04. Juli 2017: Von Wolkenstein nach Mittweida – 64,94 km, 927 Höhenmeter

Gut ausgeschlafen wache ich heute Morgen auf. Als ich hinunter in den Frühstücksraum komme ist für mich ein Frühstück gedeckt, das keine Wünsche offenlässt. So stärke ich mich erst mal. Nach etwa 20 Minuten kommt auch meine bulgarische Kurfürstin. Es stellt sich dabei heraus, dass sie gar nicht die Chefin ist. Die sei gerade im Urlaub. Sie erzählt mir dann von ihrem Sohn, der inzwischen perfekt deutsch spreche und in der Schule gar nicht mehr als Ausländer auffalle. In Wolkenstein gäbe es auch nicht viele Ausländer und das sei auch gut so. „Zu viele Ausländer ist nicht gut“, meint sie mit voller Überzeugung. Was soll man dazu sagen?

Nach dem Frühstück verstaue ich mein Gepäck und mache mich auf den Weg. Der Himmel ist wieder heiter bis wolkig. Es ist etwas wärmer als gestern und es verspricht trocken zu bleiben; ideales Fahrradwetter also. Wolkenstein hat nicht viele Geschäfte. Wichtigstes ist der Penny-Markt. Hier decke ich mich noch mit Bananen, Äpfeln, Wasser und Apfelschorle ein. Es wird der Tag der Burgen und Schlösser. Vier habe ich auf dem Programm. Mein erstes Ziel ist die Burg Scharfenstein, etwa 10 Kilometer nördlich von Wolkenstein. Der Weg erweist sich zunehmend als schwierig. Zum einen, weil die Ausschilderungen nicht mit der Strecke der Karte und auch nicht mit meinem Navi übereinstimmen. So muss ich mich erst mal dran gewöhnen, mich für eines zu entscheiden und nicht allen Streckenvorschlägen gerecht werden zu wollen. Die Wege werden nun auch teilweise recht anspruchsvoll. Feld- und Waldwege mit 15-20 Prozent Anstieg oder Gefälle sind keine Seltenheit. Viele Kilometer sind so nicht zu machen. Dazwischen kommen aber auch mal wieder Abfahrten auf Landstraßen. Dennoch sollte man sich auch hier nicht zu allzu schnellen Abfahrten verleiten lassen. Manche plötzlich auftretende Unebenheit ist bei 40 km/h für Radfahrer nicht zu unterschätzen. Schließlich gelange ich aber bei Warmbad auf eine Nebenstraße entlang der Zschopau, die mich relativ entspannt nach Scharfenstein führt.

Auch wenn Scharfenstein heute lediglich knapp 1000 Einwohner zählt und auch wohl nie viel mehr als 1500 Einwohner hatte, blickt auch dieser kleine Ort auf eine interessante und vielfältige Industriegeschichte zurück. So wurde hier bereits 1835 der erste Industriebau errichtet, nämlich die 8 (!) Etagen zählende und 65 Meter breite „Fiedler und Lechlaschen Bauwollspinnerei“. Sie war mit 60 Tsd. Spindeln und 600 Arbeitskräften wohl seinerzeit eine der größten Spinnereien in Deutschland. Zwei Wasserräder von rund 6 Metern Höhe und über 1 Meter Breite, wurden von dem Wasser des Mühlgrabenstollens angetrieben, der bereits im 16. Jahrhundert angelegt und 1834 erweitert wurde. Sie erzeugten die etwa 60 PS die für die Spindeln benötigt wurden.
Die Anlage der Baumwollspinnerei brannte 1915 ab, wobei 9 Menschen ums Leben kamen. Nach der Wiedererrichtung übernahm zunächst eine Chemnitzer Maschinenbaufirma das Werk und ließ hier Fässer aus Blech fertigen. 1926 wurde das Werk von den Zschopauer Motorenwerken übernommen, die hier die Acht- und Sechszylindermotoren für die Audi Pkw herstellten. Von dieser Industriegeschichte ist heute auf den ersten Blick nur noch wenig zu sehen. Dominiert wird der Ort durch seine Burg, die schon von Ferne gut sichtbar auf einem Sporn oberhalb von Scharfenstein thront.

