Es ist eine stürmische Woche. So muss man sich schon genau überlegen, wann, wie und wo lang man mit dem Fahrrad unterwegs sein möchte. Ich wollte ursprünglich mit dem Zug nach Halle fahren und dann über Petersberg und Landsberg zurück nach Leipzig fahren. Die ganze Runde hätte mich in meinen Besichtigungswünschen sicher beeinträchtigt. Nun hätte für mich aber das längere Teilstück zurück nach Leipzig starken Gegenwind bedeutet mit einer Windstärke bei Böen von 8 bis 9. So zumindest die Prognose. Also disponiere ich um und fahre zunächst in Richtung Landsberg und dann nach Petersberg und nach Halle. Von Halle geht es dann zurück mit der S-Bahn.

Es war eine weise Entscheidung. Die 30 Kilometer bis Landsberg hatte ich meistens schönen Rückenwind. Mein Ziel war hier die weit ins Land ragende Doppelkapelle St. Crucis, die als einziges Bauwerk der einstigen Burg übrig geblieben ist. Die Kapelle liegt auf einem Porphyrhügel, von denen es im Raum Leipzig, Halle und Delitzsch noch einige gibt. Der Ort selbst schmiegt sich ebenfalls an die Hänge des Hügels. Da die Straßen kopfsteingepflastert sind, entwickelt sich die Zufahrt etwas mühsam. Ich hatte mich vorher unter der angegebenen Telefonnummer angemeldet, weil auch diese Kapelle natürlich nicht ständig offen gehalten werden kann. Meine Ansprechpartnerin war Frau Fricke, die das örtliche Heimatmuseum leitet und es sich nicht nehmen ließ, mich zur Doppelkapelle zu begleiten und mich auch sehr kundig durch die Räumlichkeiten zu führen. Die Burg wurde seinerzeit im 12 Jahrhundert von Dietrich, Markgraf der Lausitz, als sein Stammsitz erbaut. Immerhin war Landsberg damit mal der Sitz einer Markgrafschaft und damit ein nicht ganz unbedeutender Ort im Mittelalter. Nicht umsonst ist die Doppelkapelle daher auch zu einer Station der Straße der Romanik geworden. Mit über 3000 Besuchern im Jahr scheint sie auch ein überregionales Interesse zu entwickeln. Als Doppelkapelle wurde sie übrigens gebaut, damit der Gottesdienst zwischen Herrschaft und Dienerschaft zwar gleichzeitig aber räumlich getrennt stattfinden konnte.

Auch die nach der Zerstörung der Burg erhaltenen Kapelle war häufiger dem Verfall preisgegeben. So ist es wohl der grundlegenden Sanierung von 1857 bis 1861 durch den Staatskonservator  Ferdinand von Quast zu verdanken, dass die Kapelle in ihrer heutigen Gestalt erhalten wurde. Die äußere Architektur zeigt sehr deutlich den romanischen Ursprung. Ansonsten beeindruckt das Innere der Kirche vor allem durch die filigranen romanischen Kapitelle, wobei ich natürlich nicht weiß, wie sich die Restaurierung im 19 Jahrhundert auf sie ausgewirkt hat. Weitere Sehenswürdigkeit ist die „blutschwitzende“ Marmorsäule in der Oberkapelle, die Markgraf Dietrich 1177 in Venedig von Papst Alexander III. zum Geschenk erhalten haben soll. Neben ihr pflegte der Markgraf während der Gottesdienste zu sitzen und der Legende nach soll sie in der Karfreitagsnacht Blut und Wasser schwitzen. Erwähnenswert ist noch ein zweiflügliger Schnitzaltar aus der Zeit um 1527, der von Stephan Hermsdorf („Podelwitzer Meister“) für die Kirche in Zwochau (nahe Leipzig) gefertigt wurde, aber 1732 für 3 Taler an den Kapellmeister Christoph Gaul verkauft wurde und so seinen Weg in die Doppelkapelle fand.

