12. Jahrhunderts. Die Macht hatte er unter anderem auch dadurch erworben, dass er neben seinem Herzogtum Sachsen durch seine Bereitschaft Friedrich II. (Barbarossa) bei der Königswahl zu unterstützen, von diesem auch noch das Herzogtum Bayern versprochen bekam und dieses auch 1156 erhielt. Heinrich der Löwe war nicht nur machtbewusst, sondern verstand es auch seine Macht zu demonstrieren und zu präsentieren. So baute er Braunschweig zu seiner Residenz aus, legte dort den Grundstein für den Dom, der auch als sein Grabgelege dienen sollte und baute die Burg Dankwarderode als seine Hauptresidenz. Vor diesem Hintergrund sind Dom und Burg die romanischen Hauptsehenswürdigkeiten von Braunschweig. Allerdings wird mir schon gestern Abend klar, dass Braunschweig diesbezüglich wohl noch einiges mehr zu bieten hat. Ich werde mich jedoch fürs erste mit dem Dom und dem Burgensemble begnügen müssen. Den Abend lasse ich schließlich bei Grünkohl mit den bekannten Zutaten, der hier sinnigerweise Braunkohl heißt, ausklingen. Dann geht es zurück in mein kleines Hotel.
Nach einem ausgezeichneten Frühstück mache ich mich dann heute morgen erneut auf den Weg zum Dom und bin auch einer der ersten Besucher. Obwohl die Innen- und Altstadt Braunschweigs im 2. Weltkrieg zu 90 Prozent zerstört wurde, war der Dom nur unwesentlich beschädigt. So ist er auch als romanische Basilika erhalten und erkennbar geblieben, obwohl er im 14. und 15. Jahrhundert gotisch verändert und insbesondere durch drei gotische Seitenschiffe erweitert wurde. Über den Braunschweiger Dom und seine Geschichte kann man sicher Bücher schreiben, was hier leider nicht möglich ist. Deshalb nur in aller Kürze ein kleiner Abriss.
Der Bau ist als kreuzförmige, dreischiffige Pfeilerbasilika angelegt. Mit dem Bau wurde 1173 begonnen und die Schlussweihe war 1226. Die Grablege Heinrichs des Löwen und seiner Frau Mathilde von England bildet sicher den Hauptanziehungspunkt des Doms, der auch den Namen Stiftskirche St. Blasi trägt. Als Grabkirche diente der Dom zudem Kaiser Otto IV. (1175-1218), einem Sohn Heinrichs des Löwen, und seiner Frau Beatrix von Stauffen. Auch als Grablege vieler anderer Welfenfürsten vor allem des 17.-19. Jahrhunderts diente der Dom. In der Krypta befinden sich ca. 30 Gräber. Ein besonderes Kunstwerk ist die erst im 19. Jahrhundert unter einer Übermalung wiederentdeckte und über mehrere Jahrzehnte restaurierte Secco-Malerei, was bedeutet, dass hier auf trockenem Putz gemalt wurde. Sie stammt aus den Jahren 1230 und 1250 und ist durch die Restaurierung auch heute noch zu 80 Prozent erhalten. Ansonsten sind sowohl das Bauwerk als auch die zahlreichen Kunstschätze Ausdruck des machtbewussten Selbstverständnisses sowie der Frömmigkeit des welfischen Herzogs Heinrich des Löwen. Freilich hat das Bauwerk im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Veränderungen gebracht. So hat die Gotik ihre Spuren ebenso hinterlassen wie der Historismus des 19. Jahrhunderts. Aber mit der Sanierung nach 1945 ist auch die Moderne in den Dom eingezogen, wie man beispielhaft an der Orgel aus den 1960er Jahren erkennen kann.
Mein Rundgang durch den Dom dauert über eine Stunde und es ist sicher eine sehr eindrucksvolle Basilika. Nach einem Rundgang über den Burgplatz und um die Burg Dankwarderode geht es dann zurück ins Hotel. Ich packe mein Fahrrad und mache mich auf den Weg nach Hildesheim. Ich fahre übrigens weitgehend auf dem gut ausgebauten Radweg entlang der doch recht befahrenen B 1. Der Himmel ist zunächst bedeckt, lockert aber dann auf und gelegentlich kommt auch die Sonne heraus. Allerdings ist es recht kühl. Hatte man für diese Woche zwar wieder frühlingshafte Temperaturen prognostiziert, musste man dies später dahin relativieren, dass zunächst aber noch einmal polare Luft über das Land zieht. Bald merke ich jedoch, das mir der Wind heute entgegen bläst und zwar zunehmend heftig, teilweise auch sehr böig. Obwohl die Strecke bretteben ist, komme ich nicht auf viel mehr als 10 Kilometer in der Stunde. Dazu kommen auch noch einige heftige Hagelschauer, die mir wie gefühlte Stecknadeln ins Gesicht peitschen. Ich werde insgesamt dreimal ziemlich nass und erreiche erst nach über vier Stunden gegen 16 Uhr in Hildesheim an. Allerdings sind hier die zwei der drei zu besuchenden Kirchen bis 18 Uhr geöffnet, so dass ich mir die St. Michaeliskirche und den Dom noch heute anschauen kann.
