24. Tag (28. Juli 2021): Von Potsdam nach Brandenburg

von 29. August 2021Aktuelles

Nach dem Frühstück im Hofmaler verlasse ich das Hotel und Potsdam und fahre in Richtung Brandenburg, der letzten Station auf dem Fontane-Radweg. Zunächst geht es entlang dem Templiner See nach Geltow, wo ich einen kurzen Augenblick verweile und auf den Schwielowsee an der Stelle schaue, die Fontane als eine „Brühlsche Terrasse am Schwielowsee“ bezeichnet hat. Nun ja, darüber könnte man sicher trefflich streiten. Nun geht es weiter ein Stück entlang dem Schwielowsee bis nach Petzow und von dort ab und über Land zum Kloster Lehnin, was das Highlight meiner heutigen Tour werden sollte. Leider wird daraus insofern nichts, dass die bedeutende Klosterkirche St. Marien geschlossen ist.

Das Kloster Lehnin ist eine ehemalige Zisterzienserabtei im Ort Lehnin. Die Gemeinde Kloster Lehnin südwestlich von Potsdam ist nach dem Kloster benannt. 1180 gegründet und im Zuge der Reformation 1542 säkularisiert, beherbergt es seit 1911 das Luise-Henrietten-Stift. Das Kloster liegt im Zentrum der Hochfläche Zauche in wald- und wasserreicher Umgebung rund 700 Meter vom Klostersee entfernt. Die Abtei spielte im Hochmittelalter eine wichtige Rolle beim Landesausbau der jungen Mark Brandenburg unter deren ersten Markgrafen aus dem Haus der Askanier. Neben seiner historischen kommt dem Kloster auch eine große kulturelle Bedeutung zu: Seine Kirche zählt zu den wichtigsten romanisch-gotischen Backsteinbauten in Brandenburg. Deren Rekonstruktion in den Jahren 1871–1877 gilt als frühe Glanzleistung der modernen Denkmalpflege. Das heutige Lehniner Stift sieht sich mit seinen pflegerischen, medizinischen und ausbildenden diakonischen Einrichtungen in der klösterlichen Tradition und versteht sich als Schaufenster der Evangelischen Kirche.

Mir bleibt so nichts anderes übrig als die noch vorhandenen Bauwerke aus der Klosterzeit von außen zu betrachten. Die historische Bedeutung des Klosters für die Entwicklung Brandenburg und Preußens kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Die Gründung des Klosters Lehnin erfolgte durch den zweiten brandenburgischen Markgrafen Otto I. (1125–1184) im Jahr 1180 aus wirtschaftlichen, machtpolitischen und religiösen Erwägungen. 23 Jahre zuvor, im Jahr 1157, hatte der erste Markgraf Albrecht der Bär († 1170) den Slawenfürsten Jaxa von Köpenick entscheidend besiegt und die Mark aus der Taufe gehoben. Die Deutschen hatten die im Teltow, im Havelland und in der Zauche ansässigen Slawenstämme in den Jahrhunderten zuvor schon mehrfach geschlagen, konnten die Gebiete jedoch nie halten und ließen sich immer wieder zurückdrängen. Daher war den Askaniern Albrecht dem Bären und seinem Sohn Otto I. bewusst, dass mit dem Sieg von 1157 das Land keinesfalls gewonnen war.

Die Konsolidierung der neuen Gebiete mit ihrer slawischen Bevölkerung erreichten die Askanier durch eine Doppelstrategie. Zum einen riefen sie christliche Siedler, beispielsweise aus Flandern (der Name lebt im Namen Fläming fort), in das Land, die schnell ein Gegengewicht zur „heidnischen“ slawischen Bevölkerung bildeten. Zum anderen holten sie mit der Klostergründung der Zisterzienser besonders tatkräftige Christen in die Mark, deren wirtschaftlich erfolgreiche Tätigkeit sehr bald Vorbildfunktion gewann und dem Interesse der Askanier an einem Land, das ihnen hohe Gewinne einbringen sollte, entgegenkam.