Die Doppelkapelle hat übrigens sogar drei Stockwerke. Das oberste Stockwerk diente den Bewohnern bei Angriffen als Zufluchtsort. Heute bilden die Kapellenräume die historische Kulisse für Sommerkonzerte und gelegentlich auch für Musik- und Filmproduktionen. Es finden hier aber ebenso noch Gottesdienste, Taufen und Trauungen statt. Auch das Standesamt nutzt die Doppelkapelle für Hochzeiten. Nach der Führung umlaufe ich auf Frau Frickes Rat hin den Felsen und bekomme so auch die Doppelkapelle noch einmal sehr prominent vom Fuße des Felsens vor die Fotolinse. Danach geht es dann aber zügig weiter in das etwa 20 Kilometer entfernte Petersberg. Auch wenn ich jetzt etwas westlicher fahren muss, steht der Wind nach wie vor günstig und treibt mich meist an.Petersberg liegt ebenfalls auf einem Porphyrfelsen auf dessen Spitze die Stiftskirche St. Petrus thront. Auch sie ist weit hinein ins Land sichtbar. Die Fahrt hoch auf den Petersberg erweist sich zunächst aber weniger beschwerlich als die auf den Landsberg, obwohl der Petersberg um einiges höher ist. Erst einige hundert Meter vor dem Ziel wächst die Steigung über vier Prozent an und ab 12 Prozent Steigung etwa 150m Meter vor der Stiftskirche steige ich dann doch ab und schiebe die restlichen Meter mit ziemlich weichen Beinen die Kuppe hinauf.

1124 gründete der Markgraf Dedo IV von Wettin ein Augustiner-Chorherrenstift auf der damals noch Lauterberg genannten Porphyrkuppe. Da Dedo noch im gleichen Jahr verstarb setzte sein Bruder Konrad, der Markgraf von Meißen, das begonnene Werk fort. Er stattete das Stift mit großzügigen Schenkungen aus, übereignete es 1128 dem Papst und bestimmte die Stiftskirche zur Grablege der Wettiner. Ein Feuer zerstörte 1565 die Stiftsgebäude und auch die Stiftskirche brannte fast vollständig aus. In den folgenden Jahrhunderten wurden die verbliebenen Ruinen als Steinbruch genutzt. Die Entdeckung der Ruinen und ihrer historischen Bedeutung begann erst wieder im späten 18. Jahrhundert und ist mit den Namen Goethe und Schinkel verbunden. Vorausgegangen war eine kurzgefasste historische Beschreibung des Petersberger Pfarrers Bothe aus dem Jahre 1748. Im Jahre 1778 besuchte dann Goethe auf einer Reise von Berlin nach Weimar den Berg und fasste seinen Eindruck in einer großen Bleistiftzeichnung der Klausur- und Kirchenruine zusammen. Die Zeichnung ist wohl der Auftakt zu einer Reihe bildlicher Darstellungen der Ruinen und der Landschaftsituation bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unter anderen auch von wohl auch von Friedrich Karl Schinkel. Als die Romantik im 19. Jahrhundert das Interesse an den Denkmälern der vaterländischen Vergangenheit wieder belebte, rückte auch der Petersberg in den Fokus der Betrachtungen. Bereits 1847 wurde die Restauration des Gesamtbaus vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV genehmigt, mit den eigentlichen Wiederaufbauarbeiten wurde aber erst 1853 begonnen. Auch bei dieser Restaurierung wirkte wie schon in Landsberg der Konservator der Kunstdenkmäler Preußens, Ferdinand von Quast, beratend mit. Das Ergebnis ist ein typisch neoromanische Rekonstruktion wie sie an vielen historischen Bauwerken im 19. Jahrhundert vorgenommen wurde. Vergleichbare ist die Stiftskirche am Petersberg beispielsweise mit der Klosterkirche in Jerichow. Dennoch ist das Ergebnis trotz der spezifischen Prägung im 19. Jahrhundert beeindruckend. Auch hier sind es die Kapitelle, die dem Kirchenraum Gesichter und Leben verleihen.

