27. Tag (4. Oktober 2021): Von Chelmno nach Grudziadz (Graudenz)

Während meines zweiten guten Frühstücks in der Pension Stary Spichrz entscheide ich mich, hier in Chelmno einen Friseur aufzusuchen. Heidrun hatte gestern nach dem Selfi vom Turm der Pfarrkirche gemeint, ein Haarschnitt sei mal wieder nötig. Auf Google lasse ich mir daher die Friseurläden in Chelmno anzeigen und stelle fest, dass daran kein Mangel ist. Nun gehe ich in die Stadt und suche gezielt nach den gefundenen Läden. Die ersten beiden, die ich aufsuche, gibt es allerdings nicht mehr. Der dritte Friseur hat heute geschlossen. Der vierte bedient nur Frauen und man lacht mich etwas aus als ich mein Anliegen mit Händen und Kopfbewegungen zu erklären versuche. Der fünfte Friseur hat wieder geschlossen und der sechste vergibt nur Termine. Ich könnte am späten Nachmittag einen bekommen, aber das ist mir zu spät. Beim siebten Friseur scheine ich Erfolg zu haben. Es ist gerade kein Kunde anwesend und ich kann mein Anliegen einigermaßen verständlich machen. Innerhalb von zehn Minuten bekomme ich einen ordentlichen Maschinenschnitt, dazu eine Maschinenrasur, die Augenbraun werden ebenfalls beschnitten und die Haare im Ohr werden entfernt. Das ganze für umgerechnet knapp 9 € und wie gesagt nach bestenfalls 15 Minuten habe ich den Laden wieder verlassen. So habe ich mir das gewünscht.

Am späten Vormittag verlasse ich meine Pension und nun beginnt die letzte Phase meiner Weichseltour. Die heutige Strecke ist wieder wenig abwechslungsreich. Außer einem Denkmal für die Opfer eines weiteren deutschen Massakers 1939 an 130 Polen in Podwiesk im Rahmen der sogenannten „Intelligenzaktion“ und einem alten Mennonitenfriedhof ist auf der Strecke nicht viel zu entdecken. Polen wurde zu einem der wichtigsten Zufluchtsorte der Mennoniten, insbesondere die Stadt Danzig und die Weichselniederung. Hier siedelten sich ab 1530 flämische und friesische Mennoniten, aber auch Mennoniten aus dem Rheinland, Böhmen und der Schweiz an. Sie begannen das Land einzudeichen und mit Hilfe von Windmühlen trocken zu legen. So verwandelte sich diese Sumpfniederung in einen „Garten Polens“. Andere Mennoniten trugen als geschickte Handwerker, Künstler und Kaufleute zum Wohlstand der Stadt Danzig bei. Könige lobten den Beitrag der Mennoniten zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region. Die Ansiedlung der Mennoniten seit dieser Zeit, ist ein weiteres Beispiel für die jahrhundertelange religiöse Toleranz in Polen.

Bereits gegen Mittag erreiche ich mein heutiges Ziel Grudziadz (Graudenz). Die Stadt hat etwa 96 Tsd. Einwohner. Auch Graudenz gehörte zum Kulmer Land, das Konrad von Masowien 1225/26 dem Deutschen Orden im Tausch gegen die Bekämpfung der Pruzzen anbot und 1230 durch den Vertrag von Kruschwitz an diesen abtrat. Von der 1231 errichteten Burg und Komturei des Deutschen Ordens sind heute nur noch Reste der Mauern erhalten. 1291 erhielt Graudenz das Stadtrecht (Kulmer Handfeste) und wurde in den folgenden Jahren mit Stadtmauern umgeben. Die Stadt erlebte eine erste Blütezeit und entwickelte sich im 14. Jahrhundert zu einem Zentrum des Getreidehandels.

Das Kulmer Land verband sich im Preußischen Bund, und als Folge davon musste der Deutsche Orden 1466 das Kulmer Land im Zweiten Thorner Frieden der Schutzherrschaft der Krone Polens unterstellen. Aufgrund der günstigen geographischen Lage entwickelte sich Graudenz zum Sitz des Landtags von Polnisch-Preußen, ebenso fanden hier die Ständetage und Generalversammlungen statt. Im Rahmen einer Preußischen Ständeversammlung hielt Nikolaus Kopernikus 1522 einen Vortrag über das Münzwesen. Damit zeigte Kopernikus einmal mehr, dass er nicht nur Astronom war, sondern ein vielfach gebildeter Universalgelehrter. Im 16. Jahrhundert entwickelte sich Graudenz zu einem Zentrum des Handwerks und des Handels, wurde aber durch die Kriege des 17. Jahrhunderts wieder zurückgeworfen. Im Zweiten Nordischen Krieg wurde die Stadt 1655 von den Schweden eingenommen und 1659 von polnischen Truppen zurückerobert, wobei sie fast gänzlich zerstört wurde. Trotz der sich fortsetzenden Kriege und inneren Konflikte wurde Graudenz im Barockstil prachtvoll wieder aufgebaut („Graudenzer Barock“).

Durch die erste polnische Teilung kam Graudenz 1772 unter Friedrich II. von Preußen zum Königreich Preußen. Friedrich II. ließ hier eine große, später weiter ausgebaute Festung errichten. Graudenz war Teil der Provinz Westpreußen und Kreisstadt im Regierungsbezirk Marienwerder. Nach dem Bau der Eisenbahnlinie von Thorn nach Marienburg, der Errichtung einer Brücke über die Weichsel und der Fertigstellung einer west-östlichen Verbindung durch die Eisenbahnstrecke Konitz–Soldau entwickelte sich die Stadt im 19. Jahrhundert zu einem schnell wachsenden Industriestandort u. a. mit Eisengießereien, Maschinenbau, Wagenbau und Textilindustrie. Zwischen 1880 und 1905 verdoppelten sich die Einwohnerzahlen von 17.321 auf 35.958. 1900 wurde Graudenz kreisfreie Stadt.
In Grudziadz steige ich im modernen Ibis styles Hotel etwas außerhalb der Altstadt ab. Grudziadz ist für mich immer einen Besuch wert wegen seines phantastischen Speicher-Panoramas von der anderen Weichselseite. So setze ich mich auch, gleich nachdem ich eingecheckt habe, wieder auf mein Fahrrad und fahre nun ohne Gepäck über die Straßen- und Eisenbahnbrücke zum jenseitigen Weichselufer, von wo aus man das Panorama am besten sehen kann. Da das Wetter sonnig geworden ist, gelingen auch wieder einige gute Fotos. Danach fahre ich zurück und zu den auf einem Hügel gelegenen Resten der ehemaligen Ordensburg. Auch von hier aus hat man einen sehr schönen Blick auf die Weichsel. Schließlich schlendere ich noch ein wenig durch die Stadt, wo an mehreren Stellen Nikolaus Kopernikus wegen seines Vortrags über das Münzwesen gedacht wird. Schließlich werfe ich noch einen kurzen Blick in die Pfarrkirche St. Mikolaj.
Nachdem ich mich so in der Stadt umgeschaut habe, kehre ich zurück in das Ibis styles und esse im dortigen Restaurant zu Abend.

Tagesstrecke: 45,61 Km

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