Die Mark Brandenburg entsprach in ihrer territorialen Ausdehnung gegen Ende des 12. Jahrhunderts nicht dem heutigen Flächenstaat – neben der Altmark zählten im Wesentlichen lediglich das östliche Havelland und die Zauche dazu. Erst in den folgenden 150 Jahren gelang es den Askaniern, die Mark Brandenburg bis zur Oder auszudehnen. Bei der schrittweisen Erweiterung nach Osten über die Flusslinie Havel-Nuthe in den Teltow, das Berliner Urstromtal und den Barnim flankierten die Mönche mit der Christianisierung der verbliebenen Slawen und mit ihren Kirchenbauten die askanische Siedlungspolitik. Daneben gewann Lehnin für Otto I. eine strategische „innerdeutsche“ Funktion als Grenzschutz gegenüber Erzbischof Wichmann, der das Interesse seines Erzbistums Magdeburg an diesem Landstrich bereits 1170 mit der Gründung des Nachbarklosters Zinna bei Jüterbog deutlich gemacht hatte und der Mark der Askanier südlich der Flussniederung Nuthe-Nieplitz gegenüberstand.

Nach meinem Rundgang mache ich ein kurze Pause im einem Café im Ort Lehnin. Leider sieht man sich nicht in der Lage, mir eins der kleinen herzhaften Gerichte aus der Speisekarte zu bereiten. Angeblich habe man nicht genügend Personal. Nun ja, so bleibt es bei einem Cappuccino und einem Streuselkuchen zum Mittagessen. Dann geht es weiter durch Wälder und landwirtschaftlich genutztes Gelände nach Brandenburg. Ich erreiche das Hotel Brandenburger Dom schon gegen 16 Uhr. Es ist ein modern restauriertes altes Wirtschaftsgebäude. Die Zimmer sind sauber, das Bett ein neues Boxspring-Bett, aber alles ist ausgesprochen steril. Das Zimmer ist weiß, keine Bilder an den Wänden und nur das Bett und ein weißer Tisch und Stuhl. Schränke und Haken fehlen sowohl im Zimmer als auch im Bad. Aber was solls, ich bleibe ja nur eine Nacht.

Nachdem ich mein Gepäck abgelegt habe, nutze ich die Zeit, um mich noch etwas genauer in Brandenburg umzuschauen. Der direkt gegenüber dem Hotel stehende Dom hat leider gerade geschlossen. So werde ich den Besuch auf morgen verschieben müssen. Brandenburg an der Havel ist eine kreisfreie Stadt mit 72.040 Einwohnern (31. Dezember 2020). Sie ist in Bezug auf die Einwohnerzahl die drittgrößte und gemessen an der Fläche die größte Stadt des Landes Brandenburg. Die slawische namensgebende Brandenburg wurde erstmals 928 oder 929 schriftlich erwähnt. Stadtstrukturen entwickelten sich erst nach der deutschen Eroberung im 12. Jahrhundert. Eine Urkunde aus dem Jahr 1170 nennt in Brandenburg erstmals die Altstadt als Stadt deutschen Rechts. Wegen ihrer langen Geschichte und weil sie namengebend für das ganze Land Brandenburg war, wird sie auch als „Wiege der Mark“ bezeichnet.

Mein Weg führt mich von der Dominsel in die Neustadt. Hier gönne ich mir auf der Hauptstraße in einer Pizzeria ein Pizza. Da ich draußen sitze, beobachte ich etwas das Treiben hier in einem der Zentren. Nachdem ich mich ausreichend gesättigt fühle und zum Abschluss noch einen Grappa bekommen habe geht es nun weiter durch die Neustadt. Eines der wichtigsten Gebäude ist hier und auch für die gesamte Stadt sicher die St. Katharinenkirche. Die Katharinenkirche ist eine dreischiffige spätgotische Hallenkirche und die evangelische Pfarrkirche in der Neustadt von Brandenburg an der Havel. Sie zählt zu den Kirchen der Backsteingotik mit der reichsten Bauplastik und Ausstattung und ist die größte Kirche der Stadt. Mit der reichen Bauplastik ist hier vor allem das Dekor der Außenwände gemeint, das aus gebranntem Material, Formziegeln und Terrakotta­plastiken eine Pracht entfaltet, die sonst fast nur aus der Werkstein­gotik bekannt ist. Insbesondere die überlebensgroßen Terrakottaskulpturen sind einmalig.