Historisch besonders interessant ist die Kirche natürlich als erstes wettinisches Grabgelege. Hier ruhen vor allem Markgraf Konrad (+1157), seine Frau Lukardis und sein Sohn Dietrich (+1185), der Markgraf der Lausitz. Daneben haben mindestens acht weitere Wettiner im 12. und 13. Jahrhundert hier ihre letzte Ruhe gefunden. Die Gräber wurden bei dem großen Brand 1565 zwar stark beschädigt aber wohl nicht vernichtet. So ließ Kurfürst August (nicht der Starke!) schon 1567 in der Ruine der vollständig ausgebrannten Stiftskirche über den Grabstätten seiner Vorfahren ein „Begräbnishaus“ erbauen. Zu diesem so geschaffenen Mausoleum gehörten auch ein großer Prunkenotaph  und ein überlebensgroßes Kruzifix, die beide erhalten sind. Da die Begräbnisstätte beim Wiederaufbau der Kirche nicht erhalten werden konnte, sind die Gräber heute im Langhaus der Kirche durch einfache Platten im Boden markiert, die Namen und die Sterbejahr ausweisen. Der Kenotaph ist in der Turmhalle aufgestellt. Auf ihm liegen zehn Statuen: neben Markgraf Konrad seine Gemahlin Lukardis und seine Schwester Mechthild (+1152), die Mutter des berühmten Bischofs Wichmann, der zunächst Bischof von Naumburg und später Erzbischof von Magdeburg und wohl ein enger Berater Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) wurde. Neben den drei genannten sind hier noch die Grafen Heinrich I. (+1181) und Heinrich II. (+1187), Markgraf Friedrich (+1185), und die Grafen Friedrich (+1182), Konrad (+1175), Ullrich (+1206) und Heinrich III. (+1217) als Statuen verewigt. Auch hier ist davon auszugehen, dass sie nicht unbedingt den Lebenden ähneln, da sie ja etwa 400 Jahre nach deren Tod gestaltet wurden. Übrigens war es wohl Erzbischof Wichmann von Magdeburg, der die Trauerfeiern für die meisten hier seinerzeit zu Grabe getragenen Wettiner zelebrierte.

Für mich ist auch der Petersberg ein symbolischer Ort für die Tragik des noch heute wirkenden Misstrauens zwischen Sachsen, Sachsen-Anhaltern und Thüringern, das immer wieder verhindert, dass es ein gemeinsames Land Mitteldeutschland gibt. Konrad I. (genannt der Große) hatte dafür eigentlich Grundlagen gelegt . So steht er auch zu Recht an der Spitze des Dresdner Fürstenzuges. Aber die Wettiner waren nicht nur Sachsen. Sie kamen aus Sachsen-Anhalt und sie besaßen seit dem 13. Jahrhundert auch große Teile Thüringens und sie herrschten bis 1918. Dennoch haben der sächsische Bruderkrieg zwischen 1446 und 1451, die Leipziger Teilung von 1485, die Usurpation der Kurfürstenwürde durch den albertinischen Herzog Moritz  1547 ein tiefes Misstrauen in der wettinischen Familie erzeugt, dass sich auf die Regionen und die dort lebenden Menschen übertrug und bis heute bei den Menschen in Mitteldeutschland vielleicht unbewusst aber stets präsent nachwirkt. Es ist das Misstrauen gegenüber den stets nach Überlegenheit und Vorherrschaft strebenden Sachsen, das auch in der Gegenwart noch mit viel Ungeschick gespeist wird und der immer währenden Angst in Thüringen und Sachsen-Anhalt, von den Sachsen untergebuttert zu werden. So schwelt ein jahrhundertealter Streit und verhindert auch in der Gegenwart, dass die Region Mitteldeutschland die Bedeutung erlangt, die sie als Region haben und nutzen könnte.

Die Rückfahrt nach Halle wird nun etwas strapaziöser. Nun gibt es wie erwartet Gegenwind und er ist am Nachmittag auch recht heftig. Dazu geht es über eine recht befahrene Landstraße. Aber ich komme bereits kurz vor 16 Uhr in Halle am Bahnhof an und freue mich über die beiden doch sehr interessanten Stationen der Straße der Romanik, die ich heute besuchen Konnte.

Tagesdaten: 70,11 Km; 05:27:49 Std. Fz.; 12,8 Km/h; 447 Hm

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