Beide Kirchen wurden 1985 von der UNESCO in die Weltkulturerbeliste aufgenommen. Die St.-Michaels-Kirche wurde 1010 bis 1022 unter Bischof Bernward als Klosterkirche erbaut und unter Bischof Godehard (Gotthard) fertiggestellt und 1033 geweiht. Sie wurde von der UNESCO als bedeutendes Beispiel für die ottonische und romanische Baukunst angesehen. Der Mariendom wurde wohl als eine der ältesten Bischofskirchen für weltkulkturerbefähig angesehen. Er entstand um 872. Trotz ihrer weitgehenden Zerstörung durch Bombenangriffe im 2. Weltkrieg, wurden beide Kirchen zumindest hinsichtlich der romanischen Architektur schon bald nach dem Krieg wieder orginalgetreu errichtet.
Die Aufnahme in die UNESCO-Liste verdanken aber beide sicher auch zwei bedeutenden Bischöfen des 10. Jahrhunderts. Da ist zum einen Bernward von Hildesheim (950/960-1022), der hier von 993 bis 1022 Bischof und zuvor am Hof der Kaiserin Theophanu Verfasser und Schreiber von Herrschaftsurkunden und Erzieher des minderjährigen König Otto III. war. Zum anderen ist da Bernwards Nachfolger Godehard von Hildesheim (960-1038), der aus Bayern stammte und zuvor bereits einflussreicher Abt mehrerer Klöster war und dort die von Cluny ausgehenden Reformgedanken konsequent umsetzte. Beide Bischöfe wurden bald nach ihren Tod heilig gesprochen und als solche in der katholischen Kirche verehrt. Godehards Einfluss reichte weit über Hildesheim hinaus bis nach Skandinavien. So ist er auch der Namenspatron der thüringischen Stadt Gotha und auch der Gotthardpass in den Alpen sowie der Gotthardtunnel wurden nach ihm benannt. Während sich der Schrein Godehards im Mariendom befindet, liegt Bernward in der Michaeliskirche begraben.
Neben der Grabplatte Bernwards und seiner Grablege in der Krypta gibt es aber in der Michaeliskirche noch weitere Kostbarkeiten, die hervorzuheben sind. Herausragend ist wohl das Deckenbild aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts aber auch die aus Stuck gefertigte Engelchorschranke. Beide Kunstwerke konnten die Bombenangriffe dadurch überstehen, dass die Holzdecke schon 1943 entfernt und sicher gelagert und die Engelschorschranke eingemauert wurde. So haben diese beiden einzigartigen Kunstwerke den Krieg relativ unbeschadet überstanden.
Auch der Dom enthält zahlreiche Kostbarkeiten. Etwas kurios an erster Stelle sicher der tausendjährige Rosenstrauch, der ausdrücklich mit in die Weltkuklturerbeliste aufgenommen wurde. Bei meiner Besichtigung sieht er noch winterlich unscheinbar aus. Für die Blütezeit kann man die Pracht daher nur erahnen. Ansonsten sind hervorzuheben die Bernwardtür im Hauptportal des Doms. Sie gilt als die älteste figürlich geschmückte Bronzetür des Mittelalters. Ferner das bronzene Taufbecken aus dem 13. Jahrhundert, der Radleuchter des Bischofs Hezilos, der mit seinen mehr als sechs Metern Durchmesser der größte erhaltene Radleuchter des Mittelalters ist sowie der Thietmarleuchter im Chor, der als der älteste erhaltene Radleuchter des Mittelalters gilt.
Meine Besuche in beiden Kirchen dauern etwa zwei Stunden und ich nutze die Zeit bis zur Schließung aus. Als Eindruck nehme ich mit, dass es nach dem zweiten Weltkrieg doch gelungen ist, beide Kirchen in ihrer romanischen Architektur doch sehr authentisch zu rekonstruieren oder zu restaurieren. Die Innenraumgestaltung adaptiert natürlich die Zeitstile der Restaurationsphasen. So finden sich in beiden Häusern barocke und gotische, vor allem aber auch historistische und moderne Stilelemente.
Anschließend radle ich zu meinem heutigen Quartier in einem Vorort bzw. Stadtteil von Hildesheim. An mein Hotel Milano ist zwar ein Restaurant angeschlossen, dieses hat aber heute Ruhetag. Die einzige andere Gaststätte, der Dorfkrug weist mich ab, weil alles reserviert ist. Ich verspüre wenig Neigung heute noch einmal nach Hildesheim hineinzufahren. So besinne ich mich meiner zwei trockenen aber schmackhaften Brötchen und meines noch warmen Tees und verbringe so damit das Abendessen auf meinem Zimmer.
Tagesdaten: 51,25 Km; 04:37:20 Std. Fz; 11.08 Km/h; 376 Hm