Heute noch einmal ein ruhiger abschließender Tag in Belgrad. Mein Infekt kann als bewältigt angesehen werden. Allerdings müssen die Kräfte erst nach und nach wieder aufgebaut werden. Ich mache einen Spaziergang durch Belgrad, um mir zumindest noch einige Hauptsehenswürdigkeiten anzuschauen. Auch möchte ich vom anderen Ufer der Save noch einige Eindrücke von der Silhouette von Belgrad einfangen, was wegen des Sonnenstandes aber erst am Nachmittag sinnvoll ist.

Mein erstes Ziel ist die St.-Markus-Kirche, die im neobyzantinischem Stil zwischen 1931 und 1940 erbaut wurde. Sie befindet sich im Tasmajdan-Park unweit des serbischen Parlaments. Sie ist nach der Kathedrale des Heiligen Save die zweitgrößte Kirche Belgrads und Serbiens und wie diese auch noch nicht ganz fertig. Allerdings sieht man, wenn man den Innenraum betritt einen deutlich weiteren Baufortschritt.

Mein wichtigstes Ziel ist aber heute der Sitz der Regierung Serbiens, was eigentlich der Sitz des Ministerpräsidenten Serbiens ist. Ich möchte zu der Stelle an der Zoran Djindjic am 12. März 2003 ermordet wurde. Das Ziel ist nicht weit und liegt nur ca. 300 Meter von meiner Unterkunft entfernt. Die meisten werden sich an Zoran Djindjic wohl gar nicht mehre erinnern können oder überhaupt von ihm bisher nichts gehört haben. Ich mache keinen Hehl draus, dass es mir wahrscheinlich ähnlich ginge, hätte er nicht zu meiner Zeit ebenfalls in Frankfurt am Main studiert und wäre er uns nicht damals als einer der wichtigen jugoslawischen Oppositionellen vorgestellt worden. Vor diesem Hintergrund habe ich mich natürlich immer für seine weitere politische Entwicklung interessiert. Es war insbesondere Djindjic, der das Bündnis schmiedete, das Slobodan Milosevic schließlich stürzte und bei den Parlamentswahlen Ende 2000 einen überragenden Sieg einfuhr. Djindjic wurde nach dieser Wahl der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident Serbiens. Er war ein glühender Europäer und wollte Serbien unbedingt in die EU führen. Es war Djindjic, der quasi im Alleingang Slobodan Milosevic gegen den hinhaltenden Widerstand des gewählten Präsidenten Kostunica an das Haager Kriegsverbrecher Tribunal auslieferte. Damit schaffte er sich allerdings auch viele Feinde und die EU forderte viel von ihm, während die zugesagten Milliarden nur spärlich flossen, so dass es Djindjic immer schwerer fiel, sein Volk von der Vision Europa zu überzeugen.

Seine Ermordung durch einen Scharfschützen der sogenannten Roten Barette, einer 1991 gegründeten paramilitärischen Spezialeinheit mit bis heute unklarer Einordnung in die serbische Verteidigungsstruktur, führte letztlich dazu, dass die alten Kräfte wieder die Oberhand gewannen und auch heute wieder in Serbien an der Macht sind. Die Verantwortlichen für die Ermordung wurden zwar zur Rechenschaft gezogen und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Hintermänner bleiben aber bis heute im Dunkeln. So sagte etwa Tomislav Nicolic auf einer Kundgebung 2003 kurz vor dem Mord: „Wenn jemand von Euch in den kommenden ein, zwei Monaten Zoran Djindjic irgendwo sieht, sagt ihm, dass auch Tito vor seinem Tod Probleme mit dem Fuß hatte …“ Djindjic hatte sich einige Tage vor seiner Ermordung eine Fußverletzung bei einem Fußballspiel mit Polizisten zugezogen und musste seitdem Gehhilfen benutzen, um seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen. Aber viel interessanter ist, der das sagte, Tomislav Nicolic, war in der Endphase des Milosevic-Regimes 1998/2000 sowohl Vizeministerpräsident Serbiens als auch Jugoslawiens und von 2012 bis vor 11 Tagen Präsident Serbiens.

Zoran Djindjic Schicksal ist ein Beispiel dafür wie schwer es ist gegen den Strom zu schwimmen, selbst wenn es historisch notwendig und geboten erscheint. Der Strom fließt einfach weiter und wenn es einem nicht gelingt, ein geeignetes neues Flussbett zu bauen und den Fluss umzuleiten, dann geht man in den Fluten des Stromes unter. Die Europäische Union hat trotz seiner europäischen orientierten Politik und trotz seiner risikoreichen Politik, die für die Kriegsverbrechen Verantwortlichen vor das Haager Kriegsverbrechertribunal zu bringen, Djindjic weder Rettungsringe noch das notwendige Baumaterial für ein neues Flussbett zur Verfügung gestellt. So nimmt die Geschichte sehr oft ihren Lauf.

Den Rest des Tages bummle ich durch die Stadt, gehe über die Save und betrachte im Schein der untergehenden Sonne Belgrad, eine faszinierende Stadt, deren historische Bedeutung sich mir aber bisher noch nicht ganz erschlossen hat.

Tagesdaten: 8 km Fußmarsch

 

Schreibe eine Antwort

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.