Eigentlich sollte das heute der letzte Tag auf meiner Südroute der Straße der Romanik werden. Aber es wurde doch noch nichts draus. Auf dem Programm standen die ehemalige Kloster- und heutige evangelische Pfarrkirche St. Georg und St. Pancratius in Hecklingen, die Klosterkirche St. Marien und St. Cyprian des Klosters Nienburg, die Dorfkirche St. Stephan im Bernburger Stadtteil Waldau und der Eulenspiegelturm im Bernburger Schloss. Mit dem Zug fuhr ich zunächst nach Staßfurt, etwa 30 Kilometer südlich von Magdeburg an der Bode gelegen. Nach Hecklingen radelte ich dann noch etwa 4 Kilometer und wurde von der Mitarbeiterin des Pfarrbüros sehr freundlich begrüßt. Ich hatte mein Kommen gestern bereits angekündigt. Sie händigte mir den Schlüssel für die Kirche aus und teilte mir mit, dass in etwa einer halben Stunde auch der ehrenamtliche Kirchenführer käme, der mir sicher gerne die Kirche genauer zeigen und auch eventuelle Fragen beantworten könne. Die Kirche ist äußerlich noch bis auf die oberen Kuppen der erst im 19. Jahrhundert fertiggestellten Türme als romanischer Kirchenbau deutlich erhalten und erkennbar. Das Innere besticht durch seine bunte Pracht, die an die Stiftskirche in Gernrode erinnert.
Die Geschichte der Kirche beginnt im Jahre 1060 mit der Stiftung einer Eigenkirche durch die Grafen von Plötzkau. In ein Benediktinerinnenkloster umgewandelt stand es einige Zeit unter der Schutzherrschaft der Askanier, also Albrecht des Bären. In dieser Zeit ab 1150 begann der Bau der Kirche und endete mit der letzten Bauphase 1240. Die Kirche ist eine kreuzförmige Basilika, deren rheinischer Stützenwechsel (Säule-Pfeiler-Säule) eine sehr große Klarheit erzeugt und die geometrische Struktur des Gebäudes betont und angeblich in lehrbuchhafter Weise den quadratischen Schematismus präsentiert. Bedeutend ist sicher der auf 1225/30 datierte Engelszyklus, der als Höhepunkt des sächsischen Byzantinismus gewürdigt wird. Diese 14 an den Langhausarkaden ca. 1,25 hohen aus Stuck aufgetragenen Engelsfiguren werden mit ihren Luren und Schriftbändern als apokalyptischer Engelschor gedeutet. Sehenswert auch die 5 Stifterköpfe wohl schon aus dem 12. Jahrhundert, unter ihnen auch der Kopf Kaiser Lothars III. von Supplinburg.
Ein Brand zerstörte dann 1496 das Kloster, nicht jedoch die Kirche. Nachdem 1559 die letzte Äbtissin zum protestantischen Glauben konvertierte, wurde das Kloster 1569 säkularisiert. Das hinderte die anhaltinischen Calvinisten jedoch nicht, die Kirche Anfang des 17. Jahrhunderts schwer zu demolieren, wobei liturgische Bilder und Gegenstände verloren gingen. Dennoch sind beeindruckende Bildwerke und Reliefs erhalten geblieben. Wiedererstanden ist die Innenausstattung der Kirche dann erst im 19. Jahrhundert. Auch hier sieht man deutlich die Handschrift des preußischen Staatskonservators Ferdinand von Quast. Allerdings erfolgte die Generalrestaurierung der Basilika erst nach seinem Tod in den Jahren 1878 bis 1883 im Zeitgeschmack des Historismus. Auch 1992 bis 1996 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, um im wesentlichen die neoromanische Innensanierung des 19.Jahrhunderts wiederherzustellen. 2000/2001 wurden dann auch die Engel noch einmal saniert. So präsentiert sich die Basilika heute umfassend saniert als ausgesprochen farbiges neoromanisches Kleinod.
Ich verweile erheblich länger in der Kirche als geplant. Das ist auch dem ehrenamtlichen Führer Herrn Becker zu verdanken, der wie angegeben nach etwa einer halben Stunde erscheint. Als er mit übergestülpter Kapuze der Kirche betrat, machte er auf mich zunächst einen etwas seltsamen Eindruck. Aber er begründete das mit der Nässe seines Kopfes durch den Regen. Auch er war mit dem Fahrrad gekommen. Mein erster Eindruck legte sich dann als wir nach und nach miteinander ins Gespräch kamen. Er wies mich auf verschiedene Details hin, so unter anderem auf die sogenannten Kämpferreliefs an einem der Vierungspfeiler, von denen eines einen Bischof und ein anderes sogar die Kaiserin Theophanu, also die Frau Ottos II., darstellen soll. Herr Becker war übrigens gelernter Eisenbahner, Personalrat und Gewerkschaftsfunktionär. Nun ist er hier in seine Heimat zurückgekehrt und vertreibt sich die Zeit mit ehrenamtlichen Führungen in der Kirche von Hecklingen.
So ist es dann schon nach 12 Uhr als ich aus Hecklingen wegkomme. Nach Nienburg sind es nun noch über 20 Kilometer. Da der Wind heute wieder recht heftig bläst dauert die Fahrt doch länger als ich ursprünglich geplant hatte. Mit einer kurzen Pause, in der ich meinen Proviant verzehre, dauert es bis fast 14.30 Uhr bis ich Nienburg erreiche. Der Weg führt übrigens von Staßfurth im wesentlichen entlang der Bode durch die hügelige Magdeburger Börde. Die Bode fließt dann bei Nienburg in die Saale. Obwohl ich mich angemeldet hatte, stehe ich doch sowohl an der Klosterkirche als auch im Pfarramt vor verschlossenen Türen. Natürlich ist das ärgerlich, aber auch ein Anrufversuch hat heute keinen Erfolg mehr. So betrachte ich die Klosterkirche ein wenig von außen und mache mich dann schon fast gegen 15 Uhr bei starkem Gegenwind auf den Weg nach Bernburg. Es sind zwar nun nur noch zehn Kilometer entlang der Saale, doch schließt der Eulenspiegelturm schon gegen 16 Uhr. Da es nun auch immer heftiger zu regnen beginnt, verlässt mich nun auch die Lust nach weiteren Besichtigungen. So beschließe ich nun die Südroute heute doch noch nicht zu beenden und noch einen zweiten Anlauf zu unternehmen. Wann das freilich genau sein wird, weiß ich noch nicht, weil ich mir für nächste Woche eine Straße der Romanik in Niedersachsen von Braunschweig über Hildesheim, Bad Gandersheim, Goslar und Königslutter zurück nach Braunschweig vorgenommen habe. Auch hier gibt es zahlreiche sehenswerte romanische Bauwerke.
Tagesdaten: 41.45 Km