05. Juli 2017: Von Mittweida nach Döbeln – 48,10 km, 570 Höhenmeter

Obwohl es eine sehr ruhige Nacht war, habe ich nicht allzu gut geschlafen. Der gestrige Tag mit seinen über 900 Höhenmetern hat mich doch ganz schön geschlaucht. Aber der Blick aus dem Fenster macht munter. Es ist blauer Himmel und auch die Temperaturen scheinen wärmer zu werden als in den letzten Tagen prognostiziert. Wieder bin ich wohl der einzige Gast in der Pension zum Zschopaublick. Für mich steht ein vorbereitetes Frühstück auf dem Tisch. Es ist zwar nicht ganz so fein wie das gestern in der Kurfürstin. Dennoch gibt es aber nichts auszusetzen. Welches Brot und welche Brötchen angeboten werden, ist sicher auch Geschmackssache und dass auch Pensionen hier nicht gerade aus dem Vollen schöpfen können, versteht sich auch von selbst. Meine Vermieterin hat es eilig. Sie muss wohl weg. Ich zahle daher erst mal meinen Preis und sie überlässt mich dann meinem Schicksal. Ich soll bloß die Tür zum Hof zuziehen, wenn ich das Haus verlasse.

Mein erstes Ziel an diesem Morgen ist der Neue Friedhof in Mittweida, wo ich das Grab von Erich Loest besuchen will. Loest, einer der wohl kantigsten aber auch vielseitigsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, ist in Mittweida geboren und hier seit 1992 Ehrenbürger ebenso wie seit 1996 in Leipzig. Zum Neuen Friedhof geht es wieder bergauf. Aber da ich gestern schon einmal vorbeigefahren bin, kenne ich den Weg. Der Neue Friedhof ist ein typisches Beispiel für die großangelegten Friedhöfe Anfang des 20. Jahrhunderts, die vor allem Ausdruck der dramatischen Bevölkerungsentwicklung in den Städten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sind. Die Kirchhöfe reichten hier nicht mehr aus und so wurde an den Stadträndern ungleich größere Areale als Friedhof ausgewiesen. Typisch ist auch die Jugendstilbauweise für die Trauerhallen und Verwaltungsgebäude dieser Friedhöfe, sind doch die meisten von ihnen in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts angelegt worden. Das gilt ebenso für den Südfriedhof in Leipzig, den St. Pauli Friedhof in Dresden und viele andere Friedhöfe in den sich entwickelnden Städten Sachsens, so eben auch in Mittweida, aber sicher auch in anderen Regionen Deutschlands.

Am Friedhof angekommen, versuche ich mich erst einmal zu orientieren und einen Hinweis auf das Grab zu bekommen. Auf den Informationstafeln finde ich nichts. So blicke ich mich erst einmal etwas hilflos um, weil der Friedhof doch eine Größe hat, die die Suche nach einem Grab nicht ganz einfach erscheinen lässt. Schließlich spreche ich eine ältere Frau an, die mit der Gießkanne in der Hand den Eindruck vermittelt, dass sie sich hier ein wenig auskennt. Nach einigem Nachdenken, der Name Loest kommt ihr durchaus bekannt vor, verweist sie mich auf eine direkt neben dem Ausgang liegende Gräberabteilung. Als ich mich dort hinbegebe, fällt mein Blick eher zufällig gleich auf das richtige Grab. So brauche ich nicht länger zu suchen. Es ist ein recht schlichtes Grab, in dem neben Erich Loest auch seine erste Frau begraben liegt. Es sind zwei dunkle Grabsteine, die andeuten, dass sie zueinander passen, auch wenn sie nicht ineinander gefügt sind.

Ich verweile einige Zeit vor dem Grab. Loest hat mir die Endphase der DDR durch seinen Film und das daraus entstandene Buch „Nikolaikirche“ sehr lebendig gemacht. Mein Verständnis für vieles, was ich nach 1990 erlebt habe, ist mir durch dieses Werk von Loest verständlicher geworden. Ich mache noch einen kurzen Spaziergang über den Friedhof. Danach geht es wieder zurück an die Zschopau. Auch hier sieht man noch die Reste der einstigen Industriearchitektur. Auch hier steht am Ufer der Zschopau die alte Baumwollspinnerei. Auch hier wirkt sie heute wie ein ausgestorbener Dinosaurier, mit dessen Skelett man eigentlich nicht mehr viel anzufangen weiß. Herausragendes Werk war wohl die 1902 gegründete Mittweidaer Metallwarenfabrik, die bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges einer der führenden Hersteller von Medaillen, Orden und Ehrenzeichen war. Nach 1945 wurde das Familienunternehmen enteignet, die Produktion neu ausgelegt und Kugel- und Wälzlager produziert. 1990 wurde das Unternehmen in eine GmbH umgewandelt und von Kugelfischer übernommen. 1993 wurde es wieder privatisiert und firmiert heute unter MPT Präzisionsteile GmbH Mittweida.