Danach geht es weiter auf der Jahrtausendbrücke über die Brandenburger Niederhavel in die Altstadt. Hier gehe ich zunächst ein Stück am Ufer der Havel entlang bis zu dem Freilichtmuseum eines alten Slawendorfes und von dort in Richtung Nicolaiplatz, wo ich dann recht unvermittelt vor einer Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasieverbrechen der Nationalsozialisten stehe. Die Tötungsanstalt Brandenburg (die eigentliche Funktion verschleiernd amtlich als „Landes-Pflegeanstalt Brandenburg a. H.“ bezeichnet) wurde als zweite Anstalt nach Grafeneck als „Euthanasie“-Anstalt der Aktion T4 eingerichtet. Bereits im Januar 1940 war die Tötung von Menschen durch Kohlenstoffmonoxid in Brandenburg a. d. Havel erprobt worden. Unter den fünfzehn Beobachtern dieser „Probevergasung“ befanden sich fast die gesamte Leitungsebene der T4-Zentrale, Verbindungsmänner zum Reichsministerium des Inneren, Mitarbeiter des Kriminaltechnischen Instituts, der Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti und Irmfried Eberl, der spätere Leiter der Tötungsanstalt.

Ab Februar begann die planmäßige Tötung. Bis zum Oktober 1940 wurden mehr als 9.000 psychisch Kranke und geistig Behinderte aus Nord- und Mitteldeutschland in der Gaskammer ermordet. Die Gaskammern waren als Duschen getarnt. Unter den Opfern befanden sich auch Kinder und jüdische Patienten. Als Todesursache wurde stets, wie bei allen Tötungseinrichtungen, verschleiert eine „natürliche Todesursache“ auf dem Totenschein angegeben. Auch in Brandenburg gab es ein eigenes Sonderstandesamt Brandenburg II auf dem Gelände, welches für die Ausstellung der fingierten Todesbescheinigungen zuständig war. Im Oktober 1940 wurde die Brandenburger Anstalt mit dem gesamten Personal in die neu eingerichtete Tötungsanstalt Bernburg verlegt.

Mehr als fassungslos stehe ich vor den Stelen, die das ganze Verbrechen, aber auch die Schicksale einzelner Opfer beschreiben. Da wurden in neun Monaten des Jahres 1940 allein hier und zwar mitten in der Stadt 9.000 Menschen bestialisch ermordet. Das zu verkraften fällt mir schwer, der ich von diesen Ereignissen schon lange weiß, aber dennoch die Konfrontation mit den konkreten Ereignissen und Schicksalen wie einen Schlag in die Magengrube empfinde. Und es steigt auch wieder Wut auf. Wut, dass es auch heute immer mehr Menschen gibt, die diese Verbrechen leugnen. Wut auch darüber, dass es auch immer mehr Menschen gibt, den man solche Verbrechen wieder zutrauen muss.

Mit diesen Empfindungen gehe ich nun weiter, bin aber doch sehr abgelenkt durch meine Gedanken. Am Altstädtische Rathaus mit seiner noch originalen Rolandsfigur verweile ich kurze Zeit, aber dann treibt es mich doch zurück zu meinem Quartier und der Abend endet weiter mit den trüben Gedanken, die die Gedenkstätte der Euthanasieverbrechen ausgelöst hat.

Tagesstrecke: 64,84 Km

 

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