Auch die Burg Scharfenstein wurde wohl im 13. Jahrhundert ebenfalls wie schon Wolkenstein von den Waldenburgern errichtet. Nach dem Tod des letzten Waldenburgers und dem Rückfall an den Kurfürsten, kaufte 1492 Heinrich von Einsiedel die Burg Scharfenstein. Die Burg blieb bis 1931 im Besitz der Familie von Einsiedel. Danach erwarb sie zunächst ein Fabrikbesitzer, der hier eine Vogelschutzwarte errichtete. Nach 1945 wurde in der Burg zunächst eine Bergschule der Wismut und ab 1951 ein Spezialkinderheim bzw. später ein Jugendwerkhof für schwererziehbare Jungen eingerichtet. 1993 wurde die Burg von der Sächsischen Schlösserverwaltung des Freistaates Sachsen übernommen und denkmalgerecht saniert sowie zum Museum ausgebaut.

Ich mache einen Rundgang um die Burg, bei dem man auch einiges über den in Scharfenstein geborenen sagenumwobenen Soldaten, Wilderer, Schmuggler, Fabrikanten und Lebenskünstler Karl Stülpner (1762-1841) erfährt, einer Art Robin Hood des Erzgebirges, der in einem gleichnamigen Film aus dem Jahre 1973 von Manfred Krug verkörpert wurde. Darüber hinaus wird auf mehreren Tafeln aber auch einiges über die Geschichte der Burg, den Ort Scharfenstein und die Botanik beschrieben. Nach dem Rundgang besteige ich noch den Burgfried, von wo aus man einen sehr schönen Blick in die Umgebung hat, steige auch noch zu der 36 Meter tiefen Zisterne hinab und besuche schließlich die unweit gelegene Grabstätte der Familie von Einsiedel. Hier gäbe es auch einige interessante Figuren, so etwa die skandalumwobene Liebesgeschichte des August von Einsiedel (1754-1827) mit der verheirateten Emilie von Werthern (1757-1844), die das goethesche Weimar damals in helle Aufregung versetzte, nachdem Emilie von Werthern vermeintlich plötzlich verstorben war, man sie aber mit August von Einsiedel in Strasbourg auf dessen Reise nach Afrika gesehen haben wollte und man, nachdem daraufhin das Grab geöffnet wurde, tatsächlich nur eine Strohpuppe darin fand. Auch scheint in der Familie von Einsiedel doch eine recht revolutionsfreundliche Haltung vererbt worden zu sein. So hatte sich schon August von Einsiedel mit seiner prorevolutionären Haltung zur Französischen Revolution von 1789 ins gesellschaftliche Abseits manövriert. Vor diesem Hintergrund verwundert es aber auch nicht, dass einer der jüngeren Sprosse dies Adelsgeschlechts, nämlich Heinrich Graf von Einsiedel (1921-2007) von 1994 bis 1998 als Abgeordneter der PDS im Deutschen Bundestag saß.

Von Scharfenstein aus führt der Weg dann über einen teilweise recht holprigen und steinigen Waldweg entlang des hier sehr steilen Zschopauufers in Richtung Zschopau. Auch Zschopau, mit fast 10 Tsd. Einwohnern doch erheblich größer und bedeutender als Scharfenstein, hat seine ersten industriellen Entwicklungen in der Textilbranche erlebt. Zschopau wurde dann im 20. Jahrhundert aber insbesondere durch Motorräder weltberühmt. Auch hier entstand die erste Motorradfabrik auf dem Gelände einer stillgelegten ehemaligen Tuchfabrik. So wurden hier seit 1922 Motorräder gebaut. Hier stand in den 1920er Jahren das erste Motorrad-Fließband der Welt und DKW war mit einer Produktion von 60 Tsd. Stück im Jahr 1929 die weltweit größte Motorradfabrik. Bekanntheit erlangten dann später zumindest in den osteuropäischen Staaten Hersteller und Modell, die ab 1952 unter dem Kürzel MZ firmierten und verkauft wurden.

Der Ursprung des Schlosses Wildeck in Zschopau geht wohl auch auf eine Burg zurück, die der Sicherung einer alten Handelsstraße, des „Alten Böhmischen Steiges“ diente und auf das 12. Jahrhundert datiert wird. Nach mehrmaligen Besitzerwechseln traten schließlich auch hier die Waldenburger die Burg an den Kurfürsten Friedrich ab. Unter Moritz von Sachsen wurde die Burg 1545 bis 1547 zum Jagdschloss im Renaissancestil umgebaut. Das Schloss diente dann vom 17. Jahrhundert bis 1911 als Sitz einer Oberforst- und Wildmeisterei und ab dem 19. Jahrhundert auch als Sitz eines Amtsgerichts und eines Gefängnisses. Nach 1945 wurde das Schloss als Wohngebäude sowie Sitz verschiedener Kultureinrichtungen genutzt. Heute sind im Schloss ein Druckereimuseum, ein Motorradmuseum, eine Münzwerkstadt, eine öffentliche Bibliothek sowie ein Hochzeitszimmer untergebracht. Lohnend ist auch ein Spaziergang durch den in den letzten Jahren auf Terrassen rund um das Schloss angelegten Barockgarten.
Ebenso wie schon Schloss Wolkenstein und die Burg Scharfenstein liegt auch Schloss Wildeck auf einem Felssporn über der Stadt. Ähnlich wie Wolkenstein liegt es aber auch mitten in der Stadt. Zschopau ist ein kleines geschäftiges Städtchen, das sich in den letzten Jahren ansehnlich herausgeputzt hat. Dennoch merkt man an allen Ecken und Enden, dass die Kaufkraft hier noch recht niedrig ist. So ist das Stadtbild von Filialen zahlreicher Billigketten wie NKD, NIK oder Mac Geiz geprägt. Nach meiner Tour vor einigen Wochen durch den Südwesten unseres Landes werden die Unterschiede doch sehr deutlich. Dennoch erkennt man Entwicklungen und merkt auch, dass sich zunehmend Handwerk und Industrie hier neu firmieren.Nachdem ich mir das Schloss noch einmal angeschaut habe, verlangt mein Magen nach etwas Essbarem. Auf der Suche gelange ich auf dem Markt an einen Fleischerimbiss, vor dem eine lange Schlange steht. Das verspricht Gutes! So stelle ich mich ans Ende der Schlange und während ich warte, kann ich die Karte studieren. Sie enthält ein breites Angebot von Gerichten von der Bratwurst mit Sauerkraut und Kartoffeln für 2,50 € bis zum Rinderbraten mit Rotkohl und Klößen für 5,50 € aber auch vegetarische Gerichte und Salate. Mir scheint, dass es solche zentral gelegenen Imbisse überall hier im Erzgebirge in den kleineren Städten gibt und dass sie etwa die Funktion von Kantinen und vergleichbaren Betriebseinrichtungen übernehmen, die sich weder Handwerks- noch kleine Industriebetriebe leisten können. Auf meiner Tour habe und werde ich noch mehrere ausprobieren. Aber eins sei hier schon gesagt. Die Qualität ist sehr unterschiedlich und der beste ist der Fleischer Göhler in Zschopau!

Nach dieser Mittagspause geht es weiter nun in Richtung Schloss Augustusburg. Dieses Jagdschloss, das Kurfürst August in den Jahren 1568 bis 1572 hier auf dem Schellenberg errichten ließ, liegt einige Kilometer abseits der Zschopau. Deshalb muss ich nun auch nach Zschopau den Radweg verlassen. Es geht einen ziemlich wurzelreichen Waldweg immer weiter hinauf. Immerhin liegt Schloss Augustusburg etwa 200 Meter oberhalb der Zschopau. Es ist kein angenehmer Weg und hinterher frage ich mich, ob es wirklich eine kluge Idee war, diesen Abstecher zu wählen. Dies umso mehr als ich die teilweise beeindruckenden Blicke, die es auf die Augustusburg insbesondere aus der Ferne gibt, überhaupt nicht mitbekommen habe. Ich fahre durch Wald und da gibt es keinen Durchblick in die Ferne. Nun ist es zu spät und ich quäle mich zum Ziel. Oben angekommen, lasse ich mich erst einmal nieder und genehmige mir einen Eiskaffee. Danach schlendere ich noch ein wenig durchs Gelände. Da ich aber schon zweimal hier oben war, gibt es für mich nichts Neues zu sehen. Dennoch ist die Augustusburg ein beeindruckendes Ensemble. Die Kernanlage ist auf einem quadratischen Grundriss mit vier quadratischen Eckhäusern, die durch Verbindungstrakte bzw. auf einer Seite durch die Schlosskapelle verbunden sind. Schon an der äußeren Gestalt ist leicht zu erkennen, dass es sich hier nicht um eine gewachsene, sondern eine bis ins Detail komplett geplante Anlage handelt. Kurfürst August soll daran selbst einen hohen Anteil genommen haben. So wollte er mit diesem Schloss nicht nur ein repräsentatives Jagdschloss schaffen, sondern die herausragende Lage und die Größe sollten vor allem seine führende Stellung in der Region unterstreichen.