Der Radweg führt nun auf einem schönen Waldweg entlang der Zschopau an der Liebenhainer Mühle zum Ortsteil Ringethal. Leider ist der Besuch in Ringethal ziemlich unergiebig. In der Kirche soll es die kleinste Silbermann-Orgel in Sachsen geben. Aber die Kirche ist verschlossen und es findet sich auch kein Hinweis auf Öffnungszeiten oder Ansprechpartner für eine Besichtigung. Auch der Besuch des sogenannten Raubschlosses, einer künstlichen Burgruine aus dem Jahre 1804, erweist sich zwar als ausgesprochen aufwändig, aber leider dann auch als überflüssig, weil die Burgruine wegen umgestürzter Bäume inzwischen unzugänglich ist.

So strebe ich denn als mein nächstes Ziel die Burg Kriebstein an. Leider führt der Radweg, anders als der Wanderweg von der Zschopau weg, so dass man von der nun sich durch das Tal ziehenden Talsperre Kriebstein kaum etwas mitbekommt, obwohl sie landschaftlich sehr schön gelegen sein muss. Es ist schade, dass man den Wanderweg hier nicht auch für Fahrräder ausgebaut hat. So radle ich über eine ziemlich langweilige Höhe mit Wiesen und Feldern, bis ich wieder hinunter an die Zschopau nach Kriebstein komme und von dort ein Stück zurück zur gleichnamigen Burg fahren kann. Zu Beginn der Auffahrt zur Burg stelle ich mein Fahrrad am Parkplatz ab und erkunde die Burg zu Fuß. Auch diese Burg liegt auf einem Bergsporn oberhalb der Zschopau.

Errichtet wurde die Burg im 15 Jahrhundert zunächst mit dem Wohnturm, der Kapelle, der Ringmauer und dem Torhaus. In einem 2. Bauabschnitt in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts erhielt sie im Wesentlichen ihr heutiges Aussehen. Maßgeblich beteiligt daran war Arnold von Westfalen, der berühmte Erbauer der Albrechtsburg in Meißen. Er wurde von dem damaligen Besitzer Hunold III. von Schleinitz beauftragt, der damals Obermarschall von Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht war. Ihm werden vor allem die Stilelemente der ausgehenden Gotik zugeschrieben. Er leitete Um- und Neubau des Wirtschaftsflügels mit dem Tanzsaal, der Brunnenstube, sowie dem sogenannten „hinteren Schlosse“ und den Neubau des Küchenhauses. Trotz weiterer baulicher Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte blieb der gotische Charakter der Burg bis in die Gegenwart erhalten. Burg Kriebstein wird heute oft als die schönste Burg Sachsens bezeichnet.

Dies hat allerdings auch mit ihrer einmaligen Lage zu tun, die sie zu einem der beliebtesten Fotomotive macht. Nachdem ich mich orientiert habe, finde ich auch den Weg über eine schmale Hängebrücke über die Zschopau, der einen zu den Plätzen führt, von denen man die schönste Sicht auf die Burg genießen kann. Es ist schon beeindruckend, wie sie da auch dem Felsen thront, der das Wohnhaus noch höher aussehen lässt, so als stünde man vor einem mittelalterlichen Wolkenkratzer. Die Kombination mit dem Felsen gibt der Burg etwas himmelweisendes. Die Bauarbeiten müssen äußerst beschwerlich gewesen sein, da sie hier an senkrechten Felswänden durchgeführt werden mussten. Die Arbeitsunfälle, die ein solches Bauwerk gefordert hat, sind wohl nicht überliefert.
Den anschließenden Imbiss in der Burggaststätte erspare ich mir dann doch als eine ganze Busladung Rentner die Gaststätte stürmt und die Bedienung auf lange Zeit ausgelastet zu sein scheint. So begnüge ich mich erst einmal mit meiner letzten Banane und einem Apfel und fahre dann relativ gemütlich auf ebener Straße die Zschopau entlang in das nahegelegene Waldheim. Hier lege ich dann im Charly´s meine Mittagspause ein. Der Imbiss ist aber nicht weiterzuempfehlen und kein Vergleich mit Fleischer Göhler in Zschopau.

Auch Waldheim ist inzwischen ein sehr adrettes Städtchen. Dominierende Bauwerke sind das weithin sichtbare Jugendstilrathaus, dass zwischen 1898 und 1902 errichtet wurde sowie die mitten in der Stadt gelegene Justizvollzugsanstalt, die von August dem Starken Anfang des 18. Jahrhunderts in einem alten Schloss als Zucht-, Armen- und Waisenhaus errichtet wurde und die mit eigener Kirche wie ein kleiner von einer hohen Mauer umgebener Stadtteil aussieht. Finanziert wurde das Ganze unter anderem, in dem man von allen neu angestellten Staatsdienern Kursachsens ein Zwölftel der Besoldung des ersten Jahres einbehielt. Die JVA Waldheim ist die größte Justizvollzugsanstalt Sachsens und die älteste noch genutzte in Deutschland. Prominentester Häftling war sicher Karl May, der hier 1870 bis 1874 einsaß. Ein nicht gerade ruhmreiches Kapitel deutscher Justizgeschichte sind die sogenannten Waldheimer Prozesse im Jahre 1950 in der JVA Waldheim, mit denen die vom SMAD übergebenen politischen Häftlinge aus den Speziallagern der sowjetischen Besatzungsmacht in Schnellverfahren und Schauprozessen, die einem rechtsstaatlichen Ansprüchen auch nur in Ansätzen genügendem Verfahren nicht standhalten konnten, abgeurteilt wurden.

Interessant ist auch ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte Waldheims. Waren ursprünglich neben der Landwirtschaft die Webereien und Tuchmachereien die Haupterwerbszweige, so kamen im 19. Jahrhundert die holzverarbeitende Industrie, die Schuhindustrie, die Seifen- und Kosmetikherstellung und die Zigarrenfabrikation hinzu. So wurde in Waldheim die Zahnseife erfunden und die Kosmetik-Marke Florena hatte hier ihren Ursprung.

Nach meiner Rast in Waldheim geht es nicht immer unmittelbar entlang der Zschopau. Der Radweg macht recht merkwürdige Schleifen. Auffällig sind auf dieser Strecke die vielen Eisenbahnbrücken und -viadukte, die ich passiere. Die 7,5 Kilometer, also eine deutsche Landmeile, lange Eisenbahnstrecke zwischen Waldheim und dem unweit von Döbeln liegenden Limmritz erhielt im Volksmund auch den Namen Bankrottmeile. Dieser heute für die Strecke gebräuchliche Begriff erinnert an die hohen Baukosten für die dortigen Brücken, die 1848 Ursache für die Zahlungsunfähigkeit und die nachfolgende Verstaatlichung der Chemnitz-Riesaer Eisenbahn-Gesellschaft waren.

Von Limmeritz ist es nur noch ein Katzensprung bis zur Zschopaumündung in die Freiberger Mulde. Allerdings führt der Zschopautalradweg nicht direkt dorthin, sondern endet an der Kreuzung mit dem Mulderadweg in dem Dorf Technitz kurz vor Döbeln. Um an die Mündung zu gelangen, fahre ich nun den Mulderadweg etwa 1 Kilometer abwärts, wo sofort hinter einer Bahnbrücke die Mündung der Zschopau zu sehen ist. Die Zschopau, obwohl etwa gleichlang wie die Freiberger Mulde, führt hier etwa doppelt so viel Wasser wie die Freiberger Mulde. Man kann es richtig beobachten, wie aus dem Flüsschen der Freiberger Mulde nach der Mündung der Zschopau ein doch schon recht ansehnlicher Fluss wird.

Hier endet nun meine Tour entlang der Zschopau. Ich lasse sie mit der Fahrt zum Bahnhof nach Döbeln ausklingen. Von dort aus bringt mich die Regionalbahn direkt nach Leipzig. Blickt man zurück auf die drei Tage, so muss ich feststellen, dass die Tour recht anspruchsvoll war. Will man sich mehr anschauen, sollte man ruhig zwei Tage mehr einrechnen. Der Zschopautalradweg ermöglich insgesamt einen eingehenden Blick in die Geschichte Sachsens und auch seiner Besiedlung insbesondere des Erzgebirges, aber auch einen spannenden Blick in die Industriegeschichte Sachsens, immerhin des seinerzeit nach dem Rheinland größten und auch entwickeltsten Industriegebiets in Deutschland. Für den regionalen Bereich entlang der Zschopau war der Fluss über Jahrhunderte der wichtigste Energielieferant.

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