Von Augustusburg geht es dann steil bergab in Richtung Flöha und damit zurück an die Zschopau. Flöha bewahrte sich bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts seinen ländlichen Charakter. Mit der Gründung der ersten Baumwollspinnerei 1809 wurde Flöha zu einem Industriestandort. Es siedelten sich weitere Baumwollspinnereien an und nachdem Flöha 1866 auch einen Anschluss an das sächsische Eisenbahnnetz erhielt, stand auch der Ansiedlung weiterer Fabriken nichts im Wege. So erlangten eine Buntpapierfabrik, eine Tüllfabrik, eine Dampfkesselfabrik und eine Holzschleiferei überregionale Bedeutung. Wenn man durch die Stadt an der Zschopau entlangfährt, die natürlich auch hier als Energielieferant unverzichtbar war, kann man die alten Gebäude in ihrer ursprünglichen Industriearchitektur noch sehen und auch die mühsamen Versuche der Stadt sie heute zu nutzen. Denn nach der Wende ist das, was Flöha auch zu DDR-Zeiten an Industrie zu bieten hatte, weitgehend zusammengebrochen.
In Flöha fahre ich auch an dem Zusammenfluss von Flöha und Zschopau vorbei. Die Flöha gilt zwar als Nebenfluss der Zschopau bringt aber doch etwas mehr Wasser als die Zschopau selbst. Hydrologisch gesehen wäre sie eigentlich der Hauptfluss. Der Zusammenfluss markiert hier auch das Ende des Erzgebirges und den Übergang ins Sächsische Hügelland. Allerdings macht das das Fahrradfahren nicht weniger anstrengend, da es sich zum einen um recht beachtlich Hügel bis zu Höhen von 300 bis 400 Metern handelt und zum anderen auch eine Hügellandschaft die Eigenschaft hat, dass sich auf- und Abfahrten in eher noch kürzeren Zeitabständen abwechseln.

Von Flöha führt ein gut ausgebauter Radweg entlang der Zschopau in Richtung Lichtenwalde. Vorbei geht es an der alten Weberei Tannenhauer bei Braunsdorf, in der man auch eine historische Schauweberei besuchen kann, und der ebenfalls traditionsreichen Webermühle, die auch heute noch der größte Arbeitgeber im Ort ist. Kurz vor Lichtenwalde geht es dann über die Zschopau und hinauf durch den Ort zum Schloss Lichtenwalde. Auch dieses Schloss ist aus einer ehemaligen Burganlage hervorgegangen, auch wenn man das nicht mehr erkennen kann.
Im Laufe seiner Geschichte hat auch diese Anlage einen regen Eigentümerwechsel erfahren. Seine heutige Gestalt geht auf die Zeit zurück, da die von Watzdorfs Eigentümer waren und im 18. Jahrhundert alle vorigen Gebäude und Reste der alten Burg abreißen und an deren Stelle ein großes Barockschloss errichten ließen und später einen weitläufigen barocken Park anlegten. Als der letzte Watzdorf starb, gelangte Lichtenwalde 1764 in den Besitz seiner Witwe, einer geborenen Gräfin Vitzthum. Bis zur Enteignung 1945 blieb das Schloss nun im Besitz derer von Vitzthums. 1990 ging dann das Schloss in den Besitz des wiedererrichteten Freistaats Sachsen über und wurde bis 2010 sehr aufwändig saniert, sodass es heute wieder als eines der Glanzstücke der Sächsischen Schlösser gilt. Genutzt wird es heute vor allem als Museum mit den Ausstellungsbereichen zur Geschichte des Hauses, zur Scherenschnittkunst sowie zur Kunst und Kultur Westafrikas, Ostasiens und der Himalaya-Region. Aber auch wechselnde Ausstellungen von durchaus beachtlicher und exklusiver Bedeutung finden hier statt. So gab es 2015/2016 unter dem Titel „Die Genialität des Augenblicks“ eine Fotoretrospektive von Günter Rössler, dem bedeutendsten Aktfotografen der DDR und derzeit die Ausstellung „High Heels – Die hohe Kunst der Schuhe“.
Da es inzwischen schon 17 Uhr ist und ich auch Lichtenwalde schon vorher besucht hatte, mache ich nur eine kurze Runde durch den Schlosspark und lasse das Gesamtensemble auf mich wirken. Angesichts dunkler Wolken am Himmel entstehen einige Bilder, die das Schloss in einem ungewohnten Licht zeigen. Mit Lichtenwalde habe ich dann heute die sogenannten Sehenswerten Drei besucht, zu denen die Schlösserverwaltung Sachsen Burg Scharfenstein, Jagdschloss Augustusburg und Schloss Lichtenwalde zählt und damit touristisch wirbt. Mich zieht es nun noch in das 20 Kilometer entfernte Mittweida, dass ich mir als Ziel des heutigen Tages vorgenommen hatte. Obwohl es schon so spät ist, habe ich gerade mal 40 Kilometer zurückgelegt. Man braucht Zeit für den Zschopautalradweg.

Von Lichtenwalde geht es dann weiter hügelig zurück an die Zschopau ins mittlere Zschopautal. Der Weg führt vorbei an Lichtenau und den weithin sichtbaren Gebäuden der Lichtenauer Mineralquellen. Dann geht es unter der A 4 durch über Merzdorf, von wo man einen schönen Blick auf Frankenberg am gegenüberliegenden Ufer der Zschopau hat, aber auch kurz danach die Sachsenburg auf einem bewaldeten Hang an der Zschopau sieht. Die Sachsenburg hatte ich bis dato überhaupt nicht in meinem Besichtigungsprogramm und es war dann auch zu zeitaufwendig noch einmal hochzufahren. Dennoch sei hier kurz auf sie eingegangen. Die Sachsenburg wurde wohl ursprünglich im späten 12. bzw. frühen 13. Jahrhundert zum Schutz des auf der Berghöhe des Treppenhauer angesiedelten Ortes Bleiberg errichtet, nachdem dort umfangreiche silberhaltige Blei- und Kupfererzfunde gemacht wurden. Allerdings wurden schon im 14. Jahrhundert sowohl der Bergbau als auch die Siedlung Bleiberg wieder aufgegeben. Die Sachsenburg wechselte dann ebenso wie andere Burgen im Laufe der folgenden Jahrhunderte mehrfach den Besitzer. Das Schloss in seiner heutigen Gestalt wurde unter der Herrschaft derer von Schönberg gegen Ende des 15. Jahrhunderts errichtet. Damit stellt die Anlage angeblich eines der wenigen Beispiele eines vollständig erhaltenen spätgotischen Wohnschlosses in Sachsen dar. Auch für dieses Schloss besteht dringender Restaurierungsbedarf, der offensichtlich nun umgesetzt werden kann, nachdem das Sächsische Innennministerium 2015 der heutigen Eigentümerin, der Stadt Frankenberg, einen Fördermittelbescheid über 7 Mio. EURO übergeben hat.

Am Ufer der Zschopau blickt man auf die alte Spinnfabrik Sachsenburg, die von den Nationalsozialisten von 1933 bis 1934 als Konzentrationslager missbraucht wurde, in dem etwa 2000 Häftlinge (nach neueren Schätzungen sogar 6000) Häftlinge interniert waren. Zu den heute noch bekannteren zählten auch Bruno Apitz und Walter Janka. 1937 wurden die Häftlinge in das inzwischen errichtete Konzentrationslager Buchenwald verlegt. An das KZ Sachsenburg erinnern noch ein kleiner Gedenkstein und ein Denkmal.

Noch eine Überraschung entdecke ich als ich in das ca. 5 Kilometer entfernte Zschöppichen komme. Plötzlich erhebt sich bei der unvermeidlichen Auffahrt in den Ort hinein ein recht imposantes aber ziemlich verwahrlostes, oder wie es bei Wikipedia zutreffen ausgedrückt wurde „verfallendes“ Barockschloss vor mir. Von besonderem Interesse ist dabei für mich, dass in diesem Schloss, dass von 1913 bis 1933 im Besitz des Leipziger Fürsorgeverbandes war, Elsa Brändström, vielen von uns von Straßen- und Schulnamen, aber den wenigsten durch Ihr Wirken in Deutschland, von 1923 bis 1931 ein Kinder- und Waisenheim für hinterbliebene Kinder insbesondere von im 1. Weltkrieg gefallenen Soldaten geleitet hat. Zum ersten Mal war ich vor einigen Jahren bei meiner Tour durch die Lausitz dem Wirken Elsa Brändströms in Deutschland begegnet als ich dort einen Hinweis auf ein von ihr in dieser Zeit geführtes aus einem Kurheim hervorgegangenes „Arbeitssanatorium für heimkehrende Kriegsgefangene des 1. Weltkriegs“ fand. Auch von einer weiteren Einrichtung in der Uckermark war die Rede. Ein Hinweis auf Schloss Neusorge fand sich damals jedoch nicht. Allerdings ist bei Wikipedia doch mehr dazu zu lesen. So auch, dass sie 1923 auf eigene Kosten eine sechsmonatige Vortragsreise in die USA unternahm, um 100.000 US-Dollar zu sammeln, mit denen sie noch im selben Jahr das Kinderheim im Schloss Neusorge einrichtete und sieben Jahre lang betrieb. Inzwischen erinnert auch ein Denkmal vor dem Schloss an ihr Wirken.

Zschöppichen ist heute ein Ortsteil von Mittweida. Dennoch sind es noch etwa 5 Kilometer bis in die Stadt. Wieder geht es hügelauf und hügelab. In Mittweida habe ich die Assoziation Rom. Allerdings nur wegen der zahlreichen Hügel auf der die kleine Stadt liegt. Ansonsten täte man sowohl Rom als auch Mittweida mit dem Vergleich Unrecht. Aber Radfahrer haben nun einmal ihre eigenen Assoziationen. Der erste Eindruck von Mittweida ist sehr ansprechend. Der Ort ist durchaus schön saniert. Fußwege und Straßen sind aber auch denkmalgerecht erhalten. Der Marktplatz ist ebenfalls sehenswert. Allerdings ist es inzwischen schon nach 19 Uhr und zum einen quält mich langsam der Hunger und zum anderen muss ich mich noch um ein Quartier kümmern. Der Gasthof Albertsburg, der auf seiner Webseite günstige Zimmer verspricht und direkt im Zentrum liegt, ist leider geschlossen und auch der Anruf ist nicht von Erfolg gekrönt. So gelange ich dann an die Pension Zschopaublick, die aber etwas außerhalb von Mittweida auf der anderen Seite der Zschopau liegt. Auf meine Frage, ob es dort in der Nähe eine Gaststätte gebe, in der ich meine Abendessen einnehmen könne, verneint das die Vermieterin und empfiehlt mir, nachdem sie hört, dass ich noch in der Stadt bin, mein Glück doch dort zu versuchen und erst zu essen, bevor ich zu ihr komme.

Gesagt getan, aber es ist nicht so einfach an einem Dienstagabend in Mittweida, immerhin eine Stadt 15 Tsd. Einwohnern, eine offene Gaststätte zu finden. Schließlich finde ich einen Italiener. Es scheint das einzige Lokal in der Stadt zu sein, das heute offen hat. Dementsprechend schwer ist es einen Platz zu ergattern. Mit Hilfe eines freundlichen und engagierten Kellners gelingt es schließlich doch, ich muss mir den Tisch allerdings mit einem in die Jahre gekommenen etwas pubertär turtelndem Pärchen teilen, bei dem die Frau auch noch eine Zigarette nach der anderen qualmt. Aber es ist ja der Freisitz. Auf jeden Fall gönne ich mir ein Bier und eine Spinatlasagne und könnte eigentlich noch mehr essen. Lasse dies aber und fahre nun zu meinem noch drei Kilometer entfernten Quartier über zwei Hügel und die Zschopau. Der Ortsteil heißt sinnigerweise Neudörfchen und mehr ist es auch nicht. Für eine Neustadt hat es nicht gereicht. Die Pension ist auf jeden Fall sehr ordentlich und so sehe ich einem ruhigen Abend entgegen. Allerdings bin ich inzwischen auch so erschöpft, dass ich froh bin, als ich im Bett liege.